Islam und Abendland - Verbindendes und Trennendes
Meine Damen und Herren,
als ich von Köln im Regen nach Bonn fuhr, dachte ich, dass
viele aufgrund des Regens heute Abend den Vortrag nicht
besuchen würden, aber ich sehe, dass der Regen keinen daran
gehindert hat. Schönen Dank für Ihr Interesse und für Ihr
Kommen. Meine Damen und Herren, wie Sie eben gehört haben,
Islam und Abendland haben beide eine ganz lange Geschichte,
eine Geschichte, die aus positiven und negativen Verhältnissen
besteht.
Der Klarheit wegen habe ich den Vortrag in vier Abschnitte
eingeteilt; der erste Abschnitt behandelt die religiöse Ebene,
die den Islam mit dem Abendland verbindet oder auch trennt,
der zweite Abschnitt behandelt die kulturelle Ebene, die, die
islamische und die christlich-abendländische miteinander
verbindet, aber auch zum Teil voneinander trennt, der dritte
Abschnitt behandelt die politischen Verhältnisse, die kaum
jemals positiv waren, und diese politischen Verhältnisse in
ihrer negativen Auswirkung haben auch die beiden anderen
Bereiche in Mitleidenschaft gezogen. Im vierten Abschnitt, der
das Resümee unserer ganzen Diskussion ist, soll überlegt
werden, was wir als Verantwortliche für die jetzige, aber auch
zukünftige Gemeinschaft der Menschheit tun können.
Zunächst zum ersten Abschnitt, der religiösen Ebene. Auf
dieser Ebene, meine Damen und Herren, werde ich nicht als ein
Muslim hier reden, sondern mehr als Religionswissenschaftler,
der versucht, Phänomene mit Distanz zu betrachten, ohne
überhaupt daran zu denken, dass wir es mit Wahrheit oder
Falschheit zu tun haben. Ich möchte Sie gerne auch darum
bitten, in diesem Sinne, sich das Ganze anzuhören. Es ist
erstaunlich, dass unter allen Religionen der Welt allein der
Islam Jesus Christus und Maria anerkennt, praktisch wird die
Lehre von Jesus nur vom Islam und den Muslimen anerkannt.
Es wird die Person - und das möchte ich gerne in den
Vordergrund stellen, damit man Differenzen aufzeigen kann - es
werden im Koran alle Attribute, die, die Christen Jesus
Christus zuschreiben, bzw. an die sie glauben, akzeptiert. Der
Koran wird in allem zustimmen, vielleicht manches sogar in
einem höheren Maße, was von Maria handelt. Die Reinheit
Marias, Unantastbarkeit, usw., dann auch Jesus wird im Koran
so erklärt, definiert und beschrieben, wie sonst keine andere
Gestalt im Koran. Dass er vom Geist Gottes ist, dass er das
Wort Gottes ist, dass er in einer ganz anderen Art und Weise
zur Welt gekommen ist, dass diese Empfängnis Marias durch den
Heiligen Geist war, all das wird bestätigt. Nur dieses eine
nicht, und gerade das legt die Differenzen offen: Das, was ich
bis jetzt gesagt habe, fängt bei Muhammad in der mekkanischen
Zeit an. Zu Ihrer Information sage ich, dass man die
islamische Geschichte, d.h. die Geschichte der Zeit Muhammads
in zwei Epochen einteilt, einmal in die mekkanische, von 610
bis Mitte 622 und dann von Mitte 622 bis 632 in die
medinensische Zeit, als Muhammad von Mekka nach Medina
ausgewandert war. Schon in der mekkanischen Zeit, ich betone
das, weil sehr viele, die sich nicht historisch mit dem Islam
auseinandersetzen, behaupten, dass Muhammad erst in Medina,
nachdem er mit Juden und Christen konfrontiert wurde, vom
Christen- und Judentum gesprochen hätte. Das ist Unsinn, das
hat schon in der mekkanischen Zeit, sogar in ganz frühen
Phasen der Offenbarung begonnen, und es ist ein Rätsel, wie
ein Araber in einer Welt, die voll von Polytheisten ist,
gerade das Judentum und Christentum vertreten sollte. Das ist
eine andere Frage, das können wir hier auch nicht behandeln,
aber ich möchte nur auf Jesus und Maria zurückkommen.
