Die Konsultation
Die Konsultation [al-muradschaat]

Aussprache: al muradscha-aat
arabisch: المرجعات
persisch:
englisch: consultation [muraja'at]

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Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen

Die 82. Konsultation – Konsens wurde nie erzielt

30. Safar 1330 (19.2.1912)

Verehrter [maulana] Scheich al-Islam, der Friede sei mit Dir und die Gnade ALLAHs und Seine Barmherzigkeit.

Ihre Entschlossenheit, Abu Bakr zu unterstützen und sowohl im Verborgenen als auch öffentlich ihm gegenüber aufrichtig zu sein, ist eine Sache und die Behauptung, dass die Entscheidung zum Kalifat als richtig angesehen wurde, ist eine andere. Beide sind weder vom Verstand noch vom offenbarten Gesetz des Islam her miteinander in Einklang zu bringen.

Bei der Unterstützung der islamischen Machthaber schlugen Ali und seine beiden Söhne, die Imame, einen wohlbekannten Weg ein, mit dem wir unter Allahs Herrschaft stehen. Um Deine Fragen zu beantworten, werde ich Dir nun davon berichten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die islamische Umma – gemäß ihrer eigenen Meinung – ihren Ruhm nur dann bewahren kann, wenn der Staat seine Verhältnisse ordnet und die Aussöhnung herbeiführt, wenn er die geschlagenen Breschen schließt und die Lage kontrolliert. Dieser Staat kann nur aufgebaut werden mit der Hilfe seiner Bürger, die ihn mit ihrem Leben und mit ihrem Hab und Gut unterstützen. Wenn es möglich wäre, die Verantwortung für den Staat in die Hände seines gesetzmäßigen Befehlshabers zu legen, der ja als der legitime Stellvertreter des Gesandten Allahs (s.) anzusehen ist, dann müsste es derjenige sein, der auch dazu ernannt worden ist, und niemand sonst. Wenn dies unmöglich ist und ein anderer die Macht über die Muslime hat, ist die Umma dazu verpflichtet, ihn überall dort zu unterstützen, wo die Stärke des Islams und seine Unüberwindlichkeit gefährdet sind und wo seine Schwachstellen geschützt und sein Territorium verteidigt werden muss. Es darf nicht gelingen, Zwietracht unter den Muslimen zu stiften und die Einheit der Umma darf wegen des Widerstandes gegen den Herrscher nicht preisgegeben werden. Vielmehr muss die Umma ihn wie den wahren Kalifen behandeln, selbst wenn er ein Sklave sein sollte, dem man die Glieder amputiert hat. Sie muss an ihn die Grundsteuer, die Abgaben für die Teilhaberschaft am Ackerland, die Almosensteuer, die Steuer für das Weidevieh und anderes entrichten. Andererseits erhält sie von ihm einen Teil aus Kauf und Verkauf und hat Anspruch auf Freizügigkeit, auf das Recht, das gemeinsame Gebet zu verrichten und auf Schenkungen. Es ist sogar nichts dagegen einzuwenden, dass diejenigen, die ihm gegenüber ihren Verpflichtungen nachgekommen sind, als schuldlos gelten, so als hätten sie ihre Abgaben dem wahren Imam und Kalifen bezahlt. Das ist die Meinung Alis und seiner Söhne, den reinen Imamen.

Der Prophet (s.) hat gesagt: „Nach meinem Ableben wird Selbstsucht herrschen und ihr werdet viele Dinge leugnen.“ Da fragten sie ihn: „O Gesandter Allahs, welche Anweisungen würdest Du jenen geben, die dies noch erleben werden?“ Und er antwortete: „Kommt den Euch auferlegten Pflichten nach und bittet ALLAH um eure Rechte!“ Abu Dharr al-Ghaffari (r.) sagte sogar: „Mein Freund, der Gesandte Allahs (s.) hat mir empfohlen, dem Machthaber zu gehorchen und mich zu fügen, selbst wenn er ein Sklave sein sollte, dem man die Glieder amputiert hat.“ Und Salma al-Dschufi sagte: „Oh Prophet ALLAHs, was sollen wir tun, wenn Herrscher über uns regieren, die von uns verlangen, ihren Pflichten nachzukommen, uns aber unser Recht verwehren? Welche Anweisungen würdest Du uns geben?“ Und der Prophet (s.) antwortete hierauf: „Gehorcht und fügt euch, denn sie sind für das verantwortlich, was sie zu verantworten haben, und Ihr seid für das verantwortlich, was Ihr zu verantworten habt.“

