Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Siebenundzwanzigstes Kapitel - Der Schah besucht Mirza Ahmak

Am Morgen des zur Festlichkeit bestimmten Tages, den die Astrologen vorschriftsmäßig als dem Unternehmen günstig bezeichnet hatten, stand Mirza Ahmaks ganze Behausung im Zeichen der emsigsten Vorbereitungen. Die königlichen Zeltbauer hatten sich des Empfangsraumes bemächtigt, breiteten dort reine Teppiche aus und richteten den ›Mesned‹ (Thronsitz) her, den sie mit einem besonders köstlichen Teppich überdeckten. Der Hof wurde mit Wasser besprengt, die Springbrunnen in Tätigkeit gesetzt, die Vorderfront des Hauses mit einem neuen Teppiche behangen; auch die königlichen Gärtner erschienen, um alles mit Blumen zu schmücken. Der Spiegel des Wasserbeckens, das sich gerade unmittelbar gegenüber dem Platze befand, auf dem sich Seine Majestät niederlassen sollte, wurde mit kunstvoll verschlungenen Mustern aus Rosenblättern bestreut, die Marmoreinfassung des Wasserbeckens mit mehreren Reihen von Orangen belegt; und bald bekam das Ganze ein gar festlich einladendes Aussehen. Späterhin erschien die vielköpfige und höchst gewalttätige Schar der königlichen Köche, von so unzähligen Töpfen, Tiegeln, Pfannen und Kesseln begleitet, daß der schon ganz aus dem Häuschen geratene Doktor den Obermundkoch fragte, ob denn beabsichtigt sei, daß er außer seinem königlichen Herrn auch noch die ganze Stadt bewirten solle? – – – »Nicht gerade die ganze Stadt sollt Ihr bewirten, aber vielleicht werdet Ihr doch der Verse Saadis gedenken:

Will der König einen Apfel

Essen aus des Bauern Haus,

Reißen seine Knechte sicher

Diesem alle Bäume aus.

Wenn der König nur fünf Eier

Nimmt und glaubt, er dürfe dies,

Stecken seine Leute sicher

Tausend Hühner an den Spieß.«

Die Schar der Köche bemächtigte sich der Küche, die sich auch nicht im entferntesten geräumig genug für ihre Hantierungen erwies, so daß es nötig wurde, im Nebenhofe fliegende Feuerstellen zu errichten, um dort den Reis zu kochen, der bei solchen Anlässen unter sämtliche Anwesende verteilt wird. Außer den Köchen widmete sich aber eine weitere Horde von Zuckerbäckern in andern Nebenräumen der Zubereitung süßer Speisen als Scherbett, Gefrorenem und kleinen Bäckereien. Als jedoch die Köche dem Doktor die geradezu endlose Liste all der Zutaten, die sie forderten, unter die Nase hielten, gab der Arme schier den Geist auf. Doch damit nicht genug, erschienen als weiterer Zuwachs ein Trupp von Hofsängern und die königliche Musikkapelle; ferner der Lûti Baschi(Oberpossenreißer und Tierbändiger) mit zwanzig seiner Untergebenen im Gefolge, von denen jeder eine Trommel über die Schulter gehängt trug.

Der Besuch sollte nach dem Abendgebete, das nach Sonnenuntergang verrichtet wird, stattfinden. Zu dieser Stunde, wann die Hitze des Tages einigermaßen nachläßt und die Bewohner Teherans sich anschicken, die abendliche Kühle zu genießen, verließ der Schah seinen Palast, um sich zu des Doktors Behausung zu begeben. Alle Straßen waren vorher gekehrt und mit Wasser besprengt worden, beim Herannahen des königlichen Zuges aber wurden Blumen gestreut. Mirza Ahmak, der seinem königlichen Herrn entgegengeeilt war, um zu melden, alles sei zum Empfange bereit, mußte hierauf, dicht an den königlichen Steigbügel gedrängt, den ganzen Weg zurück zu Fuße laufen. Herolde, deren Mützen goldene Abzeichen schmückten, eröffneten den Zug und jagten mit ihren langen Stöcken alles aus dem Wege. Die Dächer waren dicht mit weißverschleierten Frauen besetzt, die vornehmeren guckten durch die Löcher der feinvergitterten Terrassen. Den Herolden folgte ein Trupp von Zeltbauern und Teppichbreitern, die mit langen dünnen Stäben den Weg von allen Unberufenen säuberten. Hinter diesen schritten die mit den königlichen Ställen betrauten Offiziere in reichster Uniform, jeder eine kostbare Pferdeschabracke über die Schulter gehängt. Dann kamen Diener, in leuchtende Farben gekleidet, die goldene Wasserpfeifen in den Händen trugen. Ferner des Schahs Mantelträger, sein Schuhträger, sein Waschbecken- und Kannenträger, sein Opiumschachtelverwahrer und zahllose andere Bedienstete. Diesem Aufzuge fehlten freilich die ledigen Handpferde, die sonst bei größeren offiziellen Anlässen dem Schah vorausgeführt werden und die Pracht seines Auftretens so wesentlich erhöhen. Diesem langen Zuge folgten paarweis laufende, in schwarzen Samt, mit goldenen Münzen bestickt, in Brokate und andre phantastische Seidenstoffe gekleidete Diener. Dann kam im unmittelbaren Gefolge des Schahs, durch die emaillierte Peitsche im Gürtel kenntlich, der oberste Läufer, ein Mann von bedeutendem Einflusse. Der Schah selbst ritt einen prächtig aufgezäumten Paßgänger; die dunkle Gewandung des Herrschers wirkte nur durch die Schönheit der Schals und die Kostbarkeit des verwendeten Materials.

