Drittes Capitel - Sagenhafte Nachrichten über Mekka und
die Kaaba
Als Adam und Eva aus dem Paradiese geworfen wurden, so
fielen sie, sagen die arabischen Traditionen, auf
verschiedenen Theilen der Erde nieder, nämlich Adam auf einem
Berge der Insel Serendib oder Ceylon, und Eva auf dem Ufer des
rothen Meeres, wo jetzt der Hafen Joddah (Dschoddah) liegt. An
zwei hundert Jahre wanderten sie getrennt und einsam über die
Erde, bis ihnen, in Betracht ihrer Buße und ihres Elends,
gestattet wurde, auf dem Berge Ararat, unfern der Stadt Mekka,
sich wieder zu vereinigen. In der Tiefe des Kummers und der
Reue hob Adam, wie erzählt wird, die Hände und Augen zum
Himmel und flehte die Gnade Gottes an, daß ihm möchte ein
heiliges Haus gegeben werden, ähnlich demjenigen, in welchem
er im Paradiese angebetet und um das die Engel zur Anbetung
Gottes gewöhnlich Umzüge gehalten hätten.
Das Flehen Adams hatte Erfolg. Ein aus strahlenden Wolken
gebildetes Zelt oder Tempel wurde durch die Hände von Engeln
niedergelassen und gerade unter sein Urbild im himmlischen
Paradiese gestellt. Gegen dieses himmlische Haus wendete sich
fortan Adam beim Gebete und hielt um dasselbe täglich sieben
Umgänge, um die anbetenden Engel nachzuahmen.
Bei Adams Tode, berichten dieselben Sagen, verschwand
dieses Wolkenzelt oder wurde wieder in den Himmel
hinaufgezogen; aber ein anderes von derselben Form wurde von
Adams Sohne Seth an derselben Stelle aus Stein und Thon
aufgeführt. Dies wurde durch die Sündfluth hinweggespült. Als
viele Zeitalter nachher zur Zeit der Patriarchen Hagar und ihr
Sohn Ismael nahe daran waren, vor Durst in der Wüste
umzukommen: so zeigte ihnen ein Engel einen Brunnen oder eine
Wasserquelle nahe bei dem ehemaligen Orte des Zeltes. Das war
die Quelle Zem Zem, welche von Ismaels Nachkommenschaft bis
auf den gegenwärtigen Tag heilig gehalten wird. Kurz darauf
entdeckten zwei Männer aus dem Riesengeschlechte der
Amalekiter bei der Aufsuchung eines Kameeles, das sich aus
ihrem Lager verlaufen hatte, diese Quelle und brachten,
nachdem sie den Durst gelöscht hatten, ihre Begleiter an
diesen Ort. Hier gründeten sie die Stadt Mekka und nahmen
Ismael und dessen Mutter Hagar in ihren Schutz. Sie wurden
bald von den eigentlichen Bewohnern des Landes vertrieben,
unter denen Ismael jedoch zurückblieb. Als er zum Manne
herangewachsen war, führte er die Tochter des regierenden
Fürsten als Gattin heim und erhielt von derselben zahlreiche
Nachkommen, die Ahnen des arabischen Volkes. Im Laufe der Zeit
unternahm er es auf Gottes Befehl, die Kaaba gerade an der
Stelle des ursprünglichen Wolkenzeltes wieder zu erbauen. Bei
diesem frommen Werke wurde er von seinem Vater Abraham
unterstützt. Dem Letzteren diente dabei als Gerüste ein
wunderbarer Stein, welcher sich mit ihm senkte und erhob, als
er die Mauern des heiligen Gebäudes aufführte. Noch ist er
dort eine unschätzbare Reliquie (Ueberbleibsel) und der
Abdruck von des Erzvaters Fuße ist an ihm deutlich genug, daß
er von allen wahrhaft Gläubigen wahrgenommen werden kann.
Während Abraham und Ismael auf diese Weise beschäftigt
waren, brachte ihnen der Engel Gabriel einen Stein, über
welchen die auf Sagen gegründeten Erzählungen etwas
auseinander gehen. Nach Einigen soll es einer von den
Edelsteinen aus dem Paradiese gewesen sein, der mit Adam auf
die Erde fiel und hernach in dem Schlamme der Sündfluth sich
verlor, bis er vom Engel Gabriel wiedergefunden wurde. Die
häufiger geglaubte Ueberlieferung besagt, daß dieser Stein
ursprünglich der Aufsicht führende Engel war, welcher über
Adam im Paradiese wachen sollte, aber in einen Stein
verwandelt und aus demselben mit jenem bei dessen Falle
hinausgeworfen wurde zur Strafe dafür, daß er nicht wachsamer
gewesen war. Diesen Stein empfingen Abraham und Ismael mit
geziemender Ehrfurcht, und sie fügten ihn in eine Ecke der
äußeren Mauer der Kaaba, wo er bis auf den heutigen Tag
geblieben ist und von den Andächtigen jedes Mal ehrfurchtsvoll
geküßt wird, wenn sie den Rundgang um den Tempel machen. Als
er zuerst eingesetzt wurde, war es, wie uns erzählt wird, ein
reiner Hyacinth von blendender Weiße, aber durch die Küsse
sündlicher Sterblichen wurde er allmälig geschwärzt. Bei der
Auferstehung wird er die Engelsgestalt wieder erhalten und vor
Gott fortan als Zeuge zu Gunsten derjenigen stehen, welche die
Gebräuche der Wallfahrt getreulich verrichtet haben.
