Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

An Bord des »Petrel«.

März 1874.

Wie originell war doch unser großes Haus in Dakar, das ich so sorglich verschönert hatte. Wir hatten uns so sehr daran gewöhnt, ja wir hatten uns selbst an Mademoiselle Marie-Félicité gewöhnt, die alte Mulattin, bei der wir zur Miete waren.

Dieses Haus war durch eine Scheidewand in halber Höhe des Gebäudes in zwei Hälften geteilt. Der bescheidene rückwärtige Teil hatte Gartenaussicht und enthielt unsere Ruhebetten. Die Wände bestanden aus kalkgetünchten Balken, die von der Sonne gedörrt waren. Überall liefen blaue Eidechsen umher, auch gab es große flache Spinnen, die mir tiefen Abscheu einflößten.

Der vordere Teil des Hauses war prunkvoll, hatte eine Veranda in die öde Straße hinaus und war vollständig mit weißen Matten ausgekleidet, was ungemein luxuriös wirkte. Die Tür im Hintergrund war von grauen Lanzen eingerahmt und von einer langen schreiend bunten Draperie verhüllt. Es gab hier orientalische Sofas, Rüstungen aus Gazellenhorn und Schlachtschwerter. Es war auch eines Flußpferdes Hirnschale da und eine Giraffenhaut, die wir aus Podor mitgebracht hatten.

In diesem Raum stand mein Klavier, auf das ich ungeheuer stolz war. Es war ein Instrument, das ich durch Zufall bei Franzosen in der Stadt erstanden hatte. Es stammte von der Yacht Kaiser Napoleon III., und ehe es hier im Senegal gestrandet war, hatte es viele Meere durchfahren. Erst schien mir sein Preis zu hoch für meine Fähnrichsbörse, doch kaum hatte ich meine Hand auf die Tasten gelegt, als ich, hingerissen von der Herrlichkeit des Klanges, nicht umhin konnte, es zu kaufen. Sein Ton klang tief, sehr süß und wie aus weiter Ferne, was mich unendlich anzog, wenn die Melancholie Macht über mich gewann in diesem einsamen Hause.

Ich entsinne mich, daß ich, als ich einst abends allein im Zimmer war, versuchte, nach dem Gehör eine traurige Negerweise zu spielen, als ich plötzlich hinter mir ein leises Rascheln vernahm, wie wenn etwas Glattes und Schweres vorsichtig über die Matten geschleift würde. Ein instinktiver Schreck ließ mich heftig den Kopf wenden, und so sah ich noch, wie eine riesige Natter in einem Loch des Fußbodens verschwand.

Meine Musik hatte die Schlange herbeigezogen, und in Zukunft gelang es mir noch oft, sie herauszulocken. Dazu mußte es absolut still im Raum sein und ich mußte lange, ohne Unterbrechung, klagende, schrille Melodien spielen.

Unter der Gartenveranda stand eine alte Bank im Schutze zweier hoher Lorbeerbäume, und in ihren Kronen nisteten grüne Kolibris, die mit ihren süßen Stimmen leise sangen, wenn alles in Erschlaffung lag.

Ich hatte diese Bank zu meinem Ruheplatz erkoren, und rings um mich war in der tiefen Stille nur der ewige Gesang der Grillen. Von Zeit zu Zeit drang auch das Lied irgendeiner Nubierin zu mir: Traurige, durchdringende Laute, die sich gut in den exotischen Rahmen von Sonne und Sand hineinfügten.

Was hatten wir für Kindereien in Szene gesetzt, um uns bei dieser alten Marie-Félicité ein Interieur so recht im Stil des Landes zu schaffen! Wir umgaben uns mit exotischen Tieren, wie alle Kolonisten tun, die etwas auf sich halten, und die Hauptsache dünkte uns, uns einen Marabu zu verschaffen.

Beim ersten Sehen findet man den Vogel nicht eigentlich dekorativ. Doch nach längerem Verweilen im Senegal kommt man zu dem Schluß, daß dieses altgeheiligte Tier, das traurig und mit gesammelter Andacht in die Welt schaut, recht eigentlich in dies seltsame, unveränderliche und trostlose Land gehört. –

Der Marabu war unter unserem Dache froh und glücklich. Er sah in uns vertrauenswürdige Freunde, die ihn nicht quälten, wie junge Offiziere oft mit seinesgleichen tun, denen sie alle möglichen bösen Streichen spielen, um sich am heiteren Anblick der gekränkten Würde zu ergötzen.

