Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Neunzehntes Kapitel - Hadschi beim fränkischen Arzte

Ich erfragte, wo der Gesandte wohne, und machte, um die Wünsche des Doktors zu erfüllen, alle Anstalten, mich womöglich schon auf der Straße vor inneren Qualen zu krümmen, überlegte mir aber doch, man könne sich nicht so leichten Kaufes im Handumdrehen heftiges Bauchgrimmen anschaffen. Wenn auch Lattich und Gurken einem alten Großwesir unbekömmlich sein mochten, so war hundert gegen eins zu wetten, ein gesunder junger Mensch wie ich würde sie herrlich verdauen. Gleichviel, ich war fest entschlossen, sollte es mir nicht glücken, die Pille auf geradem Wege zu erlangen, ihrer durch eine Kriegslist habhaft zu werden. Ich überlegte mir, daß, heuchelte ich Krankheit, mich der Doktor doch bald durchschauen und als Betrüger zum Hause hinauswerfen würde, darum schien mir der Ausweg, mich als Diener des königlichen Harems auszugeben, weit sympathischer; auch eine geschickt erfundene Geschichte konnte mich vielleicht zum Ziele führen. In dieser Absicht betrat ich im Basar einen Laden, voll von alten Kleidern, borgte mir einen Mantel, wie ihn die Schreiber tragen, ersetzte den Dolch im Gürtel durch eine Papierrolle und schmeichelte mir, weit vornehmer auszusehen als ein gewöhnlicher Diener. Bald stand ich vor dem Hause des Botschafters, erwog alles, was mir Mirza Ahmak gesagt hatte, und Furcht und Zaudern erfüllten mich, als ich der Behausung des Arztes näher kam. In der Allee, die dahin führte, drängten sich Weiber mit Kindern auf den Armen, die, wie man mir sagte, das neumodische Schutzmittel gegen die schwarzen Blattern in Empfang nehmen wollten. Man vermutete, die Franken hätten politische Gründe, sich der Verbreitung dieser Sache so warm anzunehmen; und dem Arzte, der unentgeltlich behandelte, mangelte es darum niemals an Patienten, besonders nicht an ärmeren, die einem persischen Doktor nur nahe kommen durften, wenn dieser einer guten Bezahlung sicher war oder er das Geschenk schon in ihren Händen sah. Bei meinem Eintritte erblickte ich in der Mitte des Zimmers einen Mann, neben einer besonders hohen Plattform (Tisch) sitzen, auf der eine Masse Bücher, Flaschen und Instrumente aufgetürmt waren, deren Zweck ich nicht begriff. Einen so merkwürdig aussehenden und befremdlich gekleideten Europäer hatte ich noch niemals zu Gesicht bekommen. Auf seinem Kinn und der Oberlippe konnte man, ganz wie bei einem Eunuchen, auch nicht die leiseste Spur eines Haares entdecken. Der Kopf war höchst unpassenderweise unbedeckt, um seinen Hals schlang sich eine hohe Binde, an deren Seiten zwei weiße, steife, spitz zulaufende Leinwandzipfel angebracht waren, als trachte er, durch diese lächerliche Erfindung eine Wunde oder Krankheit seiner Backen zu verbergen. Die Kleider umspannten seinen Oberkörper möglichst straff, das hintere Ende seines Oberrockes war in zwei fast spitze Dreiecke zugeschnitten, so daß ich daraus ersehen konnte, welch ein teurer und rarer Artikel das Tuch in seinem Lande sein müsse. Den unteren Teil seines Anzuges fand ich ganz unstatthaft. Ferner trug er ohne Rücksicht auf den schönen Teppich unter seinen Füßen, was jede Wohlanständigkeit und gute Sitte geradezu auf den Kopf stellte, Stiefeln im Zimmer!

Sobald er mich erblickt hatte, fragte er in persischer Sprache, wie es mir ginge, und sagte, heute sei schönes Wetter, – eine klar zutage tretende Wahrheit, die ich sofort bestätigte. Ich dachte mir dann, daß es nun an der Zeit sei, einige schöne Redensarten anzubringen, erzählte ihm, welch großen Rufes er sich in Persien erfreue, daß Lukman, mit ihm verglichen, nur ein Dummkopf sei, die einheimischen Ärzte aber zu ungeschickt, ihm nur das Wasser zu reichen. Als er darauf nicht antwortete, sagte ich ferner, der Schah habe, als er von der Wunderkur beim Großwesir Kenntnis erhielt, persönlich seinen Geschichtschreibern anbefohlen, dieses Vorkommnis als eine der denkwürdigsten Begebenheiten in den Annalen des Reiches zu verzeichnen; diese Sache habe im Harem Seiner Majestät großes Aufsehen erregt, so daß viele der Damen plötzlich erkrankt seien und danach schmachteten, seine Geschicklichkeit ebenfalls zu erproben, daß des Schahs georgische Lieblingssklavin in der Tat im Augenblicke sehr leidend wäre und mich der Obereunuch – auf speziellen Befehl des Schahs – hierhergeschickt habe, um eine Probe der berühmten Arzenei zu holen. Ich endete meine lange Rede mit dem Ersuchen, mir nur eine kleine Dosis davon gleich mitzugeben. Er schien über meine Worte nachzusinnen und sagte nach einiger Zeit des Überlegens, es sei ganz gegen seine Gepflogenheit, einem Patienten ungesehen Arzenei zu verabreichen, daraus entstände leicht mehr Schaden wie Nutzen; sollte die Sklavin aber seines ärztlichen Beistandes benötigen, würde er sich glücklich schätzen, sie behandeln zu dürfen. Das Gesicht der georgischen Sklavin zu sehen, antwortete ich, sei unmöglich, diese Freiheit sei keinem Manne, mit Ausnahme des Eheherrn, gestattet. In sehr dringenden Fallen würde einem Arzte allenfalls erlaubt, einer Frau den Puls zu fühlen, aber dann müßte ihre Hand ein Schleier verhüllen.

