7. Vogelfrei
Meine Reise mit dem Kronprinzen Rudolf von Österreich.
Wenige Monate waren seit dem Tode Mariettes verflossen, als
auf telegraphischem Wege Kronprinz Rudolf von Österreich die
Anfrage nach Kairo an mich richtete, ob ich zusagen wolle, ihn
auf seiner bevorstehenden Nilreise nach Oberägypten zu
begleiten. Eine solche Ehre auszuschlagen konnte mir um so
weniger beifallen, als mir die Erinnerung an den Aufenthalt
seines Vaters in Ägypten und an meine schwachen Dienste
während desselben die schuldige Pflicht wärmster Dankbarkeit
auferlegte. Der Ruf der hohen geistigen Begabung und der Liebe
für die Wissenschaft, der sich an die Person des Kronprinzen
knüpfte, konnte nur meine eigenen Wünsche steigern, dem jungen
Fürsten näher zu treten, dessen erste Bekanntschaft ich das
Glück hatte bereits in der Zeit der Wiener Weltausstellung zu
machen. Unvergeßlich war mir die letzte Stunde geblieben, in
welcher Kronprinz Rudolf und der junge Prinz Wilhelm, mein
jetziger kaiserlicher Herr und Gebieter, auf dem Hofe meiner
ägyptischen Bauten mit den Worten herzlichster Freundschaft
von einander Abschied nahmen mit dem gegenseitigen Versprechen
eines häufigen Briefwechsels in Zukunft.
Die ägyptische Reise des Kronprinzen ist von ihm
eigenhändig niedergeschrieben und im Druck veröffentlicht
worden. Sie bildet den ersten Band seines lebendig und in
edler Sprache abgefaßten Werkes »Eine Orientreise«, das in
Wien im Jahre 1881 veröffentlicht wurde. Die Worte, die der
Kronprinz auf das erste Blatt des für mich bestimmten
Exemplars eigenhändig niederschrieb: »Dem treuen Wegweiser und
Lehrer im Lande der Pharaonen, dem hilfreichen Mitarbeiter in
dankbarer Freundschaft! Rudolf« liefern den sprechendsten
Beweis, mit welcher Güte und Nachsicht der liebenswürdige
Fürst meine geringen Dienste anzuerkennen verstand. Eine Reihe
von Briefen, welche er später an mich richtete und die ich,
besonders nach seinem Abscheiden von dieser Erde, nicht ohne
die tiefste Rührung lese und immer wieder lese, bestätigen den
bescheidenen Sinn und die nüchterne Weltanschauung ihres
fürstlichen Urhebers, der nur in dem rein Menschlichen seine
höchste Befriedigung und in der geistigen Arbeit den reichsten
Genuß fand.
Für die Reise nach Oberägypten bis zu ihrem Endpunkte, der
Insel Philä, an der südlichen Grenze hin, war dem kaiserlichen
Prinzen ein vizeköniglicher Dampfer zur Verfügung gestellt
worden. Zu den Begleitern des hohen Herrn gehörten sein Oheim,
der Großherzog von Toskana, der General Graf Wald burg, einem
württembergischen Geschlecht angehörend, der Burgpfarrer Abt
Mayer, der Major von Eschenbach, ein bildschöner Kavalier,
ferner der ungarische Graf Josef Hoyos und der Maler Pausinger
aus Salzburg. Sämtliche Mitglieder der Expedition, nur meine
Wenigkeit davon ausgeschlossen, waren vorzügliche Jäger, und
der Kronprinz selber erfreute sich des Rufes, als einer der
glücklichsten Schützen zu gelten.
