Neunzehntes Kapitel - Hadschi beim fränkischen Arzte
Ich erfragte, wo der Gesandte wohne, und machte, um die
Wünsche des Doktors zu erfüllen, alle Anstalten, mich
womöglich schon auf der Straße vor inneren Qualen zu krümmen,
überlegte mir aber doch, man könne sich nicht so leichten
Kaufes im Handumdrehen heftiges Bauchgrimmen anschaffen. Wenn
auch Lattich und Gurken einem alten Großwesir unbekömmlich
sein mochten, so war hundert gegen eins zu wetten, ein
gesunder junger Mensch wie ich würde sie herrlich verdauen.
Gleichviel, ich war fest entschlossen, sollte es mir nicht
glücken, die Pille auf geradem Wege zu erlangen, ihrer durch
eine Kriegslist habhaft zu werden. Ich überlegte mir, daß,
heuchelte ich Krankheit, mich der Doktor doch bald
durchschauen und als Betrüger zum Hause hinauswerfen würde,
darum schien mir der Ausweg, mich als Diener des königlichen
Harems auszugeben, weit sympathischer; auch eine geschickt
erfundene Geschichte konnte mich vielleicht zum Ziele führen.
In dieser Absicht betrat ich im Basar einen Laden, voll von
alten Kleidern, borgte mir einen Mantel, wie ihn die Schreiber
tragen, ersetzte den Dolch im Gürtel durch eine Papierrolle
und schmeichelte mir, weit vornehmer auszusehen als ein
gewöhnlicher Diener. Bald stand ich vor dem Hause des
Botschafters, erwog alles, was mir Mirza Ahmak gesagt hatte,
und Furcht und Zaudern erfüllten mich, als ich der Behausung
des Arztes näher kam. In der Allee, die dahin führte, drängten
sich Weiber mit Kindern auf den Armen, die, wie man mir sagte,
das neumodische Schutzmittel gegen die schwarzen Blattern in
Empfang nehmen wollten. Man vermutete, die Franken hätten
politische Gründe, sich der Verbreitung dieser Sache so warm
anzunehmen; und dem Arzte, der unentgeltlich behandelte,
mangelte es darum niemals an Patienten, besonders nicht an
ärmeren, die einem persischen Doktor nur nahe kommen durften,
wenn dieser einer guten Bezahlung sicher war oder er das
Geschenk schon in ihren Händen sah. Bei meinem Eintritte
erblickte ich in der Mitte des Zimmers einen Mann, neben einer
besonders hohen Plattform (Tisch) sitzen, auf der eine Masse
Bücher, Flaschen und Instrumente aufgetürmt waren, deren Zweck
ich nicht begriff. Einen so merkwürdig aussehenden und
befremdlich gekleideten Europäer hatte ich noch niemals zu
Gesicht bekommen. Auf seinem Kinn und der Oberlippe konnte
man, ganz wie bei einem Eunuchen, auch nicht die leiseste Spur
eines Haares entdecken. Der Kopf war höchst unpassenderweise
unbedeckt, um seinen Hals schlang sich eine hohe Binde, an
deren Seiten zwei weiße, steife, spitz zulaufende
Leinwandzipfel angebracht waren, als trachte er, durch diese
lächerliche Erfindung eine Wunde oder Krankheit seiner Backen
zu verbergen. Die Kleider umspannten seinen Oberkörper
möglichst straff, das hintere Ende seines Oberrockes war in
zwei fast spitze Dreiecke zugeschnitten, so daß ich daraus
ersehen konnte, welch ein teurer und rarer Artikel das Tuch in
seinem Lande sein müsse. Den unteren Teil seines Anzuges fand
ich ganz unstatthaft. Ferner trug er ohne Rücksicht auf den
schönen Teppich unter seinen Füßen, was jede Wohlanständigkeit
und gute Sitte geradezu auf den Kopf stellte, Stiefeln im
Zimmer!
