Der Islam im Dialog

Der Islam im Dialog - Aufsätze

Prof. Abdoldjavad Falaturi

Inhaltsverzeichnis

Einleitung - Möglichkeiten und Grenzen eines interkulturellen Gesprächs

Hauptsächlich die Liebe zur Philosophie und vor allem die Suche nach einer philosophischen Wahrheit führten mich, ausgebildet im Rahmen einer immer noch im islamischen Bildungssystem üblichen Universalgelehrsamkeit mit Abschluss in Philosophie, Theologie, Rechtslehre usw., Ende 1954 nach Deutschland (Wintersemester 1954/55, Mainz).

Dabei waren es Denker wie Kant, Hegel, Nietzsche und Heidegger, die, die meiste Anziehungskraft auf mich ausübten.

Begleitet war meine Studienreise von der Vorstellung eines idealisierten Westens: Gesellschaft, Kultur und die Verhaltensweise des einzelnen. Diese Vorstellung soll an einem konkreten Beispiel erläutert werden: Im Jahre 1957 bekam ich in Köln Besuch von einem gleichgesinnten Freund aus dem Iran. In seinem überschwenglichen Enthusiasmus für den Westen fragte er mich, ob ich wüsste, weswegen der Schornsteinfeger einen Zylinder trägt. Da ich keine Antwort darauf wusste, hat er aus seiner Bewunderung für den Westen folgenden Kommentar dazu gegeben:

„Man hat dem Schornsteinfeger, also dem Ausführenden einer niedrigeren gesellschaftlichen Tätigkeit, das Tragen eines Zylinders erlaubt, was bei offiziellen Anlässen den höchsten Rang symbolisiert. Damit will man im Westen eine absolute Gleichheit der Menschen demonstrieren." Auch meine eigene naive Vorstellung vom Westen wich anfangs nicht sehr weit davon ab.

Beflügelt war meine geistige Haltung bei meiner Deutschlandreise von einem mystischen Geist, von einem Geist, der alles liebt, was existiert, weil alles und jedes in seiner Art als Zeichen Gottes gilt. Ich konnte und kann mir nicht vorstellen, dass ein Gott, der von allen geliebt wird und alle seine Kreaturen liebt, sich der Willkür der Anhänger bestimmter Verkünder der Religionen unterordnet und alle Menschen entsprechend diesem Wunsch und der Willkür Himmel, Paradies und Hölle zuweist. Mir gefiel und gefällt das Prinzip der Mystik, das die Wege zu Gott als so viele darstellt, wie es Menschen gibt. Dies entspricht auch der koranischen Aussage, dass Gott allen Völkern (immer und überall) Gesandte geschickt hat.

Diese geistige Haltung einerseits und meine Vorstellung vom Träger der westlichen Kultur andererseits haben mich dazu bewogen, 6 Monate nach meiner Ankunft in Deutschland im Albert-Schweitzer-Haus in Mainz mühevoll einen Vortrag über die 3 monotheistischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam mit dem Ziel zu halten, nachzuweisen, dass die Streitigkeiten in Form eines kalten Krieges oder kindlicher Zänkereien sinnlose Bruderkriege sind: Ein erhabener Gott kann sich nie damit zufrieden geben, seine Erhabenheit durch unsere Kurzsichtigkeit auf die Gestalt eines rachsüchtigen Despoten herabzuwürdigen. Die Reaktion der christlichen Theologen darauf war zwar enttäuschend, die des restlichen Auditoriums hingegen hat mich zur Fortsetzung des Gespräches mit Juden, Christen und Andersgläubigen motiviert, und das in einer Zeit, in der das Phänomen Dialog nicht existent war und noch kein Mensch daran dachte.

Mit dem Aufkommen der Ära des Dialoges unter den Weltreligionen bekam meine Aktivität einen tieferen Sinn, einen größeren Umfang und eine spürbare Wirksamkeit. Die daraus resultierte und nachhaltige Erfahrung für mich war, dass ich in jedem Gespräch etwas Neues am Selbstverständnis der Christen und entsprechend auch etwas Neues an der Darbietungsweise des Islam für einen christlich-westlich denkenden Menschen entdeckt habe.

Heute bin ich der Überzeugung, dass derartige Gespräche, vorwiegend zwischen Muslimen und abendländischen Christen, zu einem großen Prozentsatz aneinander vorbeigehen. Jeder will und wird den anderen durch das eigene religiöse Selbstverständnis begreifen; eine Haltung, die nur zu falschen Ergebnissen führt und die Fronten noch weiter verhärtet. Das bleibt auch so, solange die Gesprächspartner in ihrem Hinterkopf von der absoluten Wahrheit ihres Glaubens und der Falschheit des Glaubens des Gesprächspartners überzeugt sind, solange jeder der beiden nach außen ein freundlicher Gesprächspartner-, im Herzen aber ein verkappter Missionar ist. Die bleibende ernsthafte Frage für mich ist, ob dennoch überhaupt ein interreligiöses und ein allgemein interkulturelles Gespräch möglich ist, selbst wenn diese Barriere nicht wäre. An einer uneingeschränkten Möglichkeit dazu möchte ich aus meiner eigenen Erfahrung Zweifel hegen.

Beim Aufbau der Persönlichkeit jedes Menschen spielen Religion und Kultur die tragende Rolle, und zwar von der Geburt an. Nicht die abstrakte Logik, nicht die theoretischen Begriffe, sondern Gefühle, Empfindungen und die alltäglichen Erfahrungen sind es, die das Religiöse und Kulturelle an der Persönlichkeit des Individuums aufbauen.

Das sind gerade Momente, die man in einem Gespräch dem Partner am wenigsten präsentieren kann. Man will anhand von Begriffen Fakten vermitteln, welche nicht durch Begriffe erfassbar sind. Anders gesagt: Jeder möchte emotional bedingte Momente auf andere übertragen, obwohl diese in Wirklichkeit nicht übertragbar sind.

Ein eigenes Erlebnis soll diese Schwierigkeit erklären: Ich fühle mich selbst als ein Produkt zweier unterschiedlicher Kulturen, der islamisch-morgenländischen und der christlich-abendländischen. Ich glaube, die Träger beider Kulturen verstehen zu können. Es ist mir aber nie vollends gelungen, dem Träger einer der beiden Kulturen zufriedenstellend das nahe zu bringen, was die anderen denken und fühlen. Es ist und bleibt meine große Schwierigkeit, den Interessierten im Westen das nahe zu bringen, was die Angehörigen der islamischen Kultur unter ein und demselben Kulturphänomen verstehen und auch umgekehrt. Dieses faktische Hindernis ist es, das nie zulässt, das Selbstverständnis des anderen zu erfahren.

Wenn man aber so weit ist, dieses Phänomen als eine Tatsache zu entdecken und anzuerkennen, hat man einen großen Fortschritt in einer multikulturellen Weltgemeinschaft erreicht. Jeder hat Verständnis für die Mentalität und die Lebensweise seines Partners, ohne ihn vollends zu verstehen.

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