Zivilisation und ...

Azmi Efendis Gesandtschaftsreise an den preußischen Hof

Ein Beitrag zur Geschichte der diplomatischen Beziehungen Preußens zur Hohen Pforte unter Friedrich Wilhelm II.

Dissertation Otto Müller 1918 n.Chr.

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Zustand des Militärs

Der preußische Staat hat ein geordnetes Militär von mehr als 220000 Mann, die erforderlichenfalls von ihrem jeweiligen Ort in 3 Tagen nach ihrer kommandierten Stelle gelangen können. Von ihnen sind mehr als die Hälfte Einheimische und die übrigen Fremde. Es sind 130000 Mann Infanterie,  60000 Reiter und 12000 Artilleristen. In Friedenszeiten bildet das Militär aus Einheimischen 3 Gruppen.

Jeder Gruppe pflegt man im Jahre 9 Monate Urlaub zu geben, damit sie nach Haus und in die Heimat gelangen, um dort Landwirtschaft und Ackerbau zu betreiben, oder wer ein Handwerk hat, diesem nachzugehen. Darum wird ihre in diesem Zeitraum verdiente Löhnung nicht ausgezahlt, sondern eine Hälfte davon kommt der königlichen Schatzkammer zu, und die andere Hälfte verbleibt mit Wissen des Königs dem Oberst, dem Major, dem Hauptmann sowie den Offizialen. Wenn die 9 Monate herum sind, kehrt diese Gruppe zum Regiment zurück, und die nächste Gruppe geht

Dies Militär wohnt in den Festungen und Städten. Das in Berlin liegende zieht täglich regimentweise der Reihe nach frühmorgens mit dem General und den übrigen Offizieren im Sommer wie im Winter auf den Übungsplatz (te'allum mejdany). Nach 2 bis 3 Stunden Kriegsübungen wird von dort Gruppe für Gruppe auf Patrouille sowie auf Wache an einige zu bewachende Orte geschickt.

Wenn die, welche Wache gehabt haben, an ihren Platz zurückkehren, ziehen sie ihre besondere Uniform aus und ein älteres Zeug an, um darin allerhand grobe Arbeitsdienste zu verrichten. Kommt dann das Regiment wieder an die Reihe zu üben, so wird wieder die Uniform angelegt und mit dem Regiment hinausgezogen auf den Übungsplatz, wo man KriegsÜbungen macht.

Für die Mannschaft dieses Militärs ist täglich 4 Para Löhnung und Okka Brot bestimmt, dazu in Kriegszeit an drei Tagen der Woche Rindfleisch. Auch bekommt die Mannschaft im Jahr Kopfbedeckung und 2 vollständige Anzüge bis auf den Strumpf und das Hemd. Zu Beginn des Sommers kommen alle Truppen, soviel ihrer in der Umgebung der Residenzstadt des Königs vorhanden sind, mit Zelten vor die Stadt Berlin. Sowie alle vollzählig sind, wird ihnen ihre Sommerkleidung ausgehändigt und dann allen bekannt gegeben, dass an einem gewissen Tage Revue, d. h. Musterung, sein wird. Dazu ziehen auch die Truppen in der Stadt 3 Tage weit hinaus und vereinigen sich mit den aus der Umgegend kommenden Truppen. Auf dem besonderen Musterungsfelde nehmen sie kriegsmäßige Aufstellung. Jedes Regiment hat seine Geschütze vor sich. So stehen sie in geschlossenen Reihen. Nachdem sie dann etwas Geschütz- und Gewehrübungen gemacht haben, ziehen sie alle regimentweise an dem König vorbei, wobei sie ihrer Stellung und ihrem Range nach von ihrem Herrscher einer Gunstbezeugung teilhaftig werden. Das wunderbarste von allem ist, dass, während auf der erwähnten Ebene an Militär und Zuschauern über 100000 Menschen versammelt sind, außer den Kommandostimmen der Befehlshaber für die Bewegung der Soldaten keine Stimme gehört wird; so stumm und still stehen alle.

Die Truppen in den anderen Provinzen geht entweder auch der König selbst zu mustern, oder die Generale jener Gegend mustern sie. Dabei wird auch diesen Mannschaften Sommerbekleidung gegeben. Bei solcher Musterung kann nun auch, falls sich ein Kranker oder für den Krieg Untauglicher findet, mit einem Bericht seiner Krankheit ein Bittgesuch an den König gerichtet werden. Stimmt darin die Aussage mit dem Sachverhalt überein, so erhält der Mann seine tägliche Pension und wird aus dem Soldatenstand entlassen. In seine Stellung lässt man einen aus dem Ersatz rücken.

Neben dieser Musterung wird auch noch in der Herbstzeit alle in Berlin und den Orten rings um Berlin, auf 20 bis 30 Stunden Entfernung liegende Infanterie und Reiterei in der Stadt Potsdam, der Erholungsstätte des Königs, gesammelt. Dann werden alle dort vorhandenen Truppen in 2 Gruppen geteilt, wovon eine der König selbst und die andere einer seiner hervorragenderen Generale befehligt. Auf der außerhalb der genannten Stadt gelegenen, weit ausgedehnten Ebene führt man dann kriegsmäßig Geschütz- und Gewehrkämpfe aus.

Das Kriegswesen gilt in Europa gemeinhin für eine Kunst. Deshalb wird jeder König, der geschicktere Truppen hat, meistens seinen Feind besiegen. Da es nun unter allen Völkern zugestanden wird, dass heutzutage die überlegene Geschicklichkeit des preußischen Militärs in der Kriegskunst vor allen anderen evident ist, so kommen zu den erwähnten Manövern aus Holland, England, Frankreich, Italien, Schweden, Sachsen und Dänemark Majore, Hauptleute und Offiziale, um dem Schauspiel der Gefechtsweise beizuwohnen und Kenntnisse von ihr zu nehmen und zu erlangen.

Damit die Truppenteile, welche mit der Bewachung der Festungen und Grenzen beauftragt sind, an den ihrer Bewachung überlassenen, befestigten Orten sich nicht zu sehr an die Ruhe gewöhnen und verweichlichen, lässt man sie nicht dauernd an einem Ort, sondern kommandiert sie von Zeit zu Zeit von einem Waches Kommando auf ein anderes. Durch diesen Wechsel sind die Truppen nie ohne Bewegung. Darum wird zur Löhnungszeit jedem von den Einkünften der Provinz, in der er sich gerade befindet, seine Löhnung gegeben. Später rechnen dann die Finanzverwalter der Provinzen miteinander ab. Da für einen im Kampf gefallenen oder sonstwie durch das Schicksal zu Tode gekommenen Soldaten ein Ersatz notwendig ist, so ist für die dazu nötige Anmusterung für jedes Regiment eine Provinz bestimmt.

Da also festgesetzt ist, dass der Ersatz der fehlenden Soldaten aus diesen Bezirken erfolgen soll, so begeben sich jedes Jahr die Offiziale desjenigen Regiments, dem Soldaten fehlen, in den ihren Regimentern bestimmten Bezirk und nehmen von den Familien, die drei Söhne haben, einen. So mustern sie aus den Familien soviel Soldaten an, wie sie nötig haben. Nachdem diese in die Rekrutenschar eingestellt sind, werden von den im Kriegshandwerk ausgebildeten Rekruten so viele genommen, wie zur Ergänzung der im Regiment fehlenden Zahl nötig sind.

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