Er wußte sogar, daß er uns Ehrfurcht einflößte, der große, heilige Vogel. Er sah wohl ein wenig lächerlich aus, mit seinem kahlen Haupt, das stets vorgeneigt war, als sei er tiefem Brüten hingegeben, und den schwarzen Flügeln, die an seinen Seiten herabhängen wie Ärmel an den Schauben der Scholaren. Gemessen schritt er dahin. Das Alltäglichste verrichtete er mit der Gebärde eines zelebrierenden Priesters, und sogar seine Gefräßigkeit trug er mit Salbung zur Schau. –

Und so sehr wir ihn auch mit Fleisch und Fischen nährten, so verschwanden doch die absonderlichsten Dinge ebenso in seinem weißen Bauch, wozu er vernehmlich mit dem stumpfen Schnabel schnalzte.

Für gewöhnlich ließen wir ihn gewähren, und wir erlaubten uns eine Einmischung nur in seinem Interesse, wenn er etwas ganz Unverdauliches verschlungen hatte, zum Beispiel einen Kupferleuchter mit einer Kerze, was sein Lieblingsgericht war. Er hatte dann einen besorgten Blick, sein Schnabel öffnete sich, die Atmung wurde keuchend, und er widerstrebte nicht, sich einer kleinen, ganz zarten Operation zu unterziehen. Einer von uns ergriff den Vogel bei den Beinen und ließ seinen Kopf zur Erde baumeln, der andere aber schlug ihn mit einem Stock so lange ins Genick, bis der im Schlund steckende Gegenstand zur Erde fiel. Ließen wir dann los, so war der Marabu sofort wieder ganz Würde und Majestät.

Unsere andere Errungenschaft war ein wunderschöner Papagei. Er war ein zahmes, träges Tier, das uns sofort zu erobern verstand. Näherte man den Finger, um sein grünes Köpfchen zu krauen, so neigte er sofort den Hals, und sein schönes rundes schwarzes Auge blickte uns freundlich von der Seite an.

Ach, seines Weilens bei uns war nur kurze Zeit, denn nur zu bald fiel er dem Heißhunger des Marabus zum Opfer.

Es hatte den Anschein gehabt, als ob unsere beiden Vögel sich glänzend miteinander vertrügen, und oft begleitete der Marabu mit einer Geschäftigkeit, als sei er sein großer Bruder und Beschützer, den Papagei über die Gartenwege. Nie hätten wir einen solchen Ausgang erwartet.

Eines Tages war der große kahlköpfige Vogel besonders lieb und nett zu seinem Genossen. Er wippte auf seinen breiten Füßen vor ihm auf und nieder, als könne er unmöglich die ganze Größe seiner Liebe ausdrücken, und wir sahen ergriffen auf dieses rührende Schauspiel. Doch plötzlich, ehe wir noch zuspringen konnten, öffnete sich der große Schnabel des Marabu und schloß sich wieder mit seinem gewohnten an trockenes Holz gemahnenden Knacken über dem kleinen Papagei ... Es ist unnötig zu sagen, daß wir das scheußlich falsche Tier sofort an den Beinen in der Luft baumeln ließen, und daß die Schläge, die ich ihm aufs Genick versetzte, diesmal nicht eigentlich mild zu nennen waren. Bald war der arme Papagei wieder sichtbar. Sein Herz schlug noch, aber all seine kleinen Knochen waren zermalmt, und wir konnten ihn nicht retten.

Der Marabu mußte in der Folge für sein Verbrechen Buße tun, denn an Stelle des Papageis hielten wir jetzt einen Affen, wie er verschlagener kaum gedacht werden kann.

Als er den Ankömmling erblickte, wußte der große Vogel, daß es nun mit seiner unumschränkten Gewalt im Hause zu Ende sei. Und so zog er sich mit großem Pomp auf einen Baum unseres Gartens zurück.

Und unser Heim verlor während der Ausruhstunden seine gewohnte eintönige Stille. Statt zu schlafen, mußten wir ohne Unterlaß zwischen unseren Tieren Frieden stiften. Unzweifelhaft hatte der Affe immer unrecht, denn stets war er es, der den Streit begann. Kaum sah er, wie sich nach dem Mahl die alten grauen Lider des Marabus im Schlummer schlossen, so schlich er auch schon auf leisen Sohlen heran und riß ihm plötzlich einige seiner schwarzen Schwanzfedern aus.

Der Affe erhielt dann einen kräftigen Schnabelhieb und flüchtete oft mit blutigem Scheitel. Aber die schönen Federn hatten für ihn eine so unwiderstehliche Anziehungskraft, daß er nicht umhin konnte, das Spiel stets von neuem zu beginnen.

So trieben sie es durch einige Monate. Der Marabu verfiel schließlich in eine Art herzzerreißender Resignation, sein eingeschrumpfter Kopf sank noch tiefer in seinen weißen Federkragen, sein Gefieder wurde glanzlos und mitleiderregend. Er verließ seine Stange nur mehr des Nachts, wenn sein Feind im Schlummer lag.

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