6. Meine Thaten als ägyptischer Beamter
Der Khedive als Eroberer.
Die Vermehrung der Truppen und der eingestellten
europäischen und amerikanischen »neutralen« Offiziere entsproß
nicht bloß einer Laune des Vizekönigs, sondern hatte ihren
guten Grund in den von ihm geplanten Absichten, sich in den
Besitz der Länder des ganzen Nilgebietes bis zum Äquator hin
zu bringen und ein großes ägyptisches Reich zu gründen, das
unabhängig von der hohen Pforte dastehen sollte. Es war der
wunde Punkt in dem Ehrgeiz des Khedive, sich unabhängig zu
wissen an der Spitze eines mächtigen Reiches, dessen Umfang
nach seinen Absichten dem des europäischen Rußland beinah
gleichkam. Nach allen Richtungen der Nilländer des Südens
wurden militärische Expeditionen geschickt, um sie dem
ägyptischen Reiche einzuverleiben und mit Befestigungen und
mit telegraphischen Leitungen zu versehen.
Die Kriegszüge hatten wenig Menschenblut erfordert. Selbst
die großen Reiche von Kordofan und Darfur, auf der westlichen
Seite Chartums, gingen in ägyptischen Besitz über. Im Osten,
an der Westküste des Roten Meeres waren die beiden Seeplätze
Suakin und Insel Massaua von der Türkei, natürlich gegen eine
hohe Barzahlung, käuflich erworben worden und die afrikanische
Schweiz oder das Hochland von Abessinien sollte durch
ägyptische Truppenmacht demnächst in die Reihe der eroberten
und unterworfenen Länder eintreten, seitdem im Jahre 1872
Werner Munzinger die nördlichen Gebiete, Bogos und Mensa, für
Ägypten erworben hatte.
Die Seele der zahlreichen Expeditionen war
selbstverständlich der Khedive, während der ägyptische
Generalstab unter der Leitung des amerikanischen Generals
Stone die Pläne seines Herrn und Gebieters ausführte und die
einge gangenen Berichte nebst Karten in seinen Gewahrsam nahm.
Es schien mir damals die Gelegenheit gekommen zu sein, den
Khedive für einen Gegenstand zu erwärmen, der wohl geeignet
war seine Aufmerksamkeit zu verdienen, da er mit den
neuerschlossenen Gebieten des inneren Afrika und einer Reihe
wichtiger geographischer Entdeckungen im engen Zusammenhange
stand. Ich meine die Stiftung einer geographischen
Gesellschaft in Kairo. Auf meinen Antrag genehmigte der
Khedive die Ernennung des damals in Ägypten anwesenden Dr.
Schweinfurth, des berühmten Afrikareisenden, zum besoldeten
Leiter derselben und gewährte außerdem die Mittel zur Stiftung
einer geographischen Bibliothek. Ein frisches Leben trat
hiermit in die bessere Gesellschaft Kairos ein, denn ein
Mittelpunkt der Vereinigung war gefunden, um aus dem Munde
Schweinfurths, des Generals Stone oder der eben von ihren
Expeditionen heimgekehrten Offiziere gleichsam brühwarm von
den letzten und neuesten Entdeckungen Kunde zu erhalten.
Leider, wie das in Ägypten unter Europäern unvermeidlich zu
sein scheint, trat bald eine Mißstimmung und damit eine
Spaltung in der Gesellschaft ein, nachdem General Stone die
Erklärung abgegeben hatte, gewisse Berichte und
kartographische Aufnahmen seien als Generalsstabsgeheimnisse
zu betrachten und nimmermehr der Öffentlichkeit preiszugeben.
Schweinfurth legte deshalb sein Amt nieder und die absterbende
Gesellschaft behalf sich, so gut es eben gehen wollte, mit
seinen Nachfolgern. Mir selber machte es Freude, auf Einladung
und in Gegenwart des Vizekönigs die Typen gefangener Männer
und Weiber aus dem Herzen des dunklen Erdteils, die ihm als
Proben seiner neuesten Unterthanen übersandt worden waren, in
Augenschein zu nehmen. Gewöhnlich führten die Männer wilde
Kriegstänze aus, während die Weiber in einer Ecke des Platzes
vor dem vizeköniglichen Palais hockten und in die ihnen fremde
Welt regungslos mit glotzenden Augen hineinstarrten.
Die ungeheuren Summen, die für die Ausrüstung der
militärischen Expedition nach dem Sudan geopfert wurden, und
die in Abessinien erlittene Niederlage, verbunden mit einer
Zahlung der Kriegskosten, vermehrten von Monat zu Monat das
Schuldkonto der ägyptischen Regierung, während auf der anderen
Seite der Plan des Vizekönigs, die Stadt Kairo zu einem
afrikanischen Paris umzuwandeln und durch Palastbauten,
Theater, Gartenanlagen, Baumpflanzungen und dergleichen
kostspielige Unternehmungen zu verschönern, die bestehenden
Schulden bis in das Unermeßliche anwachsen ließ. Es ist wahr,
daß die neuen Schöpfungen, wie beispielsweise das europäische
Stadtviertel der Ismaïlijeh, das sich wie durch Zauber auf
ehemaligem Schilfgrund erhob, zur Verschönerung der Residenz
des Khedive wesentlich beitrugen, allein jedem Besonnenen
wurde es klar, daß Ägypten sich in einem Zustande
unbeschreiblicher Erschöpfung befand und daß die vorhandenen
Hilfsquellen nicht mehr ausreichten, selbst für die
notwendigsten Ausgaben Deckung zu gewähren. Die spekulierenden
Bankhäuser, an ihrer Spitze Oppenheim, ließen sich zu der
Gefälligkeit herbei, gegen Unterpfänder Anleihe auf Anleihe zu
übernehmen, und Ägypten trat in die Reihe derjenigen Länder
ein, welche der waghalsigsten Spekulation Thor und Thür
öffnen.
Ein Verderben für das Land war es, daß der sogenannte
Mufettisch Ismaïl, ein Milchbruder des Vizekönigs, die Ordnung
des Finanzwesens auf sich genommen hatte, wobei die Einwohner,
vor allem die Fellachen, mit dem äußersten Steuerdruck
belastet wurden, ja selbst auf mehrere Jahre hinaus ihre
Quoten im voraus zu zahlen hatten. Der überaus schlaue Ismaïl,
selber der Sohn eines gewöhnlichen Fellachen, verstand es
durch seine geriebene Geschäftsführung und seine Helfershelfer
den größten Teil der Einnahmen an sich selber abzuführen, um
Schätze zu sammeln und den wahrhaft fürstlichen Aufwand seines
Hauswesens von Monat zu Monat bestreiten zu können. Er hatte
täglich nicht weniger als tausend Personen zu ernähren, und
den rechtmäßigen Frauen sowie den Kebsweibern seines Harems
erstrahlten sogar die Schuhe von blitzenden Brillanten und
Edelsteinen, mit denen sie von der Hacke bis zur Fußspitze
besetzt waren. Niemand wagte es, dem Vizekönig die Augen über
seinen ungetreuen Minister zu öffnen, bis er ihn selber auf
frischer That ertappte und unbarmherzig dem Tode überlieferte.
Die Begebenheit, schaurig wie nur irgend eine morgenländische
Geschichte es sein kann, wird mich weiter unten noch einmal
beschäftigen.