Zweites Kapitel - Hadschis Reise. Sein Kampf mit den
Turkmenen
Mein Gebieter Osman Aga wollte nach Meschhed, um
bockarische Lammfelle einzukaufen; diese wollte er dann nach
Konstantinopel schaffen und dort mit großem Gewinne
weiterverhandeln. Stellt euch unter meinem Herrn einen
kleinen, sehr wohlbeleibten Mann vor, dessen dickes Gesicht
eine vorspringende, gequollene Nase schmückte und ein
struppiger, schwarzer Bart beschattete. Als guter Muselmann
versäumte er keines der vorgeschriebenen Gebete; die gebotenen
Waschungen verrichtete er so peinlich, daß selbst die kälteste
Morgenluft kein Hindernis für ihn war, sich der Strümpfe zu
entledigen und die Füße zu waschen. Er empfand einen geradezu
glühenden Haß gegen die Sekte Ali, verbarg aber diese Gefühle
sorgfältig, solange wir in Persien weilten. Wußte er sein Geld
nicht in völliger Sicherheit, legte er sich nicht zum Schlafe
nieder; denn eine unersättliche Geldgier bildete den Hauptzug
seines ganzen Wesens. Desungeachtet ging ihm aber nichts über
sein persönliches Wohlbehagen. Er rauchte ununterbrochen, aß
gerne viel und gut, trank auch insgeheim Wein, verdammte aber
unbarmherzig alle, die sich dieses Lasters öffentlich schuldig
machten, zu ewigen Höllenstrafen. Da die Karawane sich im
Frühjahre sammeln sollte, bereiteten wir alles zu unserer
Abreise vor. Mein Gebieter erstand ein Maultier zu seinem
Gebrauche, ich sollte ein Pferd besteigen, das nicht nur mich,
sondern auch den Kalian (persische Wasserpfeife), das
Kohlenbecken, eine lederne Flasche, die Holzkohlen und meinen
Kleidervorrat zu tragen hatte. Ein schwarzer Sklave, der für
uns kochte, die Teppiche ausbreitete, die Tiere bepackte und
ablud, ritt ein weiteres Maultier, hoch mit Bettzeug,
Teppichen und Kochgeschirr beladen; ein drittes Maultier
schleppte in zwei Truhen die Kleidung meines Herrn und das
sonst zur Reise Nötige.
Um gegen alle unvorgesehenen Unfälle geschützt zu sein,
nähte der vorsichtige, kluge Osman in meinem Beisein fünfzig
Dukaten in das dicke Wattefutter seines Turbans, seine übrige
Barschaft jedoch, mit der er Einkäufe machen wollte, wurde, in
kleine Ledersäckchen eingenäht, unter den Kleidern in den
Truhen verborgen.
Unsere stattliche, marschbereite Karawane bestand aus
beiläufig fünfhundert Maultieren, sowie zweihundert schwer mit
Waren für das nördliche Persien beladenen Kamelen. Kaufleute,
Diener und Karawanenführer mochten hundertfünfzig Köpfe
zählen. Außerdem schloß sich uns ein Trupp Pilger an, die eine
Wallfahrt nach dem hochberühmten Grabe des Imâms Resa in
Meschhed unternahmen. Diese gaben unserem ganzen
Aufzuge das Gepräge heiliger, feierlicher Weihe. Da jeder
Pilger auf einer so hochlöblichen Fahrt überall mit Ehren und
Auszeichnungen empfangen wird, so freuten wir uns darum alle,
unverdienterweise auch etwas davon zu profitieren. Solche
Reisen unternimmt man bis an die Zähne bewaffnet. Mein Herr,
der sonst beim Knalle einer Flinte erschreckt den Kopf duckte,
den der Anblick eines Säbels erbleichen ließ, ritt jetzt stolz
einher, einen langen Karabiner quer über den Rücken
geschnallt, mit einem großartigen krummen Säbel umgürtet, zwei
ungeheure Pistolen schwellten den ohnehin umfangreichen
Gürtel; der Rest seines wohlbeleibten Äußeren verschwand
völlig unter einem wahren Arsenale von Pulverflaschen,
Patronentaschen und Ladestöcken. Wie mein Gebieter, so war
auch ich von Kopf bis zu Fuß bewaffnet, genoß noch außerdem
die Auszeichnung, einen mächtigen Spieß tragen zu dürfen.
