Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Achtundzwanzigstes Kapitel - Der Schah speist bei Mirza Ahmak

Im Empfangsraum, wo der Schah die Abendmahlzeit einnahm, hatten außer der Dienerschaft, nur seine Söhne, die Prinzen, Zutritt, die in festlicher Hofkleidung, den Säbel an der Seite, regungslos in einem entfernten Winkel des Zimmers, den Rücken gegen die Wand gekehrt, standen.

Mirza Ahmak mußte seinen Hofdienst außerhalb versehen. Zuerst breitete der erste Kammerdiener des Königs vor diesem eine Decke aus feinstem Kaschmir, mit Goldfransen umsäumt, aus. Zum Waschen der Hände wurde dem Herrscher ein goldenes Waschbecken nebst der dazugehörigen Kanne dargereicht. Die verschiedenen Speisen trug man auf großen Mulden herein, die der erste Haushofmeister noch in der Küche aus Vorsicht gegen Gift mit seinem Siegel verschlossen hatte und dieses erst in Gegenwart des Schahs wieder löste. Nun erst konnten sich alle Raffinements der persischen Kochkunst aufs großartigste entfalten, vor allem die Kunst, die abwechslungsreichsten Arten Reisgerichte zuzubereiten. Zuerst kam Tschilau so weiß wie Schnee; hierauf Pilau, in dem ein Stück Hammelfleisch mit dem Reis zusammen gedämpft war; dann ein » pilaū« mit Safran gefärbt und mit getrockneten Erbsen untermischt; ein weiterer Pilau mit Huhn; und alle diese Pilaus gipfelten schließlich im König aller persischen Gerichte, im Narindschi-Pilau, der mit kleinen Stücken orangefarbenen Lachses, allen erdenklichen Gewürzen, Mandeln und Zucker zubereitet wird. Auch frischer Salm und Heringe aus dem Kaspischen Meere waren vorhanden, und es gab Forellen aus dem Flusse Zengi bei Eriwan. Die Ragouts waren teils in größeren, teils in kleineren Schüsseln aus chinesischem Porzellan angerichtet, bestanden vielfach aus feingehacktem Hühnerfleische, das langsam mit Reis, wohlschmeckenden feinen Kräutern nebst Zwiebeln zusammen gedünstet war; ein weiteres Ragout bestand aus den Markknochen eines Lammes, das man im eigenen Safte köstlich weich geschmort hatte; ferner gab es junge Speisekürbisse, mit gehacktem Fleisch gefüllt und hierauf in Butter gebraten; zu Brei verkochtes Huhn, von einem Pflaumenpüree begleitet; eine große Omelette, so hoch wie ein Kuchen aufgegangen; eine Sauce aus Fleischextrakt, mit Pflaumen und Tamarinden vermischt, die über den Tschilau gegossen wurde; eine Platte mit verlorenen Eiern, die in Butter mit Zucker gebacken waren; ein Gericht halbierter, in Fett gebackener Auberginen; ein Wildragout und eine weitere Menge so ungeheuer zahlreicher, ähnlicher Schüsseln, daß es geradezu eine Unmöglichkeit wäre, sie alle einzeln aufzuzählen. An die Ragouts reihten sich die Braten. Es gab ein ganzes, am Spieße gebratenes Lamm, auf dessen Rücken sich der Schwanz und das Mark ringelten; auch Rebhühner und was in Persien als die feinste aller Delikatessen gilt – zwei ›Käbk-i-därri‹ (Königs- oder rote Rebhühner) hatte man sich zu dieser besonders feierlichen Gelegenheit zu verschaffen gewußt, ebenso Fasanen aus Masenderan, auch die leckersten Bissen vom wilden Esel und der Antilope waren gleichfalls nicht vergessen worden. Jedermann staunte ob dieser Fülle, dem Luxus und der Mannigfaltigkeit all dieser erlesenen Leckerbissen. Schließlich türmten sich vor dem Schah eine so unendliche Menge von Schüsseln auf, daß er schier hinter diesem Überreichtum verschwand. Um nicht zu weitschweifig zu werden, will ich es unterlassen, die verschiedenen kleineren Zugerichte und Zutaten, die auf den einzelnen Platten beigegeben waren, einzeln aufzuzahlen, als Früchte in Essig eingelegt, Käse, Butter, Zwiebeln, Sellerie, Salz, Pfeffer, Süßes und Saueres. Um ihrer köstlichen Zubereitung willen dürfen aber die Scherbette nicht unerwähnt bleiben. Sie wurden in mächtigen Schüsseln aus chinesischem, kostbarstem Porzellan aufgetragen und mit Löffeln aus Birnbaumholz genossen, die eine feine Schnitzerei von höchster Vollendung zierte. Die Scherbette bestanden aus einer Mischung gewöhnlicher, aber mit der höchsten Kunst zubereiteter Zitronenlimonade, der gerade genug ›Sirkändschäbin‹ (Essig), Zucker und Wasser beigegeben wurden, daß Sauer und Süß mit einer Geschicklichkeit ausgeglichen waren, wie Freud und Leid im irdischen Dasein. Dann gab es noch Scherbett aus Wasser und Zucker, mit etwas Rosenwasser parfümiert, dem, um das Aroma zu mehren, noch verschiedene wohlriechende Samenkörner beigegeben wurden. Auch Scherbett aus Granatäpfeln war vorhanden und dieser wie alle vorher erwähnten durch in den Schüsseln schwimmende Eisstücke köstlich kühl erhalten. Während der König aß, bog er sich so zusammen, daß sein Kopf fast seine Füße berührte, und die Hände in die einzelnen Schüsseln vergraben, kaute er stillschweigend; seine Söhne und die aufwartenden Diener jedoch verhielten sich regungslos in respektvollster Haltung. Nach beendeter Mahlzeit begab sich der Schah ins nächste Zimmer, um sich die Hände zu waschen, Kaffee zu trinken und den Kalian (Wasserpfeife) zu rauchen. Während der Schah noch speiste, befahl er einem der aufwartenden Diener, eine Schüssel mit Pilau, an der er sich selbst gütlich getan hatte, seinem Wirte Mirza Ahmak zu überbringen. Da dies als eine besondere Ehrung gilt, war der Doktor genötigt, dem Überbringer ein Geschenk zu machen. Eine ähnliche Auszeichnung widerfuhr dem Poeten als Belohnung seiner Improvisation, und auch er gab ein angemessenes Geschenk. Seine Majestät schickte gleichfalls eine der Schüsseln, der er selbst reichlich zugesprochen hatte, der Frau des Doktors, die den Überbringer großartig belohnte. Auf diese sinnreiche Weise ermöglichte es der Schah, den Empfänger und den Überbringer der Gabe auf die bequemste Manier zu beschenken.