Alle diese Attribute von Jesus wurden im Koran bestätigt,
nur dieses eine nicht, und diese eine, das nicht bestätigt
wurde, stammt aus der medinensischen Zeit und handelt von
einer Auseinandersetzung mit den jüdischen Behauptungen, und
das ist nicht an die Adresse der Christen, sondern an die
Adresse der Juden gerichtet. Dieser Ausdruck, der findet sich
im Koran in Sure 4, Vers 157, wo der Koran sagt, dass
diejenigen, die behaupten, ihn getötet zu haben, ihn nicht
getötet und nicht gekreuzigt haben, sondern es wurde ihnen
eine andere Gestalt gezeigt, so dass eine Verwechselung
vorlag.
Das ist zunächst, es scheint ganz einfach zu sein, gut, die
Christen sagen, Jesus ist am Kreuz gestorben und die Muslime
sagen nicht. So einfach ist es nicht. Das hier betrifft
praktisch die Essenz der beiden Religionen, und wenn Sie hier
ansetzen, merken Sie, dass sich die beiden Religionen
essentiell voneinander unterscheiden. Um das zu erklären,
möchte ich zuerst ganz kurz den Grund nennen.
Der eigentliche Unterschied zwischen Islam und Christentum
ist ein anthropologischer Unterschied. Der Islam sieht den
Menschen als gut geschaffen und im Menschen liegt der Kern des
Guten, der nachher, im Laufe der Zeit, entweder in der Lage
ist, das Gute mit Hilfe der Offenbarung zu entwickeln, oder
nicht.
Im Christentum dagegen, wissen wir, egal, wie wir
Sündenfall oder Sünde interpretieren - da möchte ich jetzt
nicht drauf eingehen - da ist es jedenfalls der Mensch, der
mit Sünde behaftet ist und eine Erlösung braucht. Logisch ist
natürlich, dass diese Erlösung auch in einer anderen Art und
Weise geschehen soll, nicht durch menschliche-, sondern durch
göttliche Kraft.
Darauf beruht die christliche Lehre, das System ist in sich
ist sehr geschlossen und lässt keine Lücke offen. Der Islam
kennt diese Veranlagung zur Sündhaftigkeit des Menschen gar
nicht. In diesem Sinne braucht er keine existentielle
Erlösung. Das Wort Erlösung fällt im Koran gar nicht. Was der
Mensch, der von Natur aus gut ist, braucht, ist eine
Rechtleitung. Die Rechtleitung bildet nach der koranischen
Auffassung den Kern aller Offenbarungen.
Die Thora, das Evangelium, auch die Schriften von Abraham
und David, wie alle Schriften, die wir in den semitischen
Religionen, aber auch darüber hinaus kennen, alle Schriften,
die auf Offenbarung zurückgehen, haben nur eine einzige
Funktion, nämlich die der Rechtleitung. Sehen Sie, hier haben
wir ein ganz andere Erklärung, die auch in sich sehr schlüssig
ist. Nirgendwo verlässt der Koran dieses Schema. Der
Unterschied zwischen Muslimen und Christen, bzw. der Grund
ihrer Auseinandersetzungen ist, dass sie weniger versucht
haben, sich in ihrem System zu verstehen. Der Christ widerlegt
den Islam aus seiner ihm eigenen Logik. Dazu haben auch sehr
viele Religionswissenschaftler seit dem 18./19. Jh. und ganz
besonders im 20. Jh. beigetragen, indem sie von der
christlichen Begrifflichkeit aus an die anderen Religionen
herangegangen sind, u.a. auch an den Islam, sie suchten nach
der Erlösung, diese gibt es nicht in diesem Glauben, ach ja,
die Handlungen sind es, die nach muslimischer Auffassung, die
Muslime erlösen. Da kommt dann das Wort Werkreligion und dann
die Theorien und Thesen, die man darauf aufgebaut hat und die
von Grund auf gar nicht haltbar sind.
