Siebentes Kapitel - Hadschi entflieht den Turkmenen
Wir ritten heimwärts. Ich schloß verstohlen einen
Freundschaftsbund mit dem Poeten. Wir beide hatten nur einen
Gedanken, den heißen Wunsch, zu entfliehen. Im gegenwärtigen
Augenblick aber überwachte man mich so scharf, daß mein
Entweichen Wahnsinn gewesen wäre. So blieb uns denn kein
anderer Trost, als auszuharren, bis sich ein günstiger Moment
zur Flucht böte. Wir hatten die Grenze der großen Salzwüste
erreicht, sollten später auf die Heerstraße, die von Teheran
nach Meschhed führt, kommen, als Sultan Aslan, zwanzig Meilen
östlich von Damgan, Halt kommandierte und vorschlug, uns in
den zerklüfteten Felsen, längs der Straße, einen Tag lang zu
verbergen und abzuwarten, ob uns das Glück nicht hold sein
würde in Gestalt einer Karawane, die wir ausplündern könnten.
Beim Morgengrauen des nächsten Tages stürmte der Wachtposten,
den Aslan auf einem nahegelegenen Felsen aufgestellt hatte,
eilends herbei und meldete, er habe in der Richtung von Damgan
nach Meschhed Staubwolken aufsteigen sehen, die sich uns auf
der Heerstraße gen Meschhed zu näherten.
Unverzüglich saßen wir im Sattel. Die Turkmenen ließen die
Gefangenen, an Händen und Füßen gefesselt, auf dem Platze
liegen, mit der Absicht, nach der Plünderung der Karawane
zurückzukehren. Mit der größten Vorsicht drängten die
Turkmenen, auf neuen Raub zu lauern, zu jeder Mordtat fest
entschlossen, vorwärts.
Aslan, der als Führer und Aufklärer der Bande vorausritt,
rief mich an seine Seite: »Jetzt bietet sich dir eine
herrliche Gelegenheit, dich auszuzeichnen. Du sollst mich
begleiten, Hadschi, und genau darauf achten, wie vorsichtig
ich zuerst die Lage prüfe, ehe ich die ganze Mannschaft
anführe. Es könnte dir von größtem Nutzen sein, das zu
erlernen, damit du bei künftigen Anlässen selbst einen solchen
Angriff zu befehligen imstande bist. Ich nehme dich als
Dolmetscher mit mir, denn gewöhnlich versteht keiner der
Reisenden unsere Sprache. Wir wollen so nahe wie nur möglich
heranreiten, vielleicht zuerst mit dem Karawanenführer
unterhandeln und, sollten wir uns nicht einigen, die Reisenden
mit unserer ganzen Mannschaft überfallen.« Als diese näher
kamen, bemerkte ich Sultan Aslan etwas ängstlich werden. »Ich
fürchte, das ist gar keine Karawane« – murmelte er – »die
Pferde sind zu nahe aneinander gedrängt – ich vernehme kein
Glockengeklingel – die Staubwolke ist zu dicht – das ist ein
großer Reiterhaufen – ich sehe Lanzen – fünf ledige
Handpferde! – das ist kein Fang für uns!« In der Tat konnte
man alsbald unterscheiden, daß dies keine Karawane, sondern
eine hochgestellte Persönlichkeit war, zum mindesten ein
Gouverneur der Provinz, der unter dem Schutze einer
zahlreichen, berittenen Eskorte von Dienern und Reitern mit
dem bei solchen Anlässen herkömmlichen Pomp und Glanz reiste.
Mein Herz hüpfte vor Freude, denn dies war endlich die
heißersehnte Gelegenheit, zu entkommen. Wenn es mir glückte,
ohne das Mißtrauen Aslans zu erwecken, mich den Reitern zu
nähern und von ihnen gefangen genommen zu werden, so war ich
frei! Selbst wenn sie mich anfangs schlecht behandeln sollten,
so vertraute ich meiner Beredsamkeit, den Fremden meine
Erlebnisse glaubhaft darzustellen.
»Laßt uns näher heranreiten,« ermunterte ich meinen Herrn
in ganz bestimmter Absicht. Ich jedoch ließ mein Pferd, ohne
seine Zustimmung abzuwarten, lustig ausgreifen. Er eilte mir
nach, als wollte er mich zurückhalten. Da sprengten uns schon
fünf oder sechs Reiter in gestrecktem Galopp entgegen. In
voller Flucht rissen wir unsere Pferde herum. Aslan feuerte
seine Stute zur größten Geschwindigkeit an, ich hielt mein
Pferd mit aller Gewalt zurück, ward alsbald eingeholt und
ergriffen. Vom Pferde gerissen, entwaffnet, meiner fünfzig
Dukaten, meiner Rasiermesser und meiner sonstigen Habe beraubt
zu werden, war das Werk eines Augenblicks. Trotz meiner
heftigsten Beteuerungen, daß ich nur Schutz suche und nicht zu
entfliehen gedächte, band man mir die Arme mit meiner
Gürtelschärpe auf den Rücken und zerrte mich so, unwürdig
gefesselt, von allen Seiten mit Püffen und Schlägen traktiert,
weil ich nicht schnell genug laufen konnte, vor den Häuptling,
der, von den Berittenen umgeben, Halt gemacht hatte.
