6. Meine Thaten als ägyptischer Beamter
Vizekönigliches Hofleben.
Der Aufenthalt der Fremden in Kairo nach ihrer Rückkehr aus
dem Oberlande gab schließlich dem täglichen, der Arbeit
gewidmeten Leben der in Kairo angesessenen Europäer den
Beigeschmack des Ungemütlichen. Verlängerte festliche
Stimmungen, besonders in schweren Abendsitzungen in den
Bierkneipen ausgedrückt, nehmen schnell, bei soliden Leuten
wenigstens, den Charakter des Unerträglichen und Ermüdenden an
und man ist froh, wenn die wandernde Landplage heimwärts
zieht. Mir selber war es stets ein Genuß, liebe Landsleute in
meinem eigenen Heim zu empfangen und am Familientische mit
Ihnen »von drüben« und von allem, was unser Herz bewegt und
erquickt, reden zu können. Mein Freund und Zeitgenosse L.
Pietsch wird es nicht vergessen haben, in welcher Weise, echt
deutsch, echt sinnig und heimatswehmütig, wir den
Weihnachtsabend des Jahres 1869 verlebt haben und wie der
Christbaum einzig in seiner Art dastand. Es war ein einfacher
Besenstiel, der aufrecht in einem Fußgestell steckte, aber
bespickt mit blühenden Myrtenzweigen aus meinem Garten,
zwischen welchen arabische Lichtkerzen ihren schimmernden
Glanz ausbreiteten. Das Fest der seligen, fröhlichen
Kinderzeit feierten wir auf der afrikanischen Erde sicherlich
mit größerer Wärme, als wir es in derselben Stunde in der
eigenen Heimat gethan haben würden.
Meine alte Thätigkeit an der Schule wurde nach den
aufregenden Festtagen von mir selber wieder aufgenommen, und
das war notwendig, denn auch die einheimische Jugend war von
dem Wasserspektakel festlich angesteckt worden. Die Schüler
machten je nach ihrer Leistungsfähigkeit die besten
Fortschritte, und ich kann erfahrungsmäßig bezeugen, daß sie
in der Leichtigkeit, auswendig zu lernen, den
Durchschnittsschüler in Deutschland bei weitem überboten. Eine
besondere Schwierigkeit bereitete es mir, sie in die
Geheimnisse einzuweihen, die von dem altägyptischen
Götterwesen unzertrennlich sind. »Es giebt keinen Gott außer
Gott« ist bekanntlich die Losung des Islam und jede Erinnerung
an Götter eine Sünde wider den Koran und den Propheten
Mohammed. Im alten Ägypten wimmelte es von Gottheiten, alten
und jungen bis zu den Kinderjahren hin, männlichen und
weiblichen, die sich verheiraten, Kinder erzeugen und ein
gemeinsames Familienleben führen. Wie sollte ich es meinen
Schülern zur Klarheit bringen, daß ihre Vorfahren sich in den
religiösen Dingen im vollsten Widerspruch zu ihnen befanden,
und wie ihrer Vorstellung das besondere Wesen jeder einzelnen
Gottheit näher führen? Wie oft, so mußte ich auch hier zu
einem Kunstgriff meine Zuflucht nehmen, der mir gestattete,
meinen Studenten von einer Vielheit ägyptischer Gottheiten zu
reden, aber ihr islamisches La illah il' Allah nicht gar zu
sehr ins Gedränge kommen zu lassen und ihren Glauben zu
belasten. Da bekanntlich die Araber ihrem Allah neunundneunzig
große Eigenschaften unter ebensoviel Namen zuschreiben, so
lehrte ich meine Schüler in den Götterbezeichnungen der alten
Ägypter nur Eigenschaftsnamen dieses einen unteilbaren Gottes
erkennen, von dem sogar die heidnischen Inschriften aussagen:
»Er ist einzig und allein und kein anderer Gott ist außer ihm
da.« Götternamen wie Amon d.h. der »Verborgene« in Theben,
Ptah d.h. der »Schöpfer« in Memphis u.a.m. fingen an auf meine
Schüler sogar eine gewisse Anziehungskraft auszuüben, und im
Grunde genommen stand meine Erklärung und Auffassung der
Wahrheit nicht allzu fern.
