Zwanzigstes Kapitel - Die Wirkung der fränkischen Pille
Die Audienz Mirza Ahmaks hatte am späten Abend
stattgefunden, und gleich nach seiner Rückkehr ließ er mich
rufen.
»Hadschi,« sagte er, »komme ganz nahe zu mir her«, hieß die
andern aus dem Zimmer gehen und flüsterte: »Der ungläubige
Doktor muß auf die eine oder andre Art unschädlich gemacht
werden. Denke nur, was passierte! Der Schah konsultierte ihn,
und dieser Mensch verbrachte eine ganze Stunde bei ihm, ohne
daß man mich davon in Kenntnis setzte. Seine Majestät ließ
mich rufen, um mir das Resultat mitzuteilen; doch nur zu
deutlich merkte ich, welchen Einfluß der Franke bereits
gewonnen hatte. Der Schah, der ihm wohl seine Leiden klagte,
seine Kraftlosigkeit, die alte Atemnot, die mangelhafte
Verdauung, sprach in hochbegeisterten Tönen von dem
Scharfsinne und der Gelehrsamkeit dieses Schurken, der nur
seinen Puls fühlte und seine Zunge besah und, noch ehe er den
Krankenbericht vernahm, sich zu fragen erlaubte, ob Seine
Majestät nicht zu oft heiße Bäder nähme, ob das
starke Rauchen nicht augenblickliche Hustenanfälle verursache,
ob er bei seiner Ernährung nicht besonders scharf gewürzte
Dinge, zu süße Speisen und in Butter schwimmenden Reis
bevorzuge? – Daraufhin gab ihm der Schah drei Tage Zeit, über
seine Krankheit nachzudenken, seine Bücher zu studieren, die
Ansicht sämtlicher fränkischer Gelehrten über diese für den
persischen Staat so wichtigen Dinge zusammenzufassen und ein
Heilmittel zu bereiten, das alles in sich vereinige, um seinem
Körper ungeschmälerte Frische und Gesundheit wiederzugeben.
»Der Mittelpunkt des Weltalls wollte meine Ansicht hören
und bat mich, rückhaltlos meine Meinung über den Charakter und
die Eigentümlichkeiten der Franken im allgemeinen, sowie über
ihre Medikamente zu äußern. Diese herrliche Gelegenheit ließ
ich nicht vorübergehen, um meinen Gefühlen gehörig Luft zu
machen; und nach der üblichen Einleitung meiner Rede sagte ich
dem Schah: er müsse vermöge seiner tiefen Weisheit selbst
erkannt haben, sie seien von Hause aus eine ungläubige und
unreine Rasse, hielten den göttlichen Propheten für einen
Betrüger, äßen Schweinefleisch und tränken ohne Bedenken Wein,
sähen aus wie Weiber, hätten aber Manieren wie Bären, seien
mit der größten Vorsicht zu behandeln, denn ihr Endziel wäre
es, Königreiche wegzunehmen und, wie sie es in Indien getan,
Schahs und Nabobs zu ihren gehorsamen Dienern herabzuwürdigen.
›Und was ihre Medikamente anbetrifft, so möge Allah Eure
Majestät davor bewahren; ihre Wirkungen haben gerade so
verräterische Folgen wie die Politik der Franken; womit wir
den Tod herbeiführen, damit wollen sie Heilung bezwecken. Ihr
Hauptmittel ist Quecksilbers!‹ – und ich zeigte die Pille.
›Wie ich höre, wüten sie rücksichtslos mit ihren
Operationsmessern und sind imstande, einem Patienten das Bein
abzuschneiden, um sein Leben zu retten.‹ Ich entwarf darauf
ein so abschreckendes Bild der verderblichen Folgen der
fränkischen Verordnungen, daß mir der Schah versprach, sie
nicht ohne die erdenklichsten Vorsichtsmaßregeln anzuwenden,
und sollte nun der Franke seine Arznei schicken, so würde ich
zu einer weiteren Besprechung befohlen werden.
»Hadschi,« fuhr der Doktor fort, »der Schah darf die
Arzenei des Franken nicht berühren, denn wenn sie eine gute
Wirkung hätte, wäre ich ein ruinierter Mann. Wer würde dann
noch den armen Mirza Ahmak konsultieren? Diesem Ereignisse muß
vorgebeugt werden, und im Notfalle verschlucke ich lieber alle
Arzneien selber.«
Wir trennten uns mit dem gegenseitigen Versprechen, alles
zu tun, was in unser Macht stände, um dem ungläubigen Doktor
in die Quere zu kommen. Drei Tage später wurde Mirza Ahmak
abermals zum Könige beschieden, um die versprochene
Verordnung, die in einer Schachtel voll Pillen bestand, in
Augenschein zu nehmen. Er ersann natürlich alles mögliche, um
ihre Wirksamkeit verdächtig zu machen, gab einige dunkle
Winke, welche Gefahr es bedeute, irgendeine Arzenei vom
Agenten einer fremden Macht zu nehmen, und verließ den Schah
nicht früher, bis dieser den Entschluß gefaßt hatte, die Sache
seinen Ministern vorzulegen. Am Tage nachher saß der Schah auf
seinem Throne, umgeben von seinem Großwesir, dem
Großschatzmeister, dem Minister des Innern, dem Leibarzte und
andern hohen Persönlichkeiten seines Hofes, als er sich zum
Großwesir wandte, um ihn von der langen Unterredung mit dem
fränkischen Arzte in Kenntnis zu setzen. Er zeigte auch die
Pillenschachtel, welche er ihm nach langem Studium zugeschickt
hatte, die eine solche Wunderwirkung in sich schließe, daß
kein Talisman sich damit vergleichen ließe.
