Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

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7. Vogelfrei

Beim Prinzen Friedrich Karl von Preußen.

Ich hatte meine Übersiedelung nach Charlottenburg ausgeführt und in einem einstöckigen Hause der Leibnizstraße meinen ständigen Wohnsitz eingerichtet in der Hoffnung, den Rest meiner Tage in dem Schoße meiner Familie und an der Seite meiner zweiten Frau, der Tochter eines österreichischen Gendarmerie-Majors, zu verleben. In Ägypten war ich genötigt gewesen, acht Monate des Jahres hindurch ein Haus machen zu müssen, da es schon damals von fremden Besuchern im schwarzen Lande wimmelte und besonders die Stadt Kairo ein Stelldichein der vornehmsten europäischen Welt geworden war. Meine Wohnung in der Fagala- oder »Radieschenstraße« schien eine Art von Taubenschlag zu sein, denn die ausländischen Vögel flogen die beste Zeit des Tages über bei mir aus und ein und meine Frau hatte außerdem ihre liebe Not und Mühe, bei ergangenen Einladungen den vorausgesetzten Ansprüchen Genüge zu leisten und Küche und Keller zu überwachen. Handelte es sich gar um fürstliche Personen und deren Begleitung, so trat die oft recht schwierige Aufgabe hinzu, in der Tafelrangordnung keine Verstöße zu begehen. Das alles fand mit einem Male sein Ende und nur die Erinnerung an die große Welt entschädigte uns für die fehlenden Gäste im stillen eigenen Heim. Auch das Reisen, so hatte ich es mir vorgenommen, sollte ein für allemal an den Nagel gehängt werden und meine Wanderungen nur auf den Weg zwischen Charlottenburg und der nahe gelegenen jungen Weltstadt Berlin beschränkt bleiben. Das Schicksal fügte es wiederum anders, denn ich mußte kurz nach meiner vollzogenen Ansiedelung noch einmal zum Wanderstab greifen und meine Bekanntschaft mit ägyptischen Afrikanern und persischen Asiaten erneuern.

In die erste Zeit meiner Ruhe fällt der Anfang jener frohen Tage, an welchen es mir vergönnt war, durch die volle Freundschaft des Prinzen Friedrich Karl von Preußen geehrt und als sein häufiger Gast in Dreilinden und Babelsberg oder im alten königlichen Schlosse zu Berlin empfangen zu werden.

Mein erster Einzug in seine Waldklause von Dreilinden, an deren Gebälk über dem Eingang dem Eintretenden die paar Worte: »Klein aber mein« das Empfinden einer großen Seele entgegenrufen, fand im Jahre 1881 auf eine vorangehende Einladung des Prinzen statt. Die übrigen anwesenden Gäste gehörten der Mehrzahl nach dem Soldatenstande an. Als Kriegskameraden oder als tüchtige Offiziere waren sie dem Prinzen lieb und wert geworden, der mit ihnen alle gemeinschaftlichen Campagne-Erinnerungen ins Gedächtnis zurückrief und seine Gedanken über modernes Kriegswesen austauschte oder Personen und Dinge der Vergangenheit und der Gegenwart in das Gespräch einflocht.

Die Unterhaltung an der fürstlichen Tafel, an der zwölf Personen ihre Plätze le nach ihrer Rangstufe einnahmen, wurde von dem prinzlichen Wirte geleitet, der dem Ernste und dem Scherze seine gebührende Stelle anwies und durch sein einfach schlichtes Wesen auf die Anwesenden geradezu einen berückenden Zauber ansübte. Zu den Gästen, die der Kriegerkaste ferner standen, gehörten Gelehrte, Schulmänner, Künstler, Schriftsteller und Dichter, die von Zeit zu Zeit eine Einladung erhielten und durch ihre lehrreichen Mitteilungen den Reiz der Abwechselung in die Gespräche hineintrugen.

