Fünfzehntes Kapitel - Hadschi zieht sich geschickt aus
verwickelten Angelegenheiten
Ich hatte mich dahin entschieden, die Ankunft des Poeten
abzuwarten, wollte versuchen, durch seine Fürsprache
irgendeine Anstellung zu erlangen, die mir nicht nur ein
ehrliches Auskommen sicherte, sondern auch die Möglichkeit
bot, es im Leben vorwärts zu bringen, ohne wie bisher
gezwungen zu sein, meine Zuflucht zu Kniffen und Betrügereien
zu nehmen. Ich hatte es wirklich gründlich satt, mich mit dem
großen Haufen der Niedrigen und Gemeinen herumzubalgen, sah
vor mir zahlreiche Beispiele von Emporkömmlingen, die es nicht
nur zu Ehren, sondern auch zu Reichtum gebracht hatten, ohne
sich einer vornehmeren Herkunft zu erfreuen als ich, und malte
mir im Vorgefühle meiner einstigen Größe jetzt schon aus, wie
ich mich als Großwesir benehmen würde. »War denn«, sagte ich
mir, »der größte Günstling des Schahs, Ismael Bey, genannt der
Goldene, etwa etwas anderes als ein Färrasch oder ein
Zeltbauer? Er ist weder schöner noch redegewandter als ich.
Sollte sich aber je eine Gelegenheit bieten, unsere Reitkünste
zu vergleichen, so denke ich denn doch, daß einer, der bei den
Turkmenen aufwuchs, ihm trotz seines Renommees zeigen könnte,
was man unter Reiten versteht. Gut – und der allbekannte
Großschatzmeister, der die Truhen des Schahs mit Gold füllt
und darüber der eigenen nicht vergißt: wer und was war er? Ich
meine, der Sohn eines Barbiers wäre dem eines Gemüsehändlers
ebenbürtig, in unserm besonderen Falle aber noch um ein gut
Teil besser; denn ich kann lesen und schreiben, während seine
Exzellenz weder des einen noch des anderen mächtig sein soll.
Er ißt und trinkt, was ihn freut, zieht jeden Tag ein neues
Gewand an, hat nach dem Schah die Wahl unter allen Schönen
Persiens – und alles dies, ohne die Hälfte meines Verstandes
und meiner Gewandtheit zu besitzen. Wollte man auf das Gerede
der Leute hören, müßte man glauben, er sei so dumm wie zwei
Esel.« Ich saß ganz in solche Betrachtungen vertieft, den
Rücken gegen eine Mauer gelehnt, auf einem der bevölkertsten
Wege, die zu den Toren des königlichen Palastes führen, und
hatte meine Einbildungskraft durch die Aussichten auf meine
künftige Größe so erhitzt, daß ich beim Aufstehen und Weggehen
instinktiv die Menge von mir wegstieß, als wäre ich jetzt
schon der große Mann, der allgemeine Hochachtung beanspruchen
könnte. Einige glotzten mich erstaunt an, andere beschimpften
mich oder hielten mich für närrisch. Als ich mich jedoch auf
mich selbst besann, mein bettlerhaftes Aussehen und meine
zerlumpten Kleider betrachtete, konnte ich mich in der Tat ob
meiner eigenen Tollheit sowie des Erstaunens der Menge des
Lachens nicht enthalten, ging daraufhin geradewegs in den
Kleiderbasar mit der bestimmten Absicht, mich mit neuen
standesgemäßen Gewändern auszustaffieren und damit den ersten
Schritt zur Neugestaltung meines Lebensweges zu tun. Als ich
mir einen Weg durchs Gedränge bahnte, wurde ich durch drei
heftig streitende Männer aufgehalten, die sich ungewöhnlich
wütend beschimpften. Ich versuchte, die Mauer der Neugierigen,
die sie umstanden, zu durchbrechen, entdeckte aber zu meinem
größten Schrecken den Eilboten, den ich so angeführt, wie er,
von einem Bauern unterstützt, den Pferdehändler anpackte und
ihn gerade von dem Pferde, was ich ihm verkauft hatte, mit
Gewalt herunterriß.
»Das ist ja mein Pferd!« sagte der Bauer.
»Das ist mein Sattel!« sagte der Eilbote.
»Nein, alles gehört mir,« schrie der Pferdehändler.
