Zwölftes Capitel - Nächtliche Reise des Propheten von
Mekka nach Jerusalem, und von da in den siebenten Himmel
Als ein Asyl für Mohammed im Hause seines Schülers Mutem
Ibn Adi besorgt war, so wagte er nach Mekka zurückzukehren.
Auf den übernatürlichen Besuch der Genien im Thale Naklah
folgte bald eine weit außerordentlichere Vision oder
Offenbarung, welche seitdem unter den frommen Mohammedanern
ein Gegenstand von Erklärungen und Vermuthungen geblieben ist.
Wir meinen die berüchtigte Nachtreise nach Jerusalem und von
da in den siebenten Himmel. Die Einzelheiten derselben,
obgleich sie scheinbar mit den eigenen Worten Mohammeds
erzählt werden, beruhen rein auf Sage; Einige führen jedoch
Beweisstellen dafür an, welche hier und da in dem Koran
zerstreut sind.
Wir beabsichtigen nicht, diese Vision oder Offenbarung in
ihrer Ausdehnung und romantischen Ungereimtheit zu geben,
sondern wir wollen nur ihre wesentlichsten Züge aufgreifen.
Die Nacht, in welcher sie vor sich ging, wird als eine der
finstersten und aus Ehrerbietung schweigsamsten geschildert,
welche man jemals erlebt hatte. Es krähten weder Hähne, noch
bellten Hunde; es heulten weder wilde Thiere, noch krächzten
Eulen. Die Gewässer sogar hörten auf zu murmeln und die Winde
zu flüstern; die ganze Natur schien bewegunglos und todt. In
der Mitte der Nacht wurde Mohammed durch eine Stimme
aufgeweckt, welche rief: »Wache auf, du Schläfer!« Der Engel
Gabriel stand vor ihm. Seine Stirn war leuchtend und heiter,
seine Farbe weiß wie Schnee, sein Haar wallte über seine
Schultern, er hatte Flügel von blendenden Farben und seine
Kleider waren mit Perlen übersät und mit Gold gestickt.
Er brachte Mohammed ein weißes Prachtroß, wundervoll an
Gestalt und Eigenschaften und unähnlich jedem Thiere, welches
er jemals gesehen hatte, und allerdings unterschied es sich
von jedem, irgend einmal zuvor beschriebenen Thiere. Es hatte
ein menschliches Gesicht, aber die Kinnbacken eines Pferdes;
seine Augen waren wie Hyacinthe und strahlten wie Sterne. Es
hatte Adlerflügel, welche von Lichtstrahlen schimmerten, und
seine ganze Gestalt glänzte von Gemmen und Edelsteinen. Es war
eine Stute und wegen ihres blendenden Glanzes und ihrer
unglaublichen Schnelligkeit wurde sie Al Borak oder der Blitz
genannt.
Mohammed schickte sich an, dieses übernatürliche Prachtroß
zu besteigen; als er aber die Hand ausstreckte, zog es zurück
und bäumte. »Sei ruhig, o Borak!« sagte Gabriel; »achte den
Propheten Gottes! Niemals wurdest du von einem Sterblichen,
welchen Allah höher ehrte, bestiegen. »O Gabriel!« erwiderte
Al Borak, welcher für jetzt durch ein Wunder mit Sprache
begabt wurde, »ritt mich nicht in der Vorzeit Abraham, der
Freund Gottes, als er seinen Sohn Ismael besuchte? O Gabriel!