Das sind die arabischen Sagen, welche seit dem grauesten
Alterthum die Kaaba und die Quelle Zem Zem unter den Völkern
des Morgenlandes und besonders unter den Nachkommen Ismaels zu
Gegenständen außerordentlicher Verehrung machten. Mekka,
welches diese heiligen Gegenstände in seinen Mauern enthielt,
war viele Menschenalter vor der Gründung des Mohammedanismus
eine heilige Stadt und der Sammelplatz der Pilger aus allen
Theilen Arabiens. So allgemein und tief war das dieses
religiöse Herkommen achtende Gefühl der Frömmigkeit, daß vier
Monate des Jahres den Gebräuchen der Wallfahrt gewidmet und in
Ansehung jeglicher Gewaltthat und Kriegführung als heilig
angesehen wurden. Feindliche Stämme legten alsdann ihre Waffen
bei Seite, nahmen die Spieße von ihren Speeren, durchzogen die
kurz zuvor gefahrreichen Wüsten in Sicherheit, drängten sich
in Pilgertracht gehüllt in den Thoren Mekkas, hielten ihre
sieben Rundgänge um die Kaaba zur Nachahmung der Engelschaaren,
berührten und küßten den geheimnißvollen schwarzen Stein,
tranken und wuschen sich aus der Quelle Zem Zem zum Andenken
an ihren Ahnherr Ismael; und wenn sie alle uralten Gebräuche
der Wallfahrt verrichtet hatten, so kehrten sie heim in
Sicherheit und griffen wieder zu den Waffen und zum Kriege.
Unter den religiösen Gebräuchen der Araber in diesen ihren
»Tagen der Unwissenheit«, d. h. vor der Bekanntmachung der
moslemischen Lehren, nahm Fasten und Beten die oberste Stelle
ein. Sie hatten während eines Jahres drei Hauptfasten, eins
von sieben, eins von neun und eins von dreißig Tagen. Sie
beteten jeden Tag dreimal, um Sonnenaufgang, zu Mittage und um
Sonnenuntergang, wobei sie das Gesicht nach der Gegend der
Kaaba richteten, was ihr Kebla oder Punct der Anbetung war.
Sie hatten viele religiöse Ueberlieferungen; einige derselben
erhielten sie in früheren Zeiten von den Juden, und ihre
frommen Gefühle sollen sie mit dem Psalmenbuche und mit einem
andern, welches Seth zugeschrieben wird und Betrachtungen über
die Sittlichkeit enthält, genährt haben.
Da Mohammed in dem Hause des Aufsehers über die Kaaba
erzogen wurde: so mögen die Ceremonien und Andachtsübungen,
welche mit diesem heiligen Gebäude in Verbindung standen, auf
sein Gemüth frühzeitig einen starken Einfluß ausgeübt und
dasselbe zu jenen Grübeleien über religiöse Gegenstände
hingelenkt haben. Wiewohl seine moslemischen Biographen (Lebensbeschreiber)
uns gern einreden möchten, daß seine hohe Bestimmung in der
Kindheit durch Zeichen und Wunder deutlich vorhergesagt worden
wäre: so scheint dennoch seine Erziehung ebenso sehr
vernachlässigt worden zu sein, wie die der gewöhnlichen
arabischen Kinder; denn wir finden, daß er weder im Lesen noch
Schreiben unterrichtet war. Er war jedoch ein gedankenvolles
Kind, gewandt im Beobachten, geneigt, über Alles, was er
beobachtete, nachzudenken und beherrscht von einer
fruchtbaren, kühnen und umfassenden Einbildungskraft. Der
jährliche Zusammenfluß von Pilgern aus entfernten Gegenden
machte Mekka zu einem Stapelplatze für alle Arten gangbaren
Wissens, was er mit Begierde aufgenommen und in einem treuen
Gedächtnisse aufbewahrt zu haben scheint. Und als er an Jahren
wuchs, wurde ihm ein ausgedehnterer Beobachtungskreis
geöffnet.