Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

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7. Vogelfrei

Meine Reise mit dem Kronprinzen Rudolf von Österreich.

Wenige Monate waren seit dem Tode Mariettes verflossen, als auf telegraphischem Wege Kronprinz Rudolf von Österreich die Anfrage nach Kairo an mich richtete, ob ich zusagen wolle, ihn auf seiner bevorstehenden Nilreise nach Oberägypten zu begleiten. Eine solche Ehre auszuschlagen konnte mir um so weniger beifallen, als mir die Erinnerung an den Aufenthalt seines Vaters in Ägypten und an meine schwachen Dienste während desselben die schuldige Pflicht wärmster Dankbarkeit auferlegte. Der Ruf der hohen geistigen Begabung und der Liebe für die Wissenschaft, der sich an die Person des Kronprinzen knüpfte, konnte nur meine eigenen Wünsche steigern, dem jungen Fürsten näher zu treten, dessen erste Bekanntschaft ich das Glück hatte bereits in der Zeit der Wiener Weltausstellung zu machen. Unvergeßlich war mir die letzte Stunde geblieben, in welcher Kronprinz Rudolf und der junge Prinz Wilhelm, mein jetziger kaiserlicher Herr und Gebieter, auf dem Hofe meiner ägyptischen Bauten mit den Worten herzlichster Freundschaft von einander Abschied nahmen mit dem gegenseitigen Versprechen eines häufigen Briefwechsels in Zukunft.

Die ägyptische Reise des Kronprinzen ist von ihm eigenhändig niedergeschrieben und im Druck veröffentlicht worden. Sie bildet den ersten Band seines lebendig und in edler Sprache abgefaßten Werkes »Eine Orientreise«, das in Wien im Jahre 1881 veröffentlicht wurde. Die Worte, die der Kronprinz auf das erste Blatt des für mich bestimmten Exemplars eigenhändig niederschrieb: »Dem treuen Wegweiser und Lehrer im Lande der Pharaonen, dem hilfreichen Mitarbeiter in dankbarer Freundschaft! Rudolf« liefern den sprechendsten Beweis, mit welcher Güte und Nachsicht der liebenswürdige Fürst meine geringen Dienste anzuerkennen verstand. Eine Reihe von Briefen, welche er später an mich richtete und die ich, besonders nach seinem Abscheiden von dieser Erde, nicht ohne die tiefste Rührung lese und immer wieder lese, bestätigen den bescheidenen Sinn und die nüchterne Weltanschauung ihres fürstlichen Urhebers, der nur in dem rein Menschlichen seine höchste Befriedigung und in der geistigen Arbeit den reichsten Genuß fand.

Für die Reise nach Oberägypten bis zu ihrem Endpunkte, der Insel Philä, an der südlichen Grenze hin, war dem kaiserlichen Prinzen ein vizeköniglicher Dampfer zur Verfügung gestellt worden. Zu den Begleitern des hohen Herrn gehörten sein Oheim, der Großherzog von Toskana, der General Graf Wald burg, einem württembergischen Geschlecht angehörend, der Burgpfarrer Abt Mayer, der Major von Eschenbach, ein bildschöner Kavalier, ferner der ungarische Graf Josef Hoyos und der Maler Pausinger aus Salzburg. Sämtliche Mitglieder der Expedition, nur meine Wenigkeit davon ausgeschlossen, waren vorzügliche Jäger, und der Kronprinz selber erfreute sich des Rufes, als einer der glücklichsten Schützen zu gelten.

