Einunddreißigstes Kapitel - Hadschi wird dem Oberexekutor
vorgestellt
Ich benützte den günstigen Moment frühmorgens, ehe sich der
Doktor nach ›Derkhane‹ begab, um ihm meine Zukunftspläne
darzulegen, und ersuchte ihn, er möchte tunlichst bald mit dem
Oberexekutor reden, um die Stelle des verstorbenen Nessektschi
für mich zu erbitten. Der Doktor, der noch immer die Ausgaben
berechnete, die ihm durch die Bewirtung des Schahs erwachsen
waren, hatte beschlossen, fürderhin ein noch peinlich
genaueres Sparsystem in seinem Hause einzuführen. Die Idee,
einen verhungerten Schmarotzer weniger füttern zu müssen,
entzückte ihn so, daß er mir ohne Zögern versprach, sich
meiner anzunehmen. Wir vereinbarten darum, daß er sich zuerst
allein zum Oberexekutor begeben und ich ihn nach dem Selam bei
Hofe dort treffen würde. Sobald mittags von der Moschee das
Gebet verkündet wurde, begab ich mich in den Palast und
stellte mich außerhalb des dem Oberexekutor zugewiesenen
Zimmers auf, dessen große Fenster sich unmittelbar dem
Haupteingange gegenüber befanden. Dort hatten sich schon
mehrere Persönlichkeiten zusammengefunden. Der Oberexekutor
schien in einer Ecke so vollständig in sein Gebet versunken,
als hätte er nicht das geringste Interesse für ein Gespräch,
das mein Freund, der ruhmgekrönte Hofpoet, mit dem
Unterzeremonienmeister führte. Als letzterer diesem nun die
Todesart des Nessektschi unter Hinzufügung einer gehörigen
Portion von Ungeheuerlichkeiten beschrieb, schrie der stille
Beter trotz aller Andacht auf: »In daragh est!« (das ist eine
Lüge). – Nur Geduld gleich werde ich Euch erzählen, wie die
Sache zuging,« fuhr aber gleich fort, sich neuerdings
gottesfürchtig in seine Andacht weiter zu versenken. Jedoch
sobald diese beendet war, ja, noch inmitten seiner letzten
tiefen Verneigung begann er, die Geschichte nur noch weit
übertriebener zu erzählen, als es der Zeremonienmeister getan
hatte, und stellte schließlich sogar die Behauptung auf, der
Franke habe den Mann durch einen Aderlaß verbluten lassen,
nachdem der persische Doktor diesem vorher durch bloßes
Schütteln wieder zum Leben verholfen hätte. Mirza Ahmak, der
während dieser Erzählung das Zimmer betreten hatte,
bekräftigte, ohne die Unwahrheit zu widerlegen, diese
Behauptung durch neue und überzeugende Umstände. Er endigte
seine Rede damit, daß er auf mich zeigte und rief: »Dieser
hier würde das Leben des Nessektschis gerettet haben, wenn man
ihn nicht daran verhindert hätte!« Daraufhin richteten sich
alle Blicke auf mich, und ich wurde aufgefordert, die
Begebenheit so zu erzählen, wie sie sich wirklich zugetragen
hätte. Ich tat dies, paßte meine Erzählung aber peinlich genau
dem an, was schon vorher gesagt worden war, betonte auch, das
Hauptverdienst meiner damals ausgekramten Kenntnisse sei
lediglich der wissenschaftlichen Belehrung des Leibarztes
zuzuschreiben. Mirza Ahmak, ganz trunken von diesem Lobe,
zeigte sich eifrig bemüht, mir zu nützen, und stellte mich dem
Oberexekutor als den geeigneten Mann vor, der gerne bereit
sei, das Amt des verblichenen Nessektschis zu übernehmen.