Die Jagd auf Raubzeug allein schien ihm eines wirklichen
Jägers würdig, da sie dazu beitrage, schädliche Tiere
auszurotten und vor allen Dingen die bebauten Felder des
Landmannes und seine Viehherden zu schützen. Er versicherte
mich, auch nicht das geringste Vergnügen bei den Jagden auf
Rotwild und Gemsen zu empfinden, da ihm das Töten, am
allermeisten aber ein Massenmord unschuldiger Tiere geradezu
einen Widerwillen bereite. Seine Neigung für das Studium der
Tierwelt, besonders der geflügelten Bewohner der Lüfte, hatte
eine reiche Nahrung durch seine Bekanntschaft mit dem
Tier-Brehm gewonnen. Der rühmlichst bekannte Gelehrte dieses
Namens, dessen zoologische Arbeiten und Bücher sich noch
heutzutage eines Weltrufes erfreuen, war bereits seit mehreren
Jahren der Person des Kronprinzen Rudolf näher getreten. Er
hatte dazu beigetragen, in dem jungen Fürsten eine kaum
glaubliche Neigung für seine eigenen Untersuchungen zu
erwecken, und ich selber kann es bezeugen, mit welchem Eifer
der gelehrige Schüler es sich angelegen sein ließ, nach einem
vollendeten Jagdzuge die heimgebrachte Beute nach Dr. Brehms
Tafeln wissenschaftlich zu untersuchen. Weder Müdigkeit noch
Hunger und Durst konnten für ihn einen Grund abgeben, seine
Beute auch nur auf einen Augenblick liegen zu lassen. Er maß
die Körper- und Flügellängen der geschossenen Geier, Adler und
Falken, er trug die Zahlen in sein Jagdbuch ein, fügte
sonstige Eigentümlichkeiten in dem Körperbau oder in der
Färbung des Geflügels bei und hielt ein so genaues Register,
als ob der Kronprinz von Österreich das Muster eines
grundgelehrten Zoologen abgäbe.
Auf der anderen Seite offenbarte sich sein Sinn für die
Wissenschaft in dem Eifer, mit dem er meinen täglichen
Vorträgen über altägyptische Geschichte, Geographie,
Mythologie, Baukunst u.s.w. lauschte. Seine Bemerkungen, die
er hier und da einstreute, hatten, wie man zu sagen pflegt,
Hand und Fuß, und Vergleichungen mit anderen Gebieten der
Geschichte der Völker des Altertums oder der Neuzeit zeigten
den Kenner, der seines Gegenstandes sicher war. Ein besonderer
Zug, den ich mit wahrer Freude in dem Charakter des
Kronprinzen entdeckte und täglich bestätigt fand, war die
Einfachheit seiner Sitten und eine wahre Bedürfnislosigkeit,
die nur selten eine Eigenschaft der Großen dieser Erde bildet.
Fern von dem Hofparkett des Palastes bot ihm der Aufenthalt in
Ägypten einen unglaublichen Genuß dar, da ihm auf Schritt und
Tritt in den Landesbewohnern die einfachsten Menschen
gegenübertraten, mit denen er sich durch meine Vermittlung in
der gemütvollsten Weise unterhielt und stets freundliche
Antworten und Auskünfte auf ihre Fragen gab. Sein schlanker
Körper war gestählt und die größten Anstrengungen vermochte er
mit Leichtigkeit zu ertragen. Stundenlange Jagdzüge im Sande
der Wüste oder auf den vegetationsleeren, mit Geröll
bedeckten, steilen Wegen der Felsgebirge, meist in der
brennendsten Sonne, bereiteten ihm nicht die geringste Mühe,
während mir selber der Atem ausging, so daß ich ihm häufig die
Bitte ausdrückte, ein langsameres Tempo einschlagen zu wollen.
In der mündlichen Unterhaltung offenbarte der Kronprinz
Verstand, Scharfsinn und Witz. Dabei behauptete er eine Ruhe,
die selbst dem älteren Manne imponieren mußte. Befand er sich
in offizieller Gesellschaft, so wandelte sich sein Wesen wie
durch Zauber plötzlich um, seine ganze Haltung zeigte eine
steife Förmlichkeit, die ihm sonst durchaus nicht eigentümlich
war. Vom Scheitel bis zur Sohle verriet er den Kronprinzen,
den künftigen Kaiser, und seine Unterhaltungen waren gemessen
und kurz in ihren Wendungen.