In einem Zwischenraume von fünfzig Schritten folgten hierauf drei seiner Söhne, die Allervornehmsten des Reiches, der Oberzeremonienmeister, der Oberstallmeister, der Hofpoet und zahlreiche andere; sämtlich von ihren Dienern begleitet. Als sich endlich alle Beteiligten versammelt hatten, waren es, gering eingeschätzt, weit über fünfhundert Köpfe, die am Gute Mirza Ahmaks zu zehren gedachten.

Da der Eingang durch den Hof zu schmal war, stieg der Schah vom Pferde und begab sich durch den Hauptgang in den Empfangsraum zu dem für ihn errichteten Thronsitz. Der Doktor stand, da außer den Prinzen niemand gestattet war, den Empfangsraum zu betreten, wie sein eigner Diener vor der Tür.

Kurze Zeit, nachdem der Schah seinen Thronsitz eingenommen hatte, erschienen sowohl der Oberzeremonienmeister wie der Oberstallmeister, beide barfuß, am Wasserbecken. Letzterer hielt eine silberne Platte, auf der hundert neugeprägte Goldtoman lagen, in Brusthöhe empor und sprach mit lauter Stimme: »Der niedrigste Sklave Eurer Majestät trägt dem König der Könige, dem Mittelpunkte des Weltalls, dem Schatten Gottes auf Erden, die untertänigste Bitte vor, Eurer Majestät Leibarzt Mirza Ahmak zu gestatten, sich dem geheiligten Staube Eurer Füße zu nahen und auf diesem Wege hundert Goldtoman darzubringen.«

»Ich heiße Euch willkommen, Mirza Ahmak; Gott sei gelobt, Ihr seid ein getreuer Diener. Der Schah ist Euch ganz besonders gnädig gesinnt. Euer Antlitz ist reiner, Euer Einfluß größer geworden; geht, preist Gott, daß der König Euer Geschenk gnädig anzunehmen geruht.«

Daraufhin sank der Doktor in die Knie und küßte den Boden. Den Vornehmsten seines Reiches zugewendet, rief hierauf der Herrscher aus: »Beim Kopfe des Schahs, in ganz Persien gibt es keinen Mann, der tüchtiger und gerechter wäre als Mirza Ahmak; seine Weisheit übertrifft bei weitem die Lukmans, seine Gelehrsamkeit ist größer als die Galens.«

»Ja, ja,« antworteten die Vornehmsten der Vornehmen.

»In der Tat, wessen Hunde waren Lukman oder Galen? Aber das ist nur den glückbringenden Sternen des Königs aller Könige zuzuschreiben; Persien hat niemals zuvor einen solchen König gesehen und solch einen Arzt für solch einen König! Die Menschheit mag die indischen Ärzte preisen; aber wo wäre die wahre Wissenschaft zu finden außer in Persien? Wer könnte es wagen, uns überlegen sein zu wollen, solange die unvergleichliche Weisheit dieses Schahs Persien erleuchtet?«

»Das alles beruht auf Wahrheit,« antwortete der König. »Persien ist das Land, das von Anbeginn der Welt bis auf den heutigen Tag stets berühmt war durch die Talente seiner Bewohner, die Weisheit und Herrlichkeit seiner Herrscher. Gibt es eine Reihenfolge von Monarchen, begonnen mit Kaiumers, dem ersten Könige der Welt, bis auf mich, den gegenwärtigen Schah, die vollkommener und glorreicher wäre? – Ja, Indien hat seine Souveräne, Arabien seine Kalifen, die Türkei ihre Khun Khars (wörtlich Bluttrinker), die Tataren ihre Khane, und China seine Kaiser. Was nun die Franken anbelangt, die Gott weiß woher kommen, sich unter meine Herrschaft begeben, um zu kaufen und zu verkaufen, mir ihren Tribut in Gestalt von Geschenken entrichten, so haben sie allerdings auch ein Häuflein von Königen, allein nicht einmal die Namen ihrer Länder drangen bis zu unserm Ohre.«

»Belli, belli« (ja, ja), antwortete einer der Vornehmen.