Sobald er mich erblickt hatte, fragte er in persischer
Sprache, wie es mir ginge, und sagte, heute sei schönes
Wetter, – eine klar zutage tretende Wahrheit, die ich sofort
bestätigte. Ich dachte mir dann, daß es nun an der Zeit sei,
einige schöne Redensarten anzubringen, erzählte ihm, welch
großen Rufes er sich in Persien erfreue, daß Lukman, mit ihm verglichen, nur ein Dummkopf sei, die einheimischen
Ärzte aber zu ungeschickt, ihm nur das Wasser zu reichen. Als
er darauf nicht antwortete, sagte ich ferner, der Schah habe,
als er von der Wunderkur beim Großwesir Kenntnis erhielt,
persönlich seinen Geschichtschreibern anbefohlen, dieses
Vorkommnis als eine der denkwürdigsten Begebenheiten in den
Annalen des Reiches zu verzeichnen; diese Sache habe im Harem
Seiner Majestät großes Aufsehen erregt, so daß viele der Damen
plötzlich erkrankt seien und danach schmachteten, seine
Geschicklichkeit ebenfalls zu erproben, daß des Schahs
georgische Lieblingssklavin in der Tat im Augenblicke sehr
leidend wäre und mich der Obereunuch – auf speziellen Befehl
des Schahs – hierhergeschickt habe, um eine Probe der
berühmten Arzenei zu holen. Ich endete meine lange Rede mit
dem Ersuchen, mir nur eine kleine Dosis davon gleich
mitzugeben. Er schien über meine Worte nachzusinnen und sagte
nach einiger Zeit des Überlegens, es sei ganz gegen seine
Gepflogenheit, einem Patienten ungesehen Arzenei zu
verabreichen, daraus entstände leicht mehr Schaden wie Nutzen;
sollte die Sklavin aber seines ärztlichen Beistandes
benötigen, würde er sich glücklich schätzen, sie behandeln zu
dürfen. Das Gesicht der georgischen Sklavin zu sehen,
antwortete ich, sei unmöglich, diese Freiheit sei keinem
Manne, mit Ausnahme des Eheherrn, gestattet. In sehr
dringenden Fallen würde einem Arzte allenfalls erlaubt, einer
Frau den Puls zu fühlen, aber dann müßte ihre Hand ein
Schleier verhüllen.
Worauf mir der Franke antwortete: »Nicht nur den Puls muß
ich fühlen, sondern auch die Zunge eines Patienten sehen, ehe
ich seinen Zustand beurteilen kann.«
»Die Zunge anzusehen, ist etwas in Persien vollkommen
Neues,« sagte ich. »Dieser Anblick wird Euch, das weiß ich
sicher, im königlichen Serail ohne besonderen Befehl des
Schahs niemals gestattet werden, lieber ließe sich der
Obereunuch die Zunge zuerst herausschneiden.«
»Schon gut,« antwortete der Doktor, »bedenket wohl, daß ich
Euch die Arzenei verabfolge, ohne irgendeine Verantwortung für
ihre Wirkung zu übernehmen; sie kann heilen, vielleicht auch
töten.«
Als ich ihm die Zusicherung gab, daß ihm daraus weder
Schaden noch Unannehmlichkeiten erwachsen könnten, öffnete er
eine große Truhe, die voll von Drogen zu sein schien, nahm
ganz wenig von einem gewissen weißen Pulver, drehte mit etwas
Brot eine Pille daraus, wickelte diese in ein Papier und
übergab es mir mit der genauen Anweisung, wie sie zu nehmen
sei. Als ich merkte, er mache keinerlei Geheimnis aus seinem
Wissen, begann ich, ihn vorsichtig über die spezielle
Beschaffenheit und Eigenschaft dieses Mittels auszufragen, und
erkundigte mich dann über seine ärztlichen Erfahrungen im
allgemeinen. Ganz im Gegensatze zu unseren persischen Ärzten,
die nur durch schöne Worte glänzen und jedes Leiden, das ihnen
vorkommt, so auslegen, wie sie es in ihrem Galenus,
Hippokrates und Avicenna lesen, antwortete er mir in der
unbefangensten Weise. Kaum hatte ich alles erfahren, was ich
wissen wollte, ging ich unter vielen Freundschafts- und
Höflichkeitsbezeugungen fort und eilte zu Mirza Ahmak, der
mich zweifelsohne mit der größten Ungeduld erwartete. Meines
geborgten Mantels ledig, erschien ich vor ihm, setzte eine den
Umständen entsprechende Miene auf, weil mir daran lag, ihn
glauben zu lassen, Lattich und Gurken hätten schon furchtbar
gewirkt. Bei jedem Worte heuchelte ich Krämpfe sowie die
unglaublichsten Schmerzen und spielte meine Rolle so
wahrheitsgetreu, daß selbst die kalte und unbeugsame Natur
Ahmaks ein gewisses Mitleid erfaßte.