Wer zum erstenmale das Jagdschloß von Dreilinden betrat, um an der Tafel seinen Platz einzunehmen, der mußte seinen Namen in ein aufliegendes Gedenkbuch einschreiben und der alten Sitte gerecht werden, seinen ersten Champagner aus dem dazu auserlesenen Hirschgeweih zu trinken. Das Innere des mächtigen Horns war zu diesem Zwecke ausgehöhlt und an verschiedenen Stellen zwischen den Zacken Öffnungen angebracht, die von dem Trinkenden dem Munde genähert werden mußten, um den flüssigen Inhalt über die Zunge zu spülen. Das war je nach der Stellung der Zinken nicht leicht. Die militärische Rangordnung entschied über die Wahl des Saugloches. Mir wurde der Vorzug zu teil, meine Lippen dem Generalspunde nähern zu dürfen. Ich setzte an und trank nach meiner Meinung etwa eine halbe Flasche Champagner, während sich thatsächlich nur ein volles Glas in dem Hirschhorn befand. Mit diesem Willkomm war ich als ebenbürtiger Gast der Tafelrunde in Dreilinden beigesellt, um mich der Gegenwart des prinzlichen Helden und seiner Paladine durch eine Reihe von Jahren zu erfreuen.

Mein unvergeßlicher Beschützer führte in den beschränkten Räumen seines Jagdschlosses ein beschauliches Stillleben, das höchstens zweimal in der Woche durch die Anwesenheit der Eingeladenen unterbrochen ward. Unter den nichtmilitärischen Gästen zähle ich in vorderster Reihe Meister Anton von Werner, die Doktoren Güßfeldt und Schottmüller, die Dichter und Schriftsteller von Bodenstedt, Fontane und Möllhausen auf, um nur an die hervorragendsten Geister zu erinnern. Unter den Offizieren gab es nicht wenige, welche sich nicht nur in ihrem Berufe, sondern in gleicher Weise durch ihre schriftstellerischen Leistungen auszeichneten. Ich erinnere nur an den General von Spitz, den dichterisch hochbegabten Verfasser von »Udo mit dem Tüchlein.«

Die Unterhaltung bewegte sich, wie gesagt, auf allen Gebieten des menschlichen Wissens und Könnens, und es war mir stets ein wahrer Genuß, die scharfen und zutreffenden Urteile des hohen Wirtes zu bewundern. So manche feine Bemerkung ist mir in der Erinnerung lebendig geblieben. Obgleich ein Kriegsmann erster Größe, haßte er den Krieg und sah ihn nur als ein notwendiges Übel an. Seine Bescheidenheit verleitete ihn sogar zu dem Geständnis, daß er eigentlich seinen Beruf verfehlt habe, er sei nämlich nur zu einem Seemann geboren. Als solcher würde er wirklich Bedeutendes geleistet haben. Man muß dazu wissen, daß er die Marine über alles liebte und im Seewesen bis zu den technischen Ausdrücken hin ganz außerordentliche Kenntnisse besaß. In dieser Beziehung fand der Prinz alles an mir auszusetzen, und das einzige, was er gelegentlich einer späteren gemeinschaftlichen Seereise zu loben wußte, betraf meine vollständige Gleichgültigkeit gegen das Gespenst der Seekrankheit.

Nach aufgehobener Tafel empfand der Prinz einen unglaublichen Genuß in dem Vortrage von Volksliedern, die aus dem gesangesreichen Munde von Offizieren – Baron von Dincklage war ein Meister darin – mit Klavierbegleitung die Halle von Dreilinden durchtönten. Die Macht des Gesanges übte bisweilen eine so tiefe Wirkung auf den Feldmarschall-Prinzen aus, daß ich eine stille Thräne in seinem umflorten Auge hängen sah. Im übrigen ließen ihn Konzerte und Theater vollständig gleichgültig, so daß mancher an dem musikalischen Sinn des großen Feldherrn zweifelte.

Alle diejenigen, die ihm, wie meine Wenigkeit, näher standen, wissen von seiner Seelengüte, seinem kindlich-goldenen Herzen und seiner Anspruchslosigkeit zu erzählen, die zu dem gestrengen Herrn Feldmarschall in einem merkwürdigen Gegensatze stand. In seinem Innern hatte die Barmherzigkeit ihren Thron aufgeschlagen, und die vielen Wohlthaten und stillen Unterstützungen, welche er den Bedrängten und Hilfsbedürftigen zukommen ließ, sind nur denen bekannt, die den Auftrag erhielten, sie zu übermitteln. Er verbat es sich ernstlich, davon überhaupt zu reden.

