6. Meine Thaten als ägyptischer Beamter
Der Tod des Mufettisch und der Anfang der Finanznot.
Es trat eine schwere Zeit für Ägypten und noch mehr für den
Khedive ein, nachdem die Kassen entleert waren und die Coupons
den Gläubigern nicht mehr gezahlt werden konnten. Die
Schuldenlast hatte sich mit der Zeit bis auf zwei Milliarden
Mark aufgetürmt. Die Gläubiger verlangten Berichtigung ihrer
Forderungen und riefen schließlich das internationale Tribunal
zu ihrem Schutze an. Sie klagten die Forderungen ein, und es
mußte auf Mittel und Wege gesonnen werden, um eine Deckung
dafür zu finden. Über die Ausgaben selber, die zu einer so
ungeheuren Schuldenlast geführt hatten, waren gar keine oder
wenig zuverlässige Bücher geführt worden, und am
allerwenigsten war der Mufettisch im stande, oder wollte es
vielleicht nicht sein, eine Auskunft über Verwendung oder
Zahlung der einzelnen Posten zu geben.
Schon oben hatte ich es angedeutet, welch eine zweifelhafte
Rolle der Mufettisch, ein Milchbruder des Vizekönigs, in allen
Geldangelegenheiten gespielt und welche Summen er
ungerechterweise den vizeköniglichen Kassen entzogen hatte, um
sie zu seinem eigenen Vorteile zu verwenden. Er fühlte es
selber, daß ihn der Lohn für seine Thaten in kurzem er reichen
würde, und so griff er zu dem letzten Mittel, sich dem
drohenden Strafgericht zu entziehen. Er fing an, nach echt
morgenländischer Weise, in den Moscheen an die versammelte
Menge der Gläubigen aufreizende Hetzreden zu richten und den
Vizekönig anzuklagen, durch seine Begünstigung der Europäer
dem Lande den unsäglichsten Schaden zugefügt und es an Europa
geradezu verkauft zu haben. Er konspirierte in
niederträchtigster Weise gegen den Khedive, dessen Abdankung
oder Sturz er als eine bereits ausgemachte Sache ansah. Sein
ungerechtes Gebahren gegen seinen Wohlthäter, den Vizekönig,
blieb dem letzteren nicht verborgen, aber er legte ihm eine
Falle, in welche der Mufettisch hineinging, um den Lohn für
seine Habgier mit dem Tode zu büßen.
Bei einem Besuche, den ich in diesen Zeitläuften dem
Khedive in seinem Schlosse zu Abdin abstattete, legte er mir
mitten im Gespräch die seltsame Frage vor: »Glauben Sie, mein
Bey, daß ein Mensch an einer Flasche Cognak sterben kann?«
Ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr er mit den Worten fort:
»Es hat sich eine für mich schmerzliche Begebenheit ereignet,
die ich Ihnen mitteile, um, wenn es sein muß, von ihrem
Inhalte öffentlich Gebrauch zu machen und jeder falschen
Auslegung von vornherein die Spitze abzubrechen. Der
Mufettisch Ismail Pascha hatte den Plan gefaßt, gegen mich
eine Verschwörung anzuzetteln, nachdem er die Regierung um
Millionen betrogen und hinter meinem Rücken sein Amt als
Finanzminister in betrügerischster Weise gemißbraucht hat, nur
um die Fellachen durch ungerechte Steuerauflagen, die er sogar
im voraus eingezogen hat, bis auf das Blut auszusaugen. Erst
in den vergangenen Wochen ist mir sein Treiben zur Kenntnis
gekommen. Er war so unklug, anstatt sich persönlich zn
stellen, an die versammelte Menge in den Moscheen
aufrührerische Reden zu richten, die auf meine Person
abzielten. Mit flammenden Worten schilderte er den Notstand
des Landes, der lediglich durch mich veranlaßt sei, weil ich
nur die Europäer begünstige, um denselben Ägypten in die Hände
zu liefern. Vor wenigen Tagen sandte er mir durch seinen
Neffen einen Brief, in dem er dieselben Vorwürfe zu
wiederholen so schamlos war, zugleich mich auffordernd, von
meinem Irrwege abzulenken und der Bevölkerung das Vertrauen zu
mir zurückzugeben.«
»Weißt du, was in diesem Briefe geschrieben steht?« fragte
ich den Überbringer. Auf seine Antwort, die er mir zitternd
gab, »Effendina, ich weiß es nicht,« befahl ich ihm, seinen
Onkel augenblicklich zu mir zu rufen, um mit ihm in meinem
Wagen gemeinschaftlich eine Spazierfahrt durch die belebtesten
Straßen Kairos zu unternehmen. Der Mufettisch stellte sich
pünktlich ein, bleich und am ganzen Körper zitternd. Er nahm
mit mir in dem Wagen Platz, und ich befahl dem Kutscher, den
Weg nach meinem Schlosse in Gesireh zu nehmen. Ich sprach
keine Silbe mit ihm, bis er wie ein Kind angstvoll an mich die
Worte richtete, »Effendina schweigt, ist Effendina erzürnt
gegen mich?« »Das wirst du am besten wissen, warum,«
entgegnete ich ihm kurz und bündig.
Der Wagen fuhr vor dem Eingang des Gartenschlosses vor, auf
dessen Stufen mein Sohn Hassan-Pascha uns bereits erwartete.
Er ersuchte den Mufettisch allein auszusteigen und geleitete
ihn in das Innere der Vorhalle. Mein zweiter Sohn
Hussein-Pascha packte den Sünder nach seinem Eintritt in
dieselbe, ließ ihn durch mehrere Kawassen binden und nach dem
geheizten Dampfer an der Landungsstelle des Gartens befördern.
