An Bord des »Petrel«.
März 1874.
Wie originell war doch unser großes Haus in Dakar, das ich
so sorglich verschönert hatte. Wir hatten uns so sehr daran
gewöhnt, ja wir hatten uns selbst an Mademoiselle
Marie-Félicité gewöhnt, die alte Mulattin, bei der wir zur
Miete waren.
Dieses Haus war durch eine Scheidewand in halber Höhe des
Gebäudes in zwei Hälften geteilt. Der bescheidene rückwärtige
Teil hatte Gartenaussicht und enthielt unsere Ruhebetten. Die
Wände bestanden aus kalkgetünchten Balken, die von der Sonne
gedörrt waren. Überall liefen blaue Eidechsen umher, auch gab
es große flache Spinnen, die mir tiefen Abscheu einflößten.
Der vordere Teil des Hauses war prunkvoll, hatte eine
Veranda in die öde Straße hinaus und war vollständig mit
weißen Matten ausgekleidet, was ungemein luxuriös wirkte. Die
Tür im Hintergrund war von grauen Lanzen eingerahmt und von
einer langen schreiend bunten Draperie verhüllt. Es gab hier
orientalische Sofas, Rüstungen aus Gazellenhorn und
Schlachtschwerter. Es war auch eines Flußpferdes Hirnschale da
und eine Giraffenhaut, die wir aus Podor mitgebracht hatten.
In diesem Raum stand mein Klavier, auf das ich ungeheuer
stolz war. Es war ein Instrument, das ich durch Zufall bei
Franzosen in der Stadt erstanden hatte. Es stammte von der
Yacht Kaiser Napoleon III., und ehe es hier im Senegal
gestrandet war, hatte es viele Meere durchfahren. Erst schien
mir sein Preis zu hoch für meine Fähnrichsbörse, doch kaum
hatte ich meine Hand auf die Tasten gelegt, als ich,
hingerissen von der Herrlichkeit des Klanges, nicht umhin
konnte, es zu kaufen. Sein Ton klang tief, sehr süß und wie
aus weiter Ferne, was mich unendlich anzog, wenn die
Melancholie Macht über mich gewann in diesem einsamen Hause.
Ich entsinne mich, daß ich, als ich einst abends allein im
Zimmer war, versuchte, nach dem Gehör eine traurige Negerweise
zu spielen, als ich plötzlich hinter mir ein leises Rascheln
vernahm, wie wenn etwas Glattes und Schweres vorsichtig über
die Matten geschleift würde. Ein instinktiver Schreck ließ
mich heftig den Kopf wenden, und so sah ich noch, wie eine
riesige Natter in einem Loch des Fußbodens verschwand.
Meine Musik hatte die Schlange herbeigezogen, und in
Zukunft gelang es mir noch oft, sie herauszulocken. Dazu mußte
es absolut still im Raum sein und ich mußte lange, ohne
Unterbrechung, klagende, schrille Melodien spielen.
Unter der Gartenveranda stand eine alte Bank im Schutze
zweier hoher Lorbeerbäume, und in ihren Kronen nisteten grüne
Kolibris, die mit ihren süßen Stimmen leise sangen, wenn alles
in Erschlaffung lag.
Ich hatte diese Bank zu meinem Ruheplatz erkoren, und rings
um mich war in der tiefen Stille nur der ewige Gesang der
Grillen. Von Zeit zu Zeit drang auch das Lied irgendeiner
Nubierin zu mir: Traurige, durchdringende Laute, die sich gut
in den exotischen Rahmen von Sonne und Sand hineinfügten.
Was hatten wir für Kindereien in Szene gesetzt, um uns bei
dieser alten Marie-Félicité ein Interieur so recht im Stil des
Landes zu schaffen! Wir umgaben uns mit exotischen Tieren, wie
alle Kolonisten tun, die etwas auf sich halten, und die
Hauptsache dünkte uns, uns einen Marabu zu verschaffen.
Beim ersten Sehen findet man den Vogel nicht eigentlich
dekorativ. Doch nach längerem Verweilen im Senegal kommt man
zu dem Schluß, daß dieses altgeheiligte Tier, das traurig und
mit gesammelter Andacht in die Welt schaut, recht eigentlich
in dies seltsame, unveränderliche und trostlose Land gehört. –
Der Marabu war unter unserem Dache froh und glücklich. Er
sah in uns vertrauenswürdige Freunde, die ihn nicht quälten,
wie junge Offiziere oft mit seinesgleichen tun, denen sie alle
möglichen bösen Streichen spielen, um sich am heiteren Anblick
der gekränkten Würde zu ergötzen.
