Divan der persischen Poesie
Divan der persischen Poesie

Blütenlese aus der persischen Poesie, mit einer litterarhistorischen Einleitung, biographischen Notizen und erläuternden Anmerkungen.

Herausgegeben von Julius Hart.

1887 n.Chr.

Inhaltsverzeichnis

Divan der persischen Poesie

Rumi

Aus dem Divan - Schon naht der Herbst

Schon naht der Herbst, o Gärtner! Auf den Wangen
Der Blätter zeigt sich seine fahle Spur;
O Gärtner, horch der Bäume lautem Bangen,
Und horch der stummen Klage auf der Flur!
Die Lippe schweigt, das Aug', vom Naß umfangen,
Beweint die Safranfarbe der Natur;
Des Grames Rabe hat den Hain betreten,
Und fragt nun spöttisch, wo sich Rosen betten?

Wo sind Jasmin und Lilje hingekommen?
Wo ist die Wiese hold in Grün gehüllt?
Habt ihr von Früchten-Ammen nichts vernommen,
Und vom Behälter, stets mit Milch gefüllt?
Mein Sprosser, meine Taube sind entschwommen!
Wo ist des Psittichs, wo der Pfauen Bild?
Weil Adam von dem Unglückskorn genossen,
Ist ihre Krone, ist ihr Schmuck zerflossen.

Wie Adam einst, klagt jetzt der Rosengarten.
Wenn Gott auch sprach: »Verzweifeln sollt ihr nicht.«
In Trauer stehn die Bäume, die gescharten,
Und stöhnen, fruchtleer, ob dem Strafgericht.
Vom Storche muß ich noch auf Antwort warten,
Ob ihn das Grab umfängt, ob Himmelslicht?
Bald rauscht der Bach, o Rabe, durch die Wiese
Und schafft die Welt zum neuen Paradiese.

O Schwätzer! laß drei Monde nur entschwinden,
Dann schaut dein blindes Aug' der Erde Pracht;
Und Esrafil wird uns das Licht entzünden,
Und wir erwachen aus des Todes Nacht.
Wie lang noch wirst du Zweifel uns verkünden,
Und blut'gen Auges schau'n des Himmels Macht?
Bald stirbt des Herbstes Wurm und seine Plagen,
Und wonnig wird des Glückes Morgen tagen.

O holder Morgen, mach' das Dunkel weichen,
Und laß der Wärme Zauber sich erneu'n!
O Sonne, trete in des Widders Zeichen,
Entflieh' dem Mars und wolle Ambra streun!
Laß Rosen lächeln und belebe Leichen,
Laß alles sich der höchsten Klarheit freun!
Gleich Körnern drangen wir aus unsrer Hülle,
Und Gaben bringt der Garten nun in Fülle.

Vom Schönheitsglanze ist die Au' umflirret;
Der Zeitenkreis rühmt seine Vaterschaft;
Der Storch, der auf des Köschkes Zinnen schwirret,
Ruft: »Dein, o Herr, ist Macht und Reich und Kraft!«
Der Sprosser schlägt, die Turteltaube girret
Vom jungen Glück, das kräftig wirkt und schafft;
Drum schweig' und horche auf der Vögel Lieder;
Sie schweben ja vom Geisterlande nieder.

Vinzenz Rosenzweig von Schwannau

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