2. Meine Studentenjahre
Meine Studienzeit.
[69] Nachdem meine Einschreibung in die Register der
königlichen Friedrich Wilhelms-Universität zu Berlin erfolgt
war, ging die dreijährige Studentenzeit für mich an, mit all
den Freuden und Genüssen, welche die Vorträge berühmter Lehrer
der Hochschule, die selbständigen Arbeiten im stillen Heim und
der Umgang mit gleichgesinnten Genossen dem begeisterten
Musensohn in so reichem Maße zu bieten pflegen.
Das aufregende Treiben der Märztage lag hinter mir. Meine
Waffen hatte ich vorschriftsmäßig abgeliefert. Der Besuch der
politischen Versammlungen und der gewohnheitsmäßige Aufenthalt
in Bierhäusern war mir in der Seele verhaßt. Ein paar jüngere
und ältere Freunde – und zu den letzteren zähle ich mit Stolz
den noch jetzt lebenden Sprachphilosophen Professor Dr.
Steinthal – bereiteten mir durch ihren Umgang die
wohlthuendsten Eindrücke und trugen nicht wenig zur Bildung
des Herzens und zur Erweiterung meiner Kenntnisse bei.
Außerhalb der Universität war mir ein großer Kreis bon Gönnern
beschieden worden, in deren Familien ich Zutritt fand und neue
Bekanntschaften mit geistesverwandten Männern anzuknüpfen
vermochte. Das stets offene Haus der Familie [69] Wolff
bildete damals den Mittelpunkt einer kleinen, aber
auserwählten Welt, in welcher die Vertreter der Wissenschaften
und Künste, berühmte Reisende und hervorragende Schriftsteller
sich zu einem schönen Kranze vereinigten. Der älteste Sohn des
Hauses, mein ehemaliger Ordinarius auf Kölln, Professor Dr.
Gustav Wolff, war ein Ausbund griechischer Gelehrsamkeit und
in der Sophokles-Forschung von hervorragender Bedeutung. Seine
wärmste Freundschaft blieb mir bis zu seinem Tode erhalten. In
demselben gastlichen Hause lernte ich damals den Dichter Fr.
Bodenstedt kennen und schloß einen Freundschaftsbund mit ihm,
der unser langes, gemeinsames Leben bis zu seinem Hinscheiden
geschmückt hat. Er war im Jahre 1847 nach Berlin gekommen,
kurz nach seiner Vermählung mit seiner jugendlichen, anmutigen
Gattin, derselben, die gegenwärtig den Witwenschleier trägt,
und hatte durch die Veröffentlichung seines »Mirza Schaffy« in
kurzem die Herzen aller im Sturme erobert, aber leider sollte
seines Bleibens in unserer Mitte nicht lange sein, denn ein
polizeilicher Befehl wies ihn aus den Mauern Berlins. Was er
verbrochen haben mochte, weiß ich nicht mehr zu sagen, doch
lagen im Hintergrunde politische Rücksichten. Er war alles in
allem eine prächtige Natur. Leider verkümmerten ihm des Lebens
Sorgen und Plagen den Vollgenuß des Daseins, das sein
kindliches Gemüt voll Rosenduft und Lenzeslust Edlitham zu
Lieb geträumt hatte.
Von den übrigen Gästen des Hauses schwebt mir noch heute
die Gestalt eines jungen Mannes vor Augen, welcher den Namen
Stamm trug und dessen sanfte Schönheit wie ein leuchtender
Vollmond strahlte. Nur die dunklen Augen, die sich tief in die
Seele zu bohren schienen, glänzten wie sonniges Feuer. Mit
Reichtümern ausgestattet, lebte er in seinem Hause am
Tiergarten gemeinschaftlich mit einem braunfarbigen[70]
Eingebornen aus Java von erstaunlicher Größe und körperlicher
Stärke, der alle Eigenschaften seiner exotischen Abstammung an
sich trug. Seine Gesichtsbildung war breit, aber nicht
unschön, und seine großen, schwarzen Augen funkelten wie
glühende Feuerkohlen. Er sprach das Deutsche vollkommen,
zeigte außerdem große Fertigkeit in allen fremden Sprachen und
war ein Mann von hervorragender Bildung.
