Zahnstocher und Seife
Hareth Ben Hemmam berichtet:
Seitdem die Luft der Reiselust
mir hatte geschwellt das
Herz in der Brust,
dass ich, wie der Wind des Zufalls
hauchte,
hier auf und dort untertauchte
und tat, als ob
ich nie mehr die Heimat brauchte;
jedes fremden Stromes
Wasser trinkend,
mit jeder fernen Steppe Staub mich
schminkend
und in jedem Weltteil
spannend mein Zeltseil,
so weit als wächst die Dattel
und man kennt den arabischen
Sattel,
von Ferghane
Hauptstadt und Provinz von Mawera'ilnehr oder Transoxanien.
bis Ghane,
Hauptstadt des Negerlandes Sudan.
von dem Tiger bis zum Niger:
da legt' ich einst, wie
es das Glück beschied,
meine Barke an zu Barka'id.
Ein Ort oberhalb Mosul.
Es war eben die schöne Jahrzeit,
der Vögel Sing- und
Paarzeit,
des kahlgeschornen Haines Wiederbehaarzeit.
Doch
die Gärten mit den grünen Ästen
und die Straßen mit den
schönen Palästen,
die Plätze mit den springenden Bronnen
und der Lenz mit den umringenden Wonnen,
hatten für Augen
und für Ohren
ihres Zaubers einen Teil verloren,
weil eben
mit dem Frühlingsfestmond
war zusammengefallen der
Fastenmond,
Da die Araber bekanntlich Mondjahre
haben, so kann jeder Monat wechselnd in jede Jahreszeit
fallen.
und ich unterwarf als ein Gläubiger,
frommstrebender,
nicht sträubiger,
mich den heiligen Beschwerungen,
den
gesetzlichen Entbehrungen,
nicht benutzend den Vorwand des
Reisestandes
zur Lockerung des strengen Bandes;
so
dass ich
entrichtete mit trocknem Munde
die Gebetspflichten jeder
Tagesstunde,
selbst den Duft der Salben mir hielt vom
Haupte,
dass er mir nicht den Stand der Nüchternheit raubte,
und mir nur den Geruch der Blumen erlaubte.
Überstrenge Muselmanen sollen sich auch daraus ein Gewissen
machen, in den Fasten den Geruch der Blumen einzuziehen,
gleichsam als sei diese Erquickung ein feineres
Nahrungsmittel.
Ich machte mich nicht, ungeduldig,
der Sünde schuldig,
die Stunden des Tages zu zählen
und zu rechnen, wie viel
Tag' am Monat fehlen.
Als ich nun so hatte verbracht
mehrere Tage, als ich selbst gedacht,
zwischen Andachtsübung
und Reisegeschäftebeschickung
und einen Teil der Nächte mir
zur Erquickung;
wollt' ich, da ich keinen Grund hatte,
länger zu säumen,
mein Reisetier zäumen;
da erscholl die
Kunde vom gesehenen Neumond,
der schließt den Reumond,
und
bringt den Freumond.
Da wollt' ich doch diese Stadt nicht
verlassen,
ohne das Festlicht leuchten zu sehn in ihren
Gassen.
Und als der Tag nun angezogen kam mit Roß und Mann,
mit Troß und Gespann,
mit seinem Gefolge von frommen
Gebräuchen
und seinem Geleite von Freudenzeichen;
legt'
ich gesetzmäßig an ein neues Gewand
und ging, wo sich die
Gemeinde versammelt fand,
wo sich die Bekannten, die
Begegnenden,
Glück wünschten zum Feste, dem segnenden,
dann die Reihen sich dichteten
und die Glieder sich
schlichteten
derer, die das Gebet verrichteten.
Als nun am
vollsten der Drang war,
und am schmalsten der Gang war,
erschien ein Alter mit Lumpen an den Gliedern
und mit
eingedrückten Augenlidern,
dem das Licht der Augen ersetzte
eine Führerin, eine alte, gesetzte,
die die Zucht der
Versammlung nicht verletzte,
In den Moscheen dürfen
gewöhnlich keine Frauen erscheinen, nur die alten sind
ausgenommen. Sonst beten die Frauen zu Hause.
da der Blick an ihrem Anblick sich nicht letzte,
sondern sich davor entsetzte.
