Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen
Die 4. Konsultation – Einheit durch Ahl-ul-Bait
8.
Dhul-Qada 1329 (31.10.1911)
Verehrter [maulana] Scheich al-Islam, der Friede sei mit
Dir und die Gnade Allahs und Seine Barmherzigkeit.
Unser Festhalten an anderen
Glaubensprinzipien als der Schule der
Aschariyya
und unsere Befolgung einer anderen Schule bezüglich der
Details des Islam als der vier
Rechtsschulen
erfolgte niemals aufgrund von Sektiererei und Fanatismus, noch
erfolgte es aufgrund des Zweifels an der
selbständigen Rechtsfindung [idschtihad] der
Imame jener
Rechtsschulen,
ihrem Gerechtigkeitssinn, ihrer Wahrhaftigkeit, Integrität
oder ihrem Maß an Wissen und Taten.
Es sind vielmehr
islamische rechtswissenschaftliche Beweise, die uns die
Anordnung auferlegt haben, der
Rechtsschule
der
Imame aus dem
Haus des
Prophetentums zu folgen, der Wiege der Botschaft und dem
Platz, den die
Engel
dauerhaft aufsuchen, dem Wohnsitz der
Offenbarung [wahy]
und Eingebung.
Wir haben uns daher immer auf sie bezogen, um alle
Angelegenheiten bezüglich der Teilfragen des
Glaubens und der
Glaubenslehre zu erfassen auf den Wegen und auf der Grundlage
der islamischen Rechtslehre für die Kenntnis der Ethik, des
Verhaltens und der Riten. Wir haben das alles aufgrund der
Beurteilung der Belege und Beweise durchgeführt, um der
Verfahrensweise [sunna] des Fürsten aller
Propheten und
Gesandten zu
folgen. Wenn es uns die Beweise erlaubt hätten von den
Imamen der
Nachkommen
Muhammads (s.) abzuweichen, oder wäre es uns möglich
gewesen, die Nähe zu
ALLAH – gelobt ist Er – zu erlangen indem wir anderen
Rechtsschulen
folgen, dann hätten wir uns den Fußspuren der Mehrheit
angeschlossen indem wir die Freundschaft verstärken und die
geschwisterlichen Beziehungen festigen. Andererseits stehen
eindeutige Beweise auf dem Weg des
Gläubigen [mumin],
die ihn von der Befolgung eigener Neigungen abhalten.
Grundsätzlich ist die Mehrheit kein Beweis für den Vorzug
einer bestimmten
Rechtsschule
über andere, geschweige denn dass sie damit für andere
verpflichtend wird. Wir haben die Vorwände der
Muslime ausgiebig
und tiefgründig mit offenen Augen studiert, aber wir haben
keine Beweise für Deine Argumentation gefunden außer die von
Dir erwähnte
selbständige Rechtsfindung [idschtihad], Wahrhaftigkeit,
Gerechtigkeitssinn und Bescheidenheit.
Du weißt aber, dass
selbständige Rechtsfindung [idschtihad], Wahr-haftigkeit,
Gerechtigkeitssinn und Bescheidenheit im Lebensstil keine
exklusiven Eigenheiten alleine von jenen sind. Wie kann daher
ihre
Rechtsschule verpflichtend sein, zumal die Angelegenheit
derart ist, lediglich weil Du sie hervorhebst.
Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der es wagen
würde, ihren Vorzug in Wissen und Taten über unsere
Imame zu
verfechten, welche von reiner Abstammung, die Rettungsboote
der
Islamischen Weltgemeinschaft [ummah], das Tor zur
Erlösung, die Sicherheit gegen Irreleitung, die Flagge der
Rechtleitung, die Nachkommen des
Gesandten Allahs
(s.) und seine Beauftragten sind.
Er (s.) sagte:
„Überholt sie nicht, sonst droht Euch Verderbnis und bleibt
nicht hinter ihnen zurück, sonst droht euch Verderbnis. Maßt
Euch nicht an, sie zu lehren, denn sie sind gelehrter als Ihr“.
Aber es ist das Diktat der Politik, welche die
Morgendämmerung
des
Islam
zu verhindern sucht.