»Ich bin Euer Opfer. Mit Ausnahme der Engländer und Franzosen, die allem Vernehmen nach einige Bedeutung im Weltall haben, sind alle andern Nationen kaum besser als nichts. Was nun die Russen anbelangt, so sind sie gar keine Europäer, sind weniger als europäische Hunde!«

»Ha, ha, ha; Ihr sagt die Wahrheit!« antwortete der König. »Die Russen hatten allerdings ihre ›Khurschid Kulah‹, ihr ›glorreiches Haupt‹ – wie sie sie nennen; man muß zugeben, für eine Frau war sie eine erstaunliche Persönlichkeit – – aber wissen wir denn nicht alle, penah bi Khoda, daß, mischt sich erst eine Frau in etwas, es Zeit ist zu sagen: Gott bewahre uns! Doch nach ihr hatten sie einen Paul, der ein ausgemachter Narr war, der – nur um euch einen Beweis seiner Verrücktheit anzuführen – eine Armee nach Indien schicken wollte, als ob das die Kisil Baschen jemals zugegeben hätten! Der Russe setzt einen Hut auf, zieht einen engen Rock und enge Beinkleider an, rasiert seinen Bart und nennt sich dann einen Europäer. Ebensogut könntet ihr euch Gänseflügel auf den Rücken binden und euch für Engel ausgeben.«

»Bewunderungswürdig! bewunderungswürdig!« rief der Erste der Vornehmen aus.

»Der Schah – in – Schah redet wie ein Engel. Zeigt uns einen König, der reden könnte wie er!«

»Ja, ja,« riefen einstimmig alle Umstehenden.

»Möge er noch tausend Jahre leben,« sagte einer.

»Möchte sein Schatten nie kleiner werden!« ein andrer.

»Allerdings«, fuhr der Schah fort, »ist, was über ihre Frauen berichtet wird, das Allermerkwürdigste. Erstens haben sie kein Enderun (Frauengemächer); dort leben Frauen und Männer zusammen; dann tragen die Frauen niemals den Schleier, zeigen ihr Gesicht, ganz wie die Weiber der Nomadenstämme, jedem, dem es beliebt sie anzuschauen; Mirza Ahmak, der Ihr ein Arzt und ein Philosoph seid, könnt Ihr mir sagen, welcher ganz außerordentlich klugen Vorsichtsmaßregel es zu verdanken ist, daß wir Muselmänner das einzige Volk der Erde sind, das nicht nur auf seine Frauen bauen, sondern sie auch in Unterwürfigkeit erhalten kann? Ihr«, – sagte Seine Majestät mit ironischem Lächeln –, »sollt, wie ich höre, unter allen Ehemännern mit einem pflichtgetreuen und gehorsamen Weibe gesegnet sein?«

Ganz durchdrungen von dem ungewöhnlichen Wohlwollen und der hohen Gnade des Königs der Könige, antwortete der Doktor: »Ich bin mit allem gesegnet, was das Dasein beglücken kann. Ich, mein Weib, meine Familie, alles, was mir gehört, ist Euer Eigentum. Nicht mein, sondern Euer Verdienst ist es, wenn Euer Sklave einige Vorzüge besitzt, denn diese entströmen nur Euch, dem Gnadenhorte der Menschheit; sogar meine Mängel verwandeln sich auf Befehl meines Königs in Tugenden. Aber welche Lampe könnte angesichts der Sonne leuchten? – welches Minarett am Fuße des Berges Demawend hoch genannt werden? – In bezug auf das, was Eure Majestät über die Frauen zu sagen geruhte, so scheinen dem geringsten Eurer Sklaven die Europäer eine große Ähnlichkeit mit den Tieren zu haben und damit den Beweis zu liefern, wie tief sie unter den Muselmännern stehen. Bei den Tieren gesellen sich Männchen und Weibchen ohne Unterschied – – gerade wie die Europäer. Sie nehmen weder die vorgeschriebenen Waschungen vor, noch beten sie fünfmal am Tage – gerade wie die Europäer. Sie leben in Gemeinschaft mit den Schweinen – – gerade wie die Europäer. Denn anstatt diese unreinen Tiere auszurotten, wie wir es tun, besitzt, wie ich höre, jedes Haus in Europa einen eigens für die Säue erbauten Stall. Und was ihre Frauen anbelangt! Welcher Hund wird sich nicht bei den Hündinnen, die er auf der Straße sieht, liebenswürdig machen? Zweifellos so macht es auch der Europäer. Die Bezeichnung Ehefrau muß in solch unreinen Ländern jede Bedeutung verloren haben, nachdem jede Ehefrau doch jedermanns Eigentum ist.«