Und in einer Überlieferung nach Hudhaifa ibn al-Yaman (r.) sagte er (s.): „Nach meinem Ableben werden Führer an die Macht kommen, die dem von mir gewiesenen Weg nicht folgen und die meine Sunna ignorieren. Unter ihnen werden Männer sein, deren Herzen wie die Herzen der Teufel im Leib eines vertrauten Freundes sind!“ Und Hudhaifa fragte: „Oh Gesandter Allahs, was soll ich nur tun, wenn ich so etwas erleben werde?“ Der Prophet gab zur Antwort: „Gehorche dem Befehlshaber [amir] und füge Dich ihm. Selbst wenn er dir auf den Rücken schlägt und Dir dein Vermögen nimmt, musst Du ihm gehorchen und Dich ihm fügen.“ Etwas ähnliches sagte er (s.) in einer Überlieferung nach Umm Salama: „Es werden Befehlshaber [umara] über euch regieren. Ihr werdet es wissen und ihr werdet es nicht wissen. Wer von euch Bescheid weiß, ist un-schuldig und wer es nicht weiß, wird gerettet.“ Da sagten sie: „Sollten wir denn nicht gegen sie kämpfen?“„Nein, nicht so lange sie das Ritualgebet beten“.

Die authentischen Überlieferungen hierzu sind in ununterbrochener Folge überliefert, und zwar vor allem seitens der Ahl-ul-Bait (a.). Deshalb übten sie sich in Geduld, obwohl ihnen ein Dorn im Auge steckte und es ihnen zuwider war. Sie hielten es aus, weil sie sich an die heiligen Anordnungen hielten, wie auch an all das, was ihnen der Prophet (s.) im einzelnen auferlegt hatte, nämlich das Unrecht standhaft zu ertragen und gute Miene zum bösen Spiel zu machen, um die Umma vor Gefahren zu behüten und ihre Kraft zu wahren. Für die Machthaber der Muslime, deren Herrschaft von den Herrschern unrechtmäßig für sich selbst in Anspruch genommen wurde, untersuchten sie die Bedeutung der Textbelege, obwohl dies sehr bitter für sie war. Sie hofften, den rechten Weg zu beschreiten, obwohl ihnen, deren Thron die unrechtmäßigen Machthaber bestiegen hatten, das Herz stärker blutete, als eine durchschnittene Kehle. Sie taten es aus Pflichtbewusstsein und um ihr Versprechen zu halten. Sie versuchten ihre Aufgabe mit Hilfe des offenbarten Gesetzes des Islam und mit dem Verstand zu bewältigen. Hierbei räumten sie im Zweifelsfall dem Wichtigen Vorrang vor dem weniger Wichtigen ein. Deshalb ließ auch der Befehlshaber der Gläubigen allen drei Kalifen seinen guten Rat zuteil werden und bemühte sich, ihnen Vorschläge zu machen.

Wer das Leben Alis in jenen Tagen ihrer Herrschaft untersucht, wird erkennen, dass er selbst den Weg der Versöhnung ging und es vorzog, Frieden mit den Verantwortlichen zu schließen, nachdem er versucht hatte, sein Anrecht auf das Kalifat unmittelbar nach dem Ableben des Gesandten Allahs (s.) deutlich zu machen. Obwohl er seinen Thron, den man ihm versprochen hatte, in ihren Händen sah, kämpfte er mit ihnen nicht darum und trat auch nicht in Konkurrenz mit ihnen. Schließlich wollte er die Umma bewahren und Rücksicht nehmen auf die Religionsgemeinschaft und den Glauben. Das, was dem Jenseits angehört, schätzte er hoch ein und stellte dafür das, was dem Diesseits zuzurechnen ist, zurück. Er litt unter einer Last, die niemandem sonst aufgebürdet war. Zwei Schicksalsschläge lasteten auf seinen Schultern. Da war das Kalifat, mit allen Texten und Versprechungen, die darauf hinwiesen. Es schrie förmlich nach ihm um Hilfe und brachte ihn derart in Aufruhr, dass sein Herz blutete, ja, er stöhnte so sehr, dass sich sein Inneres fast nach außen kehrte. Zum anderen gab es dort die grausamen Bürgerkriege, die für ihn ein Vorzeichen waren für den Aufstand der Völker der arabischen Halbinsel, für den Umsturz bei den Arabern und für die Vernichtung des Islam. Er stand vor der Gefahr, die verkörpert wurde von den Heuchlern unter den Bewohnern Medinas, die sich ja schon an die Heuchelei gewöhnt hatten. Sie waren von Beduinen umgeben, die auch im Qur'an Heuchler genannt werden und dem Unglauben und der Heuchelei näher standen als die sesshaften Araber. Zudem neigten sie eher dazu, die Gebote, die ALLAH auf seinen Gesandten als Offenbarung herabgesandt hat, zu übersehen. Nachdem der Gesandte Allahs gestorben war, wuchsen ihre Kräfte.

