Hadschi Baba

Die Abenteuer des Hadschi Baba aus Isfahan

James Morier

Inhaltsverzeichnis

Einunddreißigstes Kapitel - Hadschi wird dem Oberexekutor vorgestellt

Ich benützte den günstigen Moment frühmorgens, ehe sich der Doktor nach ›Derkhane‹ begab, um ihm meine Zukunftspläne darzulegen, und ersuchte ihn, er möchte tunlichst bald mit dem Oberexekutor reden, um die Stelle des verstorbenen Nessektschi für mich zu erbitten. Der Doktor, der noch immer die Ausgaben berechnete, die ihm durch die Bewirtung des Schahs erwachsen waren, hatte beschlossen, fürderhin ein noch peinlich genaueres Sparsystem in seinem Hause einzuführen. Die Idee, einen verhungerten Schmarotzer weniger füttern zu müssen, entzückte ihn so, daß er mir ohne Zögern versprach, sich meiner anzunehmen. Wir vereinbarten darum, daß er sich zuerst allein zum Oberexekutor begeben und ich ihn nach dem Selam bei Hofe dort treffen würde. Sobald mittags von der Moschee das Gebet verkündet wurde, begab ich mich in den Palast und stellte mich außerhalb des dem Oberexekutor zugewiesenen Zimmers auf, dessen große Fenster sich unmittelbar dem Haupteingange gegenüber befanden. Dort hatten sich schon mehrere Persönlichkeiten zusammengefunden. Der Oberexekutor schien in einer Ecke so vollständig in sein Gebet versunken, als hätte er nicht das geringste Interesse für ein Gespräch, das mein Freund, der ruhmgekrönte Hofpoet, mit dem Unterzeremonienmeister führte. Als letzterer diesem nun die Todesart des Nessektschi unter Hinzufügung einer gehörigen Portion von Ungeheuerlichkeiten beschrieb, schrie der stille Beter trotz aller Andacht auf: »In daragh est!« (das ist eine Lüge). – Nur Geduld gleich werde ich Euch erzählen, wie die Sache zuging,« fuhr aber gleich fort, sich neuerdings gottesfürchtig in seine Andacht weiter zu versenken. Jedoch sobald diese beendet war, ja, noch inmitten seiner letzten tiefen Verneigung begann er, die Geschichte nur noch weit übertriebener zu erzählen, als es der Zeremonienmeister getan hatte, und stellte schließlich sogar die Behauptung auf, der Franke habe den Mann durch einen Aderlaß verbluten lassen, nachdem der persische Doktor diesem vorher durch bloßes Schütteln wieder zum Leben verholfen hätte. Mirza Ahmak, der während dieser Erzählung das Zimmer betreten hatte, bekräftigte, ohne die Unwahrheit zu widerlegen, diese Behauptung durch neue und überzeugende Umstände. Er endigte seine Rede damit, daß er auf mich zeigte und rief: »Dieser hier würde das Leben des Nessektschis gerettet haben, wenn man ihn nicht daran verhindert hätte!« Daraufhin richteten sich alle Blicke auf mich, und ich wurde aufgefordert, die Begebenheit so zu erzählen, wie sie sich wirklich zugetragen hätte. Ich tat dies, paßte meine Erzählung aber peinlich genau dem an, was schon vorher gesagt worden war, betonte auch, das Hauptverdienst meiner damals ausgekramten Kenntnisse sei lediglich der wissenschaftlichen Belehrung des Leibarztes zuzuschreiben. Mirza Ahmak, ganz trunken von diesem Lobe, zeigte sich eifrig bemüht, mir zu nützen, und stellte mich dem Oberexekutor als den geeigneten Mann vor, der gerne bereit sei, das Amt des verblichenen Nessektschis zu übernehmen.

»Wie,« sagte der Oberste der Nessektschis, »ein Doktor will ein Exekutor werden? Das geht ja gar nicht!«

»Da ist doch gar nichts Schlimmes dabei,« antwortete der Poet und blinzelte dabei den Doktor von der Seite an; »eigentlich verfolgen beide die gleiche Richtung. Allerdings ist nicht zu leugnen: der eine besorgt sein Geschäft prompter als der andere. Aber schließlich hat es doch wenig zu bedeuten, ob der Mensch nach und nach an Pillen stirbt oder rasch durch einen Hieb mit dem Beil.«

»Wenn ich diesbezüglich von andern auf Euch schließe, so kann ich nur sagen, auch Poeten verfolgen die gleiche Richtung,« antwortete tiefgekränkt der Doktor; »denn sie morden den Ruf ihrer Nebenmenschen. Daß diese Manier, zu töten, eine viel schlimmere ist als die der Ärzte und Nessektschis (wie Sie zu sagen beliebten), darin wird mir jedermann zustimmen.«