Deine Behauptung, dass die guten früheren Generationen
dieser Rechtsschule anhingen, verwundert mich, wie auch die
Behauptung, dass sie damit einverstanden gewesen wären, dass
man ihnen zu allen Zeiten und in jedem Fall folgt. Du
beschreibst es derart, als wenn Du keine Kenntnis von unseren
Vorfahren hast und von der guten früheren Generation, welche
der Nachkommenschaft
Muhammads (s.)
folgten, und dass gemäß der Festschreibung in der Literatur
die Hälfte der muslimischen Bevölkerung ausschließlich der
Glaubenslehre der
Imame
unter den Nachkommen
Muhammads (s.)
folgten. Sie fanden keine Alternative für jene und sie blieben
auf diesem Weg seit den Tagen von
Ali (a.)
und
Fatima (a.), als es weder die
Aschariyya
noch die
Imame der
anderen vier Rechtsschulen gab, und noch nicht einmal deren
Väter existierten, wie Du es sehr gut weißt.
Die ersten drei Generationen des ersten Jahrhunderts
folgten nie irgendeiner jener
Rechtsschulen.
Wo waren jene
Rechtsschulen während der ersten drei Generationen, der
besten Generation die es gab?
Al-Aschari wurde 270
n.d.H.
geboren und starb 320
n.d.H.,
Ibn Hanbal
wurde 164
n.d.H. geboren und starb 241
n.d.H.,
al-Schafi‘i
wurde 150
n.d.H. geboren und starb 204
n.d.H.,
Malik
wurde 95
n.d.H. geboren und starb 179
n.d.H.
und
Abu Hanifa
wurde 80
n.d.H. geboren und starb 150
n.d.H.
Schiiten
folgen der
Rechtsschule der
Imame aus dem
Haus des Propheten (s.), und die Hausinsassen kennen
sicherlich den Inhalt ihres Hauses. Nicht-Schiiten folgen den
Rechtsschulen
der gelehrten
Gefährten [sahaba] und
Gefährtennachfolger [tabiun]; was also sollte es
obligatorisch für alle
Muslime machen,
nachdem mehrere Jahrhunderte vergangen waren, jenen
Rechtsschulen
zu folgen anstelle derjenigen, die sie vorher befolgt haben?
Was hat sie dazu gebracht ihre Aufmerksamkeit von denjenigen
abzuwenden, die Experten für das Buch
ALLAHs und dessen
Gefährten waren, die Nachfolger des
Gesandten Allahs
(s.) und ihre Vertrauten, die Arche der
Islamischen Weltgemeinschaft [ummah] und ihre Erlösung,
die Führer und die Sicherheit am Tor der Erlösung?
Und was sonst führte dazu das Tor der
selbständigen Rechtsfindung [idschtihad] vor dem Gesicht der
Muslime
zuzuschlagen, nachdem es bis zu drei Jahrzehnte weit offen
stand, als die Hinwendung zu Widerwillen, Bequemlichkeit,
Faulheit, die Hinnahme von Freiheitsverlust und die
Befriedigung durch Ignoranz? Wer würde es sich selbst bewusst
oder unbewusst erlauben zu behaupten, dass
ALLAH – gepriesen
und gelobt ist Er – nicht Seinen besten
Gesandten und
Propheten mit der besten
Religion und Riten gesandt hat oder
nicht Sein bestes
Buch ihm eingab mit den besten Mitteln,
Gesetzen und Regeln, oder gar nicht Seine
Religion für ihn
vervollständigt hätte und ihn mit dem größten Segen
ausgestattet hätte, oder ihn nicht gelehrt hätte über die
Vergangenheit und Gegenwart, außer für das einzige Ziel, dass
die ganze Angelegenheit einen Abschluss findet bei den
erwähnten
Imamen jener
Rechtsschulen, um ein Monopol darauf
zu beanspruchen? Und danach würden sie es für alle anderen
verbieten, es aus jeglicher anderer Quelle zu erwerben, als
wenn der islamische Glaube mit seinem
Buch und dem
Vorbild des Propheten [sunna] und all den anderen Zeichen und Schriften
ihr Eigentum wäre, und sie es anderen verbieten würden,
irgendeinen anderen Weg zu wählen, als ihren eigenen!? Waren
sie denn die Erbberechtigten des
Propheten oder hat
ALLAH
durch sie die Nachfolgerschaft der
Imame versiegelt oder
ihnen das Wissen der Vergangenheit und Gegenwart gelehrt und
ihnen etwas verliehen, was Er sonst keinem anderen unter den
Menschen verliehen hat?