Unser schwarzer Sklave zog aus mit einer Flinte ohne Schloß
und einem Säbel mit zerbrochener Klinge.
Unter lautem Geschrei und weithin dröhnenden Schlägen auf
die kupfernen Trommeln der Pilger verließ die Karawane beim
Morgengrauen die nördliche Vorstadt Ispahans. Gar bald
schlossen wir Freundschaft mit den Reisegefährten, die trotz
ihrer kriegerischen Ausrüstung die friedliebendsten Leute
waren. Nach den staubigen Tagesmärschen rasierte ich gar viele
unter ihnen, und es dauerte nicht lange, so wurde ich der
erklärte Liebling aller. Ich kann wohl ohne jede Übertreibung
behaupten, daß ich für meinen Herrn durch meinen Witz, meine
Tüchtigkeit in allen Dingen, besonders durch Kneten und Reiben
seiner vom Reiten steifen Glieder, eine Quelle der
allergrößten Annehmlichkeiten bedeutete.
Wir erreichten Teheran ohne weitere Fährlichkeiten,
verweilten dort drei Tage, ließen die Tiere rasten und
erwarteten den Anschluß neuer Reisegefährten.
Nun aber sollte der äußerst gefährliche Teil der Reise
beginnen. Eine Turkmenenhorde, die mit dem Schah von
Persien im Kriege lag, machte die Straßen unsicher, hatte erst
vor kurzem eine Karawane ausgeplündert und die Reisenden in
die Gefangenschaft geschleppt. Diese schrecklichen Berichte
erfüllten viele, vor allem meinen Herrn, mit größter Angst,
die Reise bis Meschhed fortzusetzen. Aber der ungeheure Preis,
den Lammfelle in Konstantinopel erzielten, bestimmte ihn,
allem zu trotzen. Seine Gewinnsucht erwies sich noch weit
stärker als seine große Angst. Langsam bewegte sich der
endlose Zug der Karawane durch eine öde, weder Herz noch Augen
erfreuende Gegend vorwärts. Sooft wir uns einem Dorfe näherten
oder Reisenden begegneten, riefen unsere Führer Allah und den
Propheten an, und begleiteten ihre schrillen, weithin tönenden
Ausrufe mit Schlägen auf die Trommeln, die ein Lederriemen an
ihrem Sattel festhielt. Unsere Gespräche drehten sich
ausschließlich um die furchtbaren Turkmenen. Wir zitterten vor
den berüchtigten Feinden, trösteten uns aber gegenseitig mit
dem Gedanken, daß unsere kriegerisch so herrlich ausgerüstete
Überzahl unbesiegbar sei. »Im Namen Gottes! wessen Hunde sind
wir, daß sie daran denken, uns anzugreifen!« schrien wir laut,
und jeder, vor allem mein Herr, versicherte zähneklappernd, er
werde die kühnsten Heldentaten im Falle eines Angriffs
vollbringen. Wer ihn so prahlen hörte, konnte annehmen, er
habe sein Lebtag nichts anderes getan, als gefochten und
Turkmenen zu Hunderten erschlagen. Er aber setzte seine größte
Hoffnung auf eine grüne, weithin schimmernde Schärpe,
die er, als Anhänger Omars, um seinen Turban wand.
Er behauptete kühn, er sei ein Emir, ein Abkömmling Mohammeds,
des göttlichen Propheten, mit dem er nicht mehr verwandt war
wie sein Maultier, und baute darauf, daß die Turkmenen, denen
die grüne Farbe heilig ist, seiner schonen würden.