ist das nicht der Vermittler, der Fürsprecher, der Urheber des
Glaubensbekenntnisses?« »Ganz so ist es, o Borak, das ist
Mohammed Ibn Abdollah, aus einem der Stämme des glücklichen
Arabiens, und er hat den rechten Glauben. Er ist der Fürst der
Söhne Adams, der größeste der göttlichen Gesandten, das Siegel
der Propheten. Alle Creaturen bedürfen seine Fürbitte, bevor
sie in das Paradies eintreten können. Der Himmel ist zu seiner
Rechten, um die Belohnung derjenigen, welche an ihn glauben,
zu werden; das Feuer der Gehenna ist zu seiner Linken, in
welches Alle, welche seine Lehren bestreiten, gestürzt werden
sollen.« »O Gabriel!« bat Al Borak inständig, »ich beschwöre
dich bei dem Vertrauen, welches zwischen Dir und ihm besteht,
bewege ihn, daß er für mich am Tage der Auferstehung bitte.«
»Sei versichert, o Borak!« rief Mohammed aus, »daß du infolge
meiner Fürbitte in das Paradies eingehen sollst.«
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, so näherte sich
das Thier und ließ sich besteigen; Mohammed auf dem Rücken
stieg es auf und schwang sich weit über die Berge Mekkas in
die Höhe. Als sie wie der Blitz zwischen Himmel und Erde dahin
eilten, rief Gabriel laut: »Warte, o Mohammed! steige zur Erde
und verrichte das Gebet mit zwei Verbeugungen des Körpers.«
Sie ließen sich auf die Erde nieder, und da Mohammed das Gebet
verrichtet hatte, sagte er: »O Freund, Vielgeliebter meiner
Seele! warum befiehlst du mir, an diesem Orte zu beten?« »Weil
es der Berg Sinai ist, auf welchem sich Gott mit Moses
besprochen hat.« Sie stiegen in die Höhe und bewegten sich mit
reißender Schnelligkeit zwischen Himmel und Erde vorwärts, bis
Gabriel zum zweiten Male ausrief: »Warte, o Mohammed! steige
ab und verrichte das Gebet mit zwei Verbeugungen.« Sie stiegen
nieder, Mohammed betete und fragte abermals: »Warum befiehlst
du mir, an diesem Orte zu beten?« »Weil es Bethlehem ist, wo
Jesus, der Sohn Marias, geboren wurde.« Sie begannen wieder
ihren Flug durch die Luft, bis zur Rechten eine Stimme gehört
wurde, welche rief: »O Mohammed, halte doch einen Augenblick
an, damit ich mit dir reden kann; von allen geschaffenen Wesen
bin ich dasjenige, welches dir am meisten ergeben ist.« Aber
Borak drängte vorwärts, und Mohammed unterließ es anzuhalten,
denn er fühlte, daß es nicht bei ihm stand, seinen Lauf zu
hemmen, sondern bei Gott dem Allmächtigen und Ruhmvollen. Eine
andere Stimme wurde jetzt zur Linken gehört, welche Mohammed
mit gleichen Worten bat anzuhalten; aber Borak eilte immer
vorwärts, und Mohammed hielt nicht an. Jetzt stand vor ihm ein
Mädchen von hinreißender Schönheit, geschmückt mit allem Luxus
und Reichthum der Erde. Winkend und mit reizendem Lächeln rief
sie ihm zu: »Harre einen Augenblick, o Mohammed, daß ich mit
dir sprechen kann, ich, die ich von allen Creaturen diejenige
bin, welche dir am meisten ergeben ist.« Doch Borak eilte
immer vorwärts und Mohammed hielt nicht an, weil er bedachte,
daß es nicht bei ihm stünde, seinen Lauf aufzuhalten, sondern
bei Gott dem Allmächtigen und Glorreichen. Er wendete sich
jedoch an Gabriel mit der Frage: »Was für Stimmen waren das,
welche ich gehört habe, und was für ein Mädchen ist das,
welches winkend mir zurief?« »Die erste Stimme, o Mohammed,
war die eines Juden; hättest du auf ihn gehört, so würde deine
ganze Nation für das Judenthum gewonnen worden sein. Die
zweite war die Stimme eines Christen; hättest du auf ihn
gehört, so würde sich dein Volk dem Christenthume zugeneigt
haben. Das Mädchen war die Welt mit allen ihren Reichthümern,
Eitelkeiten und Reizen; hättest du auf sie gehört, so würde
deine Nation die Freuden dieses Lebens lieber gewählt haben
als die Wonne der Ewigkeit, und Alle würden der Verdammniß
verfallen sein.«
Sie setzten die Reise durch die Luft fort und kamen am
Thore des heiligen Tempels zu Jerusalem an. Daselbst stieg
Mohammed ab und band Al Borak an die Ringe, an welche sie die
Propheten vor ihm gebunden hatten. Er trat in den Tempel ein
und fand daselbst Abraham, Moses und Isa (Jesus) und viele
andere von den Propheten. Nachdem er in Gemeinschaft mit ihnen
eine Zeit lang gebetet hatte, wurde eine Lichtleiter vom
Himmel herabgelassen, bis das untere Ende auf der Schakra oder
dem Grundsteine des heiligen Hauses ruhte, und dieser ist der
Stein Jakobs. Von dem Engel Gabriel unterstützt, stieg
Mohammed diese Leiter mit der Schnelligkeit des Blitzes
hinauf.