Stamm und sein javaischer Freund galten als Sonderlinge in
der Berliner Gesellschaft, waren aber überall gern gesehene
Gäste. Ihr sittenreines Wesen schreckte vor allem Gewöhnlichen
und Gemeinen zurück. Die beiden Dioskuren hatten es sich in
den Kopf gesetzt, eine neue Religion zu stiften, die sie in
aller Kürze als die Religion der That bezeichneten. Nicht
fromme Worte auf der Zunge, sondern gute Handlungen und
hilfreiches Wohlthun oder die thatsächliche Barmherzigkeit
sollte der Inbegriff des wahrhaft Religiösen in dieser
sündigen Welt bilden.
Verstimmt darüber, den gehofften Beifall in Berlin nicht
gefunden zu haben, im Gegenteil die Zielscheibe mancher
scherzhaften Bemerkung gewesen zu sein, siedelten die beiden
Freunde nach England über, um zunächst durch öffentliche
Vorträge die Aufmerksamkeit zu erregen und Anhänger für die
neue Religion der That zu gewinnen. Die praktischen Engländer
gaben ihnen den wohlgemeinten Rat, zunächst mit sich selber
den Anfang zu machen. Sie ließen es sich nicht zweimal sagen
und absolvierten das schwere Studium der Heilkunde, – die
ärztliche Hilfe erschien ihnen als das geeignetste Mittel, die
Religion der That zu bezeugen, – bestanden die Prüfung mit
Ehren und schifften sich nach Mexiko und später nach Brasilien
ein, um auf eigene Kosten Krankenhäuser in den vom gelben
Fieber heimgesuchten ungesunden Gegenden zu errichten und
selber ärztliche Hilfe zu leisten.
[71] Dr. Stamm und sein Freund, der in Amerika sein Leben
als Helfer der Menschheit einbüßte, hatten ihr ganzes großes
Vermögen für die edelsten Zwecke geopfert, ohne Mithelfer und
Proselyten der Religion der That gefunden zu haben. Stammt
ehrte später blutarm nach Berlin zurück, und in einer
bescheiden möblierten Wohnung in der Kronenstraße sah ich den
vierzigjährigen Mann wieder. Aber was war aus ihm in der
Zwischenzeit geworden! Aus seinen Zügen las ich den tiefsten
Gram und Kummer. Die Enttäuschungen, die ihm bereitet waren,
hatten seinen Mut geknickt und er beklagte sich bitter, daß
ihm das Gesetz die ärztliche Praxis in Preußen verbiete, da er
in England promoviert habe. Er wolle versuchen, in Berlin das
vorgeschriebene Examen zu bestehen.
Mehrere Jahre darauf traf ich ihn zufällig in Karlsbad
wieder. Sein Äußeres zeigte mir den herabgekommenen Mann an.
Seine Unterhaltungen verrieten nach keiner Richtung hin den
ehemaligen sittenstrengen Jüngling. Er hatte sich durch das
Haschisch der Verzweiflung betäubt und war zum Schluß ein
vollendeter Sozialist geworden. Von seinem späteren Leben ist
mir nichts zu Ohren gekommen. Vielleicht daß ein gütiges
Schicksal ihn vor einem schrecklichen Ende bewahrt hat.
Verdient hat er ein solches nicht.
Eine andere Bekanntschaft, die ich in dem Wolffschen Hause
zu machen Gelegenheit hatte, betraf ein junges, damals erst 15
jähriges Mädchen mit rötlichem Haar und einem klugen hübschen
Gesichtchen, das durch ihre scharfen, witzigen Bemerkungen so
manchen schüchternen Jüngling in die ärgste Verlegenheit
setzte. Es war die schöne Helene, die Tochter des bayerischen
Gesandten v. Dönniges und eine nahe Verwandte des Hauses, in
dem ich das Glück hatte zu verkehren. Sie hat die
wechselvollsten Schicksale durchlebt und durch ihre[72]
Verbindung mit Lassalle eine Zeit lang die Welt von sich reden
machen. Bei der Weltausstellung in Wien sah ich sie als
Schauspielerin von mäßiger Begabung in einem Theater
öffentlich auftreten.
