Almansor

Almansor

Heinrich Heine

siehe: Almansor von Heinrich Heine

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Almansor

Kapitel 8

Pedrillo:

Oh, Allah hilf! Jesus Maria Joseph!
Wir sind verloren, denn sie kommen, kommen!

Alle:

Wer kömmt?

Pedrillo:

Die Unsern kommen!

Alle:

Wie? die Unsern?

Pedrillo:

Nein, nicht die Unsern. Die verfluchten Heiden,
Die schändlichen Rebellen von den Bergen,
Die sind herangeschlichen auf den Strümpfen –
Wir sind verloren, draußen sind sie, hört ihr?

Man hört Waffengerassel. Verworrene Stimmen rufen:
Granada! Allah! Mahomet!

Einige Ritter:

Wohlan, sie mögen kommen.

Andere Ritter:

Unsre Waffen!

Die Damen geben Zeichen des Schreckens. Zuleima sinkt ohnmächtig hin. Laute Bewegung im Saale.

Ali:

O seid nur außer Sorge, schöne Damen.
Der Maure ist galant, und selbst im Zorne
Wird er den Damen ritterlich begegnen.
Wir Männer aber wollen tüchtig kämpfen –

Alle Ritter ihre Schwerter ziehend:

Wir kämpfen für den Leib und für die Ehre!

Waffengeklirr. Verworrene Stimmen. Die Mauren brechen herein; an ihrer Spitze Hassan und Almansor. Letzterer bricht sich Bahn zur ohnmächtigen Zuleima. Gefecht.

Waldgegend. Man hört in der Nahe Waffengerassel und Kampfruf.

Pedrillo kommt ängstlich und händeringend gelaufen.

Pedrillo:

O weh! die hübsche Hochzeit ist verdorben!
O weh! die hübschen, seidnen Hochzeitkleider,
Die werden jetzt zerhauen und zerfetzt,
Und blutig obendrein, und statt des Weines
Fließt Blut! Ich lief nicht fort aus Feigheit, nein,
Beim Kampfe wollt ich niemand in dem Weg stehn.
Sie werden fertig ohne mich. Schon sind
Die Feinde aus dem Saal zurückgedrängt –
Und sieh! Nach der Seite gewendet: Schon vor dem Schlosse kämpfen sie.
Sieh dort! O weh! der säbelt lustig drein!
Mir wär's nicht lieb, wenn solch ein krummes Ding
Mir flink und zierlich durchs Gesicht spazierte.
Dem dorten ist die Nase abgehaun,
Und unserm armen, dicken Ritter Sancho
Hat man den fetten Schmerbauch aufgeschlitzt.
Doch sieh! wer ist der rote Ritter? Seltsam!
Er trägt den span'schen Mantel und gehört
Zur maurischen Partei – O Allah! Jesus! Weint.
Ach, unsre arme, freundliche Zuleima!
Dem roten Ritter liegt sie auf der Schulter,
Er hält sie fest mit seinem linken Arm,
Und mit der rechten Hand schwingt er den Säbel,
Und haut, wie 'n Rasender – er ist verwundet –
Er sinkt – Nein! nein! er wankte nur – Er steht,
Er kämpft – er flieht – O weh! wo soll ich hin,
Auch hier muß ich den Leuten aus dem Weg gehn. Eilt fort.

Almansor wankt ermattet vorüber. Er trägt auf dem Arm die ohnmächtige Zuleima, schleppt sein Schwert nach sich, und lallt: »Zuleima! Mahomet!« Kämpfende Mauren und Spanier treten auf. Die Mauren werden weitergedrängt. Hassan und Ali kommen fechtend. Wildes Gefecht zwischen beiden. Hassan wird verwundet.

Don Enrique, Diego und Spanische Ritter treten auf.