Die Jagd auf Raubzeug allein schien ihm eines wirklichen Jägers würdig, da sie dazu beitrage, schädliche Tiere auszurotten und vor allen Dingen die bebauten Felder des Landmannes und seine Viehherden zu schützen. Er versicherte mich, auch nicht das geringste Vergnügen bei den Jagden auf Rotwild und Gemsen zu empfinden, da ihm das Töten, am allermeisten aber ein Massenmord unschuldiger Tiere geradezu einen Widerwillen bereite. Seine Neigung für das Studium der Tierwelt, besonders der geflügelten Bewohner der Lüfte, hatte eine reiche Nahrung durch seine Bekanntschaft mit dem Tier-Brehm gewonnen. Der rühmlichst bekannte Gelehrte dieses Namens, dessen zoologische Arbeiten und Bücher sich noch heutzutage eines Weltrufes erfreuen, war bereits seit mehreren Jahren der Person des Kronprinzen Rudolf näher getreten. Er hatte dazu beigetragen, in dem jungen Fürsten eine kaum glaubliche Neigung für seine eigenen Untersuchungen zu erwecken, und ich selber kann es bezeugen, mit welchem Eifer der gelehrige Schüler es sich angelegen sein ließ, nach einem vollendeten Jagdzuge die heimgebrachte Beute nach Dr. Brehms Tafeln wissenschaftlich zu untersuchen. Weder Müdigkeit noch Hunger und Durst konnten für ihn einen Grund abgeben, seine Beute auch nur auf einen Augenblick liegen zu lassen. Er maß die Körper- und Flügellängen der geschossenen Geier, Adler und Falken, er trug die Zahlen in sein Jagdbuch ein, fügte sonstige Eigentümlichkeiten in dem Körperbau oder in der Färbung des Geflügels bei und hielt ein so genaues Register, als ob der Kronprinz von Österreich das Muster eines grundgelehrten Zoologen abgäbe.

Auf der anderen Seite offenbarte sich sein Sinn für die Wissenschaft in dem Eifer, mit dem er meinen täglichen Vorträgen über altägyptische Geschichte, Geographie, Mythologie, Baukunst u.s.w. lauschte. Seine Bemerkungen, die er hier und da einstreute, hatten, wie man zu sagen pflegt, Hand und Fuß, und Vergleichungen mit anderen Gebieten der Geschichte der Völker des Altertums oder der Neuzeit zeigten den Kenner, der seines Gegenstandes sicher war. Ein besonderer Zug, den ich mit wahrer Freude in dem Charakter des Kronprinzen entdeckte und täglich bestätigt fand, war die Einfachheit seiner Sitten und eine wahre Bedürfnislosigkeit, die nur selten eine Eigenschaft der Großen dieser Erde bildet. Fern von dem Hofparkett des Palastes bot ihm der Aufenthalt in Ägypten einen unglaublichen Genuß dar, da ihm auf Schritt und Tritt in den Landesbewohnern die einfachsten Menschen gegenübertraten, mit denen er sich durch meine Vermittlung in der gemütvollsten Weise unterhielt und stets freundliche Antworten und Auskünfte auf ihre Fragen gab. Sein schlanker Körper war gestählt und die größten Anstrengungen vermochte er mit Leichtigkeit zu ertragen. Stundenlange Jagdzüge im Sande der Wüste oder auf den vegetationsleeren, mit Geröll bedeckten, steilen Wegen der Felsgebirge, meist in der brennendsten Sonne, bereiteten ihm nicht die geringste Mühe, während mir selber der Atem ausging, so daß ich ihm häufig die Bitte ausdrückte, ein langsameres Tempo einschlagen zu wollen.

In der mündlichen Unterhaltung offenbarte der Kronprinz Verstand, Scharfsinn und Witz. Dabei behauptete er eine Ruhe, die selbst dem älteren Manne imponieren mußte. Befand er sich in offizieller Gesellschaft, so wandelte sich sein Wesen wie durch Zauber plötzlich um, seine ganze Haltung zeigte eine steife Förmlichkeit, die ihm sonst durchaus nicht eigentümlich war. Vom Scheitel bis zur Sohle verriet er den Kronprinzen, den künftigen Kaiser, und seine Unterhaltungen waren gemessen und kurz in ihren Wendungen.

