Auf fernen Meeren

Auf fernen Meeren

Tagebuchfragmente und Briefe

1924 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Brief Pierre Lotis an Plumkett.

An Bord des »Tonnerre«.

Lorient, 5. Januar 1878.

Mein lieber Plumkett!

Sie treffen es nicht günstig: ich wollte Ihnen gerade schreiben, um Sie um einen jener langen Briefe zu bitten, wie Sie mir deren einige geschrieben haben, Briefe, denen die Gabe eigen war, mich zu zerstreuen, und die ich deshalb gern immer wieder las. Doch wenn Sie jetzt von mir fordern, Sie, und sei es nur für wenige Minuten, Ihrem düsteren Grübeln zu entreißen, bin ich leider nicht fähig, Ihnen dienen zu können, denn meine Gemütsverfassung ist der Ihren sehr ähnlich.

Wenn ich es unternähme, Ihnen über den Orient und Stambul zu schreiben, wo die Hälfte meines Lebens geblieben ist, über das, was ihr, die ich liehe, täglich dort widerfährt, würde ich viele Seiten damit füllen, doch es würde mich entsetzlich abspannen.

Mein Dasein ist so sinnlos, wie Sie wohl vermuten werden. Ich bin allein, bin vereinsamt, bin es für einen ganzen langen Winter. Nicht einmal die Aussicht, im Walde leben zu dürfen, sich ins blühende Heidekraut strecken zu können, wenn die fahle Sonne der Bretagne herniederschaut, wie ich es in den letzten lachenden Tagen des Herbstes tun konnte ...

Das ist vorbei, und jetzt kommt der Regen, der Nebel, der Blätterfall, alles Traurige des bretonischen Winters, und ich sitze in meinem öden unwirtlichen Zimmer und hänge stundenlang wirren Träumen nach.

Glücklicherweise habe ich hier zwei gute Freunde gefunden. Der eine ist Yves Kermadec,Aus »Mon Frère Yves«. ein Quartiermeister in meinem Alter (ein schon alter Seemann, will das sagen), mit dem ich früher schon gefahren bin. Mein anderer Freund ist ein altes Mädchen, reich und verwachsen, intelligent und elegant, mit großen Anforderungen an die Jugend, romantisch, aber gut veranlagt, aufrichtig und gut, und ihr kleiner Buckel verschwindet völlig unter wehenden Locken. Mit einem Wort, ein sehr seltsames Wesen.

Ich habe meine beiden Freunde einander vorgestellt. Beide finden es sehr heiter, sich zu kennen, und sie helfen mir, jeder in seiner Art, die Zeit des Lebens hinter mich zu bringen.

Wohlverstanden, von diesen beiden ist es Yves, den ich vorziehe. Denn solche, die aus eigener Kraft geworden was sie sind, sagen mir mehr zu als die Halbbildung von meinesgleichen. Ich habe Ihnen übrigens schon einmal meine diesbezüglichen Theorien entwickelt. Und dann ist es unterhaltsam, einen Gefährten zu haben, der mit Bewunderung all meine Gedanken aufgreift, und der in mir ein großes Genie sieht, was Sie zum Beispiel leider nicht tun! –

In den ersten Tagen des Monats mache ich gemeinsam mit Yves große Ausgaben, wir essen Konfekt und mit Creme gefüllte Schokoladen. Gegen den 15. fangen unsere Zerstreuungen an, sparsameren Charakter anzunehmen: Da läuten wir nur an fremden Türen oder werfen an Straßenecken den Vorübergehenden Ratten aus Pappendeckel unter die Füße.

Ich bekritzle dies Papier für Sie, während ich an Bord des »Tonnerre« Wache habe.

Lassen Sie mich wissen, wenn sich irgend etwas in bezug auf das, was Sie bedrückt, verändern sollte, ob Sie mehr oder weniger unglücklich sind; ohne mir Einzelheiten zu erzählen, da wir doch übereingekommen sind, uns keinerlei Geständnisse zu machen. »Fausts Verdammung« in Ihrer Begleitung würde mich sehr locken, und ich danke Ihrer gütigen Einladung; nur fehlt mir leider das Geld, das nötig ist, um nach Paris gelangen zu können.

Ich drücke Ihnen aufrichtigst die Hand; ungeachtet meiner Theorien habe ich sehr viel Sympathie für Sie, es ist sogar ein Embryo von Liebe.

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