Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Zweites Kapitel - Hadschis Reise. Sein Kampf mit den Turkmenen

Mein Gebieter Osman Aga wollte nach Meschhed, um bockarische Lammfelle einzukaufen; diese wollte er dann nach Konstantinopel schaffen und dort mit großem Gewinne weiterverhandeln. Stellt euch unter meinem Herrn einen kleinen, sehr wohlbeleibten Mann vor, dessen dickes Gesicht eine vorspringende, gequollene Nase schmückte und ein struppiger, schwarzer Bart beschattete. Als guter Muselmann versäumte er keines der vorgeschriebenen Gebete; die gebotenen Waschungen verrichtete er so peinlich, daß selbst die kälteste Morgenluft kein Hindernis für ihn war, sich der Strümpfe zu entledigen und die Füße zu waschen. Er empfand einen geradezu glühenden Haß gegen die Sekte Ali, verbarg aber diese Gefühle sorgfältig, solange wir in Persien weilten. Wußte er sein Geld nicht in völliger Sicherheit, legte er sich nicht zum Schlafe nieder; denn eine unersättliche Geldgier bildete den Hauptzug seines ganzen Wesens. Desungeachtet ging ihm aber nichts über sein persönliches Wohlbehagen. Er rauchte ununterbrochen, aß gerne viel und gut, trank auch insgeheim Wein, verdammte aber unbarmherzig alle, die sich dieses Lasters öffentlich schuldig machten, zu ewigen Höllenstrafen. Da die Karawane sich im Frühjahre sammeln sollte, bereiteten wir alles zu unserer Abreise vor. Mein Gebieter erstand ein Maultier zu seinem Gebrauche, ich sollte ein Pferd besteigen, das nicht nur mich, sondern auch den Kalian (persische Wasserpfeife), das Kohlenbecken, eine lederne Flasche, die Holzkohlen und meinen Kleidervorrat zu tragen hatte. Ein schwarzer Sklave, der für uns kochte, die Teppiche ausbreitete, die Tiere bepackte und ablud, ritt ein weiteres Maultier, hoch mit Bettzeug, Teppichen und Kochgeschirr beladen; ein drittes Maultier schleppte in zwei Truhen die Kleidung meines Herrn und das sonst zur Reise Nötige.

Um gegen alle unvorgesehenen Unfälle geschützt zu sein, nähte der vorsichtige, kluge Osman in meinem Beisein fünfzig Dukaten in das dicke Wattefutter seines Turbans, seine übrige Barschaft jedoch, mit der er Einkäufe machen wollte, wurde, in kleine Ledersäckchen eingenäht, unter den Kleidern in den Truhen verborgen.

Unsere stattliche, marschbereite Karawane bestand aus beiläufig fünfhundert Maultieren, sowie zweihundert schwer mit Waren für das nördliche Persien beladenen Kamelen. Kaufleute, Diener und Karawanenführer mochten hundertfünfzig Köpfe zählen. Außerdem schloß sich uns ein Trupp Pilger an, die eine Wallfahrt nach dem hochberühmten Grabe des Imâms Resa in Meschhed unternahmen. Diese gaben unserem ganzen Aufzuge das Gepräge heiliger, feierlicher Weihe. Da jeder Pilger auf einer so hochlöblichen Fahrt überall mit Ehren und Auszeichnungen empfangen wird, so freuten wir uns darum alle, unverdienterweise auch etwas davon zu profitieren. Solche Reisen unternimmt man bis an die Zähne bewaffnet. Mein Herr, der sonst beim Knalle einer Flinte erschreckt den Kopf duckte, den der Anblick eines Säbels erbleichen ließ, ritt jetzt stolz einher, einen langen Karabiner quer über den Rücken geschnallt, mit einem großartigen krummen Säbel umgürtet, zwei ungeheure Pistolen schwellten den ohnehin umfangreichen Gürtel; der Rest seines wohlbeleibten Äußeren verschwand völlig unter einem wahren Arsenale von Pulverflaschen, Patronentaschen und Ladestöcken. Wie mein Gebieter, so war auch ich von Kopf bis zu Fuß bewaffnet, genoß noch außerdem die Auszeichnung, einen mächtigen Spieß tragen zu dürfen. Unser schwarzer Sklave zog aus mit einer Flinte ohne Schloß und einem Säbel mit zerbrochener Klinge.