Als es ihm nun mit ihrer Hilfe
geglückt,
daß er sich zu einem Platze hindurchgedrückt;
grüßt' er rechts und links mit stillem Zagen
und stand wie
einer, dem die Lebensgeister versagen.
Es war, ohne daß er
kreischte,
zu verstehn, was er schweigend heischte.
Aber
um den schrecklichen Fluch zu vermeiden,
den nach des
Propheten Spruch sollen leiden
alle, die in den Moscheen
betteln,
Nach der Überlieferung: Es wird ausgerufen
werden am Tage der Auferstehung: Es sollen aufstehen die
Zornbeladenen Gottes des Höchsten! und es werden aufstehen die
Bettler des Mesgid (der Moschee).
Aber Almosen zu geben in
den Moscheen ist nicht verboten.
bettelt' er nicht mit dem Munde, sondern mit Zetteln,
die er aus einem Kober langte,
der ihm an Riemen um den
Nacken schwankte;
Blätter, die, von ferne gesehn, schon
Beifall erwarben,
weil sie glänzten beschrieben mit bunten
Farben.
Der Alten er die einhändigte
und sie des
Botengeschäfts verständigte;
die darauf durch die Reihen
schlotterte
und, die Zettel verteilend, stotterte,
daß die
Empfänger, die huldigen,
möchten die Mängel entschuldigen
der Schrift, die ein Blinder geschrieben,
dem aus der Zeit
seines Sehens die Übung geblieben.
Er wünschet Glück mit
einem Lied
jedem Gläubigen, der den Tag des Festes sieht.
So verteilte sie die stummen Zungen, groß' und kleine,
nach
wohl geprüftem Augenscheine,
je nachdem sie Geblust auf
einem Antlitz schaute,
oder Gebkraft einer Hand zutraute.
Und ich schien ihr wohl von den Kunden der beste,
denn mir
ward von den Zetteln der größte.
Darauf fand ich
geschrieben:
Wohl dem, der unterm Fittiche des Glückes weilt
Und in dem Schoß der Heimatruh' darf rasten!
Wohl dem auch, der auf raschem Tier durch Länder eilt,
Mit Füll' im Sack, um, wo er will, zu gasten.
Doch wehe dem, dem Gott die Armut zugeteilt;
Zu Haus und in der Fremde trägt er Lasten.
Der Neumond hat, wie eine Spang' aus Gold gefeilt,
Geblickt aus Abendwolken-Purpurquasten;
Sein Anblick hat die Sehnsucht aller Welt geheilt;
Was hilft es dem, der noch am Fest muss fasten?
Die lichte Scheib' ist mir zu schauen nicht erteilt;
O dass ich dürft' ein Scheibchen Brot betasten.
Ist hier nicht einer, reich an Herden, welchem geilt
Der wohlgenährte Hengst auf fetten Masten;
Und sieht hier einen, der den Bauch hat eingeseilt,
Den Hunger zu ersticken, den verhassten?
Ist hier nicht einer, reich an Waren, dem gezeilt
Die Kleiderstoffe liegen in den Kasten;
Und sieht hier einen, der zum Fest hat angekeilt
Am Leib die Lumpen, die zu fallen hasten?
Der gebe zeitig, eh' er dort mit denen heult,
Die hier, weil ihre Brüder darbten, prassten.
Hareth Ben Hemmam erzählt: Die Verse, die mir so die Hölle
heizten,
verfehlten nicht, dass sie meine Neugier reizten,
indes ein kleiner Schauder meine Hand durchbebte,
daß sie,
die von Natur nicht zusammenklebte,
noch freigebiger
auseinanderstrebte.
Ich fragte mich selbst: wer ist der
Mann, vom Glück verkürzt,
der so bündig den Knoten schürzt
und so derb den Ausdruck würzt?
und ich hoffte, den
Aufschluss zu erhalten
von der Alten
wenn ich ihre
Verschwiegenheit
bekämpfte mit Goldes Gediegenheit;
ich
rechnete auf die weibliche Gebrechlichkeit
und die weltliche
Bestechlichkeit.
