Vierunddreißigstes Kapitel - Hadschi wird Unterleutnant
des Großexekutors
Zwei fette Lämmer, die auf unserm Packesel festgebunden
wurden, waren das einzige Geschenk, das wir unserm
Vorgesetzten mitbrachten. Ins Lager zurückgekehrt, begaben wir
uns alsbald zum Naib (Leutnant) und wurden von diesem
unverzüglich dem Großexekutor vorgeführt, der in seinem Zelte
saß und sich mit einigen Freunden unterhielt.
»Nun, was hast du ausgerichtet?« fragte er Schir Ali. »Hast
du das Getreide oder den Kädkhoda mitgebracht?«
»Ich bitte mir zu verzeihen, weder mit dem einen noch dem
andern dienen zu können,« erwiderte Schir Ali. »Der Kädkhoda
und die Dorfältesten schicken diese Lämmer, die sie Euch zu
Füßen legen, da sie so bis auf die Seelen ausgeräubert wurden,
daß ihnen, wie wir uns mit eignen Augen überzeugen konnten,
rein nichts mehr verblieb; sie sind im Gegenteile von allem so
entblößt, daß es in der Ordnung wäre, ihnen Lebensmittel zu
schicken, sollen sie sich nicht untereinander auffressen.«
»Das wagst du mir zu sagen!« brüllte der Khan. »Wenn sie
Lämmer haben, müssen sie auch Schafe haben? Oder wie hast du
dir diesen Umstand zusammengereimt?«
»Das ist allerdings richtig,« antwortete Schir Ali; »alles,
was Ihr sagt, ist überhaupt immer richtig, aber wir sprachen
doch vom Getreide und nicht von Schafen?«
»Aber warum hast du den Kädkhoda nicht mitgebracht, wie ich
es dir befohlen hatte?« fragte unser Vorgesetzter weiter.
»Wäre ich dort gewesen, ich würde die Halunken lebendig
geröstet, ihnen, wie den Kamelen, die Vorderbeine
zusammengebunden und sie so lange geschlagen haben, bis sie
mir gestanden hätten, was sie noch besäßen. Sprich, warum hast
du sie nicht hierher gebracht?«
»Allerdings das wünschten wir aufs innigste,« stotterte
Schir Ali und schaute hilfesuchend nach mir hin; »wir haben
sie auch gebunden und mißhandelt, Hadschi weiß das, – er war
es auch, der ihnen sagte, daß sie ohne die Herausgabe von Geld
auf kein Erbarmen rechnen könnten – und Erbarmen zu haben, ist
doch keineswegs unsre Sache; und wenn die Leute auch von gar
nichts einen Begriff hatten, das eine war ihnen doch völlig
klar geworden, daß, befänden sie sich erst in der Gewalt
unsers Khans, unsers Herrn und Meisters, dem Obersten aller
Nessektschis, einem Manne von so unerschütterlichem Mute, von
so großartiger Entschlossenheit und so unbeugsamer Härte –,
daß es mit ihnen aus und vorbei sei!! Ja, als wir ihnen das so
recht vorstellten, sanken sie auch schier in die Erde.«
»Hadschi Baba, was schwatzt der eigentlich?« fragte mich
der Khan; »ich habe noch nicht verstanden, warum die
Dorfältesten mir nicht vorgeführt wurden?«
»Ich auch nicht«, antwortete ich im allerdemütigsten Tone.
»Schir Ali, der dort als Euer abgesandter Leutnant vorging,
hatte die ganze Sache über sich, ich unterstand ihm und war
die reinste Null.«
Hierauf geriet der Oberexekutor in eine so ungeheure Wut,
daß er uns mit allen ihm zu Gebote stehenden gemeinsten und
verleumderischsten Anschuldigungen und Schmähreden überhäufte.