Alsdann ließen sich die Prinzen zum Mahle nieder. Nachdem diese sich vollgestopft hatten, wurden die Gerichte in einem andern Zimmer aufgetragen, wo die vornehmsten der Vornehmen, der Hofpoet, der Stallmeister, alle Stabsoffiziere und Hofbediensteten Platz nahmen und den vom Schah und den Prinzen begonnenen Schmaus fortsetzten. Nachher wurden die Speisen in verschiedener Reihenfolge den aufwartenden Dienern vorgesetzt und endlich die Schüsseln von den Zeltbauern und den Küchenjungen ausgekratzt. In der Zwischenzeit führte der Doktor den Schah persönlich in den Harem ein. Da jedermann der sicheren Todesstrafe verfiel, der bei neugierigem Spähen ertappt worden wäre, so erwartete ich in der größten Spannung, was sich im Harem ereignet haben könnte. Aber welches Grauen, welche Fassungslosigkeit bemächtigte sich meiner, als ich, sobald der Schah ins Empfangszimmer zurückgekehrt war, vernahm, der Doktor habe ihm die kurdische Sklavin zum Geschenk gemacht! Diese Kunde stürzte mich in die schwersten Sorgen! Wenn auch aller Grund vorhanden schien, sich der günstigen Veränderung ihrer jetzigen Lage zu freuen, so sah ich doch Folgen voraus – – Folgen, die ihr das Leben kosten konnten; – –der bloße Gedanke daran ließ mein Blut zu Eis erstarren.