Der Tschausch, der anstrebte, als der einzig
Mutige in der Karawane zu gelten, tat, als hörte er Osmans
Großsprechereien gar nicht, und sagte laut: »Von den Turkmenen
sollten nur jene sprechen, die sie schon gesehen haben, und
nur ein einziges Mal entkam ein ›Löwenfresser‹ unversehrt
ihren Klauen. Saadi spricht wahr, wenn er sagt: ›Hätte ein
junger Mann auch einen Arm von der Stärke des Elefanten, am
Tage der Schlacht würden ihm aus Furcht die Fersenbänder
zerreißen.‹«
Als nach mehrtägiger Reise der Tschausch mit feierlicher
Wichtigkeit erklärte, wir seien der Stelle nahe, wo die
Turkmenen den Karawanen aufzulauern pflegten, und sollten uns
im Falle eines Angriffes zu einem Kampf auf Tod und Leben
rüsten, da klagte mein Herr plötzlich über heftige
Leibschmerzen, band eilends Flinte, Säbel und die Pistolen auf
einem Packesel fest, und seine frühere Kampfeslust schien
völlig erstorben. Er wickelte sich in seinen Mantel, schnitt
jämmerliche Gesichter, ließ die Perlen des Rosenkranzes durch
die zitternden Finger gleiten, betete von Zeit zu Zeit laut:
»O Herr, vergib mir!« und wartete, gänzlich niedergedrückt,
die Beschlüsse des Himmels ab.
Da fielen ein paar Schüsse! – dann schlug wildes,
barbarisches Geschrei an unser Ohr! – von Bangigkeit gelähmt,
standen Menschen und Tiere einen Augenblick still, drängten
sich aber dann instinktiv zusammen, wie eine vom Habicht
umkreiste Schar kleiner Vögel. Als nun ein Trupp
hochgewachsener Turkmenen wild auf uns eindrang, ergriffen
viele die Flucht; andere, darunter mein Herr, blieben vor
Entsetzen gelähmt am Platze – schrien und beteten
durcheinander: »O Allah! – O Imâm! – beim Propheten Mohammed,
wir sind verloren, wir müssen sterben – wir sind tot!« – Die
Maultiertreiber rissen das Gepäck von den Lasttieren und
ritten mit ihnen davon. – Ein Hagelschauer feindlicher
Geschosse überschüttete uns Widerstandslose; wir wurden
gefangen genommen, unser Gepäck und die Waren fielen in die
Hände des Feindes.
Der Tschausch, der schon manchen Strauß mit den Turkmenen
überdauert hatte, nahm beim ersten Schusse Reißaus, und keiner
sah ihn jemals wieder.
Mein Herr, der zwischen zwei Warenballen gekauert die
Ereignisse abwartete, wurde von einem fürchterlich
aussehenden, riesengroßen Turkmenen, der ihn zuerst für ein
Gepäckstück hielt, beim Genick gepackt und auf den Rücken
geworfen. In dieser schrecklichen Lage zappelte er wie eine
umgedrehte Assel mit allen vieren und flehte in seiner
Herzensangst in jämmerlichster Weise um Erbarmen. Er hoffte,
den Turkmenen weich zu stimmen, indem er Ali verfluchte und
Omar anrief; – allein alles war umsonst. Der unerbittliche
Barbar ließ ihm zwar aus Ehrfurcht vor der grünen Farbe den
Turban, nahm ihm aber alles bis aufs Hemd und die Unterhosen,
schlüpfte vor Osmans Augen in seine weiten Beinkleider und den
warmen, bequemen Mantel. Meine wertlosen Kleider begehrte
keiner, und zu meiner größten Freude rettete ich auch das
Futteral mit den Rasiermessern.
Nach der Plünderung begann die Verteilung der Gefangenen.
Jeder wurde mit verbundenen Augen hinter einen Reiter aufs
Pferd gesetzt. So ritten wir einen Tag lang und verbrachten
die Nacht in einer Höhle. Am andern Morgen zogen wir mit
freien Augen durch wilde, unbewohnte Gegenden und entdeckten
endlich am fernen Horizonte, auf einer endlosen Ebene, die
schwarzen Zelte und zahlreichen Viehherden unserer Feinde.