Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

Zum Inhaltsverzeichnis

6. Meine Thaten als ägyptischer Beamter

Vizekönigliches Hofleben.

Der Aufenthalt der Fremden in Kairo nach ihrer Rückkehr aus dem Oberlande gab schließlich dem täglichen, der Arbeit gewidmeten Leben der in Kairo angesessenen Europäer den Beigeschmack des Ungemütlichen. Verlängerte festliche Stimmungen, besonders in schweren Abendsitzungen in den Bierkneipen ausgedrückt, nehmen schnell, bei soliden Leuten wenigstens, den Charakter des Unerträglichen und Ermüdenden an und man ist froh, wenn die wandernde Landplage heimwärts zieht. Mir selber war es stets ein Genuß, liebe Landsleute in meinem eigenen Heim zu empfangen und am Familientische mit Ihnen »von drüben« und von allem, was unser Herz bewegt und erquickt, reden zu können. Mein Freund und Zeitgenosse L. Pietsch wird es nicht vergessen haben, in welcher Weise, echt deutsch, echt sinnig und heimatswehmütig, wir den Weihnachtsabend des Jahres 1869 verlebt haben und wie der Christbaum einzig in seiner Art dastand. Es war ein einfacher Besenstiel, der aufrecht in einem Fußgestell steckte, aber bespickt mit blühenden Myrtenzweigen aus meinem Garten, zwischen welchen arabische Lichtkerzen ihren schimmernden Glanz ausbreiteten. Das Fest der seligen, fröhlichen Kinderzeit feierten wir auf der afrikanischen Erde sicherlich mit größerer Wärme, als wir es in derselben Stunde in der eigenen Heimat gethan haben würden.

Meine alte Thätigkeit an der Schule wurde nach den aufregenden Festtagen von mir selber wieder aufgenommen, und das war notwendig, denn auch die einheimische Jugend war von dem Wasserspektakel festlich angesteckt worden. Die Schüler machten je nach ihrer Leistungsfähigkeit die besten Fortschritte, und ich kann erfahrungsmäßig bezeugen, daß sie in der Leichtigkeit, auswendig zu lernen, den Durchschnittsschüler in Deutschland bei weitem überboten. Eine besondere Schwierigkeit bereitete es mir, sie in die Geheimnisse einzuweihen, die von dem altägyptischen Götterwesen unzertrennlich sind. »Es giebt keinen Gott außer Gott« ist bekanntlich die Losung des Islam und jede Erinnerung an Götter eine Sünde wider den Koran und den Propheten Mohammed. Im alten Ägypten wimmelte es von Gottheiten, alten und jungen bis zu den Kinderjahren hin, männlichen und weiblichen, die sich verheiraten, Kinder erzeugen und ein gemeinsames Familienleben führen. Wie sollte ich es meinen Schülern zur Klarheit bringen, daß ihre Vorfahren sich in den religiösen Dingen im vollsten Widerspruch zu ihnen befanden, und wie ihrer Vorstellung das besondere Wesen jeder einzelnen Gottheit näher führen? Wie oft, so mußte ich auch hier zu einem Kunstgriff meine Zuflucht nehmen, der mir gestattete, meinen Studenten von einer Vielheit ägyptischer Gottheiten zu reden, aber ihr islamisches La illah il' Allah nicht gar zu sehr ins Gedränge kommen zu lassen und ihren Glauben zu belasten. Da bekanntlich die Araber ihrem Allah neunundneunzig große Eigenschaften unter ebensoviel Namen zuschreiben, so lehrte ich meine Schüler in den Götterbezeichnungen der alten Ägypter nur Eigenschaftsnamen dieses einen unteilbaren Gottes erkennen, von dem sogar die heidnischen Inschriften aussagen: »Er ist einzig und allein und kein anderer Gott ist außer ihm da.« Götternamen wie Amon d.h. der »Verborgene« in Theben, Ptah d.h. der »Schöpfer« in Memphis u.a.m. fingen an auf meine Schüler sogar eine gewisse Anziehungskraft auszuüben, und im Grunde genommen stand meine Erklärung und Auffassung der Wahrheit nicht allzu fern.

Es war eine Art von idyllischer Ruhe, die ich in meinem Hause, in welchem sich zugleich meine Schiller befanden, in mitten des Palmengartens verlebte. Der blaue Himmel, das Nicken der Palmenzweige in der leise bewegten Luft, das Knarren des Wasserrades, aber außer diesen die heilige Stille der ganzen Umgebung verfehlten nicht auf mich ihren Zauber auszuüben, und in der Ecke meines Diwans auf dem breiten Balkon sitzend, der eigentlich ein Zimmer mit durchbrochener Vorderwand darstellte, empfand ich häufig jenes wonnige, unbeschrewliche Gefühl, welches die morgenländischen Sprachen mit dem Worte »Kef« zu bezeichnen pflegen. Man träumt mit offenen Augen und der Schlafgott klopft leise an unsere Stirn, um uns mit seinen Armen zu umfangen. Freilich erzeugt der »Kef« keine Dichter, aber ich kann mir denken, daß er ehemals auf die Propheten seinen vollen Einfluß ansgeübt hat.

