Fregatte »La Flore«.
Valparaiso, 23. Juli 1872.
Nach rascher Überfahrt kamen wir an diesem Morgen aus
unserem lieben Tahiti hier an, und ich war überrascht, hier
eine Fülle von Eindrücken wiederzufinden. Dennoch, es ist
immer ziemlich das gleiche, man empfindet allerorten gewisse,
nicht wiederzugebende Eindrücke, die mit Begleitumständen
zusammenfallen und hauptsächlich vom Klima, dem Aussehen des
Landes und dem Duft, der jeder Landschaft anhaftet, abhängig
sind. Beim Scheiden trägt man einige mit sich; aber immer läßt
man welche zurück, die man bei späterer Rückkehr wiederfindet.
Diese große, von Möwen durchkreuzte Bucht, diese toten
Berge, die schneebedeckten Gipfel der Anden, die so
unwahrscheinlich hoch in den Himmel ragen und die im
Morgenschein korallenrot im blaßgrünen Himmel stehen – ich
grüßte diese ganze Welt, als ob es alte Freunde wären. Und
fast vergessene Gefühle wurden, in mir wach, die nur schwer
erklärbar sind und sich auf unsere Ankunft in der Südsee
beziehen ...
Hier war es, vor wenigen Monaten, daß ich den »Vaudreuil«
verlassen konnte, wo ich mich niemals wohl befunden hatte, um
mich auf der schönen Fregatte »La Flore« einzuschiffen und
endlich nach Tahiti zu reisen, wodurch das Träumen all meiner
Kinderjahre in Erfüllung gegangen ist.
Der Tag ist strahlend, der Himmel rein und wolkenlos. Es
ist einer jener hellen Wintertage, in deren lauer Luft schon
eine Frühlingsahnung liegt, und nach kaltem Wind und
Seestürmen tut es wohl, sich an der Sonne zu wärmen. Heute
nachmittag drei Briefe aus der Heimat ...
Brief Pierre Lotis an seinen Freund, den Marineoffizier
Jean B...
Rochefort, 26. März 1873.
Liebes Brüderchen!
Ich weiß nicht, was aus Dir geworden ist, seitdem wir uns
getrennt haben, ich weiß nicht, wo Dich suchen, noch, wohin
Dir schreiben.
Nachdem wir letzte Woche im Bahnhof von Juan Abschied
voneinander genommen hatten, ging ich traurig zum Golf zurück;
es regnete und stürmte, das Wetter war grauenhaft, so recht
zum Verzweifeln. Baumstämme waren gebrochen, die Wege dicht
bedeckt mit Zweigen und Blüten der Orangenbäume. Ich sah die
Leuchtfeuer des Geschwaders, das zur Abfahrt bereit war.
Den ganzen Tag bin ich im Freien herumgeirrt, ratlos,
durchnäßt bis auf die Haut. Ich frühstückte Eier und schwarzes
Brot bei dem alten Fischer in der seltsamen Hütte am Strande,
die Du kennst.
Da kein Schiffer es wagte, mich bei Einbruch der Nacht in
seinem Kahn an Bord zu bringen, nahm ich mein Abendbrot oben
in einem Gasthof in Vallauris und suchte mir dann ein
Nachtlager in Cannes, wobei mir ununterbrochen der Regen auf
den Rücken fiel.
Ich erfuhr im Hotel, daß Schwester Christine, in Angst, daß
ich ertrunken sein könnte, die Villa verlassen hatte, um
Erkundigungen einzuholen.
Erst am nächsten Morgen war es mir möglich, an Bord
zurückzugelangen. Ich kam gerade zur rechten Zeit, um von 12
bis 4 Uhr die Wache zu übernehmen, die Segel zu Bannern zu
raffen, und das Dampfboot auszubooten.
Als aber um vier Uhr die Bewilligung für mich unterzeichnet
war, schied ich abermals, bei plötzlich wundervoll gewordenem
Wetter, und verließ ohne jedes Bedauern die Fregatte.La Flore.