Meine Lehrer von der hiesigen Universität trugen berühmte
Namen, die ich nur anzuführen habe, um auf ihre Bedeutung
hinzuweisen, die Philologen: Aug. Böckh, Bopp, Lachmann,
Haupt, Heyse, den Geographen Karl Ritter, den Historiker von
Raumer, die Philosophen Michelet, Trendelenburg, Steinthal
(für Sprachvergleichung und das Chinesische).
In dem alten Böckh, den ein langjähriges freundschaftliches
Verhältnis mit Alex. von Humboldt verband, besaß ich eine
besondere Stütze und hatte die Ehre, fast ein Jahr lang in
seinem Hause zu sein, als er, fast erblindet, eines
wissenschaftlichen Sekretärs bedurfte. Seine ägyptischen
Untersuchungen über die Königslisten Manethos, über das
Siriusjahr und das Isisfest von chronologischem Standpunkt aus
boten mir häufig die gewünschte Veranlassung, noch als Student
mit ihm wissenschaftliche Disputationen zu führen, bei denen
ich den höchsten Gewinn für mein eigenes Wissen davon trug.
Die Klarheit und Sicherheit seines Vortrages, der Scharfsinn
seiner Urteile und Schlüsse, sein feiner, nie verletzender
Witz fesselte unwiderstehlich die Zuhörenden. Im Hause liebte
er es, bei seinen Arbeiten Zigarren zu rauchen, und wenn ihm
ein neuer Gedanke einfiel, so ging regelmäßig der Glimmstengel
aus. Das Wiederanzünden war äußerlich das Zeichen, daß ihm die
Lösung einer schwierigen Frage gelungen sei. Ein später zur
Berühmtheit gelangter Jurist, Dr. Gneist, die jetzige
Excellenz von Gneist, bewarb sich damals um die anmutige
Tochter des klassischen Geheimrats. Ich hatte damals das
Glück, beiden im Hause des Vaters häufig zu begegnen.[73]
Wenn mir ein neuester amerikanischer Schriftsteller die
Ehre anthut, mich in einem soeben erschienenen Werke über »die
Nadel der Kleopatra« oder den in New- York aufgestellten
Obelisken von Alexandrien als The greatest living Egyptologist
and disciple of Lepsius zu bezeichnen, so muß ich zu meinem
Bedauern erklären, daß ich keinen Anspruch darauf erheben
darf, mich als Schüler des Begründers und Förderers der
Ägyptologie in Deutschland zu betrachten. Und Lepsius scheint
dies selber nicht gewünscht zu haben, wie wäre es sonst
möglich gewesen, daß er bei meinem ersten Besuche einer seiner
öffentlichen Vorlesungen in der Universität mit lauter Stimme
und in Gegenwart der übrigen Zuhörer vom Katheder aus die
Aufforderung an mich richtete, sein Kolleg zu verlassen. Tief
beschämt und ohne mir die Gründe einer so ungewöhnlichen
Abweisung erklären zu können, verließ ich selbstverständlich
sofort den Hörsaal. Ich bin in meiner Wissenschaft ein
Autodidakt gewesen, und wenn jemand mein Dank für empfangene
Lehren auf dem Gebiete der Entzifferung hieroglyphischer und
hieratischer Texte gebührt, so ist es allein der französische
Vicomte Emmanuel de Rougé Champollions würdigster Nachfolger
auf dem Lehrstuhl der Ägyptologie, derselbe, der über die
demotische Grammatik des Primaners vom alten Kölln ein so
günstiges Urteil gefällt hatte.