»Hier! – hier!« rief ich, als ich eintrat – »im Namen
Allahs, nehmt Eure Beute!« krümmte mich ganz zusammen, schnitt
abscheuliche Grimassen und stieß dumpfe Seufzer aus. – »Hier!
– ich vollführte Euren Befehl und gebe mich Eurer Großmut
anheim.«
Er versuchte, mir den so heißersehnten Gegenstand zu
entreißen. Ich aber umschloß krampfhaft das Papier und ließ
ihn deutlich merken, ich würde die Pille verschlucken, wenn er
mir nicht sofort eine Belohnung in die Hand drückte. Ahmak war
von solcher Angst beseelt, dem Schah nicht die gewünschte
Auskunft geben zu können, und so schrecklich ungeduldig, die
Pille zu erlangen, daß er mir ein Goldstück in die Hand
drückte und demütiger als ein Geliebter um die Liebe der
Angebeteten um das Papier in meiner Hand warb. Zwar reizte es
mich, die Komödie noch länger zu spielen, um ein weiteres
Goldstück zu erringen, fand aber, als ich sah, daß Ahmak mir
selbst etwas zur Linderung meiner Qualen zusammenbraute, es
sei höchste Zeit, der Sache ein Ende zu machen, schützte
momentane Besserung vor und ließ meine Beute fahren. Er
betrachtete die eroberte Pille mit gespanntester
Aufmerksamkeit, drehte sie auf der Handfläche rundum und
schien um kein Haar klüger wie zuvor. Endlich, nachdem er sich
in tausend Mutmaßungen erschöpft hatte, gestand ich, der
fränkische Doktor habe mir ganz offen gesagt, sie bestände aus
Dschiwe oder Quecksilber.
»Wahrhaftig, Quecksilber!« rief Mirza Ahmak. »Habe ich es
nicht gleich gesagt! Und weil es diesem Hund von einem Isavi einfällt, uns mit Quecksilber zu vergiften, soll ich
meinen Ruf verlieren und meine Rezepte sollen verlacht werden?
Wer hat je Quecksilber als Arznei angesehen? Quecksilber ist
kalt, Lattich und Gurken sind ebenfalls kalt. Mit Eis wird
niemand Eis zu schmelzen versuchen. – Dieser Esel kennt nicht
einmal die ersten Anfangsgründe unserer Wissenschaft. Nein,
Hadschi, so darf das nicht weitergehen – wir können nicht
zugeben, daß uns so mitgespielt wird.« Er fuhr noch lange
fort, seinen Rivalen mit einer Flut von Schimpfworten zu
beehren, und hätte sicher noch kein Ende gefunden, wäre er
nicht durch einen Abgesandten des Schahs zur sofortigen
Audienz befohlen worden. In eiliger Bestürzung warf er sich in
sein Hofkleid, vertauschte seine gewöhnliche schwarze
Lammfellmütze mit einer, die mit einem Schal umwunden wurde,
schlüpfte rasch in seine roten Tuchsocken, rief nach seinem
Pferde und ritt hastig in tiefer Besorgnis, wie die Audienz
verlaufen würde, samt der Pille von dannen.