Wir waren zu verliebt gewesen, um der Stimme der Vernunft Gehör zu schenken, und jetzt öffnete sich mir ein Ausblick in die Zukunft, deren Hintergrund die grauenhaftesten Bilder, die die menschliche Phantasie ersinnen konnte, verdunkelten. »Ich will trachten, mir Gewißheit über die Vorgänge im Harem zu verschaffen,« dachte ich. ›Vielleicht glückt es mir, im Wirrwarr Seneb selbst zu Gesicht zu bekommen.« Ohne eine Minute zu verlieren, suchte ich die Terrasse, den Platz unseres früheren Stelldicheins, auf. Unten bei den Frauen, bei denen sich noch eine Menge Besucherinnen eingefunden hatten, ertönte Lärm und Geschnatter, doch war es mir nicht möglich, auch nur eine in der Schar zu entdecken, die mit der Gesuchten die geringste Ähnlichkeit hatte. Da die Nacht hereinbrach, konnte ich auch nicht hoffen, mich durch irgendein Zeichen bemerkbar zu machen, baute aber auf die Sympathie der Liebe, die Seneb den gleichen Weg zeigen würde, den ich mir, um sie wiederzusehen, ausgedacht hatte.

Von diesem Teile der Terrasse aus konnte man so gut alles beobachten, was auf der Straße vorging, daß die Frauen des Harems sich gerne dort aufhielten, wenn sich draußen irgend etwas Sehenswertes abspielte. Nachdem die Rückkehr des Schahs jeden Moment zu erwarten war, hoffte ich, Seneb würde nicht versäumen, dorthin zu kommen. Das Stampfen der Pferde, das Geschrei der Menge, das Hin- und Hertragen der Laternen, alles deutete darauf hin, das Schauspiel müßte bald zu Ende sein. Ich war daher ganz entzückt, als ich das Geschlürfe weiblicher Pantoffeln und Stimmen vernahm, die sich der Terrasse näherten. Ich hatte mich so hinter einer Mauer aufgestellt, daß mich dort nur ein in unser Geheimnis Eingeweihter entdecken konnte, schmeichelte mir auch, Seneb würde einem natürlichen Impuls zufolge den Blick auf mich richten, und irrte darin nicht. Sie war eine der Frauen, die auf die Terrasse gekommen waren, und hatte mich erkannt. Ich verlangte nicht mehr und überließ es ihrem Scharfsinn, Mittel und Wege zu einem Gespräche mit mir zu finden. Da ertönte schon der Ausruf: »Gitsän« (packt euch), den die Herolde, wo immer auch der Schah aufbrechen wollte, ausstoßen, und jedermann ordnete sich alsdann dem Zuge ein. Mit Ausnahme der zahlreichen Laternen, die je nach ihrer Größe dem Range der verschiedenen Persönlichkeiten entsprachen, Je größer eine Person ihrem Range nach dasteht, je größer muß – ein echt persischer Zug – die Laterne sein, so laß man imstande ist, des Abends an den Laternen die vornehme Welt von der ärmeren Klasse sehr genau zu unterscheiden. (Brugsch, Reise nach Persien.) denen sie den Weg erhellen sollten, vollzog sich der Aufbruch des Schahs zu seinem Palaste in der gleichen Weise wie sein Kommen. Mit Seiner Majestät entschwand alles, was einen Augenblick vorher das Haus mit Leben und Bewegung erfüllt hatte. Als die Frauen sich überzeugten, es gäbe nichts mehr zu sehen, verließen sie die Terrasse, wo sich ihre Hauptunterhaltung um die Streitfrage gedreht hatte, welche von ihnen der Schah am meisten angeschaut und bewundert habe. Während sie herabstiegen, belauschte ich zufällig die Ausfälle von Mißgunst und Neid gegen Seneb, der sie das ihr zuteil gewordene, in ihren Augen so große Glück, nicht gönnten.

»Ich kann nicht verstehen, was der Schah so Reizvolles an ihr fand? – Saht ihr je einen so großen Mund? – – Ihr Äußeres entbehrt des Salzes!« Diese persische Redensart bezeichnet die Reize einer Brünetten.

»Sie ist schief!« sagte eine andere.

»Sie hat eine Taille wie ein Elefant – – und dann die

Füße! – ein Kamel hat kleinere!« meinte eine dritte.

»Und dann«, sagte eine vierte, »ist sie eine Yäzidis. Sie muß vom Teufel selbst ein Zaubermittel bekommen haben, um die Blicke auf sich zu ziehen.«

»Sicherlich ist es so«, riefen alle. »Ja, daran liegt es.«

»Sie ist mit dem Teufel im Bunde, um den König zu erniedrigen.« Daraufhin schienen sich ihre Gemüter, weil ich nichts Weiteres mehr vernahm, beruhigt zu haben.

Nur ein weibliches Wesen, scheinbar ganz mit den Vorgängen auf der Straße beschäftigt, verweilte noch auf der Terrasse. Als die andern weg waren, stand sie auf und kam auf mich zu. – Es war Seneb.

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