Lieder des Mirza
mehr zu dem Buch siehe auch:

Mirza Schafi

Die Lieder des Mirza Schaffy

von Friedrich von Bodenstedt

Kapitel 5

21.

Die Geschichte von der schönen Chanin Fatme

Es schaute aus üppigem Frauengemach
Die schöne Chanin den Hof entlang,
Wo unter schattigem Blätterdach
Aus Marmor hoch die Fontäne sprang –
Es war unter allen Haremsfrauen
So schön wie Fatme keine zu schauen:
Das Auge so groß, so klein der Mund,
Der Wuchs so schlank, der Arm so rund –
Wer sie sah, blieb im Zauber verloren,
Sie war zum Bezaubern geboren.
Urplötzlich ein Schrei ihren Lippen entfuhr,
Und das Auge war wie umnachtet:
Sie sah, wie unten im Hausesflur
Ein Sklav' ein Lämmlein schlachtet –
Die Chanin stand in Tränen zerflossen,
Als würde ihr eigenes Herzblut vergossen.
Und wie sie noch so wehmutsvoll
Für das arme Lämmlein litt, –
Mit gekreuzten Armen und demutsvoll
Zu ihr eine Sklavin tritt.
»Hat das Gift gewirkt?« fragt Fatme schnell –
Die Sklavin nickt und zittert –
Doch der Chanin Auge blickt wieder hell:
»Der hab' ich die Freude verbittert!
Nun mag er sich winden und grämen,
Ich will mich der Tat nicht schämen!
Selbst lieber wollt' ich tot sein,
Als von solcher Buhlin bedroht sein,
Warum hat er sie hergebracht,
Dass sie mein Glück verscheuchte –
Ich will, dass in der Haremsnacht
Nur ein Gestirn ihm leuchte!«
Und sie wischt aus dem Auge die Träne,
Blickt rachegesättigt und munter
In den schattigen Hofraum hinunter.
Im Hofe springt die Fontäne,
Und wirft ihren blitzenden Silberstaub
Bis hoch an der Bäume grünes Laub.
Es lag so schwül und schwer in der Luft,
Von ferne zog ein Gewitter her –
Aus den Bäumen weht es wie Grabesduft,
Und auch der Chanin ward schwül und schwer.
Sie wankte dem weichen Lager zu,
Sie suchte Ruh und fand nicht Ruh.
Sie barg in den Polstern ihr heiß' Gesicht,
Sie wollte schlafen und konnte nicht.

 

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