Divan der persischen Poesie
Rumi
Aus dem Divan - Unser Reigen
Unser Reigen, teure Seele, ist nur geistiger Natur;
Meide drum bei diesem Tanze stets des Hochmuts fernste Spur.
Unser Reigen kennt den Dünkel, kennt die
schnöde Selbstsucht nicht;
Männlich deinem Selbst entsagen sei darum dir strenge Pflicht.
Unser Reigen ist nicht Körpern, ist nicht
Seelen unterthan;
Schwinge dich im Sphärenschwunge über aller Sekten Wahn!
Unser Reigen ist Berauschung, Liebe ohne
Sinnentrug,
Und er gähret gleich dem Weine in des Körpers irdnem Krug.
Unser Reigen bannt die Bosheit, bannt den Haß
aus jeder Brust,
Macht gar leicht dich frei vom Stolze, reinigt dich von wilder
Lust.
Unser Reigen läßt der Seele wundervollen
Garten schau'n;
Deines Grames Rosenfelder wandelt er in Rosenau'n.
Unser Reigen ist des Lebens, ist der Jugend
ew'ger Quell,
Bist du, Chiser, o so trinke von dem
Lebenswasser schnell.
Unser Reigen ist ein Festtisch, wo Gott
Köstliches vereint;
Wohl der glückbeteilten Seele, die dabei als Gast erscheint!
Unser Reigen ist ein seltnes wunderbares
Unterpfand,
Das des Allerbarmers Gnade legte nur in Menschenhand.
Unserm Reigen bebt die Erde, wenn ihr Auge auf
ihn fällt,
Und von Furcht und Angst erschüttert wird des Himmels
Azurzelt.
Unser Reigen, alle sprechen, die da einmal ihn
gesehn:
»Nimmer haben wir die Kräfte, jenen Tanz zu überstehn!«
Unser Reigen ist der Anteil, der in reinen
Geistern wohnt,
So wie unsers Körpers Anteil jener Geist, der in ihm thront.
Unser Reigen ist voll Fürsten, herrschend in
der Liebe Land:
Sieh, wie einer stets dem andern des Verdienstes Ball entwand!
Unser Reigen ist ein Pfandgut, das der
Schöpfer, huldbewegt,
In des dankerfüllten Adams frohe Hände hat gelegt.
Unser Reigen ist erhaben über jede
Himmelsflur;
Unerforscht ist dies Geheimnis, und du prüfst es fruchtlos
nur.
Unser Reigen ist die Wüste, immerdar mit Blut
gefüllt;
Horch, wie in der Wüsten Mitte eine Schar von Löwen brüllt!
Unser Reigen ist als männlich, ist als
kriegerisch bekannt,
Weil er stets aus seinem Kreise alle Weiber hat verbannt.
Unser Reigen ist kein Wohnplatz für die niedre
Dienerschar;
Jeder ist darin ein König, ja ein Weltmonarch sogar.
Unser Reigen ist die Wonne, Gott von Angesicht
zu schau'n:
Vor des Teufels schlauen Ränken darf darin uns nimmer grau'n.
Unser Reigen – wenn der Mollah fromm in dessen
Ringe weilt,
Wanket er und wird von Schrecken und von banger Furcht ereilt.
Unser Reigen – setzt der Mollah sich in dessen
hehren Kreis,
Nahen Gottes fromme Männer diesem Kreise scharenweis.
Unser Reigen – zwar man übt ihn nur auf
niedrem Erdengrund,
Und doch macht er Sonnen kreisen und der Sterne lichten Bund.
Unser Reigen ist ein Festtag, kennt nur Lust
und keinen Schmerz,
Und kein Seufzen und kein Stöhnen preßt er aus der Menschen
Herz.
Unser Reigen ist das Leben, ist die Seele der
Natur;
Ohne Seele ist die Erde wohl ein lächelnd Feuer nur.
Unser Reigen ist ein Garten, Huris weilen drin
voll Huld;
Aber ach, du bist erblindet, und dies ist nicht meine Schuld.
Unser Reigen, ihn beschränket nicht des
Himmels hehres Feld,
Denn an Höhe sind ihm Schranken, sind ihm Grenzen nicht
gestellt.
Unser Reigen gleicht dem Schatze, der mit
Perlen ist gefüllt;
Tausend Meere, tausend Schachte hat er überall enthüllt.
Unser Reigen ist unschätzbar, ist der
köstlichste Gewinn;
Drum, o Sohn, gieb nicht zu wohlfeil, gieb um keinen Preis ihn
hin.
Vinzenz Rosenzweig von Schwannau