»Das ist alles sehr schön,« antwortete der Oberexekutor, »meinetwegen kann jeder auf seine Manier umbringen, nur mir soll man meine Kriegerart lassen. Gebt mir harten, heißen Kampf! – Laßt mich mit der Lanze durchbohren und mit dem Säbel zuhauen! Nach anderem verlangt mich nicht. Gebt mir Schießpulver zu riechen, den Duft der Rosen überlasse ich den Herren Poeten! – Laßt mich Kanonendonner hören, und ich will Euch den Sang der Nachtigallen nicht neiden. Wir haben alle unsere Schwächen! Dies sind nun einmal die meinen.«

»Ja,« sagte der Zeremonienmeister, der ganzen Versammlung zugewendet, »Eure vielfachen Verdienste sind jedermann bekannt, insbesondere dem Schah, der indessen die Kunst, zu töten, nicht minder trefflich studiert hat wie Ihr und jetzt öfters voll Entzücken äußert, vor ihm habe sich kein persischer Monarch rühmen können, über so tapfere Leute zu verfügen; auch aus dieser Überzeugung heraus davon redet, mit Waffengewalt bis ins innerste Herz von Georgien vorzudringen. Hören aber die Russen, daß Ihr über sie herfallen werdet,« sagte er zum Oberexekutor gewendet, »dann werden sie ihre Rechnung mit dieser Welt abschließen und sich fürs Jenseits vorbereiten müssen.«

»Was bedeuten die Russen?« sagte der Oberexekutor halb mit Achselzucken, halb mit Schauder; »sie sind Plunder, sie sind gar nichts. Daß Rußland in Georgien sitzt, bedeutet für die Perser nicht mehr, als wenn mir ein Floh im Hemde säße. Er kitzelt mich zwar von Zeit zu Zeit, aber wenn ich es überhaupt der Mühe wert fände, wäre ich ihn binnen einer Minute los.«

Doch, als ob ihm eine andre Gesprächswendung nicht unlieb sei, sagte er mir: »Gut, ich bin einverstanden. Euch in den Dienst zu nehmen, vorausgesetzt, daß Euch der Geruch des Schießpulvers ebenso angenehm ist wie mir. Ein Nessektschi muß die Kräfte eines Rustem, das Herz eines Löwen und die Behendigkeit eines Tigers besitzen.« Als er mich dann von Kopf bis zu Füßen musterte und von meinem Äußeren befriedigt schien, befahl er mir, mich sofort zu seinem Naib oder Leutnant zu begeben, der nicht nur für meine ganze Dienstausrüstung zu sorgen hätte, sondern mir auch die nötigen Anweisungen meiner zukünftigen Berufspflichten erteilen sollte.

Doch ehe ich weiter erzähle, ist es nötig, den Leser mit der Persönlichkeit meines neuen Gebieters bekannt zu machen. Namerd Khan war ein großer, breitschultrig gebauter, kräftiger Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren, jung genug, um noch immer als ›Khub dschevan‹ (schöner Kerl) gelten zu können. Als Ganzes wirkte sein Äußeres imposant, aber rauh, wie sein Amt, was dem friedlichen Gedeihen der Stadt sehr zunutze kam; denn sein bloßes Erscheinen genügte, um den Übelwollenden Furcht einzujagen. Er galt in Teheran als der größte ›Khusch guzeran‹ (Lebemann), trank ohne Gewissensbisse Wein, fluchte ungeniert auf die Mollas, die ihm, der die Vorschriften des Propheten so gering achtete, mit einem besonders schlechten Platze in den Höllenregionen drohten. Sein Haus war die Stätte ausgelassenster Lustbarkeit, von morgens bis abends ertönten dort lautes Singen und lärmende Tamburinklänge. Er hielt sich Tänzer und Tänzerinnen, war der Beschützer jedes Lûti (Possenreißers), so obszön und unverschämt er auch immer sein mochte. Aber trotz alledem ließ seine eiserne Strenge im Dienste nichts zu wünschen übrig, und häufig konnte man, inmitten des Lärmes der Gelage, die Jammertöne irgendeines unglücklichen Wichtes vernehmen, der sich unter den Qualen der Bastonade krümmte. Der Oberexekutor galt als vorzüglicher Reiter, besaß ferner große Geschicklichkeit im Speerwerfen. Wenn auch seine ganze Erscheinung den Glauben erweckte, er sei ein tapferer Krieger und heldenmütiger Mann, so war er in der Tat nichts als ein ganz erbärmlicher Feigling. Da er diese Charakterschwäche durch prahlerische, hochtönende Phrasen zu bemänteln versuchte, so gelang es ihm, alle jene, die ihn nicht näher kannten, davon zu überzeugen, er bedeute für das moderne Persien, was dem Lande einst Afrasiab und Sam in alten Zeiten gewesen waren. Bis zum Zeitpunkte, wo der Schah abreisen würde, wohnte ich noch beim Doktor und verbrachte die Zeit damit, meine eigene Reise vorzubereiten. Während meines Aufenthaltes bei Mirza Ahmak hatte ich es zuwege gebracht, mir einen kleinen Grundstock der nötigsten Habseligkeiten beizulegen, verdankte diese teils den Geschenken von Patienten, teils meinen schlauen Einfällen. So zum Beispiel benötigte ich ein Bett, eine Decke und ein Kopfkissen. Als nun ein armer Kerl unter unsrer Behandlung starb, versicherte ich seinen Verwandten, die mir als die bigottesten Muselmänner bekannt waren, daß sein Tod nicht unser Verschulden wäre –, unsre Geschicklichkeit sei über jeden Zweifel erhaben. Hingegen müsse das Bett, auf dem er gelegen, sehr unheilbringend gewirkt haben. Erstens hätte es eine seidene Decke, zweitens wäre das Fußende nicht wie vorgeschrieben der Kibleh zugewendet worden. Dies genügte der Familie, um das Bett wegzuwerfen, das nun in meinem Besitze ist. Auch ein Spiegel erwies sich für meine Toilette als unerläßlich. Ein Mirza, der an Gelbsucht litt, besah sich in seinem Spiegel und war über seine Gesichtsfarbe zu Tode erschrocken. Ich versicherte ihm, diese rühre nur von einem Fehler im Glase her, sein Gesicht sei so frisch wie das einer Rose. Er warf den Spiegel weg – und ich trug ihn nach Hause.