»Daß diese Schurken uns einen schlechten Streich spielten,
liegt auf der Hand,« rief er seinen Freunden zu. »Sage mir,
Schir Ali, bei meiner Seele, beim Salz des Königs, wieviel
hast du selbst bekommen?« Und sich mir zuwendend, fragte er:
»Und du, der erst seit kaum einem Monate im Dienste steht, was
hast du auf die Seite gebracht?«
Umsonst beteuerten wir unsre Unschuld, umsonst schwuren
wir, dort sei nichts zu holen gewesen. Niemand wollte uns
Glauben schenken, und der Vorfall endete damit, daß wir aus
dem Zelte gewiesen und dem Naib übergeben wurden, der uns so
lange in Gewahrsam behalten mußte, bis die Dorfältesten, denen
wir gegenübergestellt werden sollten, zur Stelle wären.
Als Schir Ali allein mit mir war, versuchte er sofort,
seine Beute mit mir zu teilen, und wollte mir die Hälfte davon
ablassen. »Nicht doch, mein Freund!« sagte ich ihm; »dazu ist
es jetzt zu spät. Wenn du nach dem Genusse verbotenen Weines
Kopfweh bekommst, sollte das ein Grund für mich sein, mich
selbst übel zu befinden? Aus deiner Art, den Herrn zu spielen,
habe ich für mich eine weise Lehre gezogen, was mir in diesem
Falle vollkommen genügt.«
Er versuchte, mir auch das Versprechen abzunehmen, daß,
falls wir dem Khan gegenübergestellt würden, ich durch dick
und dünn alles beschwören sollte, womit er sich rechtfertigen
könnte. Ich jedoch war mir der Folgen zu genau bewußt, um auf
ein solches Versprechen einzugehen. Er sagte mir ferner, die
Bastonade würde er wohl nicht überleben. Wußte er doch zu
genau, daß ein Mann, der in allen Fällen, wo es sich um die
Füße der andern gehandelt, stets die unbarmherzigste Härte
gezeigt hatte, für sich auch kein Erbarmen erwarten dürfe. Er
schwor beim Koran, lieber wolle er das größte Elend erdulden,
als sich an den Marterpfahl binden zu lassen.
Als wir abermals gerufen wurden, um vor dem Khan zu
erscheinen, war Schir Ali nirgends zu finden. Da er seinen
Posten in aller Heimlichkeit verlassen hatte, konnte ich auch
bei meinem Verhöre nichts andres aussagen als: ich wüßte,
welch entsetzliche Furcht ihm die Bastonade einflößte, und er
habe sich jedenfalls, um dieser Strafe zu entgehen, aus dem
Staube gemacht.
Sobald ich aber vor meinen Richtern, den Dorfältesten von
Salwar erschien, da erklärten sie einstimmig, daß ich weder
etwas von ihnen gefordert noch erhalten, sondern im Gegenteil
sie angehalten hätte, dem Khan ein angemessenes Geschenk zu
machen. Alle ihre Anklagen richteten sich einzig und allein
gegen Schir Ali, der, wie sie beteuerten, ihr Elend auf die
Spitze getrieben und ihre alten Wunden, nachdem sie gerade
begonnen hatten, ein wenig zu verharschen, von neuem
aufgerissen habe.
Alles dieses sprach nach und nach sehr zu meinen Gunsten
und ebnete mir die Wege zu meiner Beförderung. Dieser Vorfall
wurde bekannt und war bald im Munde aller Leute; ich galt als
das Muster weiser Mäßigung.
»Das kommt davon, weil er ein Doktor war,« sagten die
einen. »Weisheit ist besser als Reichtum!« die andern. »Er
kannte das Gesetz der Konsequenzen,« sagte ein dritter; »aber
seine Füße werden nicht da sein, wo sein Kopf ist.«
Kurz, ich war in den Ruf gekommen, ein schlauer und
umsichtiger Kerl zu sein, was ich doch nur den Ereignissen
verdankte, die mir das Schicksal gnädig in die Hand gespielt
hatte; auch war es kein Schaden für mich, als ein Mann zu
gelten, der ein gutes ›Taleh‹ (Glück) hatte und dessen Sterne
günstig standen. Das Ergebnis dieses Abschnittes meiner
Erzählung war, daß ich den Posten des Flüchtlings bekam und
Unterleutnant des Großexekutors in Persien wurde, eine
Stellung, deren Wichtigkeit – mögen die Leser darüber denken,
was sie wollen – durchaus nicht unterschätzt werden darf.