Hassan niedersinkend:

Ha! ha! die Christenschlange hat gestochen!
Und just ins Herz hinein – O schläfst du Allah?
Nein, Allah ist gerecht, und was er tut,
Ist wohlgetan – Vergißt du meiner? – Nein,
Nur Menschen sind vergeßlicher Natur –
Vergessen ihren Gott, und ihren Freund,
Und ihres Freundes besten Knecht – Sag, Ali,
Kennst du den Hassan noch, den Knecht Abdullahs?
Abdullah –

Ali in Zorn ausbrechend:

Abdullah ist der Name jenes
Verräterischen Buben, jenes feigen,
Blutdürst'gen Bösewichts, der meinen Sohn,
Den teuern Sohn Almansor, mir gemordet!
Abdullah heißt Almansors Meuchelmörder –

Hassan sterbend:

Abdullah ist kein Bösewicht, kein Bube,
Abdullah ist Almansors Mörder nicht!
Almansor lebt – lebt – lebt – ist hier – es ist
Der rote Ritter, der Zuleima raubt' –
Dort, dort –

Ali:

Mein Sohn Almansor lebt? es ist
Der rote Ritter der Zuleima raubt'?

Hassan:

Ja, ja! fest hält er was er einmal hat –
Du lügst, Abdullah war kein Meuchelmörder,
Und war kein Bösewicht, und war kein Christ –
Laß mich in Ruh – Es kommen schon die Mädchen,
Mit schwarzen Augen, schöne Huris kommen – Selig lächelnd.
Die jungen Mädchen und der alte Hassan! Er stirbt.

Ali:

O Gott, ich danke dir! Mein Sohn, er lebt!
O Gott, das ist ein Zeichen deiner Gnade!
Mein Sohn, er lebt! Kommt, Freunde, laßt uns jetzt
Verfolgen seine Spur. Er ist uns nah,
Und hat als Beute schon davongetragen
Die holde Braut, die ich ihm einst erkor.

Alle gehen ab, bis auf Don Enrique und Don Diego, die sich lange schweigend ansehn.

Don Enrique weinerlich:

Und nun? Nun, Don Diego?

Don Diego ihn nachäffend:

Und nun, Don
Enrique del Puente del Sahurro?

Don Enrique:

Was wollen wir jetzt tun?

Don Diego:

Wir? Wir? Nein Señor,
Wir beide sind geschiedne Leute jetzt.
Ihr habt kein Glück. Das kostet mir zweihundert
Dukaten. Geld ist fort. Die Müh verloren.

Ärgerlich lachend.

Ich plage mich von Jugend auf, mit Kniffen
Und Pfiffen, denke mir die Haare grau;
Auf krummen Pfaden schleiche ich im Wald,
Daß mir der Dornbusch Rock und Fleisch zerreißt;
Durch steile Felsen wind ich mich, und springe
Von Spitz zu Spitz, daß wenn ich niederfiele,
Die Raben meinen Kopf als ein Ragout
Verspeisen würden – dennoch bleib ich arm!
Ich bleibe arm, wie eine Kirchmaus arm!
Derweil mein Schulkamrad, der blöde Dummkopf,
Der immer, recht schnurgrade und behaglich,
Auf seiner breiten Landstraß schlendert,
Noch immer seinen Ochsengang fortschlendert,
Und ein geehrter, dicker, reicher Mann ist.
Nein, ich bin's müde, Señor; lebet wohl! Geht ab.

Don Enrique steht lange sinnend:

Ob Don Gonsalvo mir nichts borgen wird? Geht ab.

Felsengegend. Almansor, matt und blutend, und die ohnmächtige Zuleima tragend, erklimmt den höchsten Felsen.

Almansor:

Oh, hilf mir, Allah, bin so müd und matt.
Hab mir zurückgeholt mein weißes Reh,
Just als des Jägers Hand es schlachten wollte.

Er setzt sich auf des Felsens Spitze, und hält Zuleima auf dem Schoße.

