Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Fünfzehntes Kapitel - Hadschi zieht sich geschickt aus verwickelten Angelegenheiten

Ich hatte mich dahin entschieden, die Ankunft des Poeten abzuwarten, wollte versuchen, durch seine Fürsprache irgendeine Anstellung zu erlangen, die mir nicht nur ein ehrliches Auskommen sicherte, sondern auch die Möglichkeit bot, es im Leben vorwärts zu bringen, ohne wie bisher gezwungen zu sein, meine Zuflucht zu Kniffen und Betrügereien zu nehmen. Ich hatte es wirklich gründlich satt, mich mit dem großen Haufen der Niedrigen und Gemeinen herumzubalgen, sah vor mir zahlreiche Beispiele von Emporkömmlingen, die es nicht nur zu Ehren, sondern auch zu Reichtum gebracht hatten, ohne sich einer vornehmeren Herkunft zu erfreuen als ich, und malte mir im Vorgefühle meiner einstigen Größe jetzt schon aus, wie ich mich als Großwesir benehmen würde. »War denn«, sagte ich mir, »der größte Günstling des Schahs, Ismael Bey, genannt der Goldene, etwa etwas anderes als ein Färrasch oder ein Zeltbauer? Er ist weder schöner noch redegewandter als ich. Sollte sich aber je eine Gelegenheit bieten, unsere Reitkünste zu vergleichen, so denke ich denn doch, daß einer, der bei den Turkmenen aufwuchs, ihm trotz seines Renommees zeigen könnte, was man unter Reiten versteht. Gut – und der allbekannte Großschatzmeister, der die Truhen des Schahs mit Gold füllt und darüber der eigenen nicht vergißt: wer und was war er? Ich meine, der Sohn eines Barbiers wäre dem eines Gemüsehändlers ebenbürtig, in unserm besonderen Falle aber noch um ein gut Teil besser; denn ich kann lesen und schreiben, während seine Exzellenz weder des einen noch des anderen mächtig sein soll. Er ißt und trinkt, was ihn freut, zieht jeden Tag ein neues Gewand an, hat nach dem Schah die Wahl unter allen Schönen Persiens – und alles dies, ohne die Hälfte meines Verstandes und meiner Gewandtheit zu besitzen. Wollte man auf das Gerede der Leute hören, müßte man glauben, er sei so dumm wie zwei Esel.« Ich saß ganz in solche Betrachtungen vertieft, den Rücken gegen eine Mauer gelehnt, auf einem der bevölkertsten Wege, die zu den Toren des königlichen Palastes führen, und hatte meine Einbildungskraft durch die Aussichten auf meine künftige Größe so erhitzt, daß ich beim Aufstehen und Weggehen instinktiv die Menge von mir wegstieß, als wäre ich jetzt schon der große Mann, der allgemeine Hochachtung beanspruchen könnte. Einige glotzten mich erstaunt an, andere beschimpften mich oder hielten mich für närrisch. Als ich mich jedoch auf mich selbst besann, mein bettlerhaftes Aussehen und meine zerlumpten Kleider betrachtete, konnte ich mich in der Tat ob meiner eigenen Tollheit sowie des Erstaunens der Menge des Lachens nicht enthalten, ging daraufhin geradewegs in den Kleiderbasar mit der bestimmten Absicht, mich mit neuen standesgemäßen Gewändern auszustaffieren und damit den ersten Schritt zur Neugestaltung meines Lebensweges zu tun. Als ich mir einen Weg durchs Gedränge bahnte, wurde ich durch drei heftig streitende Männer aufgehalten, die sich ungewöhnlich wütend beschimpften. Ich versuchte, die Mauer der Neugierigen, die sie umstanden, zu durchbrechen, entdeckte aber zu meinem größten Schrecken den Eilboten, den ich so angeführt, wie er, von einem Bauern unterstützt, den Pferdehändler anpackte und ihn gerade von dem Pferde, was ich ihm verkauft hatte, mit Gewalt herunterriß.

»Das ist ja mein Pferd!« sagte der Bauer.

»Das ist mein Sattel!« sagte der Eilbote.

»Nein, alles gehört mir,« schrie der Pferdehändler.

