An Bord des »Tonnerre«.
Lorient, 2. März 1878.
Dies ist gegenwärtig meine Lage: Ich habe die Türkei
verlassen, nachdem ich geschworen hatte, wiederzukehren, und
keiner der Schritte, die ich unternehme, meinen Schwur zu
halten, führte zum Ziel. Unterdessen wird mein armes Stambul
geplündert. Die Nachrichten, die einander folgen, sind voll
grauser Schrecknisse. Ich weiß nun, daß die Türken trotz all
ihrem Mut den Krieg endgültig verloren haben, und ich muß mich
fragen, was aus ihnen allen werden soll.
Wieder bin ich dem grauen, eintönigen Leben im Okzident
verfallen, nachdem ich geträumt hatte, Bey oder Pascha zu
sein. Mein Dasein ist mehr und mehr erfüllt von
Unmöglichkeiten und Widersprüchen, und dessen, was mich
umgibt, bin ich längst müde geworden.
Ich habe zu Beginn dieses Krieges eine Gelegenheit
versäumt, die ich gewiß nie wiederfinden werde: Mir in der
Türkei eine Stellung zu schaffen, die mir selbst, meinen
Neigungen und Fähigkeiten gemäß gewesen wäre, und die ich
einzig im Orient hätte finden können. Die Gelegenheit ging
vorbei, und sie wird ohne Zweifel nicht wiederkehren, nun ich
versäumte, sie im Vorüberfliehen am Schopf zu ergreifen. Jetzt
ginge die Sache höchstens aufzuwärmen. Die mächtigen
Würdenträger, die mich gestützt hätten, würden sich wohl kaum
mehr des jungen »Giaour« erinnern, der sie einen Augenblick
lang interessiert hatte. Und dann, wenn die Slawen siegen, und
der alte Islam zerbirst, dann folgen meine Zukunftsträume dem
Beispiel des Islam. Und zum zweitenmal in meinem Leben wird
alles um mich untergehn – Hoffnungen, Träume von Liebe und
Glück –, kurz alles, was für mich von dem Geschick Stambuls
und des Propheten nicht zu trennen ist.
Von Zeit zu Zeit erhalte ich Nachrichten von Aziyadé,
leichtes Geschwätz in türkischen Worten, verzweifelte, immer
dringendere Briefe, in welchen sie mich beschwört, sie nicht
zu verlassen. Im letzten Monat meines Weilens in Stambul haben
ihre Ansichten sich gefestigt, und nun ist auch sie unduldsam
geworden.
Achmet scheint im Kriege gefallen zu sein. Und dies ist für
mich ein neuer Anlaß zu Besorgnis und Trauer.
Denn jetzt habe ich in Stambul keinen treu ergebenen Boten
mehr, ich kann Aziyadé nicht mehr Antwort senden, und, warte
ich noch länger, so verliere ich ihre Spur und habe keine
Hoffnung, sie wiederzufinden.
Samuel ist nach Salonique zurückgekehrt, und ward dort
wieder, was er ehemals war: Ein armer Schiffer ohne einen Sou
im Vermögen.
Kédir-bey, meine Katze aus Eyoub, ist die begünstigste von
uns fünfen, denn sie wurde eine der Katzen der Moschee und ist
der Liebling der Derwische. Und sie wendete ihr ganzes Wesen
einer Art von Heiligkeit zu, die ihr viele Mäuse und das
Gnadenbrot für den Rest ihrer Tage sichert.
Das Haus jedoch, das einst all unser Glück beschirmte, ist
lange schon ein Raub der Flammen geworden.
Da ich als französischer Offizier nicht mehr in die Türkei
zurückkehren kann, will ich mich als Türke naturalisieren
lassen: Nichts verbindet mich mit dem europäischen Okzident,
wo ich nur Trauriges erleben mußte. Selbst ehe der Islam mich
ganz erobert hatte, wollte ich aus der Heimat fort, und damals
dachte ich an Polynesien, von welchem Lande ich einst so
bezaubert war. Alles was sich Zivilisation oder theoretische
Gleichberechtigung nennt, widert mich an. Der alte Orient ist
wohl das Land, das mir Zuflucht bieten könnte, fern von allen
Dampfmaschinen, sozialen Maskenscherzen und Fortschrittsideen.
Und ist es mir dort verwehrt, ein Herr zu sein, gleichviel,
dann werd' ich ein Mann aus dem Volke, ein »Banabak«. Aber ich
werde meinen Platz an der Sonne haben und meinen Teil an jener
Freiheit, die in Ländern, deren Gesetze nicht für jedermann
erfunden wurden, das große Los der Energischen ist.
Hier ist die Langeweile, an der ich kranke, tief und
hoffnungslos. In aller Aufrichtigkeit: Ich kann an nichts mehr
glauben. Mein Leben hat ganz miserablen Zuschnitt und von
welchem Gesichtspunkt aus ich es betrachte, überall weisen
sich mir unüberwindliche Schwierigkeiten ...
Nichts freut mich mehr! Und ich weiß nichts, was diese Welt
mir Neues oder Heiteres bieten könnte.
Besonders schwer aber drückt mich das Unglück, jedweden
Glaubens bar zu sein, und hohen Preis würd' ich jetzt
bezahlen, könnte ich den Islam mir zu eigen machen.