Die Muslime glichen nach seinem Ableben den in einer Winternacht entlaufenen Schafen, denen Wölfe und wilde Tiere auflauern. Sie waren umgeben von Musailima, dem Lügner, von Tulaiha bin Chuwailid, dem Betrüger, von Sadscha bint al-Harith, der Quack-salberin und deren Gefolgsleuten, die nur auf eine Gelegenheit warteten, den Islam auszurotten und die Muslime zu vernichten. Auch die Byzantiner, die Perserkönige und andere lagen auf der Lauer. Darüber hinaus gab es zahlreiche von Übereifer getriebene Elemente, die voller Hass und Groll gegen Muhammad, seine Familie und seine Gefährten waren. Äußerst ablehnend und feindlich gegen das Wort des Islam, trachteten sie danach, sein Fundament zu erschüttern, um ihn dann völlig beseitigen zu können. Diese Kräfte wurden von Tatendrang getrieben, von Eile und Überhastung. Sie sahen, dass die Sache einen für sie günstigen Verlauf nehmen würde und dass die Zeit nach dem Ableben des Propheten (s.) reif sei. Sie wollten die Gelegenheit nutzen und vom Chaos profitieren, bevor Kraft und Ordnung in der islamische Welt wiederhergestellt waren.

So war also der Befehlshaber der Gläubigen mit diesen beiden Gefahren konfrontiert, und es war nur allzu natürlich, dass er seinen Rechtsanspruch für das Überleben des Islam opferte. Das allgemeine Wohl war ihm wichtiger, für die Beilegung des Streits und das Ausräumen der Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und Abu Bakr gab es kein anderes Motiv, als die Sorge um das Wesentliche der Religion und die Sorge um das Territorium der Muslime. So mussten er und all seine Verwandten und Anhänger unter den Muhadschirun und den Ansar sich in Geduld üben. Es war ihm ein Dorn im Auge, ja, es war ihm zuwider. Während all der Jahre nach dem Ableben des Propheten (s.) gaben seine Worte hiervon ein beredtes Zeugnis ab. Die Berichte dazu sind von den Imamen der reinen Abstammung in ununterbrochener Folge überliefert.

Der Herr der Ansar jedoch, Saad ibn Ubada, schloss niemals Frieden mit den beiden ersten Kalifen und traf weder an einem der Festtage noch beim Freitagsgebet jemals wieder mit ihnen zusammen. Ja, er hat sie nicht einmal mehr erwähnt und daher auch weder ihren Anordnungen noch ihren Verboten irgendwelche Beachtung geschenkt, bis er schließlich während des Kalifats von Umar in Hauran hinterrücks ermordet wurde. Manche haben behauptet, er sei von Dschinnen getötet worden. Auch er hat sich damals unter dem Zelt dagegen ausgesprochen, doch ist es nicht notwendig, dies hier näher zu erwähnen. Was seine Gefährten wie Hadschib ibn Mundar und die anderen Ansar betrifft, so mussten sie sich der Unterdrückung und Gewalt beugen. Kann denn eine Unterwerfung aus Furcht vor dem Schwert oder vor Brandschatzung als Anerkennung des geleisteten Treueids verstanden werden? Und ist dies etwa ein Indiz für einen Konsens gemäß den Worten des Gesandten Allahs (s.): „Meine Umma wird niemals in einem Irrtum miteinander übereinstimmen?“ Ich möchte Dich hierzu um ein Rechtsgutachten bitten.

Der Friede sei mit Dir.

Weiter zur 83. Konsultation – Zur Wahrhaftigkeit der Prophetengefährten.

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