Da lief sie wieder
Reih' auf und nieder,
um die Blätter zurückzuempfangen
samt dem, was etwa daran
blieb hangen
von den reichen Händen, durch die sie gegangen.
Doch ihre Miene war missliebig,
weil die Ernte war
unergiebig;
sie nahm den Rückzug in Verstörung
und vergaß
in der Gottesbethörung
das Blatt, das ihr am besten sollte
tragen,
das in meine Hand war verschlagen.
Sie kehrte zum
Alten voll Bekümmerung,
ihm klagend der Hoffnung
Zertrümmerung,
der Zeiten und Menschen Verschlimmerung.
Doch er sprach: Wir sind in Gott!
und kommen her von Gott!
und kehren zurück zu Gott!
Dann hub er an:
Es blieb kein Retter und kein Berater,
Es lebt kein Freier und kein Freigeb'ger;
Kein Herzenswarmer und kein Erbarmer.
Kein Tröster Armer, als du, o Ew'ger!
Drauf sprach er: Gieb dein Herz zur Ruhe,
zähle die
Blätter und thue
sie zurück in die Truhe.
Sie sprach: Ich
habe sie schon gezählt,
doch das größte fehlt.
Da rief er:
Weh dir, Unsaubere!
so verhudelst du, was ich zaubere?
Schöpfest kein Wasser und zerbrichst den Henkel?
fängst
nicht den Vogel und verlierst die Sprenkel?
Der Köder ist
hin und fort der Lachs;
das ist zum Misswachs der Zuwachs.
Gleich, eh' ich dir fluche,
geh und noch einmal suche!
Da
kehrte sie zurück und lief
her und hin und quer und schief,
suchend in nicht kleiner Not
das verlorene Kleinod.
Und
als sie auf ihrer Spähe
nun kam in meine Nähe,
legt' ich
aufs weiße Blatt ein falbes
Goldstück und ein Groschenstück,
ein halbes,
und sprach: Willst du auf dieses Ganze hoffen,
so sei ganz offen.
Doch willst du halb bekennen, halb lügen,
so laß dir an diesem halben genügen!
Sie verschlang den
goldenen Vollmond
mit Blicken, des Glanzes ungewohnt,
und
sprach: Wozu die Umschweife?
zieh! mein Geheimnis ist eine
lockere Schleife.
Ich sprach: Nimm mir vom Auge die Binde!
Wer ist der alte Blinde?
Und ist dies Gedicht Faden von
seiner Spule,
oder Gewirk von fremdem Webestuhle?
Sie
sprach: Der Scheich ist von Serug,
und diese Kunst ist sein
Acker und Pflug,
der aber jetzt geht schlecht genug;
Gott
verleihe diesem spröden Boden
einen lockernden
Frühlingsodem.
Dann stürzte sie auf den Gulden wie ein Geier
und schwang sich davon wie ein Reiher.
Doch ich sprach zu
mir, mit trübem Blick:
O Weltgeschick!
So hat diese
Glanzsonne des Gedichts
beraubt müssen werden des
Augenlichts!
Und ich brannte vor Verlangen, beim Süßmundigen
mich über seinen Unfall zu erkundigen.
Doch mir war zu ihm
der Zugang
gesperrt durch der Betenden Zudrang,
und ich
bedachte, daß es nicht mag vorm Gesetz bestehn,
über die
Nacken der Leute zu gehn. [Fußnote] D. i. zwischen dem
Erzähler und Abu Seid sind Reihen von betend Liegenden, über
die jener schreiten müßte, um zu diesem zu gelangen, was
unanständig und vom Religionsgesetz gemißbilligt ist. Mohammed
sagt, zufolge der Überlieferung: Wer auf die Nacken der Leute
tritt beim Freitags-Gottesdienst, der macht sich eine Brücke
zur Hölle.