Bei der Ankunft in den ersten Himmel klopfte Gabriel an das
Thor. Wer ist da? wurde von innen gefragt. Gabriel. Wer ist
bei ihm? Mohammed. Hat er seine Bestimmung erhalten? Ja.
Alsdann ist er willkommen! und das Thor wurde geöffnet. Der
erste Himmel war von gediegenem Silber und an seinem
glänzenden Gewölbe hingen die Sterne an goldenen Ketten. Auf
jeden Stern ist ein Engel als Hüter gestellt, um die Dämonen
zu verhindern, daß sie die heiligen Behausungen nicht
erklimmen. Als Mohammed eintrat, nahte ihm ein uralter Mann
und Gabriel sagte: »Hier ist dein Vater Adam, bezeige ihm
deine Ehrerbietung.« Mohammed that es, und Adam umarmte ihn,
nannte ihn das größte seiner Kinder und den ersten unter den
Propheten. In diesem Himmel waren unzählige Thiere von allen
Arten. Das waren, wie Gabriel sagte, Engel, die unter diesen
Gestalten für die mannichfaltigen Thiergattungen auf Erden bei
Allah sich verwendeten. Unter ihnen befand sich ein Hahn von
blendender Weiße und solch ungeheurer Höhe, daß sein Kamm den
zweiten Himmel berührte, obschon derselbe fünfhundert
Jahrreisen über demselben lag. Dieser wundervolle Vogel
begrüßt jeden Morgen Allahs Ohr mit seinem melodischen
Gesange; alle Geschöpfe auf Erden, den Menschen ausgenommen,
werden durch seine Stimme geweckt, und alle Vögel seiner Art
singen Hallelujahs in wetteifernder Nachahmung seiner Weise.Es
giebt drei, welchen, wie die moslemischen Lehrer sagen, Gott
stets ein williges Ohr leiht, nämlich die Stimme desjenigen,
welcher den Koran liest, desjenigen, welcher um Vergebung
bittet, und des Hahnes, welcher zum Ruhme des Allerhöchsten
kräht. Wenn der letzte Tag nahe ist, so wird Allah diesem
Vogel gebieten, die Flügel zu schließen und nicht mehr zu
singen. Alsdann werden die Hähne auf Erden aufhören zu krähen,
und ihr Schweigen wird ein Zeichen sein, daß der große Tage
des Gerichts anbricht.
Sie stiegen zum zweiten Himmel auf. Gabriel klopfte wie
vorher an das Thor; dieselben Fragen und Antworten wurden
gewechselt, das Thor wurde geöffnet und sie traten ein. Dieser
Himmel war ganz von polirtem Stahl und hatte einen blendenden
Glanz. Hier fanden sie Noah, welcher Mohammed umarmte und ihn
als den größten unter den Propheten begrüßte.