Im Sommer pflegte der Prinz auf einige Wochen seinen Aufenthalt in Saßnitz auf der Insel Rügen zu nehmen und seine bevorzugten Freunde auf einen längeren und kürzeren Aufenthalt in seiner Nähe einzuladen. Die Wohngebäude bestanden aus drei schwedischen Holzhäusern, die im grünen Haag am steilen Rande des Meeresufers aufgerichtet waren und die weiteste Aussicht über die Bucht von Saßnitz gewährten. Deutsche Kriegsschiffe pflegten inmitten der Bucht vor Anker zu liegen. In der Frühe des Morgens empfingen sie selbst trotz Sturm und Wetter den Besuch des Prinzen und seiner Gäste. Seemanöver und militärische Besichtigungen nahmen den ganzen Vormittag in Anspruch, wonach gegen ein Uhr die Rückfahrt ans Land stattfand. Das idyllische Leben am Strande bereitete dem hohen Herrn einen Genuß sonder gleichen, doch vermied er es ängstlich, sich außerhalb des umhegten Raumes seiner Ansiedlung zu begeben, um von den Badegästen begrüßt und durch Ovationen gefeiert zu werden. In welcher Weise der Fürst es vermied, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, davon werde ich später einen schlagenden Beweis anführen.

Meine Einladungen nach Saßnitz wiederholten sich mehrere Jahre hindurch und ich brauche es nicht zu versichern, mit welcher Freude ich ihnen Folge leistete. Die stillen Stunden, die ich an der Seite des Prinzen, der unter dem Vorbau seines schwedischen Hauses zu sitzen pflegte, in ernsten Gesprächen verlebte, sind mir unvergeßlich geblieben. Er schüttete mir häufig im Angesicht des bewegten Meeres sein ganzes Herz aus und machte mich nicht selten zum Mitwisser eines geheimen Kummers, der augenblicklich seine Seele bedrückte. Mich selber überkam jedesmal dabei das Gefühl tiefster Wehmut, da meine eigenen Trostgründe nicht ausreichten, die Bitterkeit seiner schmerzlichen Empfindungen zu versüßen. In den niemals leeren Unterhaltungen liebte es Prinz Friedrich Karl, der durch seine Großthaten selber Geschichte gemacht hat, sich durch mich über die älteste Geschichte des Morgenlandes, besonders Ägyptens, unterrichten zu lassen, und ich durfte mit Recht stolz darauf sein, dem unbesiegten Feldmarschall meine schwache Weisheit auf dem Boden des Altertums enthüllen zu dürfen. Es ist nur wenigen bekannt, daß der Prinz sich mit sehr ernsten numismatischen Studien beschäftigte und eine auserlesene Sammlung von Münzen und Medaillen aus den Zeiten des Altertums besaß. Aus der römischen Kaiserzeit befanden sich Unica in Gold darunter, die ihm vom König Victor Emmanuel von Italien verehrt waren und die für sich allein einen kleinen Schatz bildeten. Der Prinz betrachtete die Münzkunde als einen besonders wichtigen Teil der Geschichte und sammelte eifrig, sobald sich ihm die Gelegenheit zu neuen Erwerbungen darbot.

Es fiel allgemein auf, daß der General-Feldmarschall eine seltsame Scheu vor dem ewig Weiblichen besaß, und als ich mir eines schönen Tages im Angesicht des ruhigen Meeresspiegels in der Bucht von Saßnitz die Freiheit nahm, auf seine Abneigung eine leise Anspielung zu äußern, gab er sie lächelnd zu, dann aber nahmen seine Züge den Ausdruck eines tiefen Ernstes an und er gestand mir es offen ein, daß seine strenge Erziehung im väterlichen Hause die einzige Schuld daran trage. Und doch war es allen denjenigen, welche ihm näher standen, wohlbekannt, welche Freude ihm die meist unerwarteten Besuche der jungen anmutigen Prinzessinnen des damaligen kronprinzlichen Paares in Dreilinden bereiteten und mit welcher Zärtlichkeit er seine eigenen Töchter liebte. Seine Augen leuchteten, wenn er von ihnen sprach, und er empfand es mit Stolz, der Vater so herrlicher Kinder zu sein.

