Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Siebentes Kapitel - Hadschi entflieht den Turkmenen

Wir ritten heimwärts. Ich schloß verstohlen einen Freundschaftsbund mit dem Poeten. Wir beide hatten nur einen Gedanken, den heißen Wunsch, zu entfliehen. Im gegenwärtigen Augenblick aber überwachte man mich so scharf, daß mein Entweichen Wahnsinn gewesen wäre. So blieb uns denn kein anderer Trost, als auszuharren, bis sich ein günstiger Moment zur Flucht böte. Wir hatten die Grenze der großen Salzwüste erreicht, sollten später auf die Heerstraße, die von Teheran nach Meschhed führt, kommen, als Sultan Aslan, zwanzig Meilen östlich von Damgan, Halt kommandierte und vorschlug, uns in den zerklüfteten Felsen, längs der Straße, einen Tag lang zu verbergen und abzuwarten, ob uns das Glück nicht hold sein würde in Gestalt einer Karawane, die wir ausplündern könnten. Beim Morgengrauen des nächsten Tages stürmte der Wachtposten, den Aslan auf einem nahegelegenen Felsen aufgestellt hatte, eilends herbei und meldete, er habe in der Richtung von Damgan nach Meschhed Staubwolken aufsteigen sehen, die sich uns auf der Heerstraße gen Meschhed zu näherten.

Unverzüglich saßen wir im Sattel. Die Turkmenen ließen die Gefangenen, an Händen und Füßen gefesselt, auf dem Platze liegen, mit der Absicht, nach der Plünderung der Karawane zurückzukehren. Mit der größten Vorsicht drängten die Turkmenen, auf neuen Raub zu lauern, zu jeder Mordtat fest entschlossen, vorwärts.

Aslan, der als Führer und Aufklärer der Bande vorausritt, rief mich an seine Seite: »Jetzt bietet sich dir eine herrliche Gelegenheit, dich auszuzeichnen. Du sollst mich begleiten, Hadschi, und genau darauf achten, wie vorsichtig ich zuerst die Lage prüfe, ehe ich die ganze Mannschaft anführe. Es könnte dir von größtem Nutzen sein, das zu erlernen, damit du bei künftigen Anlässen selbst einen solchen Angriff zu befehligen imstande bist. Ich nehme dich als Dolmetscher mit mir, denn gewöhnlich versteht keiner der Reisenden unsere Sprache. Wir wollen so nahe wie nur möglich heranreiten, vielleicht zuerst mit dem Karawanenführer unterhandeln und, sollten wir uns nicht einigen, die Reisenden mit unserer ganzen Mannschaft überfallen.« Als diese näher kamen, bemerkte ich Sultan Aslan etwas ängstlich werden. »Ich fürchte, das ist gar keine Karawane« – murmelte er – »die Pferde sind zu nahe aneinander gedrängt – ich vernehme kein Glockengeklingel – die Staubwolke ist zu dicht – das ist ein großer Reiterhaufen – ich sehe Lanzen – fünf ledige Handpferde! – das ist kein Fang für uns!« In der Tat konnte man alsbald unterscheiden, daß dies keine Karawane, sondern eine hochgestellte Persönlichkeit war, zum mindesten ein Gouverneur der Provinz, der unter dem Schutze einer zahlreichen, berittenen Eskorte von Dienern und Reitern mit dem bei solchen Anlässen herkömmlichen Pomp und Glanz reiste.

Mein Herz hüpfte vor Freude, denn dies war endlich die heißersehnte Gelegenheit, zu entkommen. Wenn es mir glückte, ohne das Mißtrauen Aslans zu erwecken, mich den Reitern zu nähern und von ihnen gefangen genommen zu werden, so war ich frei! Selbst wenn sie mich anfangs schlecht behandeln sollten, so vertraute ich meiner Beredsamkeit, den Fremden meine Erlebnisse glaubhaft darzustellen.

»Laßt uns näher heranreiten,« ermunterte ich meinen Herrn in ganz bestimmter Absicht. Ich jedoch ließ mein Pferd, ohne seine Zustimmung abzuwarten, lustig ausgreifen. Er eilte mir nach, als wollte er mich zurückhalten. Da sprengten uns schon fünf oder sechs Reiter in gestrecktem Galopp entgegen. In voller Flucht rissen wir unsere Pferde herum. Aslan feuerte seine Stute zur größten Geschwindigkeit an, ich hielt mein Pferd mit aller Gewalt zurück, ward alsbald eingeholt und ergriffen. Vom Pferde gerissen, entwaffnet, meiner fünfzig Dukaten, meiner Rasiermesser und meiner sonstigen Habe beraubt zu werden, war das Werk eines Augenblicks. Trotz meiner heftigsten Beteuerungen, daß ich nur Schutz suche und nicht zu entfliehen gedächte, band man mir die Arme mit meiner Gürtelschärpe auf den Rücken und zerrte mich so, unwürdig gefesselt, von allen Seiten mit Püffen und Schlägen traktiert, weil ich nicht schnell genug laufen konnte, vor den Häuptling, der, von den Berittenen umgeben, Halt gemacht hatte.