Es war eine Art von idyllischer Ruhe, die ich in meinem
Hause, in welchem sich zugleich meine Schiller befanden, in
mitten des Palmengartens verlebte. Der blaue Himmel, das
Nicken der Palmenzweige in der leise bewegten Luft, das
Knarren des Wasserrades, aber außer diesen die heilige Stille
der ganzen Umgebung verfehlten nicht auf mich ihren Zauber
auszuüben, und in der Ecke meines Diwans auf dem breiten
Balkon sitzend, der eigentlich ein Zimmer mit durchbrochener
Vorderwand darstellte, empfand ich häufig jenes wonnige,
unbeschrewliche Gefühl, welches die morgenländischen Sprachen
mit dem Worte »Kef« zu bezeichnen pflegen. Man träumt mit
offenen Augen und der Schlafgott klopft leise an unsere Stirn,
um uns mit seinen Armen zu umfangen. Freilich erzeugt der »Kef«
keine Dichter, aber ich kann mir denken, daß er ehemals auf
die Propheten seinen vollen Einfluß ansgeübt hat.
Wer im Morgenlande lebt und vor allem genötigt ist, mit den
Großen des Landes im Verkehr zu leben, darf die Erfüllung
einer Pflicht niemals außer Acht lassen, die für uns Europäer
unerklärlich erscheinen dürfte. Sie besteht darin, dem
regierenden Fürsten und seinen Wesiren mindestens einmal in
der Woche einen Höflichkeitsbesuch abzustatten, der fünf oder
mehr Stunden in Anspruch nimmt. Man wird im Vorzimmer von
einem Sekretär empfangen und ersucht, seinen Namen in ein
anfliegendes Buch einzutragen, Kaffee wird von uniformierten
Unterbeamten oder Kawassen in kleinen Täßchen den Gästen
angeboten, der Zeremonienmeister erscheint, um die Anwesenden
zu begrüßen und ihre Namen zu notieren. Er verschwindet
wieder, um sich zu seinem Herrn zu begeben und ihm die Namen
der Besucher mitzuteilen und seine weiteren Befehle
einzuholen. Er kehrt nach dem Wartezimmer zurück, ersucht
diesen oder jenen oder auch wohl eine ganze Gruppe von
Anwesenden ihm zu folgen, um seinem hohen Gebieter vorgestellt
zu werden. Die Wartezeit kann sich bisweilen von neun Uhr
vormittags bis neun Uhr abends ausdehnen, und wer eine
empfindliche Natur hat, wie meine eigene Wenigkeit, der kann
geradezu erbost werden, wenn er die Wahrnehmung macht, daß
viel später Gekommene sofort vorgelassen werden, während er
selber auf seinem Warteplatz stundenlang ausharren muß. Die
Mißstimmung wächst in dem Maße, als die kommenden und gehenden
Besucher mit vergnügten oder hämischen Mienen den Diwanhöcker
wie einen in Ungnade gefallenen armen Sünder betrachten.
Immerhin findet der Europäer mannigfache Gelegenheit, sich
in dem Wartezimmer zu zerstreuen, was besonders der Fall ist,
wenn Große des Reiches von ägyptischem oder türkischem Stamme
in die Wartehalle einziehen und sich durch ihre sonderbaren
Handlungen und Fragen dem Europäer gegenüber auszeichnen. Hat
es nicht beispielsweise etwas Urkomisches, wenn ein dicker
Pascha plötzlich seine Weste aufknöpft, um nach einer –
lebendigen Laus zu suchen, die glücklich erhaschte Beute auf
den Nagel seines linken Daumens zu legen und sie mit Hilfe
eines Vergrößerungsglases zu betrachten, das er vorher
irgendwo gekauft oder zum Geschenk erhalten hat? »Schuf, agaib!«
d.h. »sieh nur, wie wunderbar!«, ruft er aus, und wendet den
Daumen mit der Laus darauf seinem nächsten Nachbar zu. Ich
könnte die köstlichsten Geschichten erzählen, die mir aus
meinen Wartestunden in der Erinnerung zurückgeblieben sind,
muß aber aus Mangel an Raum es bei dem einen Beispiel bewenden
lassen. Jedenfalls war es das Schlimmste noch nicht.
