Gott und die Welt

Gott und die Welt

 Ayatollah Beheschti

Sinnentleerung [ta’til]

Einige Gelehrte gehen davon aus, dass der Mensch nur soviel von seinen Wurzeln her erkennen kann, dass diese Welt einen Ursprung und das Dasein eine Quelle besitzt, ohne diesen Ursprung oder diese Quelle näher beschreiben zu können. In allen Sprachen gibt es für diese uns unbekannte Wirklichkeit einen Begriff. Alle solche Begriffe sind eigentlich Wesensbeschreibungen, das heißt, sie sind nur ein Hinweis auf jene Realität, deren Existenz wir zwar wahrnehmen können, aber wir nicht näher beschreiben können. Zwar können wir deren Existenz voll wahrnehmen, jedoch über weitere Einzelheiten keine exakten Informationen geben. Daher sei “Er“ der geeigneteste Begriff für den Ursprung allen Daseins oder entsprechende Wörter in anderen Sprachen. “Er“ sei ebenso ein Ausdruck Seiner Existenz wie ebenso eine Andeutung, dass “Er“ im Einzelnen unbekannt bleibt. Begriffe wie “Allah“, “Gott“, “Ahuramazda“, “Brahma“ würden Gleiches zum Ausdruck bringen. Jene Gelehrte sind der Ansicht, dass jede Beschreibung und jedes Merkmal, das wir Ihm wegen seiner Unzutrefflichkeit zuordnen, den Menschen vom Weg der Gotterkenntnis abirren lässt. Die beste Erkenntnis sei eben die, zu wissen, dass es Ihn gibt und dass Er über alles, was dem menschlichen Verstand entspringt, erhaben ist.

„Oh du, der du erhaben bist über jegliche Vorstellung, Abstraktion, Analogie, Vermutung und Gedanken und alles, was wir über Dich sagen, hören oder lesen!“ [1]

Demzufolge bewegt sich “Gotterkenntnis“, wenn einmal Gewissheit über die Existenz des Ursprungs erlangt ist, lediglich in “einer Richtung“, in der Verinnerlichung und Dankpreisung, das heißt der Ursprung wird über alle vom Menschen geschaffenen Beschreibungen erhaben erachtet. Philosophen und Theologen nennen diese Auffassung “Ta’til“, weil Anhänger dieser Richtung der Meinung sind, dass der menschliche Verstand nicht in der Lage sei, Gott näher zu beschreiben, sein Wahrnehmungsvermögen sei diesbezüglich unfähig. In bestimmten religiösen Überlieferungen jedoch hat der Terminus “Ta’til“ eine Sonderbedeutung erfahren, nämlich das “Nichtimmanentsein des ursprünglichen Lenkers in der stofflichen Welt“ und “die Aberkennung einer erfassbaren Realität im Begriff Gott“.

Kulaini zitiert in seinem berühmten Werk “Usul al-Kafi“ von Hasan ibn Said: „Abu Dschafar[2] wurde gefragt: „Kann man sagen, Gott sei ein Ding?“ Er sagte: „Ja, denn diese Definition hält (den Menschen) fern von beiden Extremen, das der Sinnentleerung und des Morphismus“.“ [3] In einer anderen Überlieferung heißt es über Imam Dschafar: „... da die Negation der Dinglichkeit Gottes mit der Irrealität und Nichtigkeit Gottes gleich bedeutend wäre oder das andere Extrem zur Folge hätte, nämlich “Ihm“ eine stoffliche Gestalt verleihen würde.“

Scheich Saduq führt in seinem Werk “Tauhid“ folgende Überlieferung auf: Abdurrahim al-Qasir sagte, er habe über Abdulmulk ibn Ain Fragen an Abu Abdullah[4] gerichtet: „... kläre mich über den allmächtigen Gott auf, ob Er Form und Gestalt hat?“ Abu Abdullah ließ ihn über Abdulmulk wissen: „Gottes Segen sei mit dir. Du fragst über Tauhid (Einheit) und über die Anschauungen anderer vor unserer Zeit. Gepriesen sei Gott, Dem nichts gleich ist, Dem Allhörenden, Allwissenden. Er ist erhaben über alles, was die Anhänger Ihm gleichsetzen, wie sie Ihn mit Seinen Geschöpfen vergleichen und über Ihn Sachen verbreiten, die nicht wahr sein können. Gottes Segen sei über dir. Wisse, dass richtiges Tauhid-Verständnis das ist, was im Qur´an über die Merkmale Gottes offenbart ist. Daher halte dich von beiden extremen Positionen fern. Du solltest weder seine Realität negieren, noch sollst du Ihn dir in einer stofflichen Gestalt vorstellen, denn Er ist weder irreal noch durch eine Form oder Gestalt eingeschränkt. Er ist allwährend existierend, erhaben über alles, was die Menschen von Ihm darstellen. Du sollst die Grenzen, die im Qur´an gelegt sind, nicht überschreiten, andernfalls wirst du trotz dieses großen Lichts in die Irre gehen.“ [5]

In gewisser Weise kann man sagen, dass “Ta’til“ in seiner ersten Bedeutung folgerichtig zur zweiten Bedeutung von “Ta’til“ hinführt.

Wenn wir also behaupten, dass wir von dem Ursprung gar keine Kenntnis haben, außer dass es Ihn gibt, taucht die Frage auf, was mit “Ihm“ gemeint ist, wofür das Pronomen eigentlich steht. Ein Pronomen können wir nur anstelle eines uns bekannten Gegenstands verwenden; es müssen genügend Kenntnisse über Ihn vorhanden sein, um Ihn für uns von anderen unterscheidbar zu machen.

Stellen wir nun die Behauptung auf, vom Ursprung der Existenz gar keine Kenntnisse zu besitzen, haben wir ein Pronomen ohne zugehörigen Gegenstand oder anstelle eines erdachten leeren Begriffs benutzt. Genau hier setzt die Kritik vieler zeitgenössischer Materialisten an der Religionsphilosophie an. Daher müssen wir – sollte Gott eine Wirklichkeit darstellen – von dieser Wirklichkeit zumindest so viel Kenntnis haben, um Ihn von anderen Wirklichkeiten unterscheiden zu können.

[1] Der Autor Ayatollah Beheschti fasst das vorher Gesagte in der Anrufung Gottes zusammen.

[2] Imam Baqir (a.) ist der fünfte Imam der Zwölf Imame. Einer seiner Beinamen war Abu Dschafar (Vater von Dschafar).

[3] Al-Kafi Band 2/82

[4] Imam Dschafar ibn Muhammad al-Sadiq (a.) ist der 6. Imam der Zwölf Imame. Einer seiner Beinamen war Abu Abdullah.

[5] Scheich Saduq, Tauhid 102

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