Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

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6. Meine Thaten als ägyptischer Beamter

Der Khedive als Eroberer.

Die Vermehrung der Truppen und der eingestellten europäischen und amerikanischen »neutralen« Offiziere entsproß nicht bloß einer Laune des Vizekönigs, sondern hatte ihren guten Grund in den von ihm geplanten Absichten, sich in den Besitz der Länder des ganzen Nilgebietes bis zum Äquator hin zu bringen und ein großes ägyptisches Reich zu gründen, das unabhängig von der hohen Pforte dastehen sollte. Es war der wunde Punkt in dem Ehrgeiz des Khedive, sich unabhängig zu wissen an der Spitze eines mächtigen Reiches, dessen Umfang nach seinen Absichten dem des europäischen Rußland beinah gleichkam. Nach allen Richtungen der Nilländer des Südens wurden militärische Expeditionen geschickt, um sie dem ägyptischen Reiche einzuverleiben und mit Befestigungen und mit telegraphischen Leitungen zu versehen.

Die Kriegszüge hatten wenig Menschenblut erfordert. Selbst die großen Reiche von Kordofan und Darfur, auf der westlichen Seite Chartums, gingen in ägyptischen Besitz über. Im Osten, an der Westküste des Roten Meeres waren die beiden Seeplätze Suakin und Insel Massaua von der Türkei, natürlich gegen eine hohe Barzahlung, käuflich erworben worden und die afrikanische Schweiz oder das Hochland von Abessinien sollte durch ägyptische Truppenmacht demnächst in die Reihe der eroberten und unterworfenen Länder eintreten, seitdem im Jahre 1872 Werner Munzinger die nördlichen Gebiete, Bogos und Mensa, für Ägypten erworben hatte.

Die Seele der zahlreichen Expeditionen war selbstverständlich der Khedive, während der ägyptische Generalstab unter der Leitung des amerikanischen Generals Stone die Pläne seines Herrn und Gebieters ausführte und die einge gangenen Berichte nebst Karten in seinen Gewahrsam nahm.

Es schien mir damals die Gelegenheit gekommen zu sein, den Khedive für einen Gegenstand zu erwärmen, der wohl geeignet war seine Aufmerksamkeit zu verdienen, da er mit den neuerschlossenen Gebieten des inneren Afrika und einer Reihe wichtiger geographischer Entdeckungen im engen Zusammenhange stand. Ich meine die Stiftung einer geographischen Gesellschaft in Kairo. Auf meinen Antrag genehmigte der Khedive die Ernennung des damals in Ägypten anwesenden Dr. Schweinfurth, des berühmten Afrikareisenden, zum besoldeten Leiter derselben und gewährte außerdem die Mittel zur Stiftung einer geographischen Bibliothek. Ein frisches Leben trat hiermit in die bessere Gesellschaft Kairos ein, denn ein Mittelpunkt der Vereinigung war gefunden, um aus dem Munde Schweinfurths, des Generals Stone oder der eben von ihren Expeditionen heimgekehrten Offiziere gleichsam brühwarm von den letzten und neuesten Entdeckungen Kunde zu erhalten. Leider, wie das in Ägypten unter Europäern unvermeidlich zu sein scheint, trat bald eine Mißstimmung und damit eine Spaltung in der Gesellschaft ein, nachdem General Stone die Erklärung abgegeben hatte, gewisse Berichte und kartographische Aufnahmen seien als Generalsstabsgeheimnisse zu betrachten und nimmermehr der Öffentlichkeit preiszugeben. Schweinfurth legte deshalb sein Amt nieder und die absterbende Gesellschaft behalf sich, so gut es eben gehen wollte, mit seinen Nachfolgern. Mir selber machte es Freude, auf Einladung und in Gegenwart des Vizekönigs die Typen gefangener Männer und Weiber aus dem Herzen des dunklen Erdteils, die ihm als Proben seiner neuesten Unterthanen übersandt worden waren, in Augenschein zu nehmen. Gewöhnlich führten die Männer wilde Kriegstänze aus, während die Weiber in einer Ecke des Platzes vor dem vizeköniglichen Palais hockten und in die ihnen fremde Welt regungslos mit glotzenden Augen hineinstarrten.

Die ungeheuren Summen, die für die Ausrüstung der militärischen Expedition nach dem Sudan geopfert wurden, und die in Abessinien erlittene Niederlage, verbunden mit einer Zahlung der Kriegskosten, vermehrten von Monat zu Monat das Schuldkonto der ägyptischen Regierung, während auf der anderen Seite der Plan des Vizekönigs, die Stadt Kairo zu einem afrikanischen Paris umzuwandeln und durch Palastbauten, Theater, Gartenanlagen, Baumpflanzungen und dergleichen kostspielige Unternehmungen zu verschönern, die bestehenden Schulden bis in das Unermeßliche anwachsen ließ. Es ist wahr, daß die neuen Schöpfungen, wie beispielsweise das europäische Stadtviertel der Ismaïlijeh, das sich wie durch Zauber auf ehemaligem Schilfgrund erhob, zur Verschönerung der Residenz des Khedive wesentlich beitrugen, allein jedem Besonnenen wurde es klar, daß Ägypten sich in einem Zustande unbeschreiblicher Erschöpfung befand und daß die vorhandenen Hilfsquellen nicht mehr ausreichten, selbst für die notwendigsten Ausgaben Deckung zu gewähren. Die spekulierenden Bankhäuser, an ihrer Spitze Oppenheim, ließen sich zu der Gefälligkeit herbei, gegen Unterpfänder Anleihe auf Anleihe zu übernehmen, und Ägypten trat in die Reihe derjenigen Länder ein, welche der waghalsigsten Spekulation Thor und Thür öffnen.

Ein Verderben für das Land war es, daß der sogenannte Mufettisch Ismaïl, ein Milchbruder des Vizekönigs, die Ordnung des Finanzwesens auf sich genommen hatte, wobei die Einwohner, vor allem die Fellachen, mit dem äußersten Steuerdruck belastet wurden, ja selbst auf mehrere Jahre hinaus ihre Quoten im voraus zu zahlen hatten. Der überaus schlaue Ismaïl, selber der Sohn eines gewöhnlichen Fellachen, verstand es durch seine geriebene Geschäftsführung und seine Helfershelfer den größten Teil der Einnahmen an sich selber abzuführen, um Schätze zu sammeln und den wahrhaft fürstlichen Aufwand seines Hauswesens von Monat zu Monat bestreiten zu können. Er hatte täglich nicht weniger als tausend Personen zu ernähren, und den rechtmäßigen Frauen sowie den Kebsweibern seines Harems erstrahlten sogar die Schuhe von blitzenden Brillanten und Edelsteinen, mit denen sie von der Hacke bis zur Fußspitze besetzt waren. Niemand wagte es, dem Vizekönig die Augen über seinen ungetreuen Minister zu öffnen, bis er ihn selber auf frischer That ertappte und unbarmherzig dem Tode überlieferte. Die Begebenheit, schaurig wie nur irgend eine morgenländische Geschichte es sein kann, wird mich weiter unten noch einmal beschäftigen.

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