Mohammeds Person und Charakter – Betrachtungen über seine
prophetische Laufbahn
Mohammed war nach den Erzählungen, welche durch
Ueberlieferung von seinen Zeitgenossen auf uns gekommen sind,
von mittlerer Statur, untersetzt und nervig und hatte große
Hände und Füße. In seiner Jugend war er ungemein kräftig und
behend, in der spätern Zeit seines Lebens neigte er sich zur
Wohlbeleibtheit hin. Sein Kopf war umfänglich, schön geformt
und saß schön auf dem Halse, welcher wie ein Pfeiler von der
weiten Brust sich erhob. Die Stirn war hoch, an den Schläfen
breit und von Adern durchzogen, welche bis zu den Augenbraunen
reichten und aufschwollen, wenn er zornig oder in Begeisterung
war. Er hatte ein längliches Gesicht, ausgeprägte und
ausdrucksvolle Züge, eine Adlernase, schwarze Augen, gebogene
Augenbraunen, welche fast zusammen gingen, einen breiten und
biegsamem Mund, das Zeichen der Beredtsamkeit, sehr weiße,
etwas auseinander stehende und unregelmäßige Zähne, schwarzes
Haar, welches ohne Locke auf seine Schultern hinab wallte, und
einen langen und sehr vollen Bart.
Seine Haltung war im Allgemeinen ruhig und gleichförmig;
bisweilen erging er sich in Scherzen, aber häufiger war er
ernst und würdevoll, obschon er ein Lächeln von einnehmender
Lieblichkeit besessen haben soll. Seine Gesichtsfarbe war
röther, als sie gemeiniglich bei Arabern ist, und in den
Augenblicken der Aufregung und Begeisterung gewahrte man in
dem Gesichte eine Glut und einen Glanz, welchen seine Schüler
als übernatürliches Licht des Prophetenthums bezeichneten.
Seine geistigen Eigenschaften waren unbezweifelt
außerordentlicher Art. Er hatte eine schnelle Fassungskraft,
ein treues Gedächtniß, eine lebhafte Einbildungskraft und
einen erfinderischen Geist. Da er der Erziehung wenig
verdankte, so hatte er durch strenge Beobachtung den Geist
angeregt und gebildet und ihn mit einer großen
Mannichfaltigkeit von Kenntnissen rücksichtlich der Religionen
ausgestattet, welche zu seiner Zeit Geltung hatten oder aus
dem Alterthum überliefert worden waren. Seine gewöhnliche
Unterhaltung war ernst und bündig, da sie von den unter den
Arabern so beliebten Lehrsprüchen und moralischen Erzählungen
überströmte; zu Zeiten war er feurig und beredt, und seine
Beredtsamkeit wurde von einer musikalischen und wohl tönenden
Stimme unterstützt.
In seiner Lebensweise war er mäßig und enthaltsam und ein
strenger Beobachter der Fasten. Er huldigte nicht der Pracht
im Anzuge, diesem Gepränge kleinlicher Geister; auch war die
Einfachheit des Anzuges nicht gesucht, sondern ergab sich aus
wirklicher Geringschätzung einer Auszeichnung, die aus so
gemeiner Quelle entspringt. Seine Gewänder waren bisweilen aus
Wolle, bisweilen von gestreiftem Stoffe aus Yemen, und oft
ausgebessert. Er trug einen Turban, denn er sagte, daß Turbane
von Engeln getragen würden, und bei Anlegung desselben ließ er
einen Zipfel zwischen den Schultern hinabhängen, was er als
die Art bezeichnete, wie sie getragen würden. Er verbot das
Tragen ganz seidener Kleider, erlaubte jedoch eine Mischung
von Zwirn und Seide. Auch verbot er rothe Kleider und den
Gebrauch goldener Ringe. Er selbst trug einen silbernen
Siegelring, den gravirten Theil mit der Inschrift: »Mohammed,
der Gesandte Gottes«, ganz nahe an der Handfläche. Er war
sorgfältig rücksichtlich persönlicher Sauberkeit und nahm
häufige Waschungen vor. In manchen Beziehungen war er
Wollüstling. »Es giebt zwei Dinge in der Welt«, pflegte er zu
sagen, »welche mich ergötzen, nämlich Frauen und Wohlgerüche.