Als er Ägypten verließ, mußte ich ihm das Versprechen geben, bei meiner Anwesenheit in Europa ihm jedesmal einen Besuch abzustatten und längere Zeit als Gast bei ihm zu verweilen. Die erste Gelegenheit dazu bot sich dar, als ich im Jahre 1881 in der Frühjahrszeit nach meiner Heimat zurückgekehrt war und in meinen Briefen ihm die Mitteilung machte, daß ich bereit sei, ihm bei der Veröffentlichung seines Reisewerkes von ihm gewünschte Beiträge zu liefern. Auch die kleinsten Mitteilungen wissenschaftlichen Inhaltes, die auf unsere gemeinschaftliche Wanderung Bezug hatten, wurden vom Kronprinzen wörtlich und mit Anführung ihres Urhebers abgedruckt, und er fand dies so selbstverständlich, daß auch nicht eine Stelle in seinem Werke anzufinden wäre, in der er stillschweigend meine eigenen Kenntnisse ausgenutzt hätte.

Wie man weiß, fand unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Ägypten in die Heimat seine Vermählung mit der Prinzessin Stephanie, der Tochter des Königs der Belgier, statt. Das kronprinzliche Paar siedelte bald nach der Hochzeit nach Prag, der Hauptstadt des Königreichs Böhmen über, um hier in dem alten Schlosse des Hradschin für einige Zeit seine bleibende Residenz aufzuschlagen. Einer eigenhändigen Einladung meines fürstlichen Gönners folgend, nahm ich auf ein paar Wochen meinen Aufenthalt in dem Prager Schlosse, wobei ich die Ehre hatte, täglich mit dem hohen Fürstenpaare zu verkehren. Ich hatte dadurch die Gelegenheit gewonnen, beide in ihrer Häuslichkeit kennen zu lernen und die Herzlichkeit ihres gegenseitigen Verkehres zu bewundern. Die damals erst siebzehnjährige kronprinzliche Gemahlin entzückte nicht nur durch die Anmut ihrer vornehmen jugendlichen Erscheinung, sondern noch vielmehr durch die Bescheidenheit, fast Schüchternheit ihres Wesens, eine Folge ihrer klösterlichen Erziehung im elterlichen Hause, fern von dem rauschenden Vergnügen der großen Welt. In den gemeinschaftlich zu Wagen oder auf der Eisenbahn zurückgelegten Ausflügen war es weder Dorf noch Stadt, weder Wald noch Berg, die meine Aufmerksamkeit fesselten, als vielmehr der traute Umgang des jungen kronprinzlichen Paares, dem ich beizuwohnen das Glück hatte.

Im Prager Schlosse wurden die Stunden der Arbeit und der geselligen Zusammenkünste streng von einander geschieden. Jede freie Zeit benutzte der Kronprinz, sich seinen wissenschaftlichen Studien und seiner schriftstellerischen Thätigkeit mit ganzem Eifer hinzugeben. Es ist allgemein bekannt, daß seine Leistungen ebenso fruchtbar ihrem Inhalte nach als in ihrer Form geschmackvoll und gefällig gewesen sind. Das großartig angelegte Werk über die Völker Österreichs ist unter seiner Ägide entstanden und manche Beiträge aus seiner Feder haben demselben einen hervorragenden Schmuck verliehen.

Nicht selten geschah es, daß der Kronprinz noch gegen Mitternacht in meinem Zimmer erschien und oft an meinem Bette niedersaß, um bei dem Genusse einer guten Zigarre – er rauchte nämlich viel und gern – stundenlang von den ernstesten Dingen zu reden und meine eigene Meinung über die schwierigsten Fragen einzuholen. Wissenschaft und Kunst, Politik und Religion gaben den Stoff dazu her und ich war erstaunt, bei dem unter strengster Obhut aufgewachsenen Prinzen den freisinnigsten Ansichten zu begegnen, die er in seinen »akademischen« Zwiegesprächen mit aller Wärme vertrat.