Ich erkannte sofort, welche Gefahr mir drohte, und wollte mich gerade rasch aus dem Staube machen, als mich schon der Pferdehändler beim Gürtel packte und schrie: »Von diesem Manne hier habe ich das Pferd gekauft!« – Im Augenblick, als mich der Eilbote wiedererkannte, entlud sich mit fast überwältigender Heftigkeit die ganze Gewalt des Streites wie eine schwere Gewitterwolke über meinem Haupte. Die unbarmherzigen Bezeichnungen: Schurke! Betrüger! Schwindler! gellten mir in den Ohren. »Wo ist mein Pferd?« schrie der eine. »Gebt mir meinen Sattel!« klagte der zweite. »Gebt mir mein Geld wieder!« krächzte der dritte. »Führt ihn zum Kadi!« brüllte die Menge. – Umsonst versuchte ich durch Kreischen, Schwören und trotzigen Hohn, umsonst durch erdenklichste Milde und Freundlichkeit zu Worte zu kommen. – Die ersten zehn Minuten schrie alles wie besessen durcheinander, denn jeder brachte seine Klagen zu gleicher Zeit vor. Der Eilbote war vor Wut außer Rand und Band, der Bauer stöhnte ob der Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren, der Pferdehändler schleuderte mir alle erdenklichen Schimpfworte ins Gesicht, weil ich ihn seines Geldes beraubt hätte. Zuerst sprach ich mit dem einen, beschwatzte dann den andern und überschrie endlich mit ungeheurer Anstrengung den dritten.

Dem Eilboten sagte ich: »Warum wütest du so? Hier ist dein Sattel in tadelloser Verfassung, was willst du denn mehr?«

Dem Bauer rief ich zu: »Wie würdest du wohl toben, wenn dein Pferd krepiert wäre? Nimm es, mache, daß du fortkommst und sage Allah Dank, daß alles nicht schlimmer ist.«

Was nun den Pferdehändler anbelangte, so schmähte ich ihn mit der ganzen Bitterkeit eines Mannes, der sich um sein Eigentum betrogen sieht. »Glaubst du wirklich, du habest das Recht, zu sagen, du seiest hintergangen worden? Nur die Hälfte des Preises hast du mir bezahlt, für die andere wolltest du mich mit einem halbkrepierten Esel betrügen!« – Ich war erbötig, ihm das Geld zurückzuerstatten, er schlug es aus, bestand aber darauf, ich müßte ihm die Wartung des Pferdes vergüten. Dies zeitigte einen neuen Zwist, wobei von beiden Seiten Beweisgründe erbracht wurden, die keine Partei überzeugten; wir begaben uns darum unverzüglich zum Darughe oder Polizeibeamten, der den Streit zwischen uns entscheiden sollte.

Wir fanden ihn auf seinem Posten von seinen Unterbeamten umgeben, die lange Stöcke in Bereitschaft hielten, um dem ersten Übertreter des Gesetzes die Bastonade aufzuerlegen. Ich erklärte den Fall, setzte alle Umstände auseinander und betonte sehr nachdrücklich die klar zutage tretende Absicht des Pferdehändlers, mich zu betrügen. Dieser erwiderte mir, da es sich um ein gestohlenes Pferd handle, das nicht sein Eigentum sei, wäre er nicht verpflichtet, für dessen Unterhalt zu sorgen.

Der Fall verwirrte den Darughe oder Polizeibeamten in so hohem Maße, daß er die Vermittlung abwies und nahe daran war, uns vor den Richterstuhl des Kadi zu verweisen, als ein alter, gebrechlicher Mann unter den Zuschauern sagte: »Warum macht ihr in einem so einfachen Falle so viele Schwierigkeiten? Der Pferdehändler soll dem Hadschi die andere Hälfte des Kaufpreises bezahlen, dann soll der Hadschi den Unterhalt des Pferdes erlegen!«

Da riefen alle: »Barik Allah! – Barik Allah! Gott sei gepriesen!« – Ob mit Recht oder Unrecht, alle schienen von der scheinbaren Gerechtigkeit so überzeugt, daß der Darughe uns entließ und betonte, wir möchten Frieden halten.

Ich säumte keinen Augenblick, dem Pferdehändler den Futterpreis zu erstatten. Kaum aber hatte ich mir, als wir handelseinig geworden, alles von ihm bescheinigen lassen, begann er über die Vorteile, die ihm aus diesem Abkommen erwüchsen, nachzugrübeln. Die Frage, warum er, der nun den halben oder ganzen Kaufpreis für das Pferd bezahlt habe, zwar ein Anrecht auf das Futtergeld, aber nicht auf das Tier selbst haben sollte, stürzte ihn in eine ganz außerordentliche Verwirrung. Jetzt hielt er sich ausnahmsweise für den Geprellten, dessen Wut sich glücklicherweise nicht gegen mich, sondern den Darughe richtete, den er ungeniert für einen verrückten Faselhans erklärte, der ebensowenig einen Anspruch auf Rechtskundigkeit erheben könnte, als er auf Rechtschaffenheit.

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