Gegen das Ende des Jahres 1882 – sein »Herr Vater« fing bereits damals an zu kränkeln – entschloß er sich zu einer Reise nach dem Morgenlande, wenn ich, »der Basse«, wie er mich scherzweise zu titulieren pflegte, mich entschließen könnte, zu seinen Begleitern zu zählen. Ich ging freudig auf den Antrag ein, und bereits gegen den Schluß desselben Jahres (vom 27. Dezember an) befand sich der Prinz nebst seinen Mitreisenden – dem Obersten von Natzmer, dem Major von Garnier, dem Rittmeister von Kalckstein und meiner eigenen Wenigkeit – auf dem Wege nach der Hafenstadt Triest.

Der Prinz legte die Reise im strengsten Incognito zurück und niemand ahnte, weder beim Einsteigen noch beim Aussteigen der Orientfahrer, welch hoher Herr sich darunter im Zuge auf der Eisenbahn befand. Selbst bei der Ankunft in Triest war jeder Empfang verbeten worden, und zu Fuß begab sich der Prinz in meiner Begleitung am frühen Morgen des 29. Dezember 1882 vom Bahnhofe nach dem Lloydschiffe Ettore, das im Hafen dampfte, um in der Stunde der kommenden Mitternacht seine Fahrt nach Alexandria anzutreten. In der Nähe von Ithaka odysseischen Angedenkens wurde um Mitternacht Schlag 12 Uhr das anbrechende neue Jahr bei Bowle und »Krapfen« gefeiert, und Herr von Garnier wetteiferte mit dem Lloyd-Kapitän Goll, einem geborenen Steirer, um der Zither stimmungsvolle Lieder zu entlocken.

Ich kann es nicht als meine Aufgabe betrachten, dem Leser die Schilderung der Reise des Prinzen, wenn auch nur nach den Hauptereignissen und Hauptstationen, an dieser Stelle zum Abdruck zu bringen. Das später veröffentlichte Reisewerk, das ich unter dem Titel: »Prinz Friedrich Karl im Morgenlande« niederschrieb und dem die Zeichnungen unseres Reisegefährten, des Majors von Garnier, den höchsten Wert durch die reichen, an Ort und Stelle aufgenommenen künstlerischen Beiträge verliehen, erzählt mit möglichster Treue und Ausführlichkeit alle Erlebnisse. Die Nilreise in Ägypten endigte am ersten Wasserfall zwischen der Stadt Assuan und der Isisinsel Philä. Kaum war diese südlichste Grenze am 23. Januar 1883 erreicht worden, als die telegraphisch gemeldete Trauerbotschaft von dem in Berlin erfolgten Ableben des Prinzen Karl die Reisestimmung schwer trübte und vor allem seinen prinzlichen Sohn in einen stillen, schweigsamen Mann verwandelte. Unter diesen Umständen würde die sofortige Rückkehr nach der Heimat angetreten worden sein, hätte nicht des Kaisers Wille ihre Fortsetzung angeraten.

Während einer achttägigen Ruhepause, die ich in Kairo verlebte, hatte der Prinz und die Mitglieder seiner Begleitung den Weg zn Wasser und zn Lande nach dem Sinai-Gebirge angetreten, wobei der damals eben von seiner Durchquerung Afrikas glücklich in Kairo eingetroffene Lieutenant Wißmann die durch meine Abwesenheit entstandene Lücke ausfüllte. Es ist dabei nicht nötig es noch besonders zu versichern, daß die Bekanntschaft des kühnen Reisenden dem Prinzen das höchste Vergnügen bereitete, und daß wir alle, noch während unseres gemeinsamen Aufenthaltes in der Khalifenstadt, die mündlichen Berichte Wißmanns, für welche mein Freund Schweinfurth eine besondere Karte angefertigt hatte, mit erklärlicher Begierde gleichsam verschlangen.