Die Erinnerungen an die Tage unseres Zusammenseins rufen mir manche unvergeßlichen Stunden zurück, von denen ich keine als eine verlorene bezeichnen könnte. Selbst das gewöhnliche Leben und Treiben der Menschen und ihre soziale Lage entlockte dem Kronprinzen Urteile, die den scharfen und guten Beobachter erkennen ließen und seinen Blick in die Weite bezeugten.

Während meines Prager Aufenthaltes fällt meine erste Bekanntschaft mit dem Maler Canon, einem Künstler von großem Talente und Rufe, der dem Kronprinzen nahe stand (er hatte ihn aus seiner freiwilligen Einsamkeit herausgezogen) und damals von ihm den Auftrag erhalten hatte, das lebensgroße Bild der Frau Kronprinzessin im Hradschin in Ölfarben auszuführen. Es war nicht nur wohl getroffen, sondern auch in Auffassung und Ausführung von musterhafter Vollendung. Als ich die Bekanntschaft des inzwischen verstorbenen Künstlers machte, befand er sich in leidendem Zustande. Infolge eines Sturzes während einer Jagd, die der Kronprinz unternommen hatte, war er genötigt das Bett zu hüten. Ich sah ihn von einer ganzen Bibliothek umgeben, die nicht etwa der unterhaltenden Litteratur angehörte, sondern nur aus philosophischen Werken und Abhandlungen bestand. Canon war mit allen Systemen der älteren und modernen Philosophen wohl vertraut, und ich war geradezu erstaunt, in dem Maler meinen Meister auf diesem Gebiete zu erkennen. »Was wollen Sie?« rief er mir bei dem Ausdruck meiner Überraschung zu, »mein Leben und mein ganzes Dasein hat mich der Philosophie in die Arme geworfen. Hören Sie mein trauriges Schicksal an und Sie werden begreifen, daß ich ein Philosoph werden mußte.«

Und ich hörte seine Geschichte an, die einem Schriftsteller den Stoff zu einem mehrbändigen Roman liefern könnte. Drei Frauen spielen nach einander eine entscheidende Rolle darin, und jedesmal um den Maler in die bitterste Verzweiflung zu stürzen. Er schüttete mir zwei Stunden lang sein übervolles Herz aus, glücklich, wie er mich versicherte, seine Seele erleichtert und in mir einen verständnisvollen Zuhörer gefunden zu haben. Der Kronprinz, dem ich später die erleichterte Gemütsstimmung Canons mitteilte, konnte sich einer beinahe ausgelassenen Heiterkeit nicht erwehren. Auch er war in die Seelennot des philosophischen Malers eingeweiht worden, betrachtete jedoch die Hauptereignisse in dem Schicksale Canons von einem weniger philosophischen Standpunkte aus. »Er ist stets ein guter Kerl gewesen, so meinte er, dem die Weibsleute abscheulich mitgespielt haben.« Daß Canon auf die weibliche Welt ohne seinen Willen eine gewisse Anziehungskraft auszuüben im stande war, das lehrte mich das Aussehen des etwa fünfzigjährigen Mannes. Von stattlicher Größe, zeigten seine Züge immer noch die Spuren einer ehemaligen männlichen Schönheit, der ein ellenlanger Bart als besonderer Schmuck diente.

Meine späteren Beziehungen zum Kronprinzen Rudolf erloschen bei meiner Versetzung nach Persien. Als ich, wieder der Heimat zurückgegeben, den im Jahre 1889 erfolgten Tod des unglücklichen Fürsten aus den Zeitungen erfuhr, fühlte ich es wie einen Stich ins Herz hinein. Welches auch immer die Ursachen seines tragischen Endes gewesen sein mochten, er starb jedenfalls als Opfer eines unseligen Verhängnisses, dessen Geheimnis niemals gelüstet werden wird. Es erfüllt mich bis zur Stunde mit tiefster Trauer, in dem Kronprinzen einen aufrichtigen Gönner und Freund verloren zu haben, trotzdem die Unterschiede der Stellung und des Lebensalters eine unüberbrückbare Kluft zwischen uns geschaffen zu haben schienen.

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