Ich bin der arme Mödschnun, und ich sitze
Auf meinem Felsen, spiel mit meinem Reh;
Denn in ein Reh verwandelte sich Leila,
Und sah mich an mit freundlich klaren Augen.
Jetzt sind die Äuglein zu, mein Rehlein schläft.
Still! still! Du Zeisig, zwitschre nicht so schmetternd.
Du Käfer, summe leiser. Liebes Lüftlein,

Durchraschle nicht so laut die Blätter – Stille!

Ein Wiegenlied will ich dir singen. Stille!

Er wiegt Zuleima im Schoße und singt:

Die Sonne wirft ihr Nachtkleid um,

Gar rosenrot und schön;

Die Vöglein werden still und stumm,

Sie wolln zu Bette gehn.

Schlafe mein Rehlein auch du!

Mein Rehlein schläft, recht hübsch; doch gar zu lang.

Die schmachtend süßen, liebeklaren Äuglein

Sind zugeschlossen jetzt, fest zugeschlossen –

Und bleiben zu? Ist denn mein Rehlein tot?

In Tränen ausbrechend.

Tot! tot! mein weiches, weißes Rehlein tot!

Die süßen Sternlein ausgelöscht und tot!

Mein totes Rehlein! sanft will ich dich betten

Auf Rosen, Lilien, Veilchen, Hyazinthen.

Aus goldnem Mondschein web ich eine Decke,

Und deck dich zu. Ein Trauerlied soll dir

Rotkehlchen singen, und es sollen zwölf

Goldkäfer ernsthaft Schildwacht stehn des Tags,

An deinem kleinen Blumenbettchen, zwölf

Glühwürmchen sollen flimmernd dort des Nachts,

Wie stille Totenkerzen, leuchten; aber

Ich selber will dort weinen Tag und Nacht.

Zuleima erwacht aus ihrer Ohnmacht.

Was seh ich? Heimlich leise regen sich

Die zarten Glieder, und der seidne Vorhang

Der süßen Augen rollt sich langsam auf!

Das ist kein Rehlein, das ist Leila nicht,

Das ist Zuleima, Alis schöne Tochter –

Zuleima öffnet die Augen.

Der Himmel schließt sich auf, das Himmelreich!

Zuleima:

Bin ich im Himmel schon?

Almansor:

Aus starrem Tod

Bist du erwacht.

Zuleima:

Ich weiß es wohl, daß ich

Gestorben bin, und jetzt im Himmel bin.

Sieht sich überall um.

Wie schön ist's hier, wie leicht und rein die Luft,

Und alles trägt ein rosenfarbig Kleid.

Almansor:

Ja, ja, wir sind im Himmel, süßes Lieb,

Siehst du die Blumen, die dort unten spielen,

Die Schmetterlinge, die dazwischen flattern,

Und, neckend, bunten Diamantenstaub

Den armen Blümlein in die Augen werfen?

Hörst du dort unten, wie das Bächlein rauscht,

Wie bläuliche Libellen es umsummen,

Und grüngelockte Wassermädchen, plätschernd,

In rötlich goldne Wellen untertauchen?

Siehst du die weißen Nebelbilder wallen?

Es ist der Sel'gen Schar, die, ewig jung,

Im ew'gen Frühlingsgarten sich ergehn.

Zuleima:

Wenn das der Sel'gen Wohnung ist, Almansor,

So sage mir, wie bist du hergekommen?

Denn unser frommer Abt hat mir versichert:

Daß nur wer Christ ist selig werden kann.

Almansor:

O zweifle nicht an meiner Seligkeit!

Ich halte dich, mein Lieb, in meinen Armen,

Und selig, dreimal selig ist Almansor.

Zuleima:

So log der fromme Mann, er sagte auch,

Den edeln Don Enrique müßt ich lieben.

Ich hab's getan, so gut es ging. Almansor

Wollt ich vergessen. Oh, das ging nicht gut.

Ich hab es auch geklagt der Mutter Gottes.