So behauptet' ich denn meinen Platz und schwieg,
während der Festredner die Kanzel bestieg
und nach dem
Lobe Gottes und dem Preis des Propheten
für das Wohl des
Fürsten begann zu beten,
dann die Hörer mit frommer
Betrachtung
bestärkte zu Weltverachtung
und ewiger Güter
Ertrachtung.
Als nun der Gottesdienst geschlossen war
und
die Beterflut auseinandergeflossen war,
säumt' ich nicht,
nach Abu Seid zu rennen;
und mit meines Namens Nennen
gab
ich mich ihm zu erkennen.
Ich legt' ihm aus Liebe mein Kleid
an,
und er nahm es ohne Leid an.
Dann lud ich ihn auf mein
Brot und Salz,
und zusagte er ebenfalls.
Dann machte ich
ihm meinen Arm zum Stabe
und führt ihn davon, wie einen
Schatz, im Trabe
und die Alte ging drein als Zugabe.
Als
ich so ihn gebracht in mein Quartier mit der Eilepost
und
dort ihm vorgesetzt eine Eilekost;
sprach er: O Hareth!
sind wir vor Zeugen bewahret?
Ich sprach: Niemand ist hier
als die alte Frau.
Er sprach: Vor ihr ist mein Geheimes zur
Schau.
Dann that er auf seine beiden Sterne
und blitzte
mit ihrem leuchtenden Kerne,
daß die Äpfel wie zwei feurige
Kugeln rollten,
als ob sie die Zwillinge am Himmel beschämen
wollten.
Erst wünscht' ich ihm Glück zu den gefunden Sinnen,
dann zeigt' ich mich ihm erstaunt über sein Beginnen
und
fragt' ihn, warum er so entstellt und verstellt
umzieh' in
der Welt?
Doch er stellte sich stumm
und verschlang das
Frühstück mit hum und mum;
bis dass er sein Geschäft
vollendet,
da hub er an, zu mir gewendet:
Da blind ist die Mutter der Menschen, die Welt,
Zudrückend ihr Auge vorm Guten geschwind;
So drückt ich vorm Bösen das meinige zu,
Damit seiner Mutter auch gliche das Kind.
Doch hab' ich geschlossenen Auges gesehn,
Dass andere blind mit geöffneten sind.
Die einen verblendet der Hass und der Neid,
Und dich macht die Liebe zum Seltsamen blind.
Dann sprach er: Nun ich gespeist habe
und Mund und Hand
noch feist habe,
regt sich in mir ein andrer Gelust,
den
du als mein Wirt befriedigen musst.
Geh und bringe mir dar
ein schönes Paar,
eines davon ein schlankes Knäbchen,
fein
gedreht, ein geschnitztes Stäbchen,
glatt und fest,
geschmeidig, süße,
der den Mund mir küsse
und es sich
lasse munden,
wenn die Zähne ihn verwunden.
Dann ein
reinliches Mädchen,
erzeugt in einem Kramlädchen,
und
anzufühlen und weich,
den himmlischen Nymphen gleich,
leicht von Gewicht und luftig,
wohlriechend von Atem und
duftig,
das aufwalle mit Schaumen,
wenn es mir küsst den
Daumen,
und zugetan mir bleibe,
wenn ich's mit der Hand
zerreibe.
Da sprach ich erstaunt:
Wie scherzest du
wunderbar gelaunt!
Glaubst du, daß ich ein Harem von Mädchen
und Knaben
hab' in meiner Fremdenwirtschaft vergraben?
Er
sprach: Hast du so wenig mir abgelernt,
oder so viel
vergessen, von mir entfernt?
Geh und begreife,
ich meine
Zahnstocher und Seife.
Da sprach ich: Gott sei gepriesen,
dass du dich so als guter Moslem beweisest
und dich der
Reinlichkeit befleißest.
Dann ging ich eilends in die Kammer
und dachte an keinen Jammer,
langte aus dem Schrank die
beiden Geräte
und kehrte zurück zur Stätte.
Aber das Nest
war leer,
kein Abu Seid zu sehn noch zu hören mehr.
Es
war, als wär' er versunken in die Wogen,
oder in die Wolken
emporgeflogen.