Diese zwei Dinge erfreuen meine Augen und machen mich
inbrünstiger im Gebete.« Wegen seiner ungeheuern Reinlichkeit
und des Räucherwerkes und der wohlriechenden Oele, welche er
auf sein Haar verwendete, ging wahrscheinlich jene
Lieblichkeit und jener Wohlgeruch von seiner Person aus,
welchen seine Schüler für angeboren und wunderbar hielten.
Seine Leidenschaft für das weibliche Geschlecht hatte auf alle
Angelegenheiten Einfluß. Es wird erzählt, daß er sich, wenn er
sich einer schönen Frauensperson gegenüber befand, beständig
die Stirn glättete und das Haar ordnete, als wenn er ängstlich
besorgt wäre, in vortheilhaftem Lichte zu erscheinen.
Die Zahl seiner Frauen ist ungewiß. Abulfeda, welcher mit
mehr Behutsamkeit als andere arabische Geschichtsschreiber
berichtet, beschränkt sie auf fünfzehn, obschon manche sie bis
auf fünfundzwanzig erhöhen. Bei seinem Tode hatte er deren
neun, jede in einer besondern Wohnung, und alle in der Nähe
der Moschee in Medina. Der Grund, welcher dafür angeführt
wird, daß er sich eine größere Anzahl von Frauen als Anderen
gestattete, war das angebliche Verlangen, ein
Prophetengeschlecht für sein Volk zu gewinnen. Wenn dies in
der That sein Wunsch war, so wurde er nicht befriedigt. Von
allen seinen Kindern überlebte ihn nur Fatima, Alis Gattin,
und auch diese starb kurze Zeit nach seinem Tode. Von den
Nachkommen derselben saß außer ihrem ältesten Sohne Hassan
keiner auf dem Throne der Kalifen.
In seinen Privathandlungen war er gerecht. Er behandelte
Freunde und Fremde, Reiche und Arme, Mächtige und Schwache mit
Unparteilichkeit, und die gemeinen Leute liebten ihn wegen der
Leutseligkeit, mit welcher er sie aufnahm und ihre Klagen
anhörte. Von Natur war er reizbar, aber er wußte sein
Temperament so zu beherrschen, daß er sogar in dem
ungezwungeneren Verkehre des häuslichen Lebens freundlich und
duldsam war. »Ich diente ihm seit meinem achten Jahre«, sagte
sein Diener Anas, »und niemals hat er mich ausgescholten,
obgleich mehrere Gegenstände von mir verdorben wurden.«
Nun entsteht die Frage, ob er der gewissenlose Betrüger
war, als welcher er dargestellt worden ist? Waren alle seine
Gesichte und Offenbarungen vorbedachte Unwahrheiten, und war
seine ganze Lehre und Handlungsweise ein Gewebe von
Betrügereien? Bei Erwägung dieser Frage müssen wir uns zu
Gemüthe führen, daß er für viele Ungereimtheiten, welche unter
seinem Namen vorhanden sind, nicht verantwortlich ist. Viele
von den Gesichten und Offenbarungen, welche als von ihm
ausgegangene überliefert worden sind, sind unächt. Die ihm
zugeschriebenen Wunder sind Erzeugnisse moslemischer
Glaubensschwärmer. Ausdrücklich und wiederholt verwarf er alle
Wunder mit Ausnahme des Korans, welchen er wegen seines
unvergleichlichen Inhalts und der Art, auf welche derselbe zu
ihm vom Himmel hernieder gekommen war, das größte aller Wunder
nannte. Und hier müssen wir einige Bemerkungen über diese
berühmte Urkunde Platz greifen lassen. Während eifrige
Moslemen und manche der gelehrtesten Glaubenslehrer aus der
angeblich unnachahmlichen Vortrefflichkeit der Schreibweise
und des Inhaltes und aus Mohammeds zugestandener Ungelehrtheit
Beweise für den göttlichen Ursprung desselben ableiten, so
haben weniger fromme Kunstrichter denselben eine verworrene