Unter lautem Geschrei und weithin dröhnenden Schlägen auf die kupfernen Trommeln der Pilger verließ die Karawane beim Morgengrauen die nördliche Vorstadt Ispahans. Gar bald schlossen wir Freundschaft mit den Reisegefährten, die trotz ihrer kriegerischen Ausrüstung die friedliebendsten Leute waren. Nach den staubigen Tagesmärschen rasierte ich gar viele unter ihnen, und es dauerte nicht lange, so wurde ich der erklärte Liebling aller. Ich kann wohl ohne jede Übertreibung behaupten, daß ich für meinen Herrn durch meinen Witz, meine Tüchtigkeit in allen Dingen, besonders durch Kneten und Reiben seiner vom Reiten steifen Glieder, eine Quelle der allergrößten Annehmlichkeiten bedeutete.

Wir erreichten Teheran ohne weitere Fährlichkeiten, verweilten dort drei Tage, ließen die Tiere rasten und erwarteten den Anschluß neuer Reisegefährten.

Nun aber sollte der äußerst gefährliche Teil der Reise beginnen. Eine Turkmenenhorde, die mit dem Schah von Persien im Kriege lag, machte die Straßen unsicher, hatte erst vor kurzem eine Karawane ausgeplündert und die Reisenden in die Gefangenschaft geschleppt. Diese schrecklichen Berichte erfüllten viele, vor allem meinen Herrn, mit größter Angst, die Reise bis Meschhed fortzusetzen. Aber der ungeheure Preis, den Lammfelle in Konstantinopel erzielten, bestimmte ihn, allem zu trotzen. Seine Gewinnsucht erwies sich noch weit stärker als seine große Angst. Langsam bewegte sich der endlose Zug der Karawane durch eine öde, weder Herz noch Augen erfreuende Gegend vorwärts. Sooft wir uns einem Dorfe näherten oder Reisenden begegneten, riefen unsere Führer Allah und den Propheten an, und begleiteten ihre schrillen, weithin tönenden Ausrufe mit Schlägen auf die Trommeln, die ein Lederriemen an ihrem Sattel festhielt. Unsere Gespräche drehten sich ausschließlich um die furchtbaren Turkmenen. Wir zitterten vor den berüchtigten Feinden, trösteten uns aber gegenseitig mit dem Gedanken, daß unsere kriegerisch so herrlich ausgerüstete Überzahl unbesiegbar sei. »Im Namen Gottes! wessen Hunde sind wir, daß sie daran denken, uns anzugreifen!« schrien wir laut, und jeder, vor allem mein Herr, versicherte zähneklappernd, er werde die kühnsten Heldentaten im Falle eines Angriffs vollbringen. Wer ihn so prahlen hörte, konnte annehmen, er habe sein Lebtag nichts anderes getan, als gefochten und Turkmenen zu Hunderten erschlagen. Er aber setzte seine größte Hoffnung auf eine grüne, weithin schimmernde Schärpe, die er, als Anhänger Omars, um seinen Turban wand. Er behauptete kühn, er sei ein Emir, ein Abkömmling Mohammeds, des göttlichen Propheten, mit dem er nicht mehr verwandt war wie sein Maultier, und baute darauf, daß die Turkmenen, denen die grüne Farbe heilig ist, seiner schonen würden.