Ich erkannte sofort, welche Gefahr mir drohte, und wollte
mich gerade rasch aus dem Staube machen, als mich schon der
Pferdehändler beim Gürtel packte und schrie: »Von diesem Manne
hier habe ich das Pferd gekauft!« – Im Augenblick, als mich
der Eilbote wiedererkannte, entlud sich mit fast
überwältigender Heftigkeit die ganze Gewalt des Streites wie
eine schwere Gewitterwolke über meinem Haupte. Die
unbarmherzigen Bezeichnungen: Schurke! Betrüger! Schwindler!
gellten mir in den Ohren. »Wo ist mein Pferd?« schrie der
eine. »Gebt mir meinen Sattel!« klagte der zweite. »Gebt mir
mein Geld wieder!« krächzte der dritte. »Führt ihn zum Kadi!«
brüllte die Menge. – Umsonst versuchte ich durch Kreischen,
Schwören und trotzigen Hohn, umsonst durch erdenklichste Milde
und Freundlichkeit zu Worte zu kommen. – Die ersten zehn
Minuten schrie alles wie besessen durcheinander, denn jeder
brachte seine Klagen zu gleicher Zeit vor. Der Eilbote war vor
Wut außer Rand und Band, der Bauer stöhnte ob der
Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren, der Pferdehändler
schleuderte mir alle erdenklichen Schimpfworte ins Gesicht,
weil ich ihn seines Geldes beraubt hätte. Zuerst sprach ich
mit dem einen, beschwatzte dann den andern und überschrie
endlich mit ungeheurer Anstrengung den dritten.
Dem Eilboten sagte ich: »Warum wütest du so? Hier ist dein
Sattel in tadelloser Verfassung, was willst du denn mehr?«
Dem Bauer rief ich zu: »Wie würdest du wohl toben, wenn
dein Pferd krepiert wäre? Nimm es, mache, daß du fortkommst
und sage Allah Dank, daß alles nicht schlimmer ist.«
Was nun den Pferdehändler anbelangte, so schmähte ich ihn
mit der ganzen Bitterkeit eines Mannes, der sich um sein
Eigentum betrogen sieht. »Glaubst du wirklich, du habest das
Recht, zu sagen, du seiest hintergangen worden? Nur die Hälfte
des Preises hast du mir bezahlt, für die andere wolltest du
mich mit einem halbkrepierten Esel betrügen!« – Ich war
erbötig, ihm das Geld zurückzuerstatten, er schlug es aus,
bestand aber darauf, ich müßte ihm die Wartung des Pferdes
vergüten. Dies zeitigte einen neuen Zwist, wobei von beiden
Seiten Beweisgründe erbracht wurden, die keine Partei
überzeugten; wir begaben uns darum unverzüglich zum Darughe
oder Polizeibeamten, der den Streit zwischen uns entscheiden
sollte.
Wir fanden ihn auf seinem Posten von seinen Unterbeamten
umgeben, die lange Stöcke in Bereitschaft hielten, um dem
ersten Übertreter des Gesetzes die Bastonade aufzuerlegen. Ich
erklärte den Fall, setzte alle Umstände auseinander und
betonte sehr nachdrücklich die klar zutage tretende Absicht
des Pferdehändlers, mich zu betrügen. Dieser erwiderte mir, da
es sich um ein gestohlenes Pferd handle, das nicht sein
Eigentum sei, wäre er nicht verpflichtet, für dessen Unterhalt
zu sorgen.
Der Fall verwirrte den Darughe oder Polizeibeamten in so
hohem Maße, daß er die Vermittlung abwies und nahe daran war,
uns vor den Richterstuhl des Kadi zu verweisen, als ein alter,
gebrechlicher Mann unter den Zuschauern sagte: »Warum macht
ihr in einem so einfachen Falle so viele Schwierigkeiten? Der
Pferdehändler soll dem Hadschi die andere Hälfte des
Kaufpreises bezahlen, dann soll der Hadschi den Unterhalt des
Pferdes erlegen!«
Da riefen alle: »Barik Allah! – Barik Allah! Gott sei
gepriesen!« – Ob mit Recht oder Unrecht, alle schienen von der
scheinbaren Gerechtigkeit so überzeugt, daß der Darughe uns
entließ und betonte, wir möchten Frieden halten.
Ich säumte keinen Augenblick, dem Pferdehändler den
Futterpreis zu erstatten. Kaum aber hatte ich mir, als wir
handelseinig geworden, alles von ihm bescheinigen lassen,
begann er über die Vorteile, die ihm aus diesem Abkommen
erwüchsen, nachzugrübeln. Die Frage, warum er, der nun den
halben oder ganzen Kaufpreis für das Pferd bezahlt habe, zwar
ein Anrecht auf das Futtergeld, aber nicht auf das Tier selbst
haben sollte, stürzte ihn in eine ganz außerordentliche
Verwirrung. Jetzt hielt er sich ausnahmsweise für den
Geprellten, dessen Wut sich glücklicherweise nicht gegen mich,
sondern den Darughe richtete, den er ungeniert für einen
verrückten Faselhans erklärte, der ebensowenig einen Anspruch
auf Rechtskundigkeit erheben könnte, als er auf
Rechtschaffenheit.