Beim dritten Himmel angelangt, traten sie unter denselben
Ceremonien in denselben ein. Er war ganz und gar mit
Edelsteinen ausgelegt und für sterbliche Augen zu glänzend.
Hier saß ein Engel von unermeßlicher Höhe, dessen Augen
siebenzig tausend Tagereisen auseinander standen. Er hatte
einhundert tausend Bataillone bewaffneter Männer unter seinem
Befehle. Vor ihm lag ein ungeheures Buch aufgeschlagen, in
welches er beständig schrieb und in dem er fortwährend
auslöschte. »Das, o Mohammed«, sagte Gabriel, »ist Asrael, der
Engel des Todes, welcher Allahs Vertrauen genießt. In das Buch
vor ihm schreibt er unablässig die Namen derjenigen, welche
geboren werden sollen, und löscht in ihm die Namen derjenigen
aus, welche ihre bestimmte Zeit gelebt haben, und die
demzufolge augenblicklich sterben.«
Jetzt stiegen sie zum vierten Himmel hinauf, welcher aus
dem feinsten Silber gebildet war. Unter den Engeln, welche ihn
bewohnten, hatte einer fünf hundert Tagereisen Höhe. Sein
Aeußeres drückte Bekümmerniß aus und Thränenströme rannen aus
seinen Augen. »Das«, sagte Gabriel, »ist der Engel der Thränen,
welcher die Bestimmung hat, über die Sünden der Menschenkinder
zu weinen und die Uebel vorher zu verkündigen, welche ihrer
warten.«
Der fünfte Himmel war von dem feinsten Golde. Hier wurde
Mohammed von Aaron mit Umarmungen und Glückwünschen empfangen.
Der Racheengel wohnt in diesem Himmel und führt die
Oberaufsicht über das Element des Feuers. Unter allen von
Mohammed gesehenen Engeln war er der häßlichste und
schrecklichste. Sein Gesicht schien von Kupfer zu sein und war
mit Ueberbeinen und Warzen bedeckt. Seine Augen schleuderten
Blitze, und er griff nach einer feurigen Lanze. Er saß auf
einem von Flammen umgebenen Throne und vor ihm lag ein Haufen
glühender Ketten. Stiege er in seiner wahren Gestalt auf die
Erde nieder, so würden die Berge zerfallen, die Seen
austrocknen und alle Bewohner vor Schrecken sterben. Ihm und
seinen Engelsdienern ist die Vollziehung der göttlichen Rache
an den Ungläubigen und Sündern übertragen.
Sie verließen diese Schrecken erregende Behausung und
stiegen in den sechsten Himmel; er ist aus einem
durchsichtigen Steine, Hasala genannt, was Karfunkel übersetzt
werden kann, gebildet. Hier war ein großer Engel, der zur
Hälfte aus Schnee, zur Hälfte aus Feuer bestand; doch der
Schnee schmolz nicht, auch das Feuer verlöschte nicht. Um ihn
herum rief ein Chor niederer Engel beständig: »O Allah! der du
Schnee und Feuer vereinigt hast, vereinige alle deine treuen
Diener im Gehorsam gegen dein Gesetz.« »Dies«, sagte Gabriel,
»ist der Aufsichtsengel von Himmel und Erde. Es ist derjenige,
welcher Boten an die einzelnen Glieder deines Volkes abordnet,
um sie zur Begünstigung deiner Sendung zu bewegen und sie zum
Dienste Gottes zu berufen; er wird damit fortfahren bis zum
Tage der Auferstehung.« Hier war der Prophet Musa (Moses),
welcher jedoch, anstatt Mohammed mit Freude zu bewillkommnen,
wie es die andern Propheten gethan hatten, beim Anblicke
desselben Thränen vergoß. »Warum weinest du?« forschte
Mohammed. »Weil ich einen Nachfolger erblicke, der bestimmt
ist, mehr von seiner Nation in das Paradies einzuführen, als
ich jemals von den abtrünnigen Kindern Israels einführen
konnte.«
Von hier in den siebenten Himmel aufsteigend, wurde
Mohammed von dem Erzvater Abraham empfangen. Diese wonnereiche
Behausung ist aus göttlichem Lichte gebildet und hat solch
überschwänglichen Glanz, daß eine Menschenzunge ihn nicht
beschreiben kann. Einer seiner himmlischen Bewohner wird
genügen, einen Begriff von den übrigen zu geben. Er überragte
die ganze Erde an Größe und hatte siebenzig tausend Köpfe,
jeder Kopf siebenzig tausend Münde, jeder Mund siebenzig
tausend Zungen, jede Zunge sprach siebenzig tausend
verschiedene Sprachen, und alle diese wurden unaufhörlich
angewendet, um den Preis des Allerhöchsten zu singen.