Wer im Morgenlande lebt und vor allem genötigt ist, mit den Großen des Landes im Verkehr zu leben, darf die Erfüllung einer Pflicht niemals außer Acht lassen, die für uns Europäer unerklärlich erscheinen dürfte. Sie besteht darin, dem regierenden Fürsten und seinen Wesiren mindestens einmal in der Woche einen Höflichkeitsbesuch abzustatten, der fünf oder mehr Stunden in Anspruch nimmt. Man wird im Vorzimmer von einem Sekretär empfangen und ersucht, seinen Namen in ein anfliegendes Buch einzutragen, Kaffee wird von uniformierten Unterbeamten oder Kawassen in kleinen Täßchen den Gästen angeboten, der Zeremonienmeister erscheint, um die Anwesenden zu begrüßen und ihre Namen zu notieren. Er verschwindet wieder, um sich zu seinem Herrn zu begeben und ihm die Namen der Besucher mitzuteilen und seine weiteren Befehle einzuholen. Er kehrt nach dem Wartezimmer zurück, ersucht diesen oder jenen oder auch wohl eine ganze Gruppe von Anwesenden ihm zu folgen, um seinem hohen Gebieter vorgestellt zu werden. Die Wartezeit kann sich bisweilen von neun Uhr vormittags bis neun Uhr abends ausdehnen, und wer eine empfindliche Natur hat, wie meine eigene Wenigkeit, der kann geradezu erbost werden, wenn er die Wahrnehmung macht, daß viel später Gekommene sofort vorgelassen werden, während er selber auf seinem Warteplatz stundenlang ausharren muß. Die Mißstimmung wächst in dem Maße, als die kommenden und gehenden Besucher mit vergnügten oder hämischen Mienen den Diwanhöcker wie einen in Ungnade gefallenen armen Sünder betrachten.

Immerhin findet der Europäer mannigfache Gelegenheit, sich in dem Wartezimmer zu zerstreuen, was besonders der Fall ist, wenn Große des Reiches von ägyptischem oder türkischem Stamme in die Wartehalle einziehen und sich durch ihre sonderbaren Handlungen und Fragen dem Europäer gegenüber auszeichnen. Hat es nicht beispielsweise etwas Urkomisches, wenn ein dicker Pascha plötzlich seine Weste aufknöpft, um nach einer – lebendigen Laus zu suchen, die glücklich erhaschte Beute auf den Nagel seines linken Daumens zu legen und sie mit Hilfe eines Vergrößerungsglases zu betrachten, das er vorher irgendwo gekauft oder zum Geschenk erhalten hat? »Schuf, agaib!« d.h. »sieh nur, wie wunderbar!«, ruft er aus, und wendet den Daumen mit der Laus darauf seinem nächsten Nachbar zu. Ich könnte die köstlichsten Geschichten erzählen, die mir aus meinen Wartestunden in der Erinnerung zurückgeblieben sind, muß aber aus Mangel an Raum es bei dem einen Beispiel bewenden lassen. Jedenfalls war es das Schlimmste noch nicht.

So mußte ich denn ein- oder zweimal wöchentlich vor allem dem damals regierenden Vizekönig Ismaïl Pascha meinen schuldigen Besuch abstalten, wobei ich zu Wagen im Winter den Weg nach dem Stadtschlosse Abdin und im Sommer nach den Lustschlössern von Gesireh oder Giseh, auf der anderen Seite des Niles und der Stadt Kairo gegenüber, zurückzulegen hatte. Der Vizekönig, ein vollkommen europäisch gebildeter Mann, dem es nicht an Klugheit und Scharfsinn gebrach, wenn auch die besonders schlauen französischen Bankiers in Kairo seiner eingebildeten Schlauheit bei weitem über waren, ein Verehrer der europäischen Damenwelt, wenn sie sich nicht bloß durch Schönheit, sondern auch durch Bildung und Anmut in der Unterhaltung auszeichnete, ein Gönner der Kunst und Wissenschaft, soweit sie seinen Zwecken diente, und alles in allem ein Herr, mit dem es sich gut auskommen ließ, sobald man ihm nicht widersprach oder seinen Plänen gar Tadel entgegensetzte. Es ist mir eine angenehme Erinnerung, von ihm fast jedesmal nach meinem Erscheinen sofort empfangen und in seiner Nähe zurückgehalten worden zu sein.

