Brief Pierre Lotis an Plumkett.
An Bord des »Tonnerre«.
Lorient, 5. Januar 1878.
Mein lieber Plumkett!
Sie treffen es nicht günstig: ich wollte Ihnen gerade
schreiben, um Sie um einen jener langen Briefe zu bitten, wie
Sie mir deren einige geschrieben haben, Briefe, denen die Gabe
eigen war, mich zu zerstreuen, und die ich deshalb gern immer
wieder las. Doch wenn Sie jetzt von mir fordern, Sie, und sei
es nur für wenige Minuten, Ihrem düsteren Grübeln zu
entreißen, bin ich leider nicht fähig, Ihnen dienen zu können,
denn meine Gemütsverfassung ist der Ihren sehr ähnlich.
Wenn ich es unternähme, Ihnen über den Orient und Stambul
zu schreiben, wo die Hälfte meines Lebens geblieben ist, über
das, was ihr, die ich liehe, täglich dort widerfährt, würde
ich viele Seiten damit füllen, doch es würde mich entsetzlich
abspannen.
Mein Dasein ist so sinnlos, wie Sie wohl vermuten werden.
Ich bin allein, bin vereinsamt, bin es für einen ganzen langen
Winter. Nicht einmal die Aussicht, im Walde leben zu dürfen,
sich ins blühende Heidekraut strecken zu können, wenn die
fahle Sonne der Bretagne herniederschaut, wie ich es in den
letzten lachenden Tagen des Herbstes tun konnte ...
Das ist vorbei, und jetzt kommt der Regen, der Nebel, der
Blätterfall, alles Traurige des bretonischen Winters, und ich
sitze in meinem öden unwirtlichen Zimmer und hänge stundenlang
wirren Träumen nach.
Glücklicherweise habe ich hier zwei gute Freunde gefunden.
Der eine ist Yves Kermadec,Aus »Mon Frère Yves«. ein
Quartiermeister in meinem Alter (ein schon alter Seemann, will
das sagen), mit dem ich früher schon gefahren bin. Mein
anderer Freund ist ein altes Mädchen, reich und verwachsen,
intelligent und elegant, mit großen Anforderungen an die
Jugend, romantisch, aber gut veranlagt, aufrichtig und gut,
und ihr kleiner Buckel verschwindet völlig unter wehenden
Locken. Mit einem Wort, ein sehr seltsames Wesen.
Ich habe meine beiden Freunde einander vorgestellt. Beide
finden es sehr heiter, sich zu kennen, und sie helfen mir,
jeder in seiner Art, die Zeit des Lebens hinter mich zu
bringen.
Wohlverstanden, von diesen beiden ist es Yves, den ich
vorziehe. Denn solche, die aus eigener Kraft geworden was sie
sind, sagen mir mehr zu als die Halbbildung von
meinesgleichen. Ich habe Ihnen übrigens schon einmal meine
diesbezüglichen Theorien entwickelt. Und dann ist es
unterhaltsam, einen Gefährten zu haben, der mit Bewunderung
all meine Gedanken aufgreift, und der in mir ein großes Genie
sieht, was Sie zum Beispiel leider nicht tun! –
In den ersten Tagen des Monats mache ich gemeinsam mit Yves
große Ausgaben, wir essen Konfekt und mit Creme gefüllte
Schokoladen. Gegen den 15. fangen unsere Zerstreuungen an,
sparsameren Charakter anzunehmen: Da läuten wir nur an fremden
Türen oder werfen an Straßenecken den Vorübergehenden Ratten
aus Pappendeckel unter die Füße.
Ich bekritzle dies Papier für Sie, während ich an Bord des
»Tonnerre« Wache habe.
Lassen Sie mich wissen, wenn sich irgend etwas in bezug auf
das, was Sie bedrückt, verändern sollte, ob Sie mehr oder
weniger unglücklich sind; ohne mir Einzelheiten zu erzählen,
da wir doch übereingekommen sind, uns keinerlei Geständnisse
zu machen. »Fausts Verdammung« in Ihrer Begleitung würde mich
sehr locken, und ich danke Ihrer gütigen Einladung; nur fehlt
mir leider das Geld, das nötig ist, um nach Paris gelangen zu
können.
Ich drücke Ihnen aufrichtigst die Hand; ungeachtet meiner
Theorien habe ich sehr viel Sympathie für Sie, es ist sogar
ein Embryo von Liebe.