»Wie,« sagte der Oberste der Nessektschis, »ein Doktor will
ein Exekutor werden? Das geht ja gar nicht!«
»Da ist doch gar nichts Schlimmes dabei,« antwortete der
Poet und blinzelte dabei den Doktor von der Seite an;
»eigentlich verfolgen beide die gleiche Richtung. Allerdings
ist nicht zu leugnen: der eine besorgt sein Geschäft prompter
als der andere. Aber schließlich hat es doch wenig zu
bedeuten, ob der Mensch nach und nach an Pillen stirbt oder
rasch durch einen Hieb mit dem Beil.«
»Wenn ich diesbezüglich von andern auf Euch schließe, so
kann ich nur sagen, auch Poeten verfolgen die gleiche
Richtung,« antwortete tiefgekränkt der Doktor; »denn sie
morden den Ruf ihrer Nebenmenschen. Daß diese Manier, zu
töten, eine viel schlimmere ist als die der Ärzte und
Nessektschis (wie Sie zu sagen beliebten), darin wird mir
jedermann zustimmen.«
»Das ist alles sehr schön,« antwortete der Oberexekutor,
»meinetwegen kann jeder auf seine Manier umbringen, nur mir
soll man meine Kriegerart lassen. Gebt mir harten, heißen
Kampf! – Laßt mich mit der Lanze durchbohren und mit dem Säbel
zuhauen! Nach anderem verlangt mich nicht. Gebt mir
Schießpulver zu riechen, den Duft der Rosen überlasse ich den
Herren Poeten! – Laßt mich Kanonendonner hören, und ich will
Euch den Sang der Nachtigallen nicht neiden. Wir haben alle
unsere Schwächen! Dies sind nun einmal die meinen.«
»Ja,« sagte der Zeremonienmeister, der ganzen Versammlung
zugewendet, »Eure vielfachen Verdienste sind jedermann
bekannt, insbesondere dem Schah, der indessen die Kunst, zu
töten, nicht minder trefflich studiert hat wie Ihr und jetzt
öfters voll Entzücken äußert, vor ihm habe sich kein
persischer Monarch rühmen können, über so tapfere Leute zu
verfügen; auch aus dieser Überzeugung heraus davon redet, mit
Waffengewalt bis ins innerste Herz von Georgien vorzudringen.
Hören aber die Russen, daß Ihr über sie herfallen werdet,«
sagte er zum Oberexekutor gewendet, »dann werden sie ihre
Rechnung mit dieser Welt abschließen und sich fürs Jenseits
vorbereiten müssen.«
»Was bedeuten die Russen?« sagte der Oberexekutor halb mit
Achselzucken, halb mit Schauder; »sie sind Plunder, sie sind
gar nichts. Daß Rußland in Georgien sitzt, bedeutet für die
Perser nicht mehr, als wenn mir ein Floh im Hemde säße. Er
kitzelt mich zwar von Zeit zu Zeit, aber wenn ich es überhaupt
der Mühe wert fände, wäre ich ihn binnen einer Minute los.«
Doch, als ob ihm eine andre Gesprächswendung nicht unlieb
sei, sagte er mir: »Gut, ich bin einverstanden. Euch in den
Dienst zu nehmen, vorausgesetzt, daß Euch der Geruch des
Schießpulvers ebenso angenehm ist wie mir. Ein Nessektschi muß
die Kräfte eines Rustem, das Herz eines Löwen und die
Behendigkeit eines Tigers besitzen.« Als er mich dann von Kopf
bis zu Füßen musterte und von meinem Äußeren befriedigt
schien, befahl er mir, mich sofort zu seinem Naib oder
Leutnant zu begeben, der nicht nur für meine ganze
Dienstausrüstung zu sorgen hätte, sondern mir auch die nötigen
Anweisungen meiner zukünftigen Berufspflichten erteilen
sollte.
Doch ehe ich weiter erzähle, ist es nötig, den Leser mit
der Persönlichkeit meines neuen Gebieters bekannt zu machen.
Namerd Khan war ein großer, breitschultrig gebauter, kräftiger
Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren, jung genug, um noch
immer als ›Khub dschevan‹ (schöner Kerl) gelten zu können. Als
Ganzes wirkte sein Äußeres imposant, aber rauh, wie sein Amt,
was dem friedlichen Gedeihen der Stadt sehr zunutze kam; denn
sein bloßes Erscheinen genügte, um den Übelwollenden Furcht
einzujagen. Er galt in Teheran als der größte ›Khusch guzeran‹
(Lebemann), trank ohne Gewissensbisse Wein, fluchte ungeniert
auf die Mollas, die ihm, der die Vorschriften des Propheten so
gering achtete, mit einem besonders schlechten Platze in den
Höllenregionen drohten. Sein Haus war die Stätte
ausgelassenster Lustbarkeit, von morgens bis abends ertönten
dort lautes Singen und lärmende Tamburinklänge. Er hielt sich
Tänzer und Tänzerinnen, war der Beschützer jedes Lûti
(Possenreißers), so obszön und unverschämt er auch immer sein
mochte. Aber trotz alledem ließ seine eiserne Strenge im
Dienste nichts zu wünschen übrig, und häufig konnte man,
inmitten des Lärmes der Gelage, die Jammertöne irgendeines
unglücklichen Wichtes vernehmen, der sich unter den Qualen der
Bastonade krümmte. Der Oberexekutor galt als vorzüglicher
Reiter, besaß ferner große Geschicklichkeit im Speerwerfen.