Nach der Abfahrt des Prinzen zum Sinai verbreiteten die französischen Blätter, die in Alexandrien und Kairo erschienen und nicht bloß antienglische, sondern auch antideutsche Tendenzen verfolgten, die falsche Nachricht, daß der deutsche Feldherr von den Arabern der Wüste samt seinen Begleitern getötet worden sei. Natürlich war kein wahres Wort an der Sache, und es lag nahe, den Wunsch als den Vater der Nachricht ansehen zu dürfen. Gott sei Dank erfreute sich der Prinz des besten Wohlseins. Er hatte in dem Fremdenbuche des Sinaiklosters seinen Namen unter den des ermordeten Engländers Palmer eingezeichnet und war auf dem deutschen Kanonenboote »Cyclop« rechtzeitig auf dem blauen Krokodilsee bei der Station Ismaïlijeh des Sueskanales erschienen, um mich und den eben in Ägypten gelandeten Major Baron von Maltzahn bei sich aufzunehmen – es war am 18. Februar gegen 1/2 10 Uhr abends – und in der Frühe des nächsten Tages beim schönsten Wetter die Reise nach Jaffa über Port-Sajid fortzusetzen. Um 4 Uhr am Nachmittag des folgenden Tages fand die Landung auf der felsigen Rhede der alten Stadt Joppe statt, und die Reise durch Palästina nahm damit ihren Anfang, freilich unter den nässesten Temperaturverhältnissen. Der Monat Februar und die Zeit bis in den März hinein gehören nun einmal in Palästina der Herrschaft des Jupiter Pluvius an, und der Götterkönig ließ es nicht daran fehlen, uns seine schlechteste Laune beinahe 30 Tage lang empfinden zu lassen.

Der Prinz reiste als Gast des Sultans und ein Adjutant-Pascha erwies ihm im Namen seines Gebieters die höchsten Ehrungen: Eine Schar von türkischen Gendarmen und Tscherkessen dienten auf dem langen Wege durch Berg und Thal als Schutzgeleit und der imposante Zug von Reitern mit dem Prinzen an der Spitze trabte trotz Regen und Unwetter im flotten Tempo durch das heilige Land, vom Toten Meere an bis nach Beirut im Norden. Am Tabor wurde der Weg geradezu in einen Morast verwandelt; über Nazareth mußte deshalb die Richtung nach der phönizischen Küste eingeschlagen werden, auf deren sandigen Ufern von Akka an über Tyrus und Sidon wir endlich den wellenumspülten Fuß des schneebedeckten Libanon erreichten. Nach einer eintägigen Rast wurde auf der französischen Poststraße Damaskus erreicht, woselbst die Pferde unserer harrten, um uns durch die syrische Steppe nach der Stadtruine von Palmyra zu tragen. In Damaskus bildete der Besuch des Prinzen beim Emir Abdel-Kader den Glanzpunkt seines Aufenthaltes in der fanatischen Stadt. Die Rückkehr über den Antilibanon, zunächst nach Baalbek, mitten durch Schnee und Eis, wird mir lebelang unvergeßlich bleiben.

Die ganze Reise bis zu der Hauptstätte der Verehrung des alten Sonnen-Baals glich, für mich wenigstens, einem Feldzuge. Dennoch hielt ich tapfer aus und ich war schließlich selber erstaunt, daß meine Kräfte Widerstand geleistet und unter den täglichen Strapazen nur wenig gelitten hatten. Für einen Gelehrten, dessen Hauptthätigkeit dem Studierzimmer angehört, war es in der That keine leichte Aufgabe, in Wind und Wetter und hoch zu Roß auf den unwegsamsten Straßen gleichsam im Fluge dahinzustürmen, aber ein Blick auf den Prinzen stählte von neuem den wankenden Mut und verjagte schnell meine übelste Laune.

