Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

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6. Meine Thaten als ägyptischer Beamter

Der Tod des Mufettisch und der Anfang der Finanznot.

Es trat eine schwere Zeit für Ägypten und noch mehr für den Khedive ein, nachdem die Kassen entleert waren und die Coupons den Gläubigern nicht mehr gezahlt werden konnten. Die Schuldenlast hatte sich mit der Zeit bis auf zwei Milliarden Mark aufgetürmt. Die Gläubiger verlangten Berichtigung ihrer Forderungen und riefen schließlich das internationale Tribunal zu ihrem Schutze an. Sie klagten die Forderungen ein, und es mußte auf Mittel und Wege gesonnen werden, um eine Deckung dafür zu finden. Über die Ausgaben selber, die zu einer so ungeheuren Schuldenlast geführt hatten, waren gar keine oder wenig zuverlässige Bücher geführt worden, und am allerwenigsten war der Mufettisch im stande, oder wollte es vielleicht nicht sein, eine Auskunft über Verwendung oder Zahlung der einzelnen Posten zu geben.

Schon oben hatte ich es angedeutet, welch eine zweifelhafte Rolle der Mufettisch, ein Milchbruder des Vizekönigs, in allen Geldangelegenheiten gespielt und welche Summen er ungerechterweise den vizeköniglichen Kassen entzogen hatte, um sie zu seinem eigenen Vorteile zu verwenden. Er fühlte es selber, daß ihn der Lohn für seine Thaten in kurzem er reichen würde, und so griff er zu dem letzten Mittel, sich dem drohenden Strafgericht zu entziehen. Er fing an, nach echt morgenländischer Weise, in den Moscheen an die versammelte Menge der Gläubigen aufreizende Hetzreden zu richten und den Vizekönig anzuklagen, durch seine Begünstigung der Europäer dem Lande den unsäglichsten Schaden zugefügt und es an Europa geradezu verkauft zu haben. Er konspirierte in niederträchtigster Weise gegen den Khedive, dessen Abdankung oder Sturz er als eine bereits ausgemachte Sache ansah. Sein ungerechtes Gebahren gegen seinen Wohlthäter, den Vizekönig, blieb dem letzteren nicht verborgen, aber er legte ihm eine Falle, in welche der Mufettisch hineinging, um den Lohn für seine Habgier mit dem Tode zu büßen.

Bei einem Besuche, den ich in diesen Zeitläuften dem Khedive in seinem Schlosse zu Abdin abstattete, legte er mir mitten im Gespräch die seltsame Frage vor: »Glauben Sie, mein Bey, daß ein Mensch an einer Flasche Cognak sterben kann?« Ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr er mit den Worten fort: »Es hat sich eine für mich schmerzliche Begebenheit ereignet, die ich Ihnen mitteile, um, wenn es sein muß, von ihrem Inhalte öffentlich Gebrauch zu machen und jeder falschen Auslegung von vornherein die Spitze abzubrechen. Der Mufettisch Ismail Pascha hatte den Plan gefaßt, gegen mich eine Verschwörung anzuzetteln, nachdem er die Regierung um Millionen betrogen und hinter meinem Rücken sein Amt als Finanzminister in betrügerischster Weise gemißbraucht hat, nur um die Fellachen durch ungerechte Steuerauflagen, die er sogar im voraus eingezogen hat, bis auf das Blut auszusaugen. Erst in den vergangenen Wochen ist mir sein Treiben zur Kenntnis gekommen. Er war so unklug, anstatt sich persönlich zn stellen, an die versammelte Menge in den Moscheen aufrührerische Reden zu richten, die auf meine Person abzielten. Mit flammenden Worten schilderte er den Notstand des Landes, der lediglich durch mich veranlaßt sei, weil ich nur die Europäer begünstige, um denselben Ägypten in die Hände zu liefern. Vor wenigen Tagen sandte er mir durch seinen Neffen einen Brief, in dem er dieselben Vorwürfe zu wiederholen so schamlos war, zugleich mich auffordernd, von meinem Irrwege abzulenken und der Bevölkerung das Vertrauen zu mir zurückzugeben.«

»Weißt du, was in diesem Briefe geschrieben steht?« fragte ich den Überbringer. Auf seine Antwort, die er mir zitternd gab, »Effendina, ich weiß es nicht,« befahl ich ihm, seinen Onkel augenblicklich zu mir zu rufen, um mit ihm in meinem Wagen gemeinschaftlich eine Spazierfahrt durch die belebtesten Straßen Kairos zu unternehmen. Der Mufettisch stellte sich pünktlich ein, bleich und am ganzen Körper zitternd. Er nahm mit mir in dem Wagen Platz, und ich befahl dem Kutscher, den Weg nach meinem Schlosse in Gesireh zu nehmen. Ich sprach keine Silbe mit ihm, bis er wie ein Kind angstvoll an mich die Worte richtete, »Effendina schweigt, ist Effendina erzürnt gegen mich?« »Das wirst du am besten wissen, warum,« entgegnete ich ihm kurz und bündig.

Der Wagen fuhr vor dem Eingang des Gartenschlosses vor, auf dessen Stufen mein Sohn Hassan-Pascha uns bereits erwartete. Er ersuchte den Mufettisch allein auszusteigen und geleitete ihn in das Innere der Vorhalle. Mein zweiter Sohn Hussein-Pascha packte den Sünder nach seinem Eintritt in dieselbe, ließ ihn durch mehrere Kawassen binden und nach dem geheizten Dampfer an der Landungsstelle des Gartens befördern. Im Salon des Dampfers wurde ihm sein Aufenthalt angewiesen und ihm bedeutet, daß er nach Oberägypten transportiert werden würde, um in Edfu auf ein Kamel geladen und nach Dongola in die Verbannung geschickt zu werden.