Masse von Schönheiten und Mängeln genannt und als ein Werk
bezeichnet, in welchem keine Ordnung herrsche, und welches von
Dunkelheiten, Mangel an Zusammenhang, Wiederholungen,
verfälschten biblischen Erzählungen und offenbaren
Widersprüchen wimmele. Das Wahre daran ist, daß der Koran, wie
er jetzt vorliegt, nicht derselbe ist, welchen Mohammed seinen
Schülern überlieferte, sondern viele Verschlechterung erfahren
und viele Einschiebsel erhalten hat. Die in ihm enthaltenen
Offenbarungen wurden zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen
Orten und vor verschiedenen Personen verkündigt; manchmal
wurden sie auf Pergament, auf Palm- oder auf Schulterblätter
von Schafen durch Mohammeds Secretaire oder Schüler
niedergeschrieben und miteinander in eine Kiste gelegt, über
welche eine von seinen Frauen die Aufsicht führte; manchmal
wurden sie von denen, welche sie hörten, nur im Gedächtnisse
aufbewahrt. Man scheint nicht Sorge getragen zu haben,
dieselben während seines Lebens zu einem geordneten Ganzen
zusammenzustellen; bis zu seinem Tode waren sie in zerstreuten
Bruchstücken vorhanden und viele derselben der Willkür
betrügerischer Erinnerungskraft anvertraut. Erst einige Zeit
nach seinem Tode unternahm es Abu Beker, sie sammeln und
abschreiben zu lassen. Zeid Ibn Thabet, welcher einer von
Mohammeds Secretairen gewesen war, wurde zu diesem Geschäfte
verwendet. Er bekannte, viele Theile des Korans auswendig zu
wissen, da er sie, wie sie ihm der Prophet dictirte,
niedergeschrieben hatte; andere Theile, welche in der rohen,
oben erwähnten Weise schriftlich abgefaßt waren, hatte er aus
verschiedenen Händen erhalten, und viele Stücke nahm er auf,
wie sie ihm verschiedene Schüler, welche sie aus Mohammeds
Munde gehört zu haben behaupteten, wiederholten. Die
ungleichartigen, auf diese Weise gesammelten Bruchstücke
wurden ohne Sichtung, ohne Zeitordnung und ohne Plan irgend
einer Art zusammengeworfen. Diese also gebildete Sammlung
wurde während Abu Bekers Kalifat von unterschiedlichen Händen
abgeschrieben, und viele beglaubigte Abschriften in Umlauf
gebracht und in den moslemischen Städten verbreitet. So viele
Irrthümer, Einschiebsel und widersprechende Lesarten schlichen
sich bald in diese Abschriften ein, daß Othman, der dritte
Kalif, die mannichfaltigen Handschriften einforderte und
nachdem er daraus das, was er den ächten Koran nannte,
gebildet hatte, alle andern zerstören ließ.
Dieser einfache Thatbestand mag für viele
Zusammenhangslosigkeiten, Wiederholungen und andere
Uebelstände, welche diese merkwürdige Urkunde belasten, den
Grund enthalten. Mohammed kann, wie bereits bemerkt worden
ist, dieselben Vorschriften gegeben, oder dieselbe moralische
Erzählung zu unterschiedlichen Zeiten, unterschiedlichen
Personen in verschiedenen Worten vorgetragen, oder
verschiedene Personen können zu einer und derselben Zeit
gegenwärtig gewesen sein und seine Worte mit verschiedenen
Abänderungen wiederholt und seine Gleichnisse und biblischen
Geschichten nach ihren unvollständigen Anmerkungen oder ihren
mangelhaften Erinnerungen verbreitet haben. Viele
Offenbarungen, welche von ihm als solche, welche an die
Propheten vor ihm ergangen waren, mitgetheilt worden sind, hat
man als ihm selbst gewordene Offenbarungen weiter verkündigt.