Seine Majestät sagte hierauf, er habe seinen Hakim Baschi
oder Leibarzt zu Rate gezogen, der, besorgt um die Wohlfahrt
des persischen Staates, tief über die Verordnungen des Fremden
nachgesonnen habe. Erstens hege er ernste Zweifel und
Bedenken, ob es politisch sei, die innere Administration
seiner königlichen Person fränkischen Verordnungen
auszuliefern; zweitens befürchte er, das Mittel könne geheime,
zerstörende Nachwirkungen haben, welche die königliche
Gesundheit, anstatt zu stärken und zu verjüngen, untergraben
und vernichten würden.
»Unter diesen Umständen habe ich gedacht,« sprach der
Mittelpunkt des Weltalls mit erhobener Stimme, »es sei
geraten, euch diesen Fall vorzulegen, damit eure vereinte
Weisheit in voller Kenntnis auf die Sache einzugehen vermöge;
und ich habe als Vorbereitungsakt beschlossen, daß jeder von
euch in höchst eigener Person von dem Mittel einnehme, damit
ich und ihr seine verschiedenen Wirkungen zu beurteilen
vermögen.« Nach dieser huldvollen Rede riefen der Großwesir
und alle Hofleute aus: »Möge der Schah ewig leben! Möge der
königliche Schatten nie kleiner werden! Wir sind nicht nur
beglückt, die Arznei einnehmen zu dürfen, sondern auch bereit,
unser Leben im Dienste Seiner Majestät hinzugeben! Möge Allah
ihm Gesundheit und Sieg über alle seine Feinde verleihen.«
Darauf überreichte der oberste Lakai dem Schah auf einem
goldenen Teller die Pillenschachtel. Dieser rief den Leibarzt
herbei, der jedem der Würdenträger, dem Range nach, eine Pille
in den Mund schob. Die ganze Versammlung machte zu gleicher
Zeit einen feierlichen Schluck, dem eine gewisse Stille
folgte, die der Schah benützte, um alle Gesichter daraufhin zu
prüfen, ob sich noch kein Symptom der Wirkung zeige.
Der Großschatzmeister, ein großer, plumper Mann, der bisher
stocksteif dagestanden und die Fragen des Schahs nur mit »
Belli, Belli« (ja, ja) beantwortet hatte, schien sich jetzt
äußerst unbehaglich zu fühlen, denn das Verschluckte wühlte
eine Menge Beschwerden auf, die vorher geschlummert hatten.
Aller Augen waren auf ihn gerichtet, was seinen peinvollen
Zustand noch zu verschlimmern schien. Der Staatssekretär, eine
lange, dürre Gestalt, wurde totenblaß, der Schweiß drang ihm
aus allen Poren. Die kläglichen Mienen des Ministers des
Innern schienen vom Schah die Gnade zu erstehen, aus Seiner
Majestät huldvoller Nähe verschwinden zu dürfen. Alle übrigen
waren der Reihe nach innerlich tief bewegt; nur der alte
kleine Großwesir, eine zähe, unbeugsame Natur lachte sich ins
Fäustchen über all das Elend, das seine Kollegen im
allerhöchsten Dienste ausstehen mußten.
Als der Schah sich von der Wirksamkeit des Mittels
überzeugt hatte, entließ er huldvollst die ganze Versammlung,
befahl Mirza Ahmak, ihm einen bis ins kleinste ausführlichen
Bericht über die Zustände zu machen, die jede einzelne Pille
verursachte, und zog sich in seinen Harem zurück.
Dieses Experiment hatte den Einfluß des fränkischen Arztes
gebrochen, und er fiel der Vergessenheit anheim. Als mir Mirza
Ahmak alles erzählt hatte, tanzte er vor Freude und Entzücken
und meinte: »Freund Hadschi, wir haben gesiegt! Der Ungläubige
hielt uns für Narren, wir aber werden ihm zeigen, was wir
Perser für Leute sind. Was kümmern uns die fränkischen
Entdeckungen? – Wir begnügen uns, es so zu machen, wie unsre
Väter es gemacht haben. Die Arzneien, die unsere Vorfahren
heilten, werden auch uns gesund machen.« Hierauf entließ er
mich, um neue Pläne zu schmieden, wie er seinen Feind um jedes
Ansehen bringen könnte, um so seinen Einfluß bei Hofe zu
stärken.