Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

An Bord des »Vaudreuil«

Magellan, September 1871.

Die Meerenge von Magellan ist ein wichtiger Weg für Dampfschiffe geworden; aber ihre beiden düsteren Ufer tragen nirgends noch Spuren von Zivilisation, und Matrosen, die vorübergehend hier landen, genießen keinerlei Annehmlichkeit in diesem ungastlichen Lande.

Fährt man vom Atlantischen Ozean aus in die engen Kanäle ein, die Patagonien vom Feuerland trennen, so wirkt der trostlose Anblick dieser Gegend vorerst überraschend. Der erste Teil der Reise vollzieht sich zwischen zwei ungeheueren Ebenen, die ganz nackt und bloß daliegen, besonders zu dieser Jahreszeit, die der Winter des Südens ist. Überall übereistes Moorland, dessen Eintönigkeit da und dort von weiten Schneeflächen unterbrochen wird. Und es sind ergiebige Jagdgebiete, die strichweise von den Patagoniern ausgebeutet werden.

Nach und nach, je weiter man nach Süden zu gelangt, wandelt sich das Antlitz der Landschaft zu andersartiger Traurigkeit. Die Küsten steigen an und sind dicht und dunkel bewachsen. Harzige Baumgruppen mit festen, fast schwarzen Blättern werden immer zahlreicher und bilden schließlich ein undurchdringliches Dickicht. Bald ist ringsum nur finsterer Wald, über welchem sich schneebedeckte Gletschergipfel vom finsteren Himmel abheben.

Dann weitet sich der Horizont, und eine Gegend von packender Großartigkeit tut sich auf: ruhig verfolgt das Schiff seine Bahn zwischen einem wahren Labyrinth von Bergen, tiefen Buchten und grünen Inseln. Wolken, die dunkler sind als die des französischen Himmels, schatten auf diese Landstriche nieder, denen, Nebelschwaden ein ewig wechselndes Bild verleihen.

Eine unförmige Ruine, die einzige Spur menschlichen Wirkens an Patagoniens Küste, dient den vorbeifahrenden Schiffen als Erkennungszeichen, und das ist alles, was heutigentages übrig blieb von Port-Famine, das eine Art europäischer Niederlassung hätte werden sollen, das aber lange schon verödet liegt und übrigens niemals sonderlich anziehend war.

Ein wenig weiter südlich liegt Kap Froward, die äußerste Spitze des amerikanischen Kontinents. An seinem Fuß, in der großen Bucht von St. Nicolaus, warfen wir die Anker aus und konnten, zum erstenmal nach langer Zeit, wieder Festland betreten.

Ringsum völlig unberührter, noch unbegangener Boden von ganz unglaublichem Waldgewirr bedeckt, dessen schönes Laub halb von Schnee begraben war.

Doch verriet eine dünne Rauchwolke mitten in dieser Einsamkeit die Gegenwart menschlicher Wesen, und wir verfolgten ihre Spur.

Seltsame Wilde sind es, die die großen Südseeinseln bewohnen, und deren Art gründlich verschieden ist von der der indischen Völker. Es sind Ichthyophagen, die in jeder Hinsicht auf der untersten Stufe menschlicher Entwicklungsfähigkeit stehen und die von den Patagoniern bei gelegentlichem Zusammentreffen wie schädliche Tiere geächtet werden.

Wir trafen sie um ihre Holzhütten versammelt, am Ufer eines klaren Flusses, in entzückender Gegend. Leere Muschelschalen und Überreste toter Fische zeugten dafür, daß die Gesellschaft sich hier wohlbefunden und lange Rast gehalten hatte.

Die Leute hatten große Angst vor uns. Erst wollten sie flüchten, dann baten sie uns um Nahrung. Und als wir Zwieback unter sie verteilten, löste dies tolle Freude bei ihnen aus.

Die kleinen, armseligen Geschöpfe, die vor Kälte fast erstarrt waren und deren Häßlichkeit die kühnste Einbildung Lügen straft, wurden sofort zutraulich, ja selbst lustig.

Dennoch vertrauten wir ihnen nicht über eine gewisse Grenze hinaus, und wir verließen sie bald. Zum Andenken nahmen wir Messer aus Menschenknochen mit, die dazu dienen, Muschelschalen zu öffnen, und die das einzige Erzeugnis ihrer Industrie waren.

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de