Die hat gelächelt, freundlich, gnädig, huldreich,

Und hat mich eingehüllt in ihren Schleier,

Und hergetragen in die lichte Höh.

Musik erklang auf meinem Weg; es bliesen

Die Englein auf Waldhörnern, und Schalmein,

Und sangen süße Lieder; – süße Lust!

Ich bin im Himmel, und das Beste ist,

Almansor ist bei mir, und in dem Himmel

Bedarf es der Verstellungskünste nicht,

Und frei darf ich gestehn: Ich liebe dich,

Ich liebe dich, ich liebe dich, Almansor!

Das scheidende Abendrot verklärt die beiden Gestalten.

Almansor:

Ich wußte längst, du liebest mich noch immer,

Mehr als dich selbst. Die Nachtigall hat mir's

Vertraut, die Rose hat's mir zugehaucht,

Ein Lüftlein hat es mir ins Ohr gefächelt,

Und jede Nacht hab ich es klar gelesen

Im blauen Buche mit den goldnen Lettern.

Zuleima:

Nein! nein! der fromme Mann hat nicht gelogen,

Es ist so schön im schönen Himmelreich!

Umschließe mich mit deinen lieben Armen,

Und wiege mich auf deinem weichen Schoß,

Und laß Jahrtausende mich Wonnetrunkne

In diesem Himmel in dem Himmel liegen!

Almansor:

Wir sind im Himmel, und die Engel singen,

Und rauschen drein mit ihren seidnen Flügeln –

Hier wohnet Gott im Grübchen dieser Wangen –

Waffengeklirr in der Ferne. Almansor erschrickt.

Dort unten aber wohnet Eblis, furchtbar

Dringt seine Stimm hinauf, bis in den Himmel,

Und streckt er nach mir aus die Eisenhand.

Zuleima erschrocken:

Was schreckst du plötzlich auf? was zitterst du?

Almansor:

Nenn's Eblis, nenn es Satan, nenn es Menschen,

Die tückisch arge Macht, die wild hinaufsteigt,

In meinen Himmel selbst –

Zuleima:

So laß uns fliehn,

Hinab ins Blumental, wo Blümlein spielen,

Die Schmetterlinge flattern, Bächlein rauscht,

Libellen summen, Nachtigallen trillern,

Und stille, sel'ge Nebelbilder wallen –

Trag mich hinab, ich bleib an deiner Brust.

Sie schmiegt sich an ihn.

Almansor springt auf und hält Zuleima im Arm:

Hinab! hinab! die Blumen winken ängstlich,

Die Nachtigall ruft mich mit bangem Ton,

Der Sel'gen Schatten strecken nach mir aus

Die Nebelarme, riesig lang, ziehn mich

Hinab, hinab –

Fliehende Mauren eilen vorüber.

Die Jäger nahen schon,

Mein Reh zu schlachten! dorten klirrt der Tod,

Hier unten blüht entgegen mir das Leben,

Und meinen Himmel halt ich in den Armen.

Er stürzt sich mit Zuleima den Felsen hinab.

Spanische Ritter, die den Mauren nacheilen, sehen beide herabstürzen, und treten entsetzt zurück. Man hört Alis Stimme: »Sucht ihn, sucht ihn, er muß uns nahe sein!« Ali tritt auf.

Mehrere Ritter:

Entsetzlich!

Ali:

Habt ihr ihn und sie gefunden?

Ein Ritter hinter den Felsen zeigend:

Gefunden wohl, der Wütende hat sich

Herabgestürzt mit seiner teuern Last.

Pause.

Ali:

Jetzt, Jesu Christ, bedarf ich deines Wortes,

Und deines Gnadentrosts, und deines Beispiels.

Der Allmacht Willen kann ich nicht begreifen,

Doch Ahnung sagt mir: ausgereutet wird

Die Lilie und die Myrte auf dem Weg,

Worüber Gottes goldner Siegeswagen

Hinrollen soll in stolzer Majestät.

 

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