Die übergroße Unterwürfigkeit seiner Begleiter, die tiefen Bücklinge, die sie vor ihm machten, ließen mich vermuten, er müsse eine fürstliche Persönlichkeit sein. Ein paar tüchtige Schläge auf den Kopf, die mir ein Wink waren, vor einem Shahzade ehrfürchtig in die Knie zu sinken, machten meine Vermutung zur Gewißheit. Der Prinz befahl, sofort meine Bande zu lösen, ich aber ergriff mit den befreiten Händen den Saum seines Mantels und rief: » Penah be Shahzade!«

Einer der Leibwache sprang hinzu, meine Dreistigkeit zu züchtigen. Der Prinz aber, der die alte heilig gehaltene Sitte nicht verletzen wollte, versprach mir seinen Schutz. Er befahl seinen Dienern, mich in Frieden zu lassen, und mir, zu erzählen, wie ich in eine so fatale Lage geraten sei. Ich sank auf die Knie, küßte den Boden, erzählte meine Erlebnisse so kurz und bündig wie möglich, schlug dann vor, die in der Nähe weilende Turkmenenbande anzugreifen, um den Poeten des Schahs und die anderen persischen Gefangenen zu befreien. Kaum aber waren mir diese Worte entschlüpft, als der Reiter, welcher Sultan Aslan verfolgt hatte, mit schreckensbleicher Miene bei Ali schwor, das Turkmenenheer zähle mindestens tausend Köpfe, käme uns entgegen, und der Prinz möchte sich kampfbereit halten. Umsonst versicherte ich allen, die Turkmenenhorde sei nur zwanzig Mann stark. – Niemand wollte mir Glauben schenken, ich wurde als Spion und Lügner behandelt, und alle sagten mir, ein Angriff der Turkmenen bedeute meinen sofortigen Tod. Der Reiterhaufen bewegte sich in gutem Tempo vorwärts, jeder lugte mit schlecht verhehlten Anzeichen größter Furcht nach den Turkmenen aus, deren Namen allein genügte, ganz Persien erzittern zu lassen.

Mein eigenes Pferd hatten sie mir weggenommen und erlaubten mir, auf einem Saumtier zu reiten. Ich hatte nun Zeit und Muße, über mein elendes Schicksal und meine jämmerliche Zukunft nachzudenken. Ohne einen Dinar in der Tasche, ohne einen Freund, sah ich mich in Zukunft dem Hungertode preisgegeben. Ich heulte und jammerte über mein wahnsinniges Beginnen, das mich freiwillig in dies Elend gestürzt hatte. Die schwärmerische Vorliebe für meine Landsleute, die mir in der Gefangenschaft das Herz so mächtig schwellte, war mir so abhanden gekommen, daß ich die Perser laut verfluchte. »Ihr nennt euch Muselmänner,« schrie ich sie an, »Hunde haben edlere Gefühle als ihr! – habe ich gesagt Hunde? – Ihr seid schlechter als Christenhunde – mit euch verglichen sind die Turkmenen Männer!« Als ich merkte, daß diese Reden nur die Lachlust meiner Umgebung reizten, versuchte ich mich aufs Bitten zu verlegen. »Aus Liebe zu Imâm Husseïn – um des Propheten willen – bei der Seele eurer Kinder – warum behandelt ihr mich so niederträchtig? – bin ich nicht ein Muselmann wie ihr? – Was tat ich, um solchen Kummer zu ernten? –« Aber auch daraufhin tröstete mich keiner, nur ein alter Maultiertreiber namens Ali Katirdschi, der gerade seine Wasserpfeife anzündete, gab sie mir zu rauchen und sprach: »Mein Sohn, alle Dinge dieser Welt stehen in Gottes Hand.« Auf das Maultier weisend, das er ritt, fügte er hinzu: »Gott schuf dies Maultier weiß, Ali Katirdschi kann deshalb kein schwarzes daraus machen. Einen Tag nährt es sich von Getreide, den nächsten Tag hat es nur eine Distel zu kauen. – Wer könnte sein Schicksal preisen? – Raucht jetzt Eure Pfeife und dankt Gott, daß es Euch nicht übler ergeht. Hafis sagt: ›Betrachte jede genossene Freude wie einen kostbaren Gewinn.‹ Wer vermag das Ende irgendeiner Begebenheit vorauszusagen?« – Die klugen Reden des Alten besänftigten mein verbittertes Gemüt. Als er aber herausfand, auch mir seien die göttlichen Verse des Hafis so wohlbekannt wie ihm, behandelte er mich mit großer Güte und teilte sogar während der ganzen Reise seine kärglichen Mahlzeiten mit mir. Durch ihn brachte ich auch in Erfahrung, daß der Prinz, in dessen Gewalt ich gefallen, der fünfte Sohn des Schahs sei, der kürzlich zum Gouverneur von Chorasan ernannt worden war und sich nun auf dem Wege nach Meschhed, dem eigentlichen Sitze seiner Machthaberschaft, befand. Die große Unsicherheit der turkmenischen Grenze war der Anlaß seiner besonders starken Eskorte, auch wurde gemunkelt, er habe genaue Befehle erhalten, das furchtbare Räubervolk energisch zu bekämpfen, und sollte so viel abgeschnittene Turkmenenköpfe nach Teheran schicken, bis man damit eine Pyramide vor dem königlichen Schlosse aufrichten könne. »Ihr könnt von Glück sagen,« fügte der Maultiertreiber hinzu, »daß Euch der Kopf noch auf den Schultern sitzt. Wären Eure Haare blond und Eure Augen klein und geschlitzt, Ihr wäret nicht mehr am Leben, und Euer Kopf, auf eine Lanze gespießt, würde als ein Turkmenenschädel ausgegeben.«