Wenn auch seine ganze Erscheinung den Glauben erweckte, er sei
ein tapferer Krieger und heldenmütiger Mann, so war er in der
Tat nichts als ein ganz erbärmlicher Feigling. Da er diese
Charakterschwäche durch prahlerische, hochtönende Phrasen zu
bemänteln versuchte, so gelang es ihm, alle jene, die ihn
nicht näher kannten, davon zu überzeugen, er bedeute für das
moderne Persien, was dem Lande einst Afrasiab und Sam in alten
Zeiten gewesen waren. Bis zum Zeitpunkte, wo der Schah
abreisen würde, wohnte ich noch beim Doktor und verbrachte die
Zeit damit, meine eigene Reise vorzubereiten. Während meines
Aufenthaltes bei Mirza Ahmak hatte ich es zuwege gebracht, mir
einen kleinen Grundstock der nötigsten Habseligkeiten
beizulegen, verdankte diese teils den Geschenken von
Patienten, teils meinen schlauen Einfällen. So zum Beispiel
benötigte ich ein Bett, eine Decke und ein Kopfkissen. Als nun
ein armer Kerl unter unsrer Behandlung starb, versicherte ich
seinen Verwandten, die mir als die bigottesten Muselmänner
bekannt waren, daß sein Tod nicht unser Verschulden wäre –,
unsre Geschicklichkeit sei über jeden Zweifel erhaben.
Hingegen müsse das Bett, auf dem er gelegen, sehr
unheilbringend gewirkt haben. Erstens hätte es eine seidene
Decke, zweitens wäre das Fußende nicht wie vorgeschrieben der
Kibleh zugewendet worden. Dies genügte der Familie, um das
Bett wegzuwerfen, das nun in meinem Besitze ist. Auch ein
Spiegel erwies sich für meine Toilette als unerläßlich. Ein
Mirza, der an Gelbsucht litt, besah sich in seinem Spiegel und
war über seine Gesichtsfarbe zu Tode erschrocken. Ich
versicherte ihm, diese rühre nur von einem Fehler im Glase
her, sein Gesicht sei so frisch wie das einer Rose. Er warf
den Spiegel weg – und ich trug ihn nach Hause.
Es gab niemand, der strenger auf religiöse Äußerlichkeiten
hielt und skrupulöser war, sich durch die Berührung als unrein
verbotener Gegenstände zu vergehen, wie Mirza Ahmak. Ich
brauchte notwendig ein paar ›Nachdans‹ (Reisekoffer). Zwei
solche, die dem Doktor gehörten und unbenutzt in einem
unbewohnten Zimmer standen, waren schon recht häufig der
Gegenstand meiner Betrachtung gewesen. Wie sollte ich es nur
anstellen, um ihr Besitzer zu werden? – – – – Meine
Habseligkeiten wären aber schon lange darin geborgen gewesen,
hätte ich nur halb so viel Schlauheit besessen als Derwisch
Sefer. Da blitzte mir ein Gedanke auf. Einer der zahllosen
herrenlosen Köter, wie sie in Teheran allerwärts wild hausen,
hatte im Torwege eines zerfallenen Hauses gerade Junge
geworfen. Heimlicherweise ermöglichte ich es, den ganzen Wurf
in einem der Koffer unterzubringen, während ich den andern mit
einer Ladung alter Knochen füllte. Als anläßlich der
Reisevorbereitungen für den Doktor, der den Schah stets zu
begleiten pflegte, die Koffer vom Platze gerührt wurden,
stießen die jungen Hunde samt der Mutter ein so verdammtes
Geheul aus, daß der Diener, der sie aus ihrer Behaglichkeit
gestört hatte, atemlos erschrocken zum Doktor lief, um ihm die
Sache mitzuteilen, worauf dieser, gefolgt von seinem ganzen
Haushalte, mich inbegriffen, zur Stelle eilte. Sobald der Fall
aufgeklärt war, fanden doch viele diese eigentümlichen
Umstände etwas merkwürdig und betrachteten sie als ein
unheilbringendes Omen für des Doktors Haus. »Das kommt davon,
weil er die Khanum heiratete, sie wird ihm ein Haus voll von
›Haram zadähs‹ geben. »Andre meinten, die jungen Hunde
seien noch blind, »möge Gott verhüten, daß wir oder der Doktor
es nicht auch werden.«
Mirza Ahmak selbst ärgerte sich lediglich über den Verlust
seiner Koffer. Er erklärte sie von nun an für ›nädschis‹
(unrein) und befahl, die ganze Hundebrut samt allem Drum und
Dran auf der Stelle verschwinden zu lassen. Ich besann mich
nicht lange, mir die Koffer anzueignen. Doch gar bald ward mir
klar, daß ein Mann mit dem Besitze der Koffer auch eine
gewisse Verpflichtung übernahm, diese mit würdigen
Gegenständen zu füllen. Ich kratzte darum nach und nach eine
so ausgiebige Menge von allerlei zusammen, daß ich gar bald in
der Lage war, mit meinem Gepäcke renommieren zu können. Als es
sich aber um die Vorbereitungen zu unsrer Abreise handelte,
hielt ich mich für berechtigt, mit den königlichen
Maultiertreibern in betreff eines Saumtieres herumzuschelten,
denn ein solches benötigte ich bereits, um meine
Habseligkeiten zu tragen.