Es ist angedeutet worden, daß es Abu Beker in der ersten Zeit
seines Kalifats für staatsklug erachtet haben mag, viele Dinge
in den Koran einzuschieben, um sich beim Emporsteigen darauf
zu stützen und die Herrschaft des Islams zu befestigen. Welch
fälschliche Abänderungen und Einschaltungen nach des Propheten
Tode von andern und weniger gewissenhaften Händen geschehen
sein mögen, können wir nach den kühnen Freiheiten beurtheilen,
welche sich Abdallah Ibn Saad, einer seiner Schreiber, bei
seinen Lebzeiten genommen hatte.
Aus allen diesen Umständen wird erhellen, daß selbst die
urkundlichen Denkmale über Mohammed an Verfälschungen reich
sind, während die mündlich fortgepflanzten Nachrichten von
Fabeln wimmeln. Dies steigert die Schwierigkeit, das Räthsel
seines Charakters und Verhaltens zu lösen. Seine Geschichte
scheint sich in zwei große Abtheilungen zu scheiden. Während
der ersteren Hälfte bis in die Zeit seines mittleren Lebens
können wir nicht erkennen, welchen entsprechenden Gegenstand
er durch den gottlosen und Staunen erregenden Betrug, mit
welchem belastet er dasteht, hätte gewinnen können. War es
Reichthum? Seine Verheirathung mit Kadidschah hatte ihn zum
wohlhabenden Manne gemacht, und in den Jahren, welche seinem
angeblichen Gesichte vorhergingen, hat er kein Verlangen an
den Tag gelegt, seine Schätze zu vermehren. War es
Auszeichnung? Er nahm als Mann von Einsicht und
Rechtschaffenheit bereits eine hohe Stellung in seiner
Geburtsstadt ein. Er gehörte zu dem erlauchten Stamme Koreisch
und zu dem geehrtesten Zweige dieses Stammes. War es Macht?
Das Hüteramt an der Kaaba und mit ihm den Oberbefehl in der
heiligen Stadt hatte seine unmittelbare Familie Generationen
hindurch inne gehabt, und seine Stellung und Verhältnisse
berechtigten ihn, diesen erhabenen Posten mit Vertrauen zu
erwarten. Indem er versuchte, den Glauben, in welchem er
erzogen war, zu stürzen, zerstörte er den Grund aller dieser
Vortheile. Auf diesen Glauben waren die Glücksgüter und Würden
seiner Familie gegründet. Der Angriff auf denselben mußte ihm
die Feindschaft seiner Verwandten, den Unwillen seiner
Mitbürger, den Abscheu und Haß aller seiner Landsleute
zuziehen, welche in der Kaaba ihren Götzendienst ausübten.
Gab es irgend etwas Glänzendes bei dem Beginn seiner
prophetischen Laufbahn, um ihn für diese Opfer zu entschädigen
und ihn anzulocken? Im Gegentheil, er begann in Ungewißheit
und Verborgenheit. Jahre hindurch wurde sie nicht von einem
wesentlichen Erfolge begleitet. In dem Verhältnisse, in
welchem er seine Lehren bekannt machte und seine Offenbarungen
verkündigte, setzten ihn dieselben der Verlachung, dem Spotte,
dem Tadel und schließlich einer hartnäckigen Verfolgung aus,
welche sein eigenes Vermögen und das seiner Freunde ruinirte;
welche einige seiner Familienglieder und Anhänger zwang, in
ein fremdes Land zu fliehen; welche ihn nöthigte, sich in
seiner Geburtsstadt vor der Menge zu verbergen, und ihn
zuletzt als Flüchtling hinaus trieb, um anderwärts eine
unsichere Heimath zu suchen. Warum sollte er auf einem
fortlaufenden Betruge beharren, welcher sein ganzes zeitliches
Glück zu Boden warf und noch dazu in einem Lebensalter, wo es
zu spät war, um es wieder aufzubauen?