Nein, sie waren genau so wie viele andere, Beschützer und
Wärter des Wissens, Verwalter und Ausrufer. Diejenigen, die
nach
Wissen streben, sind fern davon, anderen die Tür zu
verschließen oder ihnen zu verbieten, es selbst zu erreichen.
Sie bremsen nicht den Forschungsdrang, noch beschränken sie
die Aufmerksamkeit der
Menschen auf sich selbst, noch
versiegeln sie die Herzen der
Menschen oder machen sie taub,
blind, stumm. Sie legen auch keine Handschellen oder Ketten
an. Solch ein Vorwurf kann ihnen nicht gemacht werden, außer
von einem Lügner. Und ihre eigenen Aussagen sind Beleg für
unsere Behauptung.
Lass uns nun konzentrieren auf die Angelegenheit, mit
welcher Ihr unsere besondere Aufmerksamkeit erzielt habt: Die
Einheit der
Muslime. Was ich erkenne, ist, dass diese
Angelegenheit nicht davon abhängt, dass
Schiiten ihren
eigenen
Glauben aufgeben, noch dass Sunniten ihren eigenen
Glauben aufgeben.
Schiiten dazu aufzufordern, so zu
verfahren, ohne auch gleichzeitig
Sunniten dazu aufzufordern,
ist eine Bevorzugung ohne Abwägung, ja sogar eine Bevorzugung
des weniger zu bevorzugenden. So etwas steht außerhalb unserer
Erwägung, wie es bereits in der Einleitung verdeutlicht wurde.
Ja, Einheit und Einigkeit kann erreicht werden, wenn Ihr
die
Rechtsschule der
Ahl-ul-Bait befreit und sie genau so
betrachtet, wie eine eurer eigenen
Rechtsschulen, so dass
Schafiiten,
Hanefiten,
Malikiten und
Hanbaliten, die
Anhänger der
Ahl-ul-Bait genau so berücksichtigen, wie sie
sich gegenseitig berücksichtigen. Nur so kann die
Einheit der
Muslime erreicht werden, und so werden sie vereint in einer
Linie.
Die Unterschiede unter den
sunnitischen
Rechtsschulen sind
ja nicht geringer als zwischen
sunnitischer und
schiitischer
Rechtsschule, wie es tausende von Bücher über die Prinzipien
der
Rechtsschule und der
Glaubenslehre beider Gruppen belegen. Daher stellt sich
die Frage: Warum haben verschiedene Leute unter Euch
Schiiten verurteilt als Abweichung von den
Sunniten? Warum haben sie nicht auf gleicher Basis
Sunniten
verurteilt als Abweichung von
Schiiten oder zumindest für die
Unterschiede untereinander? Wenn es vier unterschiedliche
Rechtsschulen geben kann, warum kann es dann nicht fünf geben?
Und warum können vier unterschiedliche
Rechtsschulen als
Einheit dargestellt werden, aber wenn es fünf werden, die
Einheit der
Muslime bedroht sei und
Muslime dann untereinander
gespalten seien? Ich wünschte, als Du uns im Anschluss zur
Einheit aufgefordert hast, dass Du dann auch die Anhänger der
vier
Rechtsschulen dazu aufgefordert hättest. Letztgenanntes
wäre für Dich viel einfacher und auch für sie. Aber warum hast
Du uns ausgesondert für Deine Einladung? Glaubst Du, dass die
Anhänger der
Ahl-ul-Bait die Einheit zerstören, während die
anderen ihre Herzen und Bestimmungen vereinigen, obwohl ihre
Rechtsschulen und Gedanken unterschiedlich sind und ihre
Gefühle und Neigungen unzählig sind?
Ich glaube, Du stehst über solch Gedankengut, da ich Deine
Liebe zu Deiner Verwandtschaft kenne.
Und der
Friede
Gottes sei mit Dir.
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5. Konsultation – Frage nach Argumenten