Im Salon des Dampfers wurde ihm sein Aufenthalt angewiesen und
ihm bedeutet, daß er nach Oberägypten transportiert werden
würde, um in Edfu auf ein Kamel geladen und nach Dongola in
die Verbannung geschickt zu werden.
Nach den Meldungen, die mir aus Oberägypten und den
Hauptstationen des Dampfers zugekommen sind, verweigert er
jede Nahrung zu sich zu nehmen und begnügt sich allein damit
Cognak zu trinken. Bei seiner Ausschiffung in Edfu bestieg er
sein Kamel, verlangte nach einer Flasche Cognak, trank sie mit
einem Zuge aus und fiel, sich krampfhaft rückwärts beugend,
vom Kamele tot auf den Sandboden herab.«
Die Erzählung des Vizekönigs hatte mich tief erschüttert.
Ich kannte den Mufettisch persönlich, der aus einem
Fellachen zu der Stellung eines Finanzministers emporgestiegen
war und sich durch nichts weniger als ein liebenswürdiges
Benehmen auszeichnete. Er war roh und ungebildet, liebte den
Trunk und verstand sich meisterhaft auf die Kunst, trotz der
Finanzverlegenheiten seines Landes, sein eigenes Schäfchen ins
Trockene zu bringen. Sein Tod befreite allerdings den Khedive
von einem ungetreuen Beamten, dem er sein ganzes Vertrauen
geschenkt hatte, allein die Geldverlegenheit der Regierung war
damit nicht beseitigt.
Auf meine Bemerkung, daß dem Vizekönig die Einziehung des
Vermögens des Mufettisch wenigstens einen Teil der
unterschlagenen Geldsumme zurückerstatten würde, erwiderte er:
»Selbstverständlich habe ich das gethan, allein kein Piaster
ist zum Vorschein gekommen, obgleich ich sogar die
Marmorplatten der Fußböden seines Palastes habe aufreißen
lassen, um nach etwa verstecktem Gelde zu suchen. Ich vermute,
er hat sein ganzes gestohlenes Vermögen auf der Bank von
England niedergelegt und unter einem falschen Namen in die
Bücher eintragen lassen.«
Ich konnte aufrichtig den Vizekönig nur beklagen. Welches
Urteil man auch über ihn fällen mochte, das eine bleibt mir
fest stehen, daß er niemals die Absicht gehabt hat, als ein
Betrüger dazustehen, sondern daß seine angeborene
Leichtgläubigkeit, Gutmütigkeit, Ehrgeiz und seine Großmut
neben der unzweifelhaften Schärfe und Schlauheit seines
Verstandes den Grund zu allem späteren finanziellen Elend
gelegt haben. Spekulierende Bankhäuser, von Spionen und
Unterhändlern aus den Hofkreisen wohlbedient, fade
Schmeichler, Glücksritter mit glänzenden Namen und sonstige
Kreaturen der europäischen Gesellschaft wußten die schwachen
Seiten seines Charakters und seine Freigebigkeit in
unbeschreiblicher Weise auszubeuten oder ihn zu Unternehmungen
zu verleiten, deren Erfolge für den Eingeweihten von
vornherein zweifelhaft sein mußten. Ein jeder dachte daran,
sich die eigenen Taschen zu füllen, unbekümmert um die
Zukunft, die nur ein Ende voller Finanzschrecken sein konnte.
In die Enge getrieben durch das Heer seiner Gläubiger, dabei
zu stolz, eine Kontrolle des ägyptischen Finanzwesens durch
europäische Kommissare zu gestatten, und nicht davon zu
überzeugen, daß selbst ein Khedive den gerichtlichen Urteilen
des von ihm berufenen und von den europäischen Großmächten
genehmigten internationalen Tribunals sich fügen müsse, hatte
Ismail Pascha die Folgen seiner eigenen Hartnäckigkeit zu
tragen. Es mochte ihm schwer fallen seine Selbständigkeit
aufzugeben und in allen Finanzangelegenheiten sich der
europäischen Kontrolle zu unterwerfen, immerhin gebot es die
Klugheit, ein kleineres Übel vorzuziehen, um nicht ein bei
weitem größeres zu erdulden. Lief doch die leidige Frage nur
auf die Absicht der Großmächte hinaus, – und in erster Reihe
waren England und Frankreich dabei beteiligt, – den Gläubigern
des ägyptischen Staates und den Besitzern ägyptischer Anleihen
eine unzweifelhafte Garantie für die regelmäßige Zahlung der
Coupons zu bieten.
In den beiden letzten Jahren der Herrschaft des abgesetzten
Khedive hatten die Geldverlegenheiten, in denen sich
fortdauernd die Regierung befand, ihren Höhepunkt erreicht.
Seit Monaten, ja selbst seit Jahren warteten die Beamten und
Offiziere auf die Zahlung ihrer Besoldungen, und es konnte
nicht Wunder nehmen, daß die Unzufriedenheit revolutionäre
Gelüste hervorrief, die sich beispielsweise bei den Offizieren
der Garnisonen in Kairo durch einen Angriff mit bewaffneter
Hand auf das Finanzministerium und durch thätliche
Beleidigungen der Minister am 18. Februar 1879 Luft machten.
Selbst der englische Oberkontrolleur, ein Herr Wilson, bisher
ein Angestellter des britischen Finanzamtes in London, konnte
sich trotz seiner Eigenschaft als englischer Unterthan und
Delegierter vor den Insulten nicht schützen, und nur das
plötzliche Erscheinen des Vizekönigs verhinderte den Ausbruch
weiterer Roheiten. Eingeweihte behaupteten sogar, der Khedive
sei der eigentliche Anstifter der ganzen Komödie gewesen, in
der Absicht, das Odium von sich selber auf die britische
Untersuchungs-Kommission abzulenken.