In Ermangelung ausreichender weltlicher Beweggründe sind
wir gezwungen, irgend eine andere Erklärung seines Verhaltens
auf dieser Stufe seiner höchst rätselhaften Geschichte zu
suchen, und dies ans Licht zu stellen, haben wir uns in dem
früheren Theile dieses Werkes bemüht; wir haben daselbst auf
seinen schwärmerischen und zu Gesichten geneigten Geist
hingewiesen, welcher sich durch Einsamkeit, Fasten, Beten und
Grübeln und durch Aufreizung infolge körperlicher Krankheit in
einen Zustand zeitweiliger Geistesverwirrung hinein arbeitete,
in welcher er sich einbildete, er empfinge eine Offenbarung
vom Himmel und würde für den Propheten des Allerhöchsten
erklärt. Wir können nicht anders denken, als daß in dem
vorliegenden Falle ein Selbstbetrug im Spiele war, und daß er
an die Wirklichkeit seines Traumes und Gesichtes glaubte,
besonders nachdem seine Zweifel von der eifrigen und
vertrauensvollen Kadidschah und dem gelehrten und gewandten
Waraka bekämpft worden waren.
Da er einmal von seiner göttlichen Sendung, aufzutreten und
den Glauben zu predigen, überzeugt war, so konnten alle
nachfolgenden Träume und Anregungen in demselben Sinne
gedeutet und als Bekanntmachungen des göttlichen Willens,
welche ihm als einem Propheten auf verschiedene Art
mitgetheilt wurden, betrachtet werden. Wiederholt war er in
Zeiten besonderer Gemüthsbewegung in Entzückungen versetzt, wo
er sich eingebildet haben mag, abermals mit der Gottheit in
Verkehr zu stehen, denn diese Entzückungen waren fast immer
von Offenbarungen begleitet.
Das Verhalten desselben im Allgemeinen ist bis zur Flucht
aus Mekka das eines Begeisterten, welcher unter einer Art
geistiger Täuschung steht und von der Ueberzeugung ganz
erfüllt ist, ein für religiöse Reform Bevollmächtigter Gottes
zu sein. Und etwas Ergreifendes und Erhabenes liegt in dem
lichtvollen Pfade, welche sein feuriger Geist durch den irre
führenden Wirrwarr entgegensetzter Glaubensweisen und
Ueberlieferungen für sich betrat; etwas Ergreifendes und
Erhabenes in der reinen und geistigen Verehrung des Einen
wahren Gottes, welche er an die Stelle des blinden
Götzendienstes seiner Kindheit zu setzen gedachte.
Alle Theile des Korans, welche er, wie angenommen wird, in
dieser Zeit bekannt machte, wie unzusammenhängend sie auch auf
uns gekommen sind, und wie entstellt auch ihre ursprüngliche
Schönheit werden mußte, da sie durch verschiedene Hände
gingen, haben doch einen lautern und erhabenen Charakter und
athmen dichterische, wenn nicht religiöse Begeisterung. Sie
zeigen, daß er von dem lebendigen Wasser des Christenthums
reichlich getrunken hatte, und wenn er es unterließ, dasselbe
in seiner krystallenen Reinheit in sich aufzunehmen, so
geschah es, weil er aus zerbrochenen Cisternen und aus Strömen
trinken mußte, welche von denen, die ihre Wächter hätten sein
sollen, getrübt und verdorben worden waren. Der Glaube,
welchen er bis dahin verkündigt hatte, war reiner als der,
welcher von einigen Namenchristen Arabiens dargeboten wurde,
und sein Leben war bis zu diesem Zeitpuncte nach den
Grundsätzen desselben eingerichtet gewesen.