Also, in diesem Sinne aber hat der Islam einen anderen
Blickwinkel, indem er meint, dass die einzige Funktion der
Religionen die Führung, die Rechtleitung ist. Dazu kommt auch
ein weiterer Punkt, und dieser Punkt ist
religionswissenschaftlich gesehen sehr interessant, dieser
ist, dass es für die Religion, also die monotheistische
Religion oder jede andere, nur eine einzige Möglichkeit gibt.
Die Religion kann nur eine Religion sein, nicht in dem Sinne,
dass man mehrere Religionen zusammenbringen und das Gemeinsame
daraus nehmen würde, nein, Religion ist die Verbindung des
Menschen mit Gott. Diese Verbindung ist nur eine, kann auch
nur eine sein. Und diese Verbindung heißt nach dem Koran
Islam. Und dieser Islam ist nicht nur von Muhammad, sondern er
ist die Offenbarung oder die Lehre Adams, denn Adam ist
selbstverständlich für den Koran ein Prophet, ein Gesandter.
Denn, es könnte nicht sein, dass Gott den Menschen mit diesen
guten Anlagen geschaffen hat und den Menschen dann ohne
Rechtleitung auf der Erde zurückgelassen habe.
Vom ersten Augenblick hat Gott diese Aufgabe erfüllt. Adam
ist der erste, der die Offenbarung empfangen hat. Das braucht
nicht unbedingt eine Schrift zu sein. Also, seine Offenbarung
war der Islam, die Offenbarung Abrahams ist der Islam, die
Offenbarung Jesu ist der Islam, die Offenbarung Moses ist
Islam. Es gibt gar keine andere Möglichkeit außer Islam, wenn
man darauf besteht, dass die Religion, die Begegnung des
Menschen mit einem Numinosen, also mit Gott ist. Das ist in
sich schlüssig; genauso wie es im Christentum schlüssig ist.
Das Problem ist, dass wir kaum versucht haben oder nicht
versucht haben, einander näher kennenzulernen und der Koran
geht damit auch genauso, von Anfang der Offenbarung an bis zum
Schluss, um, d. h. die Juden und Christen werden anerkannt.
Das ist nicht Toleranz, das ist ein Glaubensmoment im Koran,
dass die Christen und die Juden den Islam besitzen, das ist
nicht nur Leben lassen, das ist eine Bestätigung, das sind
Glaubensbestandteile; mehr als Toleranz, was wir heute meinen.
Aber der Koran setzt sich auseinander mit Juden und
Christen, die ihre eigene Religion nicht aufrechterhalten. Der
Koran lobt aber Juden und Christen, die sich nach ihrer
Religion verhalten. Das alles klar, nur eine Sache möchte ich
sagen, meine Damen und Herren, wir bewegen uns auf zwei
Ebenen, einmal auf der Ebene der Offenbarung und einmal auf
der Ebene der Geschichte. Die Geschichte ist von Anfang an von
politischen Interessen bestimmt gewesen. Da ist es dann
natürlich nicht immer so schön vor sich gegangen, wie der
Koran es wollte. Ich kann nur dies eine sagen, und dann gehe
ich zum zweiten Abschnitt über, denn wir haben uns
vorgenommen, dass ich eine Dreiviertelstunde spreche und wir
nachher diskutieren. Das ist immer besser und deshalb mache
ich auch kein Manuskript, dass ich dann 30 Minuten reden kann
oder 40, 50 Minuten, eine Stunde, anderthalb Stunden, aber ich
werde eine Dreiviertelstunde reden, und dann diskutieren wir.
Ich kann nur ganz kurz sagen, schlagen Sie den Koran auf,
wenn Sie Zweifel haben an dem, was ich sage, denn vieles kommt
Ihnen ganz anders vor. Das bestätige ich, gebe ich zu.
Schlagen Sie den Koran auf, Sure 5, Vers 5. Dieser Vers gehört
zu den allerletzten 5 Versen, die 3 Monate vor dem Tod
Muhammads offenbart worden sind. In diesen Versen, die
beginnen: „Heute habe ich Eure Religion vervollständigt" wird
unter anderem auf die Beziehung zwischen Muslimen und den
Schriftbesitzern, das sind Juden und Christen, Stellung
genommen.