Während Mohammed dieses wundervolle Wesen betrachtete,
wurde er plötzlich zu dem Lotusbaume, Sedrat genannt,
emporgetragen; derselbe grünet zur Rechten von Allahs
unsichtbarem Throne. Die Aeste dieses Baumes erstrecken sich
weiter als der Raum zwischen Sonne und Erde. Engel,
zahlreicher als der Sand am Meeresufer oder in den Betten
aller Ströme und Flüsse, erquicken sich in seinem Schatten.
Die Blätter gleichen den Ohren eines Elephanten; Tausende von
unsterblichen Vögeln belustigen sich in seinen Zweigen, indem
sie die erhabenen Stellen des Korans wiederholen. Seine
Früchte sind milder als Milch und süßer als Honig. Wenn alle
Geschöpfe Gottes beisammen wären, so würde Eine dieser Früchte
zu ihrer Erhaltung hinreichend sein. Jedes Saamenkorn
umschließt eine Houri oder himmlische Jungfrau, welche zur
Beseligung der wahren Gläubigen bestimmt ist. Aus diesem Baume
brechen vier Ströme hervor; zwei fluthen in das Innere des
Paradieses, zwei fließen jenseit desselben und werden der Nil
und der Euphrat.
Mohammed und sein himmlischer Begleiter schritten nun nach
Al Mamur oder dem Hause der Anbetung, welches aus rothen
Hyacinthen oder Rubinen gebaut und von unzähligen,
immerwährend brennenden Lampen umgeben ist. Als Mohammed das
Portal betrat, wurden ihm drei Gefäße dargereicht, das eine
mit Wein, das andere mit Milch und das dritte mit Honig. Er
nahm das Gefäß, welches Milch enthielt, und trank daraus. »Du
hast wohl gethan; Glück verheißend ist deine Wahl,« rief
Gabriel aus. »Hättest du von dem Weine getrunken, so wäre dein
Volk ganz vom rechten Wege abgekommen.« Das heilige Haus
gleicht der Form nach der Kaaba in Mekka und steht in gerader
Linie über derselben im siebenten Himmel. Es wird jeden Tag
von siebenzig tausend Engeln der höchsten Ordnung besucht. Sie
hielten gerade zu dieser Zeit ihren heiligen Umgang und
Mohammed umwandelte es in Verbindung mit ihnen sieben Mal.
Gabriel konnte nicht weiter gehen. Mohammed durchlief jetzt
geschwinder, als er dachte, einen ungeheuern Raum, nämlich
zwei Regionen von blendendem Licht und eine von tiefer
Finsterniß. Aus dieser äußersten Düsterkeit hervorkommend,
wurde er mit Ehrfurcht und Schrecken erfüllt, da er sich Allah
gegenüber und nur zwei Bogenschüsse von seinem Throne entfernt
befand. Das Antlitz Gottes war mit zwanzig tausend Schleiern
bedeckt, denn der Anblick seines Glanzes würde den Menschen
vernichten. Er streckte die Hände aus und legte die eine auf
die Brust, die andere auf die Schulter Mohammeds, welchen ein
eisiger Schauer bis an das Herz und sogar bis in das Mark der
Gebeine durchdrang. Er war von einem Gefühl unaussprechlicher
Wonne begleitet, während ringsum eine Lieblichkeit und ein
Wohlgeruch herrschte, welchen nur diejenigen, welche in der
Gegenwart Gottes sich befunden haben, begreifen können.