Ein Festtag für uns alle war der 20. März, der in Baalbek am Schlusse unseres Reiterlebens in gehobenster Stimmung gefeiert wurde. Galt es doch, dem gefeierten Prinzen einen Ausdruck der Freude über die Wiederkehr seines Geburtstages im Angesicht des Baal-Tempels zu geben. Aus seinen Mitteilungen erfuhren wir, daß er um 11 Uhr »während der Wachtparade« geboren ward, wobei er hinzufügte: »Frau Bellona richtet es manchmal sonderbar ein.«

Auf französischen Postwagen erreichten wir von Baalbek aus über Schtora die Stadt Beirut gerade am Geburtstage unseres Kaisers und Königs, der in gehobenster Stimmung und mit gebührender Feierlichkeit im Hause der deutschen Diakonissinnen begangen wurde. Das Meer ging hoch und ein straffer Wind blies von der Landseite her. Auf der Rhede schaukelte sich eine deutsche Korvette, S. M. Schiff »Nymphe«, welche den Befehl erhalten hatte, den Prinzen über Rhodus und Athen nach Genua zu führen. Die Überfahrt nach der Insel Rhodus war die denkbar schlechteste. Das Kriegsschiff tanzte auf den Wellen und kam bisweilen nur eine Seemeile in der Stunde vorwärts. Trotzdem wurden auf der Korvette aon der Bemannung die üblichen Manöver ausgeführt und selbst Schießübungen angestellt. Mir dröhnte dabei jedesmal mein armes Gehirn, aber ich tröstete mich mit der Ehre, zu den Gästen der»Nymphe« gezählt zu werden. Am 25. März, einem der schlimmsten Tage, konnte nicht einmal die Feier des Ostersonntags begangen werden, und erst am folgenden zweiten Feiertage fand der Gottesdienst auf Deck in erhebender Weise statt. Die Insel Rhodus trat bald darauf in Sicht, das Wetter schlug zum Bessern um und gegen 3 Uhr nachmittags zog die »Nymphe« in den einen der beiden Häfen der malerisch gelegenen Stadt ein.

Am 27. März flog die Korvette auf den ruhig gewordenen Wassern dahin. Ein strammer Südostwind blähte das aufgesetzte Segelwerk, und zwischen den Inseln des griechischen Archipels sauste die »Nymphe« pfeilschnell dahin, denn bis zu 16 Seemeilen legte sie in einer Stunde zurück. In 26 Stunden wurde Athen erreicht und 260 Seemeilen von Rhodus an lagen hinter uns.

In Athen wurde die Ankunft des prinzlichen Feldmarschalls von der königlichen Familie in herzlichster Weise gefeiert und der Begleitung die Ehre zu teil, dem König der Hellenen, der Königin und den übrigen Mitgliedern des königlichen Hauses vorgestellt zu werden. Auch der überaus heitere und witzige russische Großfürst Konstantin von Rußland befand sich darunter. Als ein ehemaliger Schüler der Orientalischen Akademie von Petersburg war er mit morgenländischen Sprachen und Studien auf das innigste vertraut, und ich hatte die Gelegenheit, mit ihm lange und eingehende Unterhaltungen über den Orient und dessen Zukunft zu führen.

Zu den sonstigen Persönlichkeiten, mit denen der Prinz und seine Begleiter in nähere Berührung traten, gehörte Dr. Lüders und der Ehrenbürger der Berolina Dr. Schliemann. Selbstverständlich dienten beide als Führer durch das alte Athen mit seinen wertvollen Sammlungen in den neuerbauten Museen. Auch Schliemanns Haus erfreute sich des Besuches unseres Prinzen, der mit Interesse die darin aufgestellten Antiken aus den Schliemannschen Funden in Troja in Augenschein nahm. Mir selber bereitete das Wiedersehen Schliemanns in seiner zweiten Heimat eine große Freude. Schon in den ersten Jahren meiner Ansiedlung in Charlottenburg war mir die Gelegenheit seiner näheren Bekanntschaft geworden und es hatte sich zwischen uns eine herzliche Freundschaft entsponnen, die erst kurz vor seinem Abscheiden aus mir unbekannten Ursachen eine Abschwächung erlitt. Der gefeierte Mann, dessen Entdeckungen mit Recht ein so ungewöhnliches Aufsehen erregt haben, besaß die naiven Anschauungen und das kindliche Gemüt eines Odysseus, die ihm allein zu seinem späteren Ruhme verhalfen, wenn auch das strenge Philologentum, wenigstens das klassische, anfänglich seinen Funden diejenige Bedeutung absprach, die der glückliche Finder selber ihnen zuschrieb. Sein fester Glaube wurde dadurch kaum erschüttert und er übernahm mit Freudigkeit den Kampf, um seine Ansichten und Meinungen gegen die Schar der Ungläubigen zu verteidigen.

