Die Liebe zu Gott, das Streben nach Ihm (Fitra)
Am inneren Aspekt des Lebens
Interessierte wissen von einer besonderen Beziehung zwischen
Mensch und Gott. Am ehesten lässt sich diese Beziehung mit
einem dem Menschen “von Natur aus mitgegebenen Hang zu Gott“
umschreiben. Gemeint ist die jedem Menschen innewohnende Liebe
zum Absoluten, zum absoluten Sein, zur absoluten
Vollkommenheit. Sie existiert in jedem Menschen als eine Art
innerer Antrieb, der ihn jederzeit mit Gott verbinden kann.
Bei manchen Menschen ist dieser Hang so stark ausgeprägt, dass
er sich zu einem grenzenlosen Verlangen entwickelt, das den
Gottsucher innerlich verzückt und trunken vor Liebe zu Gott
machen kann. Der Mystiker sagt, dass dieses innere Streben
nach Vollkommenheit auch in jenem Menschen vorzufinden ist,
der von Grund auf Gott ablehnt; jener ist sich dieser inneren
Veranlagung nur nicht bewusst.
Mit dieser Unwissenheit bzw.
Gleichgültigkeit des Menschen gegenüber dessen innerer
Wirklichkeit beschäftigen sich heute die
Erfahrungswissenschaften, insbesondere die Psychoanalyse. Es
ist an der Zeit unter Anwendung der neuesten Erkenntnisse der
Wissenschaft die Haltung und die Leidenschaft des Mystikers
fern von allen Vorurteilen und Kritiken, die der Mystik
entgegengebracht werden, zu untersuchen.
Aus der Sicht der islamischen Mystik wird
sich der Mensch der göttlichen, in ihm veranlagten
Vollkommenheit nähern, und mit Hilfe der Askese, der
Meditation und Andacht wird ihm jene Kraft geschenkt, durch
die er Stufe für Stufe zu diesem Stadium gelangt, in der er
Gott findet. Dann wird der Mensch Zeuge der absoluten
Vollkommenheit und gelangt damit zur Gewissheit [yaqin]. Die
Mystik geht davon aus, dass der einzige Weg zur Erkenntnis
Gottes über die Suche nach Ihm erfolgen kann, die den Menschen
letztendlich zu Gott führt, wie der Qur´an dem Propheten (s.)
versichert:
„So tue denn offen kund, was dir
geboten ward und wende dich ab von den Götzendienern. Wir
werden dir sicherlich genügen gegen die Spötter, die einen
anderen Gott neben Allah setzen, doch bald werden sie wissen.
Und fürwahr, Wir wissen, dass deine Brust beklommen wird ob
dessen, was sie reden. Aber lobpreise deinen Herrn und sei
einer der sich Unterwerfenden; diene deinem Herrn, bis die
Gewissheit zu dir kommt.“
(Heiliger Qur´an 15:94-99)
Dankpreisungen und Gebete sind ein Weg,
um zur Gewissheit zu gelangen. Die Gewissheit, die der
Mystiker erlangt, gleicht der Gewissheit, die der Mensch von
der sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit gewinnt.
Die objektiv wahrnehmbaren Dinge sind die
besten Mittel, dem sophistischen Zweifler zu begegnen, der
selbst das, was er vor sich sieht, als möglicherweise
“unwirklich“ betrachtet. Ebenso können die Zweifel über die
Existenz Gottes durch die unmittelbare Erfahrung von Gott
überwunden werden. Nicht das physische Auge wird Zeuge dieser
Wahrheit, sondern das “innere Auge“. Der Mystiker erfährt auf
diese Weise, dass er in der Tat der Liebende jener Wahrheit
ist und nicht ein Gebilde seiner Fantasie begehrt.