Ich ging zum letztenmal nach Vallauris, um dort den Ort
wiederzufinden, den wir »die Ecke der Osterinsel« genannt
hatten, und jenen andern, an dem unsere Weisen aus Tahiti
erklungen sind. Es war ein herrlicher Abend: wie Balsam umfing
mich der Duft der Orangenblüten, und ich pflückte riesengroße
Sträuße, um sie nach Paris mitzunehmen.
Und so verbrachte ich noch einen ruhigen und glücklichem
Moment, in dem ich unseren stolzen Plänen nachsann hier in den
Wegen von Vallauris, die wir so oft gemeinsam durchschritten
hatten. Unsere sechs Ferienmonate, liebes Brüderchen! So lang
haben wir danach geseufzt! Nachdem wir zusammen begonnen
haben, die Welt zu durchkreuzen, welch Glück, dich jetzt in
Rochefort empfangen zu können!
Ich habe mich noch in der Nacht nach Cannes und Toulon
eingeschifft.
Würdest Du glauben, Brüderchen, daß ich mit wirklicher
Wehmut aus unserem armseligen Zimmer in Toulon ging, nachdem
ich vorher noch eine Skizze der Hauskatze entworfen hatte?
Dieses begab sich am Freitag. Samstag Abend kam ich in
Paris an, und seit heute morgen bin ich im Schoß der Familie.
–
Vom selben an denselben.
Rochefort, 25. April 1873.
Mein lieber Bruder!
Ich bin eben dabei, in unserem kleinen Museum all unsere
Korallen und die Andenken aus Tahiti kunstgerecht zu legen und
aufzustellen, damit Du bei Deiner Ankunft alles in Ordnung
findest. Solltest Du aber nicht kommen, so denke ich, werde
ich nie den Mut finden, dies fortzusetzen und alles liegen
lassen.
Meine Schwester ist gestern fort von hier. Das
sommerähnliche Wetter, das wir seit einigen Tagen hatten, ist
gleichfalls fort: seit heute morgen haben wir wieder Winter,
rings ist es nebelgrau und fast kalt. Du weißt wohl, daß
solches nicht dazu beiträgt, mich froh zu stimmen und mir die
Zukunft in lockenden Farben zu malen.
Und dann, fürchte ich, da ich doch nun Fähnrich bin, Tahiti
für immer Lebewohl gesagt zu haben.
Vom selben an denselben.
Cherbourg, 27. Juni 1873.
Lieber Bruder!
Ich schreibe in Deinem Zimmer im »Hotel du Nord«, das ich
in einer Stunde traurig verlassen werde, denn noch ist es ganz
erfüllt von der Erinnerung an Dich. Die lässige Unordnung, die
mit Deiner Gegenwart verknüpft war, ist zwar nicht mehr zu
sehen, aber ich habe immer die Reede vor mir, mit Deinem
Garten im Vordergrund und der Nymphe in seiner Mitte. Ich
hänge an all diesen Dingen um Deinetwillen. Seit Deiner
Abreise hatte ich viel zu tun, was letzten Endes ein Glück
war, denn so blieb mir nicht viel Zeit, um nachzudenken.
Letzten Samstag hatte ich in Paris direkte Nachrichten aus
Tahiti durch V..., den Sohn des Missionars, den ich zufällig
getroffen habe.
Alle Europäer, die wir dort gekannt haben, sind längst
wieder fort. –
Die kleine Pomare ist gestorben, und das hat das ganze Land
in tiefe Trauer versetzt. Die Eingeborenen schnitten ihre
Haare ab, die Trauerfeierlichkeiten währten vier Tage, und die
ganze indische Bevölkerung der Nachbarinseln war gekommen,
ihnen beizuwohnen. Die alte Königin Pomare ließ sich hart am
Grabe ihrer Enkelin eine Hütte bauen und schließt sich
tagelang dort ein.