Es wird da eine Tisch- und Ehegemeinschaft zwischen den
Muslimen und den Schriftbesitzern vorgeschlagen. Was bedeutet
das? Das bedeutet für mich unheimlich viel, weswegen ich
meine, dass die politische Auseinandersetzung zwischen
Muslimen, Juden und Christen diesen Geist unterdrückt haben.
Das bedeutet, dass es trotz aller theologischen und manchmal
auch gesellschaftlicher Auseinandersetzungen mit Juden nicht
so ganz leicht gewesen ist, manchmal sogar ganz hart. Trotzdem
wird diese Anerkennung am Ende von Muhammads Leben und am
Schluss der Offenbarung wie ein Gebot zum Ausdruck gebracht.
Gesellschaftliche Anerkennung der Juden und Christen. Bitte
denken Sie nicht an das, was ich jetzt sage, dass das, was im
Koran steht, Theorie sei - das nein. Dieser Geist hat sich
immer wieder im Laufe der Geschichte, die ich Ihnen auch jetzt
vorstellen werde, immer wieder gezeigt, und diesen Geist
brauchen wir heute. Das ist, was ich im vierten Abschnitt
sagen werde.
Jetzt komme ich zum Kulturellen. Auf kultureller Ebene hat
sich der Islam in der islamischen Welt schon seit der
frühesten Geschichte mit fremden Wissenschaften beschäftigt.
Ich möchte diesen Ansatz zuerst betonen. Wenn Sie den Koran
aufschlagen, sehen Sie im Koran mehr als in allen anderen
heiligen Schriften die dauernde Betonung und Aufforderung des
Menschen zum Nachdenken, zum Überlegen, zum Einsatz des
Verstandes und der Vernunft, so dass man manchmal als
Religionsphänomenologe sagt, ist das Religion oder ist das
Philosophie? Warum soll der Mensch immer wieder nachdenken?
Darauf kommen wir in der Diskussion zurück: Was heißt
dieses Nachdenken? Jedenfalls, der Begriff Vernunft ist nicht
als Organ verwendbar, aber verbal kommt er immer wieder im
Koran vor. Das hat den Gelehrten am Anfang der islamischen
Zeit den Anlass dazu gegeben, sich nicht nur dogmatisch nach
Vorschriften zu richten, sondern darüber hinaus Prinzipien zu
entwickeln und weitere gigantische Rechtsgebäude aufzubauen.
Wie kommt das?
Ich kann es erklären, wenn Sie den Koran aufschlagen. Der
Koran enthält mehr als 6.000 Verse, von denen sich aber nur
zwischen 300 und 500 Verse mit Normen beschäftigen. Der Koran
ist kein Gesetzbuch, wie man immer wieder sagt und wiederholt.
Der Rest enthält eine gewisse Weltanschauungskraft, die wir
hier gar nicht behandeln können. Jedenfalls, dogmatische
Vorschriften gibt es sehr wenige. Diese wenigen Vorschriften
reichten für die Muslime nach den Eroberungen der großen
Kulturen seinerzeit nicht aus. Es wurden unheimlich viele
Fragen an sie herangetragen, die gar nicht im Raume Arabien
existent waren. Sie mussten einen Weg suchen, und das haben
die Gelehrten getan.
Sie haben aus dem Koran - und das ist die Flexibilität des
Islam, wenn man sich nach diesem Prinzip richten würde - und
aus bestimmten Dingen Prinzipien entwickelt, woraufhin dann
weitere Gesetze und Normen ableitbar waren, und so wurden sie
Herr dieser gigantischen damaligen islamischen Welt, die
praktisch die beiden Kulturen, die iranische und
byzantinische, umfasste.
Man sagt auch, die Aufklärungszeit des Islam habe anfangs
begonnen und ist dann nachher ins Dogmatische zurückgefallen.