Der Tschausch, der anstrebte, als der einzig Mutige in der Karawane zu gelten, tat, als hörte er Osmans Großsprechereien gar nicht, und sagte laut: »Von den Turkmenen sollten nur jene sprechen, die sie schon gesehen haben, und nur ein einziges Mal entkam ein ›Löwenfresser‹ unversehrt ihren Klauen. Saadi spricht wahr, wenn er sagt: ›Hätte ein junger Mann auch einen Arm von der Stärke des Elefanten, am Tage der Schlacht würden ihm aus Furcht die Fersenbänder zerreißen.‹«

Als nach mehrtägiger Reise der Tschausch mit feierlicher Wichtigkeit erklärte, wir seien der Stelle nahe, wo die Turkmenen den Karawanen aufzulauern pflegten, und sollten uns im Falle eines Angriffes zu einem Kampf auf Tod und Leben rüsten, da klagte mein Herr plötzlich über heftige Leibschmerzen, band eilends Flinte, Säbel und die Pistolen auf einem Packesel fest, und seine frühere Kampfeslust schien völlig erstorben. Er wickelte sich in seinen Mantel, schnitt jämmerliche Gesichter, ließ die Perlen des Rosenkranzes durch die zitternden Finger gleiten, betete von Zeit zu Zeit laut: »O Herr, vergib mir!« und wartete, gänzlich niedergedrückt, die Beschlüsse des Himmels ab.

Da fielen ein paar Schüsse! – dann schlug wildes, barbarisches Geschrei an unser Ohr! – von Bangigkeit gelähmt, standen Menschen und Tiere einen Augenblick still, drängten sich aber dann instinktiv zusammen, wie eine vom Habicht umkreiste Schar kleiner Vögel. Als nun ein Trupp hochgewachsener Turkmenen wild auf uns eindrang, ergriffen viele die Flucht; andere, darunter mein Herr, blieben vor Entsetzen gelähmt am Platze – schrien und beteten durcheinander: »O Allah! – O Imâm! – beim Propheten Mohammed, wir sind verloren, wir müssen sterben – wir sind tot!« – Die Maultiertreiber rissen das Gepäck von den Lasttieren und ritten mit ihnen davon. – Ein Hagelschauer feindlicher Geschosse überschüttete uns Widerstandslose; wir wurden gefangen genommen, unser Gepäck und die Waren fielen in die Hände des Feindes.

Der Tschausch, der schon manchen Strauß mit den Turkmenen überdauert hatte, nahm beim ersten Schusse Reißaus, und keiner sah ihn jemals wieder.

Mein Herr, der zwischen zwei Warenballen gekauert die Ereignisse abwartete, wurde von einem fürchterlich aussehenden, riesengroßen Turkmenen, der ihn zuerst für ein Gepäckstück hielt, beim Genick gepackt und auf den Rücken geworfen. In dieser schrecklichen Lage zappelte er wie eine umgedrehte Assel mit allen vieren und flehte in seiner Herzensangst in jämmerlichster Weise um Erbarmen. Er hoffte, den Turkmenen weich zu stimmen, indem er Ali verfluchte und Omar anrief; – allein alles war umsonst. Der unerbittliche Barbar ließ ihm zwar aus Ehrfurcht vor der grünen Farbe den Turban, nahm ihm aber alles bis aufs Hemd und die Unterhosen, schlüpfte vor Osmans Augen in seine weiten Beinkleider und den warmen, bequemen Mantel. Meine wertlosen Kleider begehrte keiner, und zu meiner größten Freude rettete ich auch das Futteral mit den Rasiermessern.

Nach der Plünderung begann die Verteilung der Gefangenen. Jeder wurde mit verbundenen Augen hinter einen Reiter aufs Pferd gesetzt. So ritten wir einen Tag lang und verbrachten die Nacht in einer Höhle. Am andern Morgen zogen wir mit freien Augen durch wilde, unbewohnte Gegenden und entdeckten endlich am fernen Horizonte, auf einer endlosen Ebene, die schwarzen Zelte und zahlreichen Viehherden unserer Feinde.

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