Die übergroße Unterwürfigkeit seiner Begleiter, die tiefen
Bücklinge, die sie vor ihm machten, ließen mich vermuten, er
müsse eine fürstliche Persönlichkeit sein. Ein paar tüchtige
Schläge auf den Kopf, die mir ein Wink waren, vor einem
Shahzade ehrfürchtig in die Knie zu sinken, machten
meine Vermutung zur Gewißheit. Der Prinz befahl, sofort meine
Bande zu lösen, ich aber ergriff mit den befreiten Händen den
Saum seines Mantels und rief: » Penah be Shahzade!«
Einer der Leibwache sprang hinzu, meine Dreistigkeit zu
züchtigen. Der Prinz aber, der die alte heilig gehaltene Sitte
nicht verletzen wollte, versprach mir seinen Schutz. Er befahl
seinen Dienern, mich in Frieden zu lassen, und mir, zu
erzählen, wie ich in eine so fatale Lage geraten sei. Ich sank
auf die Knie, küßte den Boden, erzählte meine Erlebnisse so
kurz und bündig wie möglich, schlug dann vor, die in der Nähe
weilende Turkmenenbande anzugreifen, um den Poeten des Schahs
und die anderen persischen Gefangenen zu befreien. Kaum aber
waren mir diese Worte entschlüpft, als der Reiter, welcher
Sultan Aslan verfolgt hatte, mit schreckensbleicher Miene bei
Ali schwor, das Turkmenenheer zähle mindestens tausend Köpfe,
käme uns entgegen, und der Prinz möchte sich kampfbereit
halten. Umsonst versicherte ich allen, die Turkmenenhorde sei
nur zwanzig Mann stark. – Niemand wollte mir Glauben schenken,
ich wurde als Spion und Lügner behandelt, und alle sagten mir,
ein Angriff der Turkmenen bedeute meinen sofortigen Tod. Der
Reiterhaufen bewegte sich in gutem Tempo vorwärts, jeder lugte
mit schlecht verhehlten Anzeichen größter Furcht nach den
Turkmenen aus, deren Namen allein genügte, ganz Persien
erzittern zu lassen.
Mein eigenes Pferd hatten sie mir weggenommen und erlaubten
mir, auf einem Saumtier zu reiten. Ich hatte nun Zeit und
Muße, über mein elendes Schicksal und meine jämmerliche
Zukunft nachzudenken. Ohne einen Dinar in der Tasche, ohne
einen Freund, sah ich mich in Zukunft dem Hungertode
preisgegeben. Ich heulte und jammerte über mein wahnsinniges
Beginnen, das mich freiwillig in dies Elend gestürzt hatte.
Die schwärmerische Vorliebe für meine Landsleute, die mir in
der Gefangenschaft das Herz so mächtig schwellte, war mir so
abhanden gekommen, daß ich die Perser laut verfluchte. »Ihr
nennt euch Muselmänner,« schrie ich sie an, »Hunde haben
edlere Gefühle als ihr! – habe ich gesagt Hunde? – Ihr seid
schlechter als Christenhunde – mit euch verglichen sind die
Turkmenen Männer!« Als ich merkte, daß diese Reden nur die
Lachlust meiner Umgebung reizten, versuchte ich mich aufs
Bitten zu verlegen. »Aus Liebe zu Imâm Husseïn – um des
Propheten willen – bei der Seele eurer Kinder – warum
behandelt ihr mich so niederträchtig? – bin ich nicht ein
Muselmann wie ihr? – Was tat ich, um solchen Kummer zu ernten?