Daran ist etwas Wahres, denn im Laufe der Zeit haben, im Zuge
dieser Großzügigkeit und Aufgeschlossenheit für alles Denken,
sich sogar die Kalifen mit griechischem, iranischem und
indischem Gedankengut beschäftigt. Ganz gierig und
systematisch haben sie alles, was sie in die Hand bekamen, ins
Arabische übersetzt, Philosophie, Logik, Medizin, Mathematik,
Chemie, Astronomie, Physik; die Physik war damals die
aristotelische Physik, umfaßte Psychologie, Mineralogie,
Zoologie, Erdkunde, alles mögliche. Sie haben alles ins
Arabische übersetzt und weiterentwickelt. Meine Damen und
Herren, ohne diese Entwicklung hätten wir keine Dezimalzahlen,
keine Null und diese Erfahrungen in der Medizin nicht gehabt.
Die Bücher von Avicenna und Razi waren bis zum 17. Jh.
Lehrbücher in den medizinischen Fakultäten in Frankreich und
anderswo. In der Mathematik Algebra, das sind alles diese
Begriffe, die entstanden sind, die Logarithmen bis zum ???
sind alle von Al-Chorazmi. Das sind alles Entdeckungen, die da
waren, man hat diese in die europäischen Sprachen übersetzt
und weiter entwickelt. Aber ohne diese hätte man nicht zu
dieser Entwicklung kommen können. Es ist ungerecht, dass man
diese Tatsache übersieht.
Die islamische Kultur als Kultur ist ein Bestandteil der
abendländischen Kultur. Keiner wird darauf jetzt überhaupt
kommen und die Erziehung in der Schule ist dergestalt, dass
keiner davon erfährt. Dann werden Feindbilder natürlich sehr
schnell Erfolg haben können. In einem Buch habe ich gesehen -
wir haben eine Schulbuchanalyse durchgeführt - dass die
Muslime keinen freien Willen haben und deswegen zu den
unterentwickeltsten Völkern der Welt gehören.
Es ist traurig, es ist traurig, dass man diese Dinge, die
praktisch ein Bestandteil der abendländischen Kultur sind,
übersieht und diese Leistungen, die für die Welt heute noch
aktuell sind, übersieht. Ich sage immer, das ist eine
wissenschaftliche Ungerechtigkeit, Ungerechtigkeit kann auch
wissenschaftlich sein. Diese Wissenschaften, meine Damen und
Herren, sind entstanden und das bedeutet es, wenn ich sage,
dass der Koran trotz aller politischen Auseinandersetzungen
immer wieder diese Toleranz, die ich vertreten habe, gezeigt
hat. Dieses gigantische wissenschaftliche Gebäude ist durch
Zusammenarbeit von Muslimen, Christen, Juden, Zoroastriern, ja
sogar Sternanbetern entstanden.
Die haben im Raum von Bagdad und Persien
zusammengearbeitet, als ob sie ewig Brüder miteinander gewesen
wären. Keiner hat daran irgendwie Anstoß genommen, dass der
andere Jude oder der andere Muslim war. Die gleiche
Atmosphäre, das war hauptsächlich im 9./10. Jh., die gleiche
Atmosphäre hat sich wieder 200-300 Jahre später in Spanien
gezeigt. Als man angefangen hat, wieder das Arabische ins
Lateinische zu übersetzen.
Beim ersten Mal waren es mehr die nestorianischen Christen,
die die syrische Sprache beherrschten und als Mittler zwischen
dem Arabischen und Griechischen fungierten. Es waren die
Nestorianer, die diese Vermittlerrolle gespielt haben, aber es
waren auch Muslime und Christen dabei und viel jüdische
Leistung. Und das ganz friedlich.
Das sind Abschnitte in der Geschichte, die doch zeigen,
dass die Menschen auch anders sein können, unabhängig von Hass
und unabhängig von Feindseligkeit. So, meine Damen und Herren,
jetzt komme ich zum dritten Abschnitt, zu dem Abschnitt, der
unangenehm ist. Also zu den politischen Verhältnissen zwischen
Islam und Christentum und Judentum.