So mußte ich denn ein- oder zweimal wöchentlich vor allem
dem damals regierenden Vizekönig Ismaïl Pascha meinen
schuldigen Besuch abstalten, wobei ich zu Wagen im Winter den
Weg nach dem Stadtschlosse Abdin und im Sommer nach den
Lustschlössern von Gesireh oder Giseh, auf der anderen Seite
des Niles und der Stadt Kairo gegenüber, zurückzulegen hatte.
Der Vizekönig, ein vollkommen europäisch gebildeter Mann, dem
es nicht an Klugheit und Scharfsinn gebrach, wenn auch die
besonders schlauen französischen Bankiers in Kairo seiner
eingebildeten Schlauheit bei weitem über waren, ein Verehrer
der europäischen Damenwelt, wenn sie sich nicht bloß durch
Schönheit, sondern auch durch Bildung und Anmut in der
Unterhaltung auszeichnete, ein Gönner der Kunst und
Wissenschaft, soweit sie seinen Zwecken diente, und alles in
allem ein Herr, mit dem es sich gut auskommen ließ, sobald man
ihm nicht widersprach oder seinen Plänen gar Tadel
entgegensetzte. Es ist mir eine angenehme Erinnerung, von ihm
fast jedesmal nach meinem Erscheinen sofort empfangen und in
seiner Nähe zurückgehalten worden zu sein.
Seine Gespräche mit mir, die er vorsichtig als
»akademische« bezeichnete, betrafen alles Mögliche in der
Welt, berührten aber mit besonderer Vorliebe unsern großen
Kaiser WilhelmI. und seine Paladine, unter welchen ihm Fürst
Bismarck und Graf von Moltke als die leuchtendsten Sterne
erschienen. »Seine Majestät Ihr Kaiser,« so wiederholte er mir
des öfteren, »ist einer der größten Männer der Zeit und sein
Name wird in der Geschichte am Himmel des Ruhmes in Ewigkeit
hin glänzen, aber wissen Sie, worin seine wahre Größe besteht?
In der glücklichen Anlage, aus der Mitte seiner Diener das
Talent und das Geschick des einzelnen zur Lösung der
staatlichen Aufgaben herauserkannt und den Mann seiner Wahl an
die richtige Stelle gesetzt zu haben. Wie viel Fürsten
mächtiger und großer Reiche hat es nicht gegeben, die, an sich
begabt, voller großer Pläne waren, aber dennoch nicht den
richtigen Blick besaßen, um sich ihre Werkzeuge aus der Menge
herauszuwählen und dadurch die gesteckten Ziele zu erreichen.«
Ich muß es hervorheben, daß der deutsch-französische Krieg
in den Jahren 1870/71 nicht verfehlt hatte, dem Vizekönig die
größten Enttäuschungen zu bereiten. Bis dahin stand er, wie so
manch anderer Fürst, in dem Glauben, daß die französische
Nation nicht bloß an der Spitze der übrigen Völker marschiere
und geradezu unüberwindlich sei, sondern auch daß der Kaiser
der Franzosen Napoleon III. alle übrigen Regenten in der Welt,
wie man zu sagen pflegt, in der Tasche habe. Eine solche
Ansicht hatte ihn und schon seinen Vorgänger Sajid dazu
verleitet, sich ganz dem Franzosentum zu überlassen in dem
festen Glauben an das Prestige und die Unfehlbarkeit der
französischen Nation. Die ägyptische Armee war nach
französischem Muster organisirt und von französischen
Offizieren kommandiert; in den Ministerien bestand der größere
Teil der höheren Beamten aus Franzosen; die Hofämter waren
gleichfalls von Franzosen besetzt, unter denen der
Kabinettssekretär Barrot, ein Neffe des berühmten
französischen Staatsmannes Odilon Barrot, die hervorragendste
Stellung bekleidete. Er war der eigentliche Ratgeber des
Vizekönigs, wie seine schöne Gemahlin die Ratgeberin der
Damenwelt, auch bei ihren Bestellungen in Paris für den
vizeköniglichen Harem. Selbst das Hofleben bis zur Bedienung
hin war nach französischem Zuschnitt gestaltet, wobei das gute
Herz des Vizekönigs zum Ausdruck kam, als er nach dem für
Frankreich unglücklichen Kriege fast die ganze Bedienung
Napoleons in seine eigenen Dienste nahm. Die französische
Dankbarkeit hat sich nach meinem Dafürhalten nicht besonders
bewährt. Als die Geldnot den Vizekönig in die Enge getrieben
hatte und der Goldfluß anfing zu versiegen, verließen die
gemästeten französischen Ratten das sinkende Schiff Ismaïls.