Gestern besuchte ich die arme Emma, die ich allein antraf.
Sie sang mir den Blätterwalzer vor und halblaut auch jenes
Lied von den »Schwarzen Augen«, von dem sie sagt, sie habe es
nicht mehr singen wollen, seitdem Du von Cherbourg abgereist
bist. Und da uns dadurch diese Epoche unseres Lebens deutlich
in den Sinn kam, hat nur wenig dazu gefehlt, daß sie ihr Lied
mit Tränen beendet hätte ... Ich weiß nicht recht, was ich von
ihr denken soll, doch glaube ich, daß es meine Pflicht ist,
mit ihr in freundschaftlicher Verbindung zu bleiben.
Vom selben an denselben.
Rochefort, 5. Juli 1873.
Geliebter Bruder!
Dank Herrn von Ségur, der mir sehr lieb geworden ist, folge
ich Dir bald in den Senegal. Ich habe offizielle Ordre, mich
auf dem »Petrel« einzuschiffen, und die Höhe meiner Bezüge
wird demnächst durch eine zweite Depesche vom Ministerium
festgesetzt werden. –
Brief Pierre Lotis an seine Schwester Marie.
Dakar, Sonntag, am 3. Oktober 1873.
Gutes Schwesterchen!
Es ist ein Uhr nach Tisch, und Dakar ist ganz versunken in
die Süße der Mittagsruhe.
Ich allein bin wach und schreibe Dir in Erwartung des
Paketbootes, das jeden Augenblick eintreffen kann. Übrigens
sitze ich auf meinem Balkon, in einem bequemen Fauteuil, und
da kein Gegenüber meinen Blick einengt, überschaue ich die
ganze Reede, die spiegelglatt vor mir liegt.
Stelle Dir diese Szenerie vor, die mir schon vertraut
geworden ist: Im Vordergrund, unbeweglich, der »Petrel«, von
Haifischen umschwommen, und dort, am andern Ende der Bucht, so
weit das Auge reicht, ausgedehnte Sandwüsten. Die Luft ganz
unbewegt, lautlos kreuzen Geier hoch im Blau, fürchterliche
Hitze und vollkommene Stille ...
All das hat wohl seinen Reiz, aber all das wirkt auch
traurig, und die Aussicht, zwei Jahre vor diesen nämlichen
Dingen verbringen zu müssen, ist zuweilen schmerzlich. –
Es war schön in Saintonge als Du mir schriebst; vielleicht
habt ihr heute wieder einen jener milden Oktobersonntage mit
bleichem Sonnenlicht, jenen gleich, die mir in so viel lieben
Kindheitserinnerungen unvergeßlich sind.
Hier in Dakar welken die Blätter und beginnen zu fallen,
aber der Winter ist die schönste Zeit im Senegal, und im
November, wenn die große Hitze vorüber ist, machen wir wieder
unsere jährlichen Streifzüge durch die südlichen Gewässer.
Ich lebe faul und unbrauchbar in den Tag hinein. Ich habe
noch nichts gezeichnet, trotzdem ich hier genügend Modelle
fände. Der Stadtteil der Weißen in Dakar ist kaum so groß als
das Dorf Fontbruant; außerhalb dieser Zone ist alles
fremdartig und reizt das Malerauge. In der schwarzen Stadt
weiß man nicht wohin. Ich werde mich bis zur schönen
Jahreszeit gedulden, und dann bin ich auch genötigt, auf die
Farben zu warten, die ich bei euch bestellt habe, weil hier
keine zu bekommen sind.
Heute morgen kam mir die »Illustration« vor Augen und ich
kann gar nicht sagen, wie enttäuscht ich war. Nur ein
verstümmelter Teil meines Artikels ist darin, mit zwei meiner
schlechtesten Zeichnungen, die obendrein unglaublich schlecht
reproduziert sind. Das wirkt entmutigend.