Mohammed erhielt jetzt von Gott selbst viele der im Koran
enthaltenen Lehren, und fünfzig Gebete wurden als tägliche
Pflicht aller wahrhaft Gläubigen vorgeschrieben.
Als Mohammed von der Audienz bei Gott hinabstieg und wieder
mit Moses zusammentraf, so fragte ihn Letzterer, was Allah
verlangt hätte. »Daß ich täglich fünfzig Gebete verrichten
soll.« »Und glaubst du eine solche Aufgabe zu lösen? Ich habe
den Versuch vor dir gemacht. Ich probirte es mit den Kindern
Israel, aber vergebens; kehre um und bitte um eine
Verringerung der Aufgabe.« Demzufolge kehrte Mohammed zurück
und erhielt einen Nachlaß von zehn Gebeten; aber als er Moses
den Erfolg erzählte, so machte Letzterer denselben Einwurf
gegen die tägliche Zahl von vierzig. Auf seinen Rath kehrte
Mohammed wiederholt zurück, bis die Zahl bis auf fünf
erniedrigt war. Moses machte noch Einwendungen.
»Beabsichtigest du, von deinem Volke täglich fünf Gebete zu
fordern? Bei Allah! Ich habe es an den Kindern Israel
erfahren; solch ein Verlangen ist vergeblich; kehre daher um
und bitte dringend um noch weitere Milderung der Aufgabe.«
»Nein«, erwiderte Mohammed, »ich habe bereits so sehr um
Nachsicht gebeten, daß ich beschämt bin.« Bei diesen Worten
grüßte er Moses und begab sich hinweg.
Auf der Lichtleiter stieg er in den Tempel zu Jerusalem
hinab, wo er Borak angebunden fand, wie er sie verlassen
hatte, und sich darauf setzend wurde er in einem Augenblicke
an den Ort zurückgetragen, von welchem er ausgegangen war.
Diese Erzählung von der Vision oder nächtlichen Reise
stimmt mit den Worten geachteter Geschichtsschreiber Arabiens
in der Hauptsache überein. Die Reise selbst hat zu endlosen
Erklärungen und Streitigkeiten unter den Lehrern Veranlassung
gegeben. Einige behaupten, daß sie nichts weiter war als ein
Traum oder eine nächtliche Vision, und unterstützen ihre
Behauptung durch eine von Ayescha, Mohammeds Weibe,
abstammende Ueberlieferung. Diese hätte nämlich erklärt, daß
in der fraglichen Nacht der Körper desselben vollkommen ruhig
geblieben wäre, und daß er blos im Geiste seine nächtliche
Reise gemacht hätte. Indem sie sich jedoch auf diese Erzählung
berufen, bedenken sie nicht, daß zu der Zeit, wo diese Reise
stattgefunden haben soll, Ayescha noch ein Kind war und,
obgleich verlobt, Mohammeds Gattin nicht hat sein können.
Andere bestehen darauf, daß er diese himmlische Reise
leiblich machte, und daß das Ganze auf wunderbare Art in einem
so kurzen Zeitraume ausgeführt wurde, daß er bei seiner
Rückkehr den völligen Umsturz eines Gefäßes mit Wasser
verhindern konnte, welches der Engel Gabriel bei der Abreise
mit seinem Flügel getroffen hatte.