Nach den Meldungen, die mir aus Oberägypten und den Hauptstationen des Dampfers zugekommen sind, verweigert er jede Nahrung zu sich zu nehmen und begnügt sich allein damit Cognak zu trinken. Bei seiner Ausschiffung in Edfu bestieg er sein Kamel, verlangte nach einer Flasche Cognak, trank sie mit einem Zuge aus und fiel, sich krampfhaft rückwärts beugend, vom Kamele tot auf den Sandboden herab.«

Die Erzählung des Vizekönigs hatte mich tief erschüttert.

Ich kannte den Mufettisch persönlich, der aus einem Fellachen zu der Stellung eines Finanzministers emporgestiegen war und sich durch nichts weniger als ein liebenswürdiges Benehmen auszeichnete. Er war roh und ungebildet, liebte den Trunk und verstand sich meisterhaft auf die Kunst, trotz der Finanzverlegenheiten seines Landes, sein eigenes Schäfchen ins Trockene zu bringen. Sein Tod befreite allerdings den Khedive von einem ungetreuen Beamten, dem er sein ganzes Vertrauen geschenkt hatte, allein die Geldverlegenheit der Regierung war damit nicht beseitigt.

Auf meine Bemerkung, daß dem Vizekönig die Einziehung des Vermögens des Mufettisch wenigstens einen Teil der unterschlagenen Geldsumme zurückerstatten würde, erwiderte er: »Selbstverständlich habe ich das gethan, allein kein Piaster ist zum Vorschein gekommen, obgleich ich sogar die Marmorplatten der Fußböden seines Palastes habe aufreißen lassen, um nach etwa verstecktem Gelde zu suchen. Ich vermute, er hat sein ganzes gestohlenes Vermögen auf der Bank von England niedergelegt und unter einem falschen Namen in die Bücher eintragen lassen.«

Ich konnte aufrichtig den Vizekönig nur beklagen. Welches Urteil man auch über ihn fällen mochte, das eine bleibt mir fest stehen, daß er niemals die Absicht gehabt hat, als ein Betrüger dazustehen, sondern daß seine angeborene Leichtgläubigkeit, Gutmütigkeit, Ehrgeiz und seine Großmut neben der unzweifelhaften Schärfe und Schlauheit seines Verstandes den Grund zu allem späteren finanziellen Elend gelegt haben. Spekulierende Bankhäuser, von Spionen und Unterhändlern aus den Hofkreisen wohlbedient, fade Schmeichler, Glücksritter mit glänzenden Namen und sonstige Kreaturen der europäischen Gesellschaft wußten die schwachen Seiten seines Charakters und seine Freigebigkeit in unbeschreiblicher Weise auszubeuten oder ihn zu Unternehmungen zu verleiten, deren Erfolge für den Eingeweihten von vornherein zweifelhaft sein mußten. Ein jeder dachte daran, sich die eigenen Taschen zu füllen, unbekümmert um die Zukunft, die nur ein Ende voller Finanzschrecken sein konnte. In die Enge getrieben durch das Heer seiner Gläubiger, dabei zu stolz, eine Kontrolle des ägyptischen Finanzwesens durch europäische Kommissare zu gestatten, und nicht davon zu überzeugen, daß selbst ein Khedive den gerichtlichen Urteilen des von ihm berufenen und von den europäischen Großmächten genehmigten internationalen Tribunals sich fügen müsse, hatte Ismail Pascha die Folgen seiner eigenen Hartnäckigkeit zu tragen. Es mochte ihm schwer fallen seine Selbständigkeit aufzugeben und in allen Finanzangelegenheiten sich der europäischen Kontrolle zu unterwerfen, immerhin gebot es die Klugheit, ein kleineres Übel vorzuziehen, um nicht ein bei weitem größeres zu erdulden. Lief doch die leidige Frage nur auf die Absicht der Großmächte hinaus, – und in erster Reihe waren England und Frankreich dabei beteiligt, – den Gläubigern des ägyptischen Staates und den Besitzern ägyptischer Anleihen eine unzweifelhafte Garantie für die regelmäßige Zahlung der Coupons zu bieten.

In den beiden letzten Jahren der Herrschaft des abgesetzten Khedive hatten die Geldverlegenheiten, in denen sich fortdauernd die Regierung befand, ihren Höhepunkt erreicht. Seit Monaten, ja selbst seit Jahren warteten die Beamten und Offiziere auf die Zahlung ihrer Besoldungen, und es konnte nicht Wunder nehmen, daß die Unzufriedenheit revolutionäre Gelüste hervorrief, die sich beispielsweise bei den Offizieren der Garnisonen in Kairo durch einen Angriff mit bewaffneter Hand auf das Finanzministerium und durch thätliche Beleidigungen der Minister am 18. Februar 1879 Luft machten. Selbst der englische Oberkontrolleur, ein Herr Wilson, bisher ein Angestellter des britischen Finanzamtes in London, konnte sich trotz seiner Eigenschaft als englischer Unterthan und Delegierter vor den Insulten nicht schützen, und nur das plötzliche Erscheinen des Vizekönigs verhinderte den Ausbruch weiterer Roheiten. Eingeweihte behaupteten sogar, der Khedive sei der eigentliche Anstifter der ganzen Komödie gewesen, in der Absicht, das Odium von sich selber auf die britische Untersuchungs-Kommission abzulenken.

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