Er wußte sogar, daß er uns Ehrfurcht einflößte, der große,
heilige Vogel. Er sah wohl ein wenig lächerlich aus, mit
seinem kahlen Haupt, das stets vorgeneigt war, als sei er
tiefem Brüten hingegeben, und den schwarzen Flügeln, die an
seinen Seiten herabhängen wie Ärmel an den Schauben der
Scholaren. Gemessen schritt er dahin. Das Alltäglichste
verrichtete er mit der Gebärde eines zelebrierenden Priesters,
und sogar seine Gefräßigkeit trug er mit Salbung zur Schau. –
Und so sehr wir ihn auch mit Fleisch und Fischen nährten,
so verschwanden doch die absonderlichsten Dinge ebenso in
seinem weißen Bauch, wozu er vernehmlich mit dem stumpfen
Schnabel schnalzte.
Für gewöhnlich ließen wir ihn gewähren, und wir erlaubten
uns eine Einmischung nur in seinem Interesse, wenn er etwas
ganz Unverdauliches verschlungen hatte, zum Beispiel einen
Kupferleuchter mit einer Kerze, was sein Lieblingsgericht war.
Er hatte dann einen besorgten Blick, sein Schnabel öffnete
sich, die Atmung wurde keuchend, und er widerstrebte nicht,
sich einer kleinen, ganz zarten Operation zu unterziehen.
Einer von uns ergriff den Vogel bei den Beinen und ließ seinen
Kopf zur Erde baumeln, der andere aber schlug ihn mit einem
Stock so lange ins Genick, bis der im Schlund steckende
Gegenstand zur Erde fiel. Ließen wir dann los, so war der
Marabu sofort wieder ganz Würde und Majestät.
Unsere andere Errungenschaft war ein wunderschöner Papagei.
Er war ein zahmes, träges Tier, das uns sofort zu erobern
verstand. Näherte man den Finger, um sein grünes Köpfchen zu
krauen, so neigte er sofort den Hals, und sein schönes rundes
schwarzes Auge blickte uns freundlich von der Seite an.
Ach, seines Weilens bei uns war nur kurze Zeit, denn nur zu
bald fiel er dem Heißhunger des Marabus zum Opfer.
Es hatte den Anschein gehabt, als ob unsere beiden Vögel
sich glänzend miteinander vertrügen, und oft begleitete der
Marabu mit einer Geschäftigkeit, als sei er sein großer Bruder
und Beschützer, den Papagei über die Gartenwege. Nie hätten
wir einen solchen Ausgang erwartet.
Eines Tages war der große kahlköpfige Vogel besonders lieb
und nett zu seinem Genossen. Er wippte auf seinen breiten
Füßen vor ihm auf und nieder, als könne er unmöglich die ganze
Größe seiner Liebe ausdrücken, und wir sahen ergriffen auf
dieses rührende Schauspiel. Doch plötzlich, ehe wir noch
zuspringen konnten, öffnete sich der große Schnabel des Marabu
und schloß sich wieder mit seinem gewohnten an trockenes Holz
gemahnenden Knacken über dem kleinen Papagei ... Es ist
unnötig zu sagen, daß wir das scheußlich falsche Tier sofort
an den Beinen in der Luft baumeln ließen, und daß die Schläge,
die ich ihm aufs Genick versetzte, diesmal nicht eigentlich
mild zu nennen waren. Bald war der arme Papagei wieder
sichtbar. Sein Herz schlug noch, aber all seine kleinen
Knochen waren zermalmt, und wir konnten ihn nicht retten.
Der Marabu mußte in der Folge für sein Verbrechen Buße tun,
denn an Stelle des Papageis hielten wir jetzt einen Affen, wie
er verschlagener kaum gedacht werden kann.
Als er den Ankömmling erblickte, wußte der große Vogel, daß
es nun mit seiner unumschränkten Gewalt im Hause zu Ende sei.
Und so zog er sich mit großem Pomp auf einen Baum unseres
Gartens zurück.
Und unser Heim verlor während der Ausruhstunden seine
gewohnte eintönige Stille. Statt zu schlafen, mußten wir ohne
Unterlaß zwischen unseren Tieren Frieden stiften.
Unzweifelhaft hatte der Affe immer unrecht, denn stets war er
es, der den Streit begann. Kaum sah er, wie sich nach dem Mahl
die alten grauen Lider des Marabus im Schlummer schlossen, so
schlich er auch schon auf leisen Sohlen heran und riß ihm
plötzlich einige seiner schwarzen Schwanzfedern aus.
Der Affe erhielt dann einen kräftigen Schnabelhieb und
flüchtete oft mit blutigem Scheitel. Aber die schönen Federn
hatten für ihn eine so unwiderstehliche Anziehungskraft, daß
er nicht umhin konnte, das Spiel stets von neuem zu beginnen.
So trieben sie es durch einige Monate. Der Marabu verfiel
schließlich in eine Art herzzerreißender Resignation, sein
eingeschrumpfter Kopf sank noch tiefer in seinen weißen
Federkragen, sein Gefieder wurde glanzlos und mitleiderregend.
Er verließ seine Stange nur mehr des Nachts, wenn sein Feind
im Schlummer lag.