Seit der Abreise von Rhodus hatte sich das Wetter und der Seegang zum Bessern gewendet, und in fünf Tagen legte die »Nymphe« von Athen aus den Weg nach Neapel zurück. Ein kaum zweitägiger Aufenthalt im Angesicht des rauchenden Vesuvs mußte genügen, die Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt, vor allem die Antiken des National-Museums, in Augenschein zu nehmen. Auch nach Pompeji ward ein Ausflug zu Wagen unternommen. Dem Prinzen war die Neugierde der neapolitanischen Bevölkerung, den immer siegreichen Feldherrn von Angesicht zu Angesicht zu sehen, äußerst zuwider, und er erteilte mir den Befehl, während des Besuches in Pompeji an seiner rechten Seite zu bleiben, um dadurch die Meinung zu erwecken, als sei ich selber Prinz Friedrich Karl von Preußen. Ich durfte mich nicht sträuben oder gar Gegenvorstellungen machen, und so geschah das Unglaubliche, daß meine Wenigkeit von den militärischen Posten und bürgerlichen Beamten in Pompeji an Stelle des gefeierten Prinzen respektvollst begrüßt wurde.

Über Livorno und Genua erreichten wir am 11. April 1883 Berlin wieder, voll von unvergeßlichen Eindrücken und Erinnerungen an alles, was in dem kurzen Zeitraume von viertehalb Monaten auf dem Gebiete des Morgenlandes an unseren Augen vorübergezogen war. Aber im Mittelpunkte aller Erlebnisse auf der räumlich ausgedehnten Wanderschaft stand das Bild des Prinzen Friedrich Karl, dem nach Gottes unerforschlichen Ratschlusse es leider nicht beschieden sein sollte, noch lange Jahre unter den Lebenden zu weilen, im Vollbesitz einer Gesundheit, die selbst den stärksten Anstrengungen gewachsen zu sein schien. Trotz seiner Mäßigkeit im Genusse von Speisen und Getränken litt der Prinz an einer Vollblütigkeit, die ihm sichtlich mit der Zeit Beschwerden bereitete. Es war wie eine Vorahnung seines nahe bevorstehenden Abschiedes aus dieser Welt, wenn er mir die häufig wiederholte Frage vorlegte: »Nicht wahr, mein Alter, wir werden beide noch lange zusammen leben?« Ich erwiderte darauf stets ein morgenländisches Inschallah oder »Will's Gott!« und befriedigt legte er mit lächelnder Miene die Hand auf meine Schulter. Seine freundlichen Züge vermochten eine hinreißende Wirkung auf mich auszuüben und ich empfand es wie die höchste Gunst des Schicksals, in seine treuen Augen blicken zu dürfen.

Die Orientreise bildete noch lange den Gegenstand der Gespräche an der Tafelrunde von Dreilinden oder wo sonst der Prinz zu weilen pflegte, und seine gewohnheitsmäßig geführten Tagebücher in Miniaturformat wurden von ihm häufig eingesehen und befragt. Das Eintreffen der Ankäufe in Berlin, die er in den von ihm bereisten Ländern des Morgenlandes erworben hatte, und ihre Verteilung an seine zahlreichen Freunde gehörte zu den glücklichsten Augenblicken seines Lebens. Auch nicht ein einziger von ihnen war dabei vergessen worden.

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