–« Aber auch daraufhin tröstete mich keiner, nur ein alter
Maultiertreiber namens Ali Katirdschi, der gerade seine
Wasserpfeife anzündete, gab sie mir zu rauchen und sprach:
»Mein Sohn, alle Dinge dieser Welt stehen in Gottes Hand.« Auf
das Maultier weisend, das er ritt, fügte er hinzu: »Gott schuf
dies Maultier weiß, Ali Katirdschi kann deshalb kein schwarzes
daraus machen. Einen Tag nährt es sich von Getreide, den
nächsten Tag hat es nur eine Distel zu kauen. – Wer könnte
sein Schicksal preisen? – Raucht jetzt Eure Pfeife und dankt
Gott, daß es Euch nicht übler ergeht. Hafis sagt: ›Betrachte
jede genossene Freude wie einen kostbaren Gewinn.‹ Wer vermag
das Ende irgendeiner Begebenheit vorauszusagen?« – Die klugen
Reden des Alten besänftigten mein verbittertes Gemüt. Als er
aber herausfand, auch mir seien die göttlichen Verse des Hafis
so wohlbekannt wie ihm, behandelte er mich mit
großer Güte und teilte sogar während der ganzen Reise seine
kärglichen Mahlzeiten mit mir. Durch ihn brachte ich auch in
Erfahrung, daß der Prinz, in dessen Gewalt ich gefallen, der
fünfte Sohn des Schahs sei, der kürzlich zum Gouverneur von
Chorasan ernannt worden war und sich nun auf dem Wege nach
Meschhed, dem eigentlichen Sitze seiner Machthaberschaft,
befand. Die große Unsicherheit der turkmenischen Grenze war
der Anlaß seiner besonders starken Eskorte, auch wurde
gemunkelt, er habe genaue Befehle erhalten, das furchtbare
Räubervolk energisch zu bekämpfen, und sollte so viel
abgeschnittene Turkmenenköpfe nach Teheran schicken, bis man
damit eine Pyramide vor dem königlichen Schlosse aufrichten
könne. »Ihr könnt von Glück sagen,« fügte der Maultiertreiber
hinzu, »daß Euch der Kopf noch auf den Schultern sitzt. Wären
Eure Haare blond und Eure Augen klein und geschlitzt, Ihr
wäret nicht mehr am Leben, und Euer Kopf, auf eine Lanze
gespießt, würde als ein Turkmenenschädel ausgegeben.«
Als wir abends eine zerfallene Karawanserei am Wüstenrande
erreicht hatten, um dort zu nächtigen, entschloß ich mich, mir
die Erlaubnis zu verschaffen, beim Prinzen vorgelassen zu
werden, von ihm mein Pferd, meine Waffen und mein Geld
zurückzufordern, das ich skrupellos als mein Eigentum
betrachtete, wenn schon eine gewisse innere Stimme mir leise
zuraunte, der Räuber meines Geldes besäße ebensoviel Recht
darauf als ich selbst. Die Zeit vor dem Abendgebete bot die
beste Gelegenheit zu meinem Vorhaben. Der Prinz saß auf einem
Teppiche, in weiche Kissen gelehnt auf der Terrasse vor der
Karawanserei. Ehe die Höflinge Zeit gefunden, mich wegzujagen,
rief ich: » Ärsi daram«. Der Prinz befahl mir, näher
zu treten und fragte nachlässig nach meinem Begehren. Ich
klagte über die unwürdige Behandlung seiner Diener, die mich
gefangen genommen, meines Pferdes, meiner Waffen und meiner
fünfzig Dukaten beraubt hätten, und bat ihn, mir mein Eigentum
wieder einhändigen zu lassen. Sofort befahl er seiner
Umgebung, jene Leute, die mich gefangen genommen, zu rufen,
und ließ sie durch seinen Zeltbauer vorführen. Als sie nahten,
erkannte ich alsbald die Schuldigen. »Ihr Hundessöhne,« schrie
er sie an, »wo ist das Geld, das ihr diesem Manne gestohlen
habt?«
»Wir nahmen ihm nichts,« riefen sie einmütig.
»Das werden wir bald herausbringen,« antwortete der Prinz.
»Ruft die Färrasche,« sagte er zu einem der Begleiter, »sie
sollen diesen Halunken die Fußsohlen so lange bearbeiten, bis
die Dukaten zum Vorschein kommen!«
Unverzüglich wurden ihre Füße in Schlingen gelegt und diese
hochgezogen. Schon nach wenigen kräftigen Hieben bekannten die
Diebe und brachten alsbald das Geld zur Stelle. Der Prinz
zählte es sorgsam, legte es unter das Kissen, auf dem er saß,
und entließ die Schuldigen. Zu mir aber sprach er mit lauter
Stimme und einer gnädigen Handbewegung: »Ihr seid entlassen!«
Hilflos stand ich da, sperrte den Mund weit auf und wartete
auf mein Geld. Da packte mich der Zeremonienmeister bei der
Schulter und stieß mich zur Seite. »Und wo bleibt mein Geld?«
rief ich entsetzt.
»Was sagt er,« schrie der Prinz – »gebt ihm den Schuh, wenn
er nochmals wagt, den Mund aufzutun.«
Der Zeremonienmeister zog seinen grünen, hohen Pantoffel
aus, schlug mir mit dem eisenbeschlagenen Absatz auf den Mund
und meinte: »Du Hund wagst es, in dieser Weise mit einem
Königssohne zu reden? Ziehe in Frieden, halte deine Augen
offen, oder wir schneiden dir die Ohren ab.« Dann stießen und
zerrten sie mich mit Gewalt fort.
An Leib und Seele zerschlagen und ganz verzweifelt suchte
ich den Maultiertreiber auf, den mein trauriger Bericht
keineswegs in Staunen setzte. »Wie konntet Ihr denn Besseres
erwarten?« meinte er; »ist er denn nicht schließlich ein
Prinz? Hat dieser oder irgendein anderer hochgestellter Mann
einmal etwas in Besitz genommen, wird er es niemals
zurückgeben. Ebensowenig als ein Maultier einen frischen
Grasbüschel, den es bereits kaut, wieder loslassen wird,
ebensowenig könnt Ihr von einem Prinzen erwarten, daß er Geld,
das er einmal errafft hat, zurückerstattet.«