Das ist unsere Ansicht von Mohammed und seinem Verhalten
während der ersten Hälfte seiner Laufbahn, wo er ein
verfolgter und ruinirter Mann in Mekka war. Eine augenfällige
Veränderung, wie wir in den vorigen Capiteln gezeigt haben,
trat nach der Flucht nach Medina ein, denn daselbst fand er
statt bloßen Obdachs und Schutzes, was er suchte, die
Verehrung eines Propheten, stillschweigend den Gehorsam eines
Oberhaupts und sah sich an die Spitze eines mächtigen,
wachsenden und kriegerischen Heeres von Gläubigen gestellt.
Seit dieser Zeit geben irdische Gelüste und Pläne zu oft die
Veranlassung zu seinen Handlungen statt jener schwärmerischen
Begeisterung, welche sogar bei Mißgriffen den Schein der
Frömmigkeit auf seine früheren Thaten warf. Die alten Lehren
von Schonung, Langmuth und Entsagung werden plötzlich bei
Seite gelegt; er wird rachsüchtig gegen diejenigen, welche ihn
bisher unterdrückt haben, und begierig nach ausgedehnter
Herrschaft. Seine Lehren, seine Gebote und sein Verhalten
werden durch Widersprüche bezeichnet, und seine ganze
Handlungsweise wird unregelmäßig und veränderlich. Seine
Offenbarungen sind hinfort zu oft gelegentlich und einzelnen
Vorfällen angepaßt, so daß wir zum Zweifel an seiner
Aufrichtigkeit geführt werden, und er über dieselben nicht
länger in Täuschung befangen ist. Auch muß man bedenken, daß
die geschichtlichen Zeugnisse für diese Offenbarungen nicht
immer zuverlässig sind. Was er vielleicht als eigenen Willen
ausgesprochen hat, das mag man so verbreitet haben, als wenn
er es als göttlichen Willen verkündigt hätte. Außerdem mochte
er die eigenen Antriebe oft als göttliche Anregungen
betrachten und wähnen, daß, da er zur Verbreitung des Glaubens
berufen wäre, auch alle auf diesen Zweck gerichteten Einfälle
und Beweggründe von einer fortdauernden göttlichen Eingebung
herrührten.
Wenn wir weit entfernt sind, Mohammed für den groben und
gottlosen Betrüger zu halten, als welchen ihn Einige
dargestellt haben: so sind wir doch auch nicht geneigt, ihm
rücksichtlich ungeheurer Entwürfe und jenes tief erwogenen
Planes zu einer allgemeinen Eroberung Glauben beizumessen. Er
war ohne Zweifel ein Mann von großem Geiste und fruchtbarer
Einbildungskraft; aber es scheint uns, daß er des Anstoßes und
der Aufregung bedurfte und der Gunst der Umstände Vieles
verdankte. Seine Pläne wuchsen aus seinem Glücke, und nicht
sein Glück aus seinen Plänen hervor. Er war vierzig Jahre alt,
bevor er seine Lehren zum ersten Male aussprach. Er ließ ein
Jahr um das andere verstreichen, bevor er sie außerhalb seiner
Familie bekannt machte. Als er aus Mekka floh, waren seit der
Ankündigung seiner Sendung vierzehn Jahre vergangen, und er
war vom reichen Kaufmanne bis zum ruinirten Flüchtlinge
hinabgesunken. Als er nach Medina kam, hatte er keine
Vorstellung von der weltlichen Macht, welche ihn erwartete;
sein einziger Gedanke war, eine dürftige Moschee, worin er