Es gab niemand, der strenger auf religiöse Äußerlichkeiten hielt und skrupulöser war, sich durch die Berührung als unrein verbotener Gegenstände zu vergehen, wie Mirza Ahmak. Ich brauchte notwendig ein paar ›Nachdans‹ (Reisekoffer). Zwei solche, die dem Doktor gehörten und unbenutzt in einem unbewohnten Zimmer standen, waren schon recht häufig der Gegenstand meiner Betrachtung gewesen. Wie sollte ich es nur anstellen, um ihr Besitzer zu werden? – – – – Meine Habseligkeiten wären aber schon lange darin geborgen gewesen, hätte ich nur halb so viel Schlauheit besessen als Derwisch Sefer. Da blitzte mir ein Gedanke auf. Einer der zahllosen herrenlosen Köter, wie sie in Teheran allerwärts wild hausen, hatte im Torwege eines zerfallenen Hauses gerade Junge geworfen. Heimlicherweise ermöglichte ich es, den ganzen Wurf in einem der Koffer unterzubringen, während ich den andern mit einer Ladung alter Knochen füllte. Als anläßlich der Reisevorbereitungen für den Doktor, der den Schah stets zu begleiten pflegte, die Koffer vom Platze gerührt wurden, stießen die jungen Hunde samt der Mutter ein so verdammtes Geheul aus, daß der Diener, der sie aus ihrer Behaglichkeit gestört hatte, atemlos erschrocken zum Doktor lief, um ihm die Sache mitzuteilen, worauf dieser, gefolgt von seinem ganzen Haushalte, mich inbegriffen, zur Stelle eilte. Sobald der Fall aufgeklärt war, fanden doch viele diese eigentümlichen Umstände etwas merkwürdig und betrachteten sie als ein unheilbringendes Omen für des Doktors Haus. »Das kommt davon, weil er die Khanum heiratete, sie wird ihm ein Haus voll von ›Haram zadähs‹  geben. »Andre meinten, die jungen Hunde seien noch blind, »möge Gott verhüten, daß wir oder der Doktor es nicht auch werden.«

Mirza Ahmak selbst ärgerte sich lediglich über den Verlust seiner Koffer. Er erklärte sie von nun an für ›nädschis‹ (unrein) und befahl, die ganze Hundebrut samt allem Drum und Dran auf der Stelle verschwinden zu lassen. Ich besann mich nicht lange, mir die Koffer anzueignen. Doch gar bald ward mir klar, daß ein Mann mit dem Besitze der Koffer auch eine gewisse Verpflichtung übernahm, diese mit würdigen Gegenständen zu füllen. Ich kratzte darum nach und nach eine so ausgiebige Menge von allerlei zusammen, daß ich gar bald in der Lage war, mit meinem Gepäcke renommieren zu können. Als es sich aber um die Vorbereitungen zu unsrer Abreise handelte, hielt ich mich für berechtigt, mit den königlichen Maultiertreibern in betreff eines Saumtieres herumzuschelten, denn ein solches benötigte ich bereits, um meine Habseligkeiten zu tragen.

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