Worauf mir der Franke antwortete: »Nicht nur den Puls muß ich fühlen, sondern auch die Zunge eines Patienten sehen, ehe ich seinen Zustand beurteilen kann.«

»Die Zunge anzusehen, ist etwas in Persien vollkommen Neues,« sagte ich. »Dieser Anblick wird Euch, das weiß ich sicher, im königlichen Serail ohne besonderen Befehl des Schahs niemals gestattet werden, lieber ließe sich der Obereunuch die Zunge zuerst herausschneiden.«

»Schon gut,« antwortete der Doktor, »bedenket wohl, daß ich Euch die Arzenei verabfolge, ohne irgendeine Verantwortung für ihre Wirkung zu übernehmen; sie kann heilen, vielleicht auch töten.«

Als ich ihm die Zusicherung gab, daß ihm daraus weder Schaden noch Unannehmlichkeiten erwachsen könnten, öffnete er eine große Truhe, die voll von Drogen zu sein schien, nahm ganz wenig von einem gewissen weißen Pulver, drehte mit etwas Brot eine Pille daraus, wickelte diese in ein Papier und übergab es mir mit der genauen Anweisung, wie sie zu nehmen sei. Als ich merkte, er mache keinerlei Geheimnis aus seinem Wissen, begann ich, ihn vorsichtig über die spezielle Beschaffenheit und Eigenschaft dieses Mittels auszufragen, und erkundigte mich dann über seine ärztlichen Erfahrungen im allgemeinen. Ganz im Gegensatze zu unseren persischen Ärzten, die nur durch schöne Worte glänzen und jedes Leiden, das ihnen vorkommt, so auslegen, wie sie es in ihrem Galenus, Hippokrates und Avicenna lesen, antwortete er mir in der unbefangensten Weise. Kaum hatte ich alles erfahren, was ich wissen wollte, ging ich unter vielen Freundschafts- und Höflichkeitsbezeugungen fort und eilte zu Mirza Ahmak, der mich zweifelsohne mit der größten Ungeduld erwartete. Meines geborgten Mantels ledig, erschien ich vor ihm, setzte eine den Umständen entsprechende Miene auf, weil mir daran lag, ihn glauben zu lassen, Lattich und Gurken hätten schon furchtbar gewirkt. Bei jedem Worte heuchelte ich Krämpfe sowie die unglaublichsten Schmerzen und spielte meine Rolle so wahrheitsgetreu, daß selbst die kalte und unbeugsame Natur Ahmaks ein gewisses Mitleid erfaßte.

»Hier! – hier!« rief ich, als ich eintrat – »im Namen Allahs, nehmt Eure Beute!« krümmte mich ganz zusammen, schnitt abscheuliche Grimassen und stieß dumpfe Seufzer aus. – »Hier! – ich vollführte Euren Befehl und gebe mich Eurer Großmut anheim.«

Er versuchte, mir den so heißersehnten Gegenstand zu entreißen. Ich aber umschloß krampfhaft das Papier und ließ ihn deutlich merken, ich würde die Pille verschlucken, wenn er mir nicht sofort eine Belohnung in die Hand drückte. Ahmak war von solcher Angst beseelt, dem Schah nicht die gewünschte Auskunft geben zu können, und so schrecklich ungeduldig, die Pille zu erlangen, daß er mir ein Goldstück in die Hand drückte und demütiger als ein Geliebter um die Liebe der Angebeteten um das Papier in meiner Hand warb. Zwar reizte es mich, die Komödie noch länger zu spielen, um ein weiteres Goldstück zu erringen, fand aber, als ich sah, daß Ahmak mir selbst etwas zur Linderung meiner Qualen zusammenbraute, es sei höchste Zeit, der Sache ein Ende zu machen, schützte momentane Besserung vor und ließ meine Beute fahren. Er betrachtete die eroberte Pille mit gespanntester Aufmerksamkeit, drehte sie auf der Handfläche rundum und schien um kein Haar klüger wie zuvor. Endlich, nachdem er sich in tausend Mutmaßungen erschöpft hatte, gestand ich, der fränkische Doktor habe mir ganz offen gesagt, sie bestände aus Dschiwe oder Quecksilber.

»Wahrhaftig, Quecksilber!« rief Mirza Ahmak. »Habe ich es nicht gleich gesagt! Und weil es diesem Hund von einem Isavi einfällt, uns mit Quecksilber zu vergiften, soll ich meinen Ruf verlieren und meine Rezepte sollen verlacht werden? Wer hat je Quecksilber als Arznei angesehen? Quecksilber ist kalt, Lattich und Gurken sind ebenfalls kalt. Mit Eis wird niemand Eis zu schmelzen versuchen. – Dieser Esel kennt nicht einmal die ersten Anfangsgründe unserer Wissenschaft. Nein, Hadschi, so darf das nicht weitergehen – wir können nicht zugeben, daß uns so mitgespielt wird.« Er fuhr noch lange fort, seinen Rivalen mit einer Flut von Schimpfworten zu beehren, und hätte sicher noch kein Ende gefunden, wäre er nicht durch einen Abgesandten des Schahs zur sofortigen Audienz befohlen worden. In eiliger Bestürzung warf er sich in sein Hofkleid, vertauschte seine gewöhnliche schwarze Lammfellmütze mit einer, die mit einem Schal umwunden wurde, schlüpfte rasch in seine roten Tuchsocken, rief nach seinem Pferde und ritt hastig in tiefer Besorgnis, wie die Audienz verlaufen würde, samt der Pille von dannen.

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