Das hat mit der Ausbreitung des Islam nach dem Tode des
Propheten begonnen. Wie geschah das? Man sagt, und das ist
natürlich nicht wahr, das man das mit Feuer und Schwert
gemacht hat und wir möchten von diesem Jargon absehen. Ich
komme jetzt zu den Tatsachen: Arabien war Jahrhunderte lang
eine Kolonie vom Iran und Byzanz. Mal, wenn die Iraner über
die Römer gesiegt haben, war Arabien mehr in ihrer Hand und
umgekehrt. Muhammad ist in einer Zeit gekommen, das ist
historisch unheimlich interessant und wichtig, als die Iraner
und Byzantiner miteinander Kriege führten. Keiner, weder die
Iraner noch die Byzantiner, hat überhaupt von der Entwicklung
in Arabien Notiz genommen. Von der arabischen Halbinsel hat
keiner überhaupt Notiz genommen, deswegen können wir auch
keine Belege, keine Berichte über die Entwicklung in der
damaligen Zeit in fremden Schriften finden. Alles, was wir
über diese Zeit wissen, ist arabisch. Und es sind arabische
Schriften, die zum großen Teil im 2. Jh. nach Muhammad
entstanden sind, wo man nicht unbedingt die Richtigkeit
garantieren kann.
Nun, plötzlich sind die Araber, die ja 100 Jahre lang
gegeneinander gekämpft haben, eine Einheit, eine Macht, und
diese Macht hat natürlich ihre Vergangenheit, ihre
Unterjochung seitens der Perser und Byzantiner nicht
vergessen. Wir wissen nicht, d.h. ich weiß nicht, ob die
Kriege, die geführt worden sind, als eine Revanche gegen
Byzantiner und Iraner gedacht waren, oder als Vorbeugung, weil
die Byzantiner und Iraner wieder kommen werden. Wie auch
immer, eins steht fest: dass im Jahre 628/29 ein christlicher
Stamm in Nordarabien, sie heißen Rassawiden, von den
Byzantinern dazu angehalten wurden, sich gegen Muhammad und
gegen die anderen Araber zu stellen.
Die hatten bis dahin gar nicht daran gedacht, die Christen
anzugreifen, weil bis dahin Christen und vor allen Dingen
Christen und Muslime sehr gut miteinander auskamen, d. h. die
Stämme. Dieser Rassawiden Stamm hat den Angriff begonnen, und
dann wurde ein Heer unter der Führung von Valid Ibn-ul Walid,
ich nenne den Namen, weil ich Ihnen damit nachher etwas
erklären möchte, diesen Rassawiden entgegengeschickt und es
gab keinen Krieg. Die haben zurückgesteckt, und das ist gut
so, aber das war eine Warnung an die Araber, dass Byzanz nicht
geschlagen ist. Nach dem Tode Muhammads fand die erste
Auseinandersetzung mit Byzanz und nicht mit dem Iran statt.
Und unter dieser Führung von Chalid Ibn-ul Walid, wenn man
diese Momente in der Geschichte miteinander verbindet, kommt
doch etwas mehr dabei heraus. Natürlich, als die Araber in dem
Krieg gegen die Byzantiner Erfolg hatten, und da muss ich auch
sagen, dass ist auch nicht immer ein Erfolg der Araber
gewesen, denn unterdrückten christlichen Minderheiten haben
diesen Arabern zum Sieg verholfen. Mindestens 10 verschiedene
Richtungen, die immer noch existierten, die unter der
Zentralmacht der Christenheit litten und genauso auch
umgekehrt, die Araber haben die Iraner mit wenigen Leuten, mit
der Hilfe der unzufriedenen Iraner, die unter dem Imperium,
Königreich gelitten haben, besiegt.
Aber auf alle Fälle, die Araber haben Erfolg gehabt und
finden Sie in der ganzen Geschichte einen, der, wenn er an der
Macht ist, diese Macht aufgeben möchte? Dann ging es weiter.
Heute ist es auch so. Die ganze Expansion später hat kaum mit
dem Geiste des Islam, kaum mit überhaupt einer Missionierung -
im Islam gibt es keine Missionierung, darf es auch nicht
geben, zu tun. - Später ist das dann gemacht worden und
nachher haben die Leute zum Teil, weil sie davon Vorteile
hatten, den Islam angenommen. Diejenigen, die ihn nicht
angenommen haben, sind auch so geblieben. Deswegen gibt es
auch in diesen Gebieten bis heute die Kirchen. Trotzdem ist
das auch unterschiedlich, denn ich sage, es war immer von der
Laune des jeweiligen Herrschers abhängig, ob die Christen und
Juden akzeptiert wurden oder nicht. Das war kein Prinzip, bis
heute. Gut, ich sage, damit habe ich die Kritik erst auf die
Seite der Muslime geholt.