predigen konnte, zu bauen, und seine Hoffnung, daß man ihn
ungestraft predigen ließe. Als ihm plötzlich Macht zu Theil
wurde, gebrauchte er sie eine Zeit zu unbedeutenden
Streifzügen und örtlichen Fehden. Seine militärischen Pläne
erweiterten sich mit seinen Hülfsmitteln, aber sie waren in
keiner Weise Meisterstücke und bisweilen erfolglos. Sie waren
weder mit Kühnheit entworfen, noch wurden sie mit
Entschiedenheit ausgeführt, sondern sie wurden oft aus
Nachgiebigkeit gegen die Meinung der bei ihm befindlichen
kriegerischen Männer und bisweilen auf heimliche Rathschläge
untergeordneter Geister, welche ihn manchmal irre leiteten,
abgeändert. Hätte er in der That vom Anfange an den Entschluß
gefaßt, die zerstreuten und sich bekämpfenden Stämme Arabiens
zu einer Nation durch eine Glaubensbrüderschaft zu vereinigen
zu dem Zwecke, den Plan auswärtiger Eroberungen auszuführen:
so wäre er einer der ersten militärischen Planmacher gewesen;
die Idee von einer ausgedehnten Eroberung scheint ein
späterer, durch den Erfolg erzeugter Gedanke gewesen zu sein.
In dem Augenblicke, in welchem er die Religion des Schwertes
verkündigte und den räuberischen Arabern Geschmack an
auswärtiger Plünderung beibrachte, in diesem Augenblicke wurde
er auf die Eroberungsbahn geschleudert, auf welcher er mit
unwiderstehlicher Gewalt vorwärts gedrängt wurde. Der
fanatische Eifer, welchen er seinen Anhängern eingeflößt
hatte, that für den Erfolg mehr als seine militärische
Wissenschaft; ihr Glaube an seine Lehre von der
Vorherbestimmung errang Siege, welche keine militärische
Berechnung hätte ahnen können. Bei dem Auftreten als Prophet
wurde er von den gewandten Rathschlägen des bibelkundigen
Waraka ermuthigt; auf der Eroberungsbahn hatte er Omar, Khaled
und andere feurige Geister zur Seite, welche ihn vorwärts
drängten und ihn bei Verwendung der fürchterlichen Macht
unterstützten, welche er zur Thätigkeit aufgerufen hatte.
Sogar bei aller ihrer Unterstützung mußte er gelegentlich
seine übernatürliche Maschinerie als Prophet benutzen, und
indem er dies that, mag er sich in Erwägung des zu
erreichenden frommen Zweckes mit dem Betruge befreundet haben.
Die militärischen Triumphe erweckten in ihm weder Uebermuth
noch Ruhmredigkeit, was doch der Fall gewesen sein würde,
wären sie zu selbstischen Zwecken erkämpft worden. Zur Zeit
seiner höchsten Macht bewahrte er dieselbe Einfachheit in
Lebensweise und äußerlicher Erscheinung, wie in den Tagen des
Unglücks. So weit war er vom Streben nach königlichem Gepränge
entfernt, daß es ihm mißfiel, wenn ihm beim Eintreten in eine
Stube etwa ungewöhnliche Beweise der Hochachtung erwiesen
wurden. Wenn er seine Absicht auf allgemeine Herrschaft
richtete, so war es auf die Herrschaft des Glaubens. Was die
zeitliche Gewalt, die in seinen Händen emporwuchs, anbetrifft,
so gebrauchte er dieselbe ohne Prahlerei und that keine
Schritte, um sie bei seiner Familie zu erhalten.