Von Barrot und dem französischen Leibarzt des Khedive an
begaben sie sich auf die Dampfer im Hafen von Alexandrien, um
sich nach Frankreich einzuschiffen und in Paris den Schweiß
der Fellachen in Wohlleben zu verzehren. Daß es auch ehrliche
Leute unter den Franzosen gab, das hat mein damaliger Freund,
der Architekt Rousseau, bewiesen, welcher zuletzt eine
Stellung als Unterstaatssekretär im Ministerium der
öffentlichen Arbeiten einnahm und erst unter dem Nachfolger
des Vizekönigs Ägypten als armer Mann verließ. Ich glaube, er
ist derselbe, der bei dem Panamaskandale fast als der einzige
Gerechte unter den vielen Sündern hervorging.
Es war natürlich, daß meine Berührungen mit dem Hofe mich
häufig, oft täglich mit der französischen Gesellschaft da oben
zusammenführten, allein man hütete sich weislich, selbst nach
dem Jahre 1871, mich irgendwie die eigene Mißstimmung fühlen
zu lassen. In dem einzigen Falle, in welchem es geschah,
verschaffte ich mir beim Vizekönig die glänzendste Genugthuung.
Im übrigen war er von seiner Vorliebe für die Franzosen durch
die letzten Ereignisse ein wenig geheilt worden und er zog es
vor, die französischen Offiziere seiner Armee zu entlassen und
sie durch Stellvertreter aus sogenannten neutralen Staaten zu
ersetzen. Ismaïl zählte dazu Schweden, Norwegen, Dänemark, vor
allem aber Nordamerika, woher er sich eine Reihe von
Offizieren verschrieb, die sich im Kriege der Nordstaaten
gegen die südlichen durch ihre militärischen Eigenschaften
besonders hervorgethan hatten. An ihrer Spitze stand der
amerikanische General Stone, zu dem ich in den
freundschaftlichsten Beziehungen stand, und von den Offizieren
gedenke ich mit Vergnügen des Colonel Long, der den Mut hatte,
in Begleitung weniger Negersoldaten, die Reise von Kairo nach
Uganda zu unternehmen und dem König Mtesa die Grüße und
Geschenke des ägyptischen Khedive zu überbringen und ein
freundschaftliches Bündnis mit ihm abzuschließen. Unter den
Gegengeschenken des Königs Mtesa an seinen Bruder den Khedive
befand sich eine baumwollene Mütze, welche der König
allerhöchst eigenhändig mit Nadel und Zwirn gesteppt hatte.
Sie bildete meiner Meinung nach ein Glanzstück in der
Weltausstellung zu Wien, nachdem sie mir vom Vizekönig
übergeben worden war, zog aber niemandes Beachtung auf sich,
wenn nicht jemand vorher von ihrer Geschichte unterrichtet
war.