Lieder des Mirza
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Mirza Schafi

Die Lieder des Mirza Schaffy

von Friedrich von Bodenstedt

Kapitel 3

14.

Wir saßen noch spät beisammen,
Der alte Wirt und ich;
Des Weines heilige Flammen
Ergossen sich über mich;
Die reine Glut der Jugend
Mir wiederzugeben schien er –
Nie fühlt ich so die Tugend
Des roten Kachetiner.
Ich konnt' im süßen Drang
Nur immer schlürfen und nippen.
Es wurden zu Gesang
Die Worte meiner Lippen;
Wie Adam vor dem Falle,
So schwamm ich in Entzücken,
Und wünschte, ich könnte alle
Auf Erden mitbeglücken.
Sprach ich zum Wirt: Ich wollte,
Ich könnte in Wein zerfließen!
Mein flüssiger Körper sollte
Ins Weltmeer sich ergießen!
Und sollt' es mit Weisheit würzen,
Dann sollte ins Meer zu den Fischen
Die ganze Welt sich stürzen:
Die Schulen und Moscheen,
Die Heiligen, die Wunder,
Die alle darin zu sehn,
Der ganze alte Plunder,
Der sollte untergehn!
Ich wollte alles auf Erden
Befreien aus seiner Haft,
Es sollte zu Wasser werden
Die ganze Wissenschaft –
Sie sollte untergehen,
Und wieder auferstehen
In neuer Glut und Kraft!
O lass, Mirza-Schaffy!
– So sprach der alte Weinwirt
Lass deine Phantasie,
Und bis dein Leib zu Wein wird,
Bis deine Glieder zerfließen,
Zu würzen des Weltmeers Flut:
Lass sich in dich ergießen
Des Weines heilige Glut!
Lass alle frommen Toren
In Nüchternheit versinken;
Kein Tropfen geht verloren
Von dem, was Weise trinken!

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