Als er Ägypten verließ, mußte ich ihm das Versprechen
geben, bei meiner Anwesenheit in Europa ihm jedesmal einen
Besuch abzustatten und längere Zeit als Gast bei ihm zu
verweilen. Die erste Gelegenheit dazu bot sich dar, als ich im
Jahre 1881 in der Frühjahrszeit nach meiner Heimat
zurückgekehrt war und in meinen Briefen ihm die Mitteilung
machte, daß ich bereit sei, ihm bei der Veröffentlichung
seines Reisewerkes von ihm gewünschte Beiträge zu liefern.
Auch die kleinsten Mitteilungen wissenschaftlichen Inhaltes,
die auf unsere gemeinschaftliche Wanderung Bezug hatten,
wurden vom Kronprinzen wörtlich und mit Anführung ihres
Urhebers abgedruckt, und er fand dies so selbstverständlich,
daß auch nicht eine Stelle in seinem Werke anzufinden wäre, in
der er stillschweigend meine eigenen Kenntnisse ausgenutzt
hätte.
Wie man weiß, fand unmittelbar nach seiner Rückkehr aus
Ägypten in die Heimat seine Vermählung mit der Prinzessin
Stephanie, der Tochter des Königs der Belgier, statt. Das
kronprinzliche Paar siedelte bald nach der Hochzeit nach Prag,
der Hauptstadt des Königreichs Böhmen über, um hier in dem
alten Schlosse des Hradschin für einige Zeit seine bleibende
Residenz aufzuschlagen. Einer eigenhändigen Einladung meines
fürstlichen Gönners folgend, nahm ich auf ein paar Wochen
meinen Aufenthalt in dem Prager Schlosse, wobei ich die Ehre
hatte, täglich mit dem hohen Fürstenpaare zu verkehren. Ich
hatte dadurch die Gelegenheit gewonnen, beide in ihrer
Häuslichkeit kennen zu lernen und die Herzlichkeit ihres
gegenseitigen Verkehres zu bewundern. Die damals erst
siebzehnjährige kronprinzliche Gemahlin entzückte nicht nur
durch die Anmut ihrer vornehmen jugendlichen Erscheinung,
sondern noch vielmehr durch die Bescheidenheit, fast
Schüchternheit ihres Wesens, eine Folge ihrer klösterlichen
Erziehung im elterlichen Hause, fern von dem rauschenden
Vergnügen der großen Welt. In den gemeinschaftlich zu Wagen
oder auf der Eisenbahn zurückgelegten Ausflügen war es weder
Dorf noch Stadt, weder Wald noch Berg, die meine
Aufmerksamkeit fesselten, als vielmehr der traute Umgang des
jungen kronprinzlichen Paares, dem ich beizuwohnen das Glück
hatte.
Im Prager Schlosse wurden die Stunden der Arbeit und der
geselligen Zusammenkünste streng von einander geschieden. Jede
freie Zeit benutzte der Kronprinz, sich seinen
wissenschaftlichen Studien und seiner schriftstellerischen
Thätigkeit mit ganzem Eifer hinzugeben. Es ist allgemein
bekannt, daß seine Leistungen ebenso fruchtbar ihrem Inhalte
nach als in ihrer Form geschmackvoll und gefällig gewesen
sind. Das großartig angelegte Werk über die Völker Österreichs
ist unter seiner Ägide entstanden und manche Beiträge aus
seiner Feder haben demselben einen hervorragenden Schmuck
verliehen.
Nicht selten geschah es, daß der Kronprinz noch gegen
Mitternacht in meinem Zimmer erschien und oft an meinem Bette
niedersaß, um bei dem Genusse einer guten Zigarre – er rauchte
nämlich viel und gern – stundenlang von den ernstesten Dingen
zu reden und meine eigene Meinung über die schwierigsten
Fragen einzuholen. Wissenschaft und Kunst, Politik und
Religion gaben den Stoff dazu her und ich war erstaunt, bei
dem unter strengster Obhut aufgewachsenen Prinzen den
freisinnigsten Ansichten zu begegnen, die er in seinen
»akademischen« Zwiegesprächen mit aller Wärme vertrat.