Seine Gespräche mit mir, die er vorsichtig als »akademische« bezeichnete, betrafen alles Mögliche in der Welt, berührten aber mit besonderer Vorliebe unsern großen Kaiser WilhelmI. und seine Paladine, unter welchen ihm Fürst Bismarck und Graf von Moltke als die leuchtendsten Sterne erschienen. »Seine Majestät Ihr Kaiser,« so wiederholte er mir des öfteren, »ist einer der größten Männer der Zeit und sein Name wird in der Geschichte am Himmel des Ruhmes in Ewigkeit hin glänzen, aber wissen Sie, worin seine wahre Größe besteht? In der glücklichen Anlage, aus der Mitte seiner Diener das Talent und das Geschick des einzelnen zur Lösung der staatlichen Aufgaben herauserkannt und den Mann seiner Wahl an die richtige Stelle gesetzt zu haben. Wie viel Fürsten mächtiger und großer Reiche hat es nicht gegeben, die, an sich begabt, voller großer Pläne waren, aber dennoch nicht den richtigen Blick besaßen, um sich ihre Werkzeuge aus der Menge herauszuwählen und dadurch die gesteckten Ziele zu erreichen.«

Ich muß es hervorheben, daß der deutsch-französische Krieg in den Jahren 1870/71 nicht verfehlt hatte, dem Vizekönig die größten Enttäuschungen zu bereiten. Bis dahin stand er, wie so manch anderer Fürst, in dem Glauben, daß die französische Nation nicht bloß an der Spitze der übrigen Völker marschiere und geradezu unüberwindlich sei, sondern auch daß der Kaiser der Franzosen Napoleon III. alle übrigen Regenten in der Welt, wie man zu sagen pflegt, in der Tasche habe. Eine solche Ansicht hatte ihn und schon seinen Vorgänger Sajid dazu verleitet, sich ganz dem Franzosentum zu überlassen in dem festen Glauben an das Prestige und die Unfehlbarkeit der französischen Nation. Die ägyptische Armee war nach französischem Muster organisirt und von französischen Offizieren kommandiert; in den Ministerien bestand der größere Teil der höheren Beamten aus Franzosen; die Hofämter waren gleichfalls von Franzosen besetzt, unter denen der Kabinettssekretär Barrot, ein Neffe des berühmten französischen Staatsmannes Odilon Barrot, die hervorragendste Stellung bekleidete. Er war der eigentliche Ratgeber des Vizekönigs, wie seine schöne Gemahlin die Ratgeberin der Damenwelt, auch bei ihren Bestellungen in Paris für den vizeköniglichen Harem. Selbst das Hofleben bis zur Bedienung hin war nach französischem Zuschnitt gestaltet, wobei das gute Herz des Vizekönigs zum Ausdruck kam, als er nach dem für Frankreich unglücklichen Kriege fast die ganze Bedienung Napoleons in seine eigenen Dienste nahm. Die französische Dankbarkeit hat sich nach meinem Dafürhalten nicht besonders bewährt. Als die Geldnot den Vizekönig in die Enge getrieben hatte und der Goldfluß anfing zu versiegen, verließen die gemästeten französischen Ratten das sinkende Schiff Ismaïls. Von Barrot und dem französischen Leibarzt des Khedive an begaben sie sich auf die Dampfer im Hafen von Alexandrien, um sich nach Frankreich einzuschiffen und in Paris den Schweiß der Fellachen in Wohlleben zu verzehren. Daß es auch ehrliche Leute unter den Franzosen gab, das hat mein damaliger Freund, der Architekt Rousseau, bewiesen, welcher zuletzt eine Stellung als Unterstaatssekretär im Ministerium der öffentlichen Arbeiten einnahm und erst unter dem Nachfolger des Vizekönigs Ägypten als armer Mann verließ. Ich glaube, er ist derselbe, der bei dem Panamaskandale fast als der einzige Gerechte unter den vielen Sündern hervorging.

Es war natürlich, daß meine Berührungen mit dem Hofe mich häufig, oft täglich mit der französischen Gesellschaft da oben zusammenführten, allein man hütete sich weislich, selbst nach dem Jahre 1871, mich irgendwie die eigene Mißstimmung fühlen zu lassen. In dem einzigen Falle, in welchem es geschah, verschaffte ich mir beim Vizekönig die glänzendste Genugthuung. Im übrigen war er von seiner Vorliebe für die Franzosen durch die letzten Ereignisse ein wenig geheilt worden und er zog es vor, die französischen Offiziere seiner Armee zu entlassen und sie durch Stellvertreter aus sogenannten neutralen Staaten zu ersetzen. Ismaïl zählte dazu Schweden, Norwegen, Dänemark, vor allem aber Nordamerika, woher er sich eine Reihe von Offizieren verschrieb, die sich im Kriege der Nordstaaten gegen die südlichen durch ihre militärischen Eigenschaften besonders hervorgethan hatten. An ihrer Spitze stand der amerikanische General Stone, zu dem ich in den freundschaftlichsten Beziehungen stand, und von den Offizieren gedenke ich mit Vergnügen des Colonel Long, der den Mut hatte, in Begleitung weniger Negersoldaten, die Reise von Kairo nach Uganda zu unternehmen und dem König Mtesa die Grüße und Geschenke des ägyptischen Khedive zu überbringen und ein freundschaftliches Bündnis mit ihm abzuschließen. Unter den Gegengeschenken des Königs Mtesa an seinen Bruder den Khedive befand sich eine baumwollene Mütze, welche der König allerhöchst eigenhändig mit Nadel und Zwirn gesteppt hatte. Sie bildete meiner Meinung nach ein Glanzstück in der Weltausstellung zu Wien, nachdem sie mir vom Vizekönig übergeben worden war, zog aber niemandes Beachtung auf sich, wenn nicht jemand vorher von ihrer Geschichte unterrichtet war.

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de