Diese hatten natürlich Reaktionen hervorgerufen in der
christlichen Welt. Die christliche Welt ist nicht von Anfang
an mit der Lehre des Islam konfrontiert worden, im Gegenteil:
Nur mit der Macht und der Politik des Islam. Was erwartet
man denn? Die Muslime haben praktisch die Macht der Christen
in der damaligen Zeit beseitigt, denn wenn der Islam nicht
gewesen wäre, hätte die Christenheit in ihrer Vielfalt
wohlbemerkt, vielleicht 50 Jahre später, vielleicht die Hälfte
oder über die Hälfte der Erde unter ihre Herrschaft gebracht.
Aber das ist alles weg. Denn die Nestorianer hatten ihre
Bischöfe und großen Kirchenträger bis Indien hinein, sie
hatten allein auf dem Gebiet Irans mehr als 40-50 große
Bistümer, wenn man so will, was damals die ??? gehabt haben.
Das ist weg. Im Osten hat die zoroastrische Religion nicht
überlebt, sonst wären auch Zoroastrier heute, genauso wie die
Christen, eine Gruppe gewesen, die sich gegen den Islam
gestellt hätten, aufgrund dieser Vergangenheit.
Die Kreuzzüge, die Antwort auf diese Siege waren, haben
wieder gezeigt, dass es auch wirklich seitens der Christen
nicht unbedingt um die Religion ging. Wir wissen, dass die
Kreuzzüge damals durch Unstimmigkeiten zwischen Kirche und
Staat angefangen haben, aber nicht nur das. Wenn Sie die
Geschichte der Kreuzfahrer in der Zeit da unten mal
vergegenwärtigen, sehen Sie, wie viele Christen und Muslime
sich zusammengetan haben gegen andere Gruppen von Muslimen
oder umgekehrt. Muslime und Christen zusammen gegen andere
Gruppen von Christen. Die Kreuzfahrer bildeten keine Einheit,
da waren viele. Die Muslime bildeten auch keine Einheit, sie
waren Türken, Araber, Kurden. Das war nur reine Herrschsucht.
Wo man besser an die Macht kam, da hat man koaliert. Sie
haben dann nur die Leute, wie heute auch, immer aufgehetzt,
indem sie sagten, das sind Ketzer, da muss man gegen kämpfen
und plötzlich wurde der Ketzer zum Freund, nicht wahr. Heute
haben wir auch Beispiele. Na ja, darauf kommen wir zurück. Die
ganz neue Geschichte dieser Auseinandersetzung hat im Grunde
am Ende des 15. Anfang des 16. Jh. angefangen, das heißt, mit
dem Untergang des Islam in Spanien. Mit dem Untergang des
Islam in Spanien und der Entdeckung der neuen Welt durch
Kolumbus.
Da hat sozusagen eine neue Geschichte begonnen, eine
Geschichte, die keine Heilsgeschichte, um nicht zu sagen
Unheilsgeschichte war. Hier gab es nicht mehr eine
Auseinandersetzung zwischen zwei Religionen, hier war etwas
anderes im Gange, das unter dem Vorwand der Religion
durchgeführt wurde. Ich erzähle Ihnen etwas, was unglaubwürdig
erscheint, aber das ist das Prinzip der Eroberungen, die man
danach Kolonialisierung nannte, gewesen.
Ich habe in meiner Semestervorlesung „Religion und Gewalt"
mehrere Vorträge durch Kollegen halten lassen. Ich lese ein
paar Sätze aus einem Vortrag von einem Kollegen: „Der
Glaubenskrieg der Muslime und anderer „Ketzer" basierte auf
einer ganz bestimmten Ideologie, auf die ich (der Redner) noch
eingehen möchte. Gemeint ist die Rechtsfiktion, wonach
Christen das Recht zusteht, Ungläubige zu unterwerfen. Dies
war allerdings weniger die (Band Ende).....