»Gut gesagt,« rief der König. – »Es ist klar, mit Ausnahme von uns Persern sind alle andern rohe Tiere. Unser heiliger Prophet (über dem Friede und Heil sei) sagt uns ein gleiches. Der Ungläubige muß ewig braten, während der Rechtgläubige, seine Huri zur Seite, im siebenten Himmel sitzen wird! – – – – Aber, wie verlautet, Doktor, begann Euer Paradies schon hier auf Erden, und Ihr seid bereits in den Besitz Eurer Huris gelangt? – – Also wie steht es damit?«

Daraufhin verbeugte sich Mirza Ahmak ganz tief und sagte: »Was auch immer der Monarch seinem demütigen Sklaven zu besitzen gestattet, ist des Monarchen Eigentum. Glückbringend wird die Stunde sein und Mirza Ahmaks Haupt die Wolken berühren, wenn der König huldvollen Schrittes die Schwelle seines unwürdigen Enderuns (Frauengemachs) betritt.«

»Wir werden mit unsern eigenen Augen sehen,« sagte der König; »ein Blick des Herrschers ist glückbringend. Geht, verkündet Eurem Harem, daß der Schah ihn besuchen will! Sollte dort eine Kranke sein, eine, deren Wünsche unerfüllt geblieben, ein Mädchen, das nach dem Geliebten seufzt, oder eine Ehefrau, die ihres Gatten ledig werden möchte – lasset sie vortreten, lasset sie den König schauen, und das Glück wird sie begleiten.«

Daraufhin deklamierte der bis dahin ganz verstummte und in tiefe Gedanken versunkene Hofpoet folgende Worte:

»Das Firmament besitzt nur eine Sonne, das Land Irak (Persien) nur einen König.

»Leben, Licht und Wachstum begleiten beide, wo immer sie erscheinen.

»Es rühmt der Doktor seine Arzeneien, doch welche Arzenei wäre einem Blick des Königs gleich?

»Was ist Narde, was Mumiai, was Pahzer, verglichen mit dem Zucken einer königlichen Wimper?

»O Mirza Ahmak, glücklichster der Sterblichen, gesegnet bist du unter allen Ärzten!

»Nun birgt dein Haus ein Gegengift gen jede Krankheit, ein selten Mittel gen alles Übel.

»Macht euren Galen zu, verbrennt Hippokrates, jagt in den Winkel Avicenna, der Vater aller dieser weilet unter euch.

»Wer wird mit Zimmet noch ein Auge stärken, noch unter Pflastern seufzen, wenn ein Blick ihn heilen kann!

»O Mirza Ahmak, glücklichster der Sterblichen, gesegnet bist du unter allen Ärzten!«

Während dieses Vortrages hatte alles in tiefstem Schweigen verharrt, als der König ausrief: »Aferin, das war gut gesagt; Ihr seid in der Tat ein meiner Regierung würdiger Dichter. Was war Firdusi im Vergleiche mit Euch? Und Mahmud der Gaznevi khak-bud! – (war Dreck). – Geht hin zu ihm,« sagte er zu dem Vornehmen, »geht hin und küßt ihn auf den Mund, dann füllet ihn mit Kandiszucker. Ein Mund, von dem so herrliche Worte ausgingen, sollte aller Genüsse teilhaftig werden.«

Daraufhin näherte sich der vornehmste der Vornehmen, den ein großer und buschiger Bart schmückte, und drückte einen höchst unerwünschten Kuß auf die ebenfalls von einer angemessenen Haarfülle umschatteten Lippen des Poeten, nahm hierauf von einem dargereichten Teller die nötigen Stücke Kandiszucker, um den Mund des Unglücklichen in landesüblicher Weise mit den Fingern ganz vollzustopfen. Der Dichter, der zwar sichtlich schwer unter diesen Gunstbezeugungen litt, aber trotzdem das menschenmögliche tat, um zu beweisen, er befände sich auf dem Gipfel irdischer Glückseligkeit, schnitt, während ihm die unfreiwilligen Tränen ebenso reichlich über die Backen liefen wie der allmählich schmelzende Zucker aus dem Munde, die erbarmungswürdigsten Grimassen.

Der König entließ daraufhin seine Höflinge und Bediensteten, und alle Vorbereitungen wurden getroffen, um das königliche Mahl aufzutragen.

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