Als wir abends eine zerfallene Karawanserei am Wüstenrande erreicht hatten, um dort zu nächtigen, entschloß ich mich, mir die Erlaubnis zu verschaffen, beim Prinzen vorgelassen zu werden, von ihm mein Pferd, meine Waffen und mein Geld zurückzufordern, das ich skrupellos als mein Eigentum betrachtete, wenn schon eine gewisse innere Stimme mir leise zuraunte, der Räuber meines Geldes besäße ebensoviel Recht darauf als ich selbst. Die Zeit vor dem Abendgebete bot die beste Gelegenheit zu meinem Vorhaben. Der Prinz saß auf einem Teppiche, in weiche Kissen gelehnt auf der Terrasse vor der Karawanserei. Ehe die Höflinge Zeit gefunden, mich wegzujagen, rief ich: » Ärsi daram«. Der Prinz befahl mir, näher zu treten und fragte nachlässig nach meinem Begehren. Ich klagte über die unwürdige Behandlung seiner Diener, die mich gefangen genommen, meines Pferdes, meiner Waffen und meiner fünfzig Dukaten beraubt hätten, und bat ihn, mir mein Eigentum wieder einhändigen zu lassen. Sofort befahl er seiner Umgebung, jene Leute, die mich gefangen genommen, zu rufen, und ließ sie durch seinen Zeltbauer vorführen. Als sie nahten, erkannte ich alsbald die Schuldigen. »Ihr Hundessöhne,« schrie er sie an, »wo ist das Geld, das ihr diesem Manne gestohlen habt?«

»Wir nahmen ihm nichts,« riefen sie einmütig.

»Das werden wir bald herausbringen,« antwortete der Prinz.

»Ruft die Färrasche,« sagte er zu einem der Begleiter, »sie sollen diesen Halunken die Fußsohlen so lange bearbeiten, bis die Dukaten zum Vorschein kommen!«

Unverzüglich wurden ihre Füße in Schlingen gelegt und diese hochgezogen. Schon nach wenigen kräftigen Hieben bekannten die Diebe und brachten alsbald das Geld zur Stelle. Der Prinz zählte es sorgsam, legte es unter das Kissen, auf dem er saß, und entließ die Schuldigen. Zu mir aber sprach er mit lauter Stimme und einer gnädigen Handbewegung: »Ihr seid entlassen!« Hilflos stand ich da, sperrte den Mund weit auf und wartete auf mein Geld. Da packte mich der Zeremonienmeister bei der Schulter und stieß mich zur Seite. »Und wo bleibt mein Geld?« rief ich entsetzt.

»Was sagt er,« schrie der Prinz – »gebt ihm den Schuh, wenn er nochmals wagt, den Mund aufzutun.«

Der Zeremonienmeister zog seinen grünen, hohen Pantoffel aus, schlug mir mit dem eisenbeschlagenen Absatz auf den Mund und meinte: »Du Hund wagst es, in dieser Weise mit einem Königssohne zu reden? Ziehe in Frieden, halte deine Augen offen, oder wir schneiden dir die Ohren ab.« Dann stießen und zerrten sie mich mit Gewalt fort.

An Leib und Seele zerschlagen und ganz verzweifelt suchte ich den Maultiertreiber auf, den mein trauriger Bericht keineswegs in Staunen setzte. »Wie konntet Ihr denn Besseres erwarten?« meinte er; »ist er denn nicht schließlich ein Prinz? Hat dieser oder irgendein anderer hochgestellter Mann einmal etwas in Besitz genommen, wird er es niemals zurückgeben. Ebensowenig als ein Maultier einen frischen Grasbüschel, den es bereits kaut, wieder loslassen wird, ebensowenig könnt Ihr von einem Prinzen erwarten, daß er Geld, das er einmal errafft hat, zurückerstattet.«

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de