Andere sagen, daß Mohammed nur behauptet habe, die
Nachtreise in den Tempel zu Jerusalem gemacht zu haben, und
daß das nachfolgende Aufsteigen in den Himmel eine Vision
wäre. Nach Achmed ben Joseph wurde der nächtliche Besuch des
Tempels von dem Patriarchen zu Jerusalem bezeugt. »Zu der
Zeit«, sagt er, »wo Mohammed eine Gesandtschaft an den Kaiser
Heraklius in Konstantinopel schickte, um ihn zur Annahme des
Islams einzuladen, war der Patriarch bei dem Kaiser. Als die
Gesandtschaft die nächtliche Reise des Propheten erzählt
hatte, so wurde der Patriarch von Staunen ergriffen und
berichtete dem Kaiser einen Vorfall, welcher mit der Erzählung
der Gesandtschaft zusammentraf. »Es ist meine Gewohnheit«,
sagte er, »mich niemals des Nachts zur Ruhe zu begeben, als
bis ich jedes Thor des Tempels geschlossen habe. In der hier
erwähnten Nacht schloß ich sie nach meiner Gewohnheit, aber es
gab eins, welches unmöglich bewegt werden konnte. Hierauf
schickte ich nach den Zimmerleuten, welche nach Besichtigung
des Thores erklärten, daß die Schwelle über dem Portale und
das Gebäude selbst sich dermaßen gesenkt hätte, daß es außer
ihrer Macht wäre, dasselbe zu schließen. Ich war daher
genöthigt, es offen zu lassen. Des Morgens frühzeitig bei
Tagesanbruch begab ich mich wieder dahin und sahe, daß der an
der Ecke des Tempels liegende Stein durchlöchert war und
Fußtritte sich da zeigten, wo Al Borak angebunden gewesen war.
Darauf sagte ich zu den Gegenwärtigen, dieses Thor würde nicht
unbeweglich geblieben sein, wenn nicht irgend ein Prophet hier
gewesen wäre, um sein Gebet zu verrichten.
Die Erzählungen gehen weiter und sagen, daß, als Mohammed
einer zahlreichen Versammlung in Mekka seine nächtliche Reise
erzählte, viele sich verwunderten und sogar glaubten, Einige
durch Zweifel in Verwirrung geriethen, die Koreischiten aber
darüber lachten und spotteten. »Du sagst, daß du im Tempel zu
Jerusalem gewesen bist«, sagte Abu Jahl, »beweise die Wahrheit
deiner Worte dadurch, daß du uns eine Beschreibung von
demselben giebst.«
Einen Augenblick lang wurde Mohammed durch diese Forderung
in Verlegenheit gesetzt, denn er hatte den Tempel des Nachts
besucht, wo seine Gestalt nicht erkannt werden konnte;
plötzlich jedoch stand der Engel Gabriel an seiner Seite und
stellte ein genaues Bild des heiligen Gebäudes vor seine
Augen, so daß er augenblicklich im Stande war, die
kleinlichsten Fragen zu beantworten.
Die Erzählung überstieg noch immer den Glauben sogar
einiger seiner Schüler, bis Abu Beker, da er sie in ihrer
Treue schwanken und in Gefahr des Abfalls sahe, sich für die
Wahrheit derselben unverhohlen verbürgte; zur Vergeltung für
diese Unterstützung gab ihm Mohammed den Titel Al Seddek, d.
i. Zeuge der Wahrheit, durch welchen er fortan ausgezeichnet
wurde.
Wie wir bereits bemerkt haben, beruht diese nächtliche
Reise fast ganz auf Sage, wiewohl auf einige Umstände
derselben in dem Koran oberflächlich angespielt wird. Das
Ganze mag ein phantastischer Bau moslemischer Schwärmer sein,
welchen sie über einer dieser Visionen oder Verzückungen
aufführten, zu denen Mohammed geneigt war, und deren Erzählung
die Ursache wurde, daß ihn die Koreischiten als einen
Wahnsinnigen brandmarkten.