Divan der persischen Poesie
Nizâmî
Abû Muhammed ibn Jûsuf Nizâm-eddîn oder Nizâmî wurde zu
Ganga im Lande Arrân 1137 geboren und starb, 63 ½ Jahr alt,
ebendortselbst. Früh verlor er seinen Vater. Die Frömmigkeit,
welche einen Hauptzug seines Charakters und seiner Schriften
bildet, trieb ihn anfangs einer gewissen dürren Ascese in die
Arme, in der er jedoch nicht lange Befriedigung fand, sodaß er
sich einer heitereren Lebensanschauung zuwandte. Sein erstes
Werk, mehr didaktischer Natur, ein Vorläufer Sâdi'scher
Poesie, ist das »Mahzan-alasrâr«, »Magazin der Geheimnisse«,
aber erst mit dem romantischen Epos »Chosrau und Schîrîn«
betrat er das Feld seiner eigentlichen Größe. Der Atabeg Kizil
Arslân berief ihn an seinen Hof, und schenkte ihm zwei Dörfer.
Auf diesem seinem Besitztum lebte der Dichter in stiller
Zurückgezogenheit, da er im Gegensatz zu den meisten übrigen
persischen Poeten die Unabhängigkeit dem Hofleben vorzog. 1186
stellte er seinen »Diwan« zusammen, der aber verloren gegangen
zu sein scheint, und wandte sich dann, auf Wunsch des Fürsten
vom benachbarten Schirwân, Achsitan, der Geschichte des
berühmten arabischen Liebespaares »Leila und Medschnun« zu;
widerwillig machte er sich an den Stoff heran, vollendete ihn
aber mit glänzender Meisterschaft in vier Monaten. Seine
letzten Werke sind das in zwei Teile zerfallende Helden-Epos
von Alexander dem Großen (Iskender-nameh), wozu er durch seine
Bewunderung für Firdusi veranlaßt wurde, und das »Heft-Peiker«
(»Die sieben Schönheiten«), mit dem er wieder in die Bahnen
der Romantik einlenkte. ..... Dreimal war der Dichter
verheiratet und besaß einen Sohn aus der ersten Ehe.
Aus dem »Magazin der Geheimnisse.«
I.
Herr Jesus auf gewohnter Wanderung
Ging einst auf einen Markt hin. Da lag
Ein toter Hund und viele Leute standen
Um ihn herum, wie Geier um ein Aas.
Sie schmähten alle die verworfne Leiche,
Es war zu groß kein Schimpf, zu stark kein Ausdruck
Den Aufgebrachten über alle Maßen
Ob einer so höchst ungefügen Schau,
Ob eines so höchst widrigen Geruches.
Herr Jesus aber trat heran und sprach
Sanftmütigen Tones so: »Die Zähne seht,
Die herrlichen, sie sind so weiß, wie Perlen!«
Mit Tiefbeschämung trifft sie diese Rede,
Die meisten in Beschimpfung allumher;
Sie sind wie Muscheln, welche die Gewalt
Der Flamme fühlend, durch und durch erglühn.
Daumer.
II.
Nur ein Abglanz des Prophetentumes
Ist der Dichtkunst heilig ernster Schleier,
Vor und nach sich reihn des Geistes Größen:
Den Propheten folgt die Schar der Dichter.
Beide sind Vertraute eines Freundes,
Kern jedoch sind jene, diese Hülle.
III.
Herzlos sind wie Gold die Dichterlinge,
Denen feil um Gold die hohe Kunst ist.
Wer fürs Gold die Lichtgedanken hingiebt,
Giebt für Steine leuchtende Rubine.
Diese Leute, die gelehrt sich dünken,
Stehn am tiefsten auf der eitlen Höhe.
Schmückt sie heut die goldverzierte Mütze,
Drückt sie morgen schon die Eisenkette.
Wer, Quecksilber gleich, abhold dem Gold ist,
Glänzt wie Silber, frei von Sangars Eisen!
Bacher.