Die Erinnerungen an die Tage unseres Zusammenseins rufen
mir manche unvergeßlichen Stunden zurück, von denen ich keine
als eine verlorene bezeichnen könnte. Selbst das gewöhnliche
Leben und Treiben der Menschen und ihre soziale Lage entlockte
dem Kronprinzen Urteile, die den scharfen und guten Beobachter
erkennen ließen und seinen Blick in die Weite bezeugten.
Während meines Prager Aufenthaltes fällt meine erste
Bekanntschaft mit dem Maler Canon, einem Künstler von großem
Talente und Rufe, der dem Kronprinzen nahe stand (er hatte ihn
aus seiner freiwilligen Einsamkeit herausgezogen) und damals
von ihm den Auftrag erhalten hatte, das lebensgroße Bild der
Frau Kronprinzessin im Hradschin in Ölfarben auszuführen. Es
war nicht nur wohl getroffen, sondern auch in Auffassung und
Ausführung von musterhafter Vollendung. Als ich die
Bekanntschaft des inzwischen verstorbenen Künstlers machte,
befand er sich in leidendem Zustande. Infolge eines Sturzes
während einer Jagd, die der Kronprinz unternommen hatte, war
er genötigt das Bett zu hüten. Ich sah ihn von einer ganzen
Bibliothek umgeben, die nicht etwa der unterhaltenden
Litteratur angehörte, sondern nur aus philosophischen Werken
und Abhandlungen bestand. Canon war mit allen Systemen der
älteren und modernen Philosophen wohl vertraut, und ich war
geradezu erstaunt, in dem Maler meinen Meister auf diesem
Gebiete zu erkennen. »Was wollen Sie?« rief er mir bei dem
Ausdruck meiner Überraschung zu, »mein Leben und mein ganzes
Dasein hat mich der Philosophie in die Arme geworfen. Hören
Sie mein trauriges Schicksal an und Sie werden begreifen, daß
ich ein Philosoph werden mußte.«
Und ich hörte seine Geschichte an, die einem Schriftsteller
den Stoff zu einem mehrbändigen Roman liefern könnte. Drei
Frauen spielen nach einander eine entscheidende Rolle darin,
und jedesmal um den Maler in die bitterste Verzweiflung zu
stürzen. Er schüttete mir zwei Stunden lang sein übervolles
Herz aus, glücklich, wie er mich versicherte, seine Seele
erleichtert und in mir einen verständnisvollen Zuhörer
gefunden zu haben. Der Kronprinz, dem ich später die
erleichterte Gemütsstimmung Canons mitteilte, konnte sich
einer beinahe ausgelassenen Heiterkeit nicht erwehren. Auch er
war in die Seelennot des philosophischen Malers eingeweiht
worden, betrachtete jedoch die Hauptereignisse in dem
Schicksale Canons von einem weniger philosophischen
Standpunkte aus. »Er ist stets ein guter Kerl gewesen, so
meinte er, dem die Weibsleute abscheulich mitgespielt haben.«
Daß Canon auf die weibliche Welt ohne seinen Willen eine
gewisse Anziehungskraft auszuüben im stande war, das lehrte
mich das Aussehen des etwa fünfzigjährigen Mannes. Von
stattlicher Größe, zeigten seine Züge immer noch die Spuren
einer ehemaligen männlichen Schönheit, der ein ellenlanger
Bart als besonderer Schmuck diente.
Meine späteren Beziehungen zum Kronprinzen Rudolf erloschen
bei meiner Versetzung nach Persien. Als ich, wieder der Heimat
zurückgegeben, den im Jahre 1889 erfolgten Tod des
unglücklichen Fürsten aus den Zeitungen erfuhr, fühlte ich es
wie einen Stich ins Herz hinein. Welches auch immer die
Ursachen seines tragischen Endes gewesen sein mochten, er
starb jedenfalls als Opfer eines unseligen Verhängnisses,
dessen Geheimnis niemals gelüstet werden wird. Es erfüllt mich
bis zur Stunde mit tiefster Trauer, in dem Kronprinzen einen
aufrichtigen Gönner und Freund verloren zu haben, trotzdem die
Unterschiede der Stellung und des Lebensalters eine
unüberbrückbare Kluft zwischen uns geschaffen zu haben
schienen.