Der Reichthum, welcher ihm von dem Tribute und der
Kriegsbeute zufloß, wurde zur Beförderung der Glaubenssiege
und zur Unterstützung der Armen unter den Gläubigen
verausgabt, so daß sein Schatz oft bis auf den letzten Heller
erschöpft wurde. Omar Ibn Al Hareth erklärt, daß Mohammed bei
seinem Tode weder ein Goldstück noch eine Silbermünze, weder
einen Sclaven noch eine Sclavin, noch sonst Etwas zurückließ
außer seinem grauen Maulthiere Daldal, seinen Waffen und dem
Grundstücke, welches er seinen Frauen, seinen Kindern und den
Armen vermachte. »Allah«, sagt ein arabischer Schriftsteller,
»bot ihm die Schlüssel zu allen Schätzen der Erde an, aber er
weigerte sich, dieselben anzunehmen.«
Diese vollkommene Selbstverleugnung nebst dieser offenbar
innigen Frömmigkeit, welche die mannichfaltigen Wechsel seines
Geschickes durchströmt, ist es, was einen verwirrt, wenn man
sich ein gerechtes Urtheil über Mohammeds Charakter bilden
will. Doch wiewohl er den Erdenzusatz verrieth, nachdem ihm
weltliche Macht zur Verfügung stand, so lehrten die früheren
Bestrebungen seines Geistes beständig wieder und erhoben ihn
über alle irdischen Dinge. Das Gebet, diese Lebenspflicht des
Islams und dieses untrügliche Läuterungsmittel der Seele, war
sein beständiges Geschäft. Vertrauen auf Gott war in den
Zeiten der Prüfung und der Verzagtheit sein Trost und seine
Stütze. Auf die Gnade Gottes setzte er alle seine Hoffnungen
überirdischer Glückseligkeit. Ayescha erzählt, daß sie ihn bei
einer Gelegenheit fragte: »O Prophet, geht Niemand anders in
das Paradies ein als durch Gottes Barmherzigkeit?« »Niemand –
Niemand – Niemand!« erwiderte er ernst und mit Nachdruck.
»Aber du, o Prophet, wirst auch du nur durch seine Erbarmung
eingehen?« Hierauf legte der Prophet die Hand auf den Kopf und
antwortete drei Mal mit großer Feierlichkeit: »Auch ich werde
nicht eingehen, wenn mich Gott nicht mit seiner Gnade
bedeckt!«
Als er sich über das Todtenbett seines unmündigen Sohnes
Ibrahim beugte, bewies er durch sein Benehmen bei der
heftigsten Betrübniß Unterwerfung unter Gottes Willen, und die
baldige Wiedervereinigung mit seinem Kinde im Paradiese war
sein Trost. Als er ihm zum Grabe folgte, beschwor er den Geist
desselben, an den Grundlagen des Glaubens, nämlich an der
Einheit Gottes und an seiner eigenen Sendung als Propheten,
unerschütterlich festzuhalten. Sogar in der eigenen
Sterbestunde, wo es keinen irdischen Beweggrund zum Betruge
mehr geben konnte, zeigte er noch dieselbe religiöse Ergebung
und den Glauben an seinen apostolischen Beruf. Die letzten
Worte, welche auf seinen Lippen zitterten, sprachen das
Vertrauen aus, daß er mit den Propheten, welche vor ihm
hingegangen waren, bald in selige Gemeinschaft treten werde.
Es ist schwierig, solch inbrünstige, ausdauernde
Frömmigkeit mit einem undurchbrochenen Gewebe
gotteslästerlichen Betruges, solche lautere, erhabene und
menschenfreundliche Lehren, wie sie theilweise im Koran
enthalten sind, mit einem Gemüthe in Einklang zu bringen,
welches von unedlen Leidenschaften beherrscht und den
niedrigen Interessen der Erde ergeben ist. Wir finden keinen
andern befriedigenden Weg, das Räthsel seines Charakters und
Lebens zu lösen, als in der Annahme, daß die geistige
Täuschung, welche während seiner religiösen Entzückungen zur
Mitternacht in der Höhle des Berges Harat in sein aufgeregtes
Gemüth sich senkte, ihn bis an sein Lebensende beherrschte,
und daß er in dem Wahne starb, er wäre zum Propheten berufen
worden.