Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

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Vorwort

Das soeben im Druck vollendete Werk, welches ich unter dem Titel: »Mein Leben und mein Wandern« in Buchform meinen Lesern übergebe, sollte ich eigentlich als eine zweite, mehrfach verbesserte Auflage bezeichnen. Es erschien nämlich zuerst in der zweiten Hälfte des Sommers 1893 in einer der meistgelesenen Zeitungen Berlins, der Vossischen, welche von Nummer zu Nummer meine Handschrift zum Abdruck brachte. Schriftliche und mündliche Äußerungen und Urteile wohlwollender Leser beruhigten mich über das Waghalsige des Versuches, mein Leben in die große Öffentlichkeit hineinzutragen. Ehrlich gestanden hatte weder Eitelkeit noch litterarische Ruhmbegierde mir den Beweggrund geliefert, die Feder zu ergreifen und mich selber biographisch zu schildern. Unter solcher Voraussetzung würde ich übel gefahren sein, den reizvoll geschriebenen Lebensbildern, durch welche meine ausgezeichneten Freunde Ebers, Fontane und Ludwig Pietsch in neuester Zeit das deutsche Schriftentum bereichert haben, ebenbürtig an die Seite treten zu wollen.

Die Veranlassung, welche mich dazu führte die wechselreichen Schicksale in meinem vielbewegten Dasein in ungeschminkten Worten dem Leser auszumalen, war traurigen Ursprunges für mich selber, denn eine schwere, fast unheilbare Krankheit war mitten in dem Vollgenuß meiner Gesundheit urplötzlich auf mich eingestürmt und drohte meinen Lebensfaden in Bälde abzuschneiden. Nur der sorgfältigsten Behandlung meines vortrefflichen Arztes, des Herrn Doktor Fließ, dankte ich meine schließliche Genesung. Obgleich ich mit aller Seelenruhe den kommenden schlimmen Dingen entgegensah, so quälte mich dennoch der eine Gedanke, aus diesem schönen Jammerthale scheiden zu müssen, ohne eine Schuld abgetragen zu haben, nämlich der Familie und meinen Freunden meinen vielverschlungenen Lebenslauf in aller Wahrheit recht und schlecht beschrieben zu haben. Ich fühlte mich dazu um so mehr gedrungen, als die öffentliche Stimme, insoweit sie meine bescheidene Person betrifft, mich für einen glücklichen Menschen hält, dem die goldenen Äpfel gleichsam in den Schoß gefallen sind. Im Gegenteil hatte ich von Anbeginn meiner Laufbahn an mit ungewöhnlichen Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten zu kämpfen, und wer in diesem Buche zwischen den Zeilen zu lesen versteht, wird geradezu unbegreiflichen, ja sogar verblüffenden Dingen begegnen. Ich gehörte durch Geist und Verstand keinesweges zu den sogenannten Wunderkindern, im Gegenteil litt ich an schwerer Auffassungskraft, aber was mir an Anlage und Talent fehlte, ersetzte ich durch eisernen Fleiß, der mir entgegenstehende Hindernisse leicht überwinden half. Ihm verdanke ich das Wenige, was ich geworden bin, wenn auch der Kampf um das Dasein mit allen Waffen geführt werden mußte und mein Lebensschifflein von den Sturmwinden nach allen Wassern hin verschlagen wurde.

Daß mir das Schicksal so hold war mich in Berlin das Licht der Welt erblicken zu lassen, kann ich mir selbstverständlich nicht zum eigenen Verdienst anrechnen, aber diesem Zufalle danke ich es vielleicht, daß die Erinnerungen an das alte Berlin und seine Bewohner, wie sie gelegentlich in meinem Buche zum Vorschein kommen, gerade bei meinen engeren Landsleuten eine überaus freundliche Aufnahme fanden. Ich selber habe mich stets mit einem gewissen Stolze als Berliner gefühlt und sogar unter den morgenländischen Völkern, mit denen ich lange Jahre zu verkehren das Glück hatte, meine Berliner Seele und Gemütsstimmung niemals untergehen lassen.

Daß ich die innigste Freundschaft, dreißig Jahre hindurch bis zu unserer Trennung, zu einem Franzosen fühlte, wird kein Deutscher bedauern, der die August Mariette berührenden Abschnitte gelesen hat. Selbst die kriegerischen Jahre 1870 und 1871 haben unsere Freundschaft nicht zu verwischen vermocht, trotzdem sich unsere beiden Söhne im Felde feindlich gegenüberstanden. Als Mariette aus dem belagerten Paris nach Kairo zurückgekehrt war, schrieb er mir den nachfolgenden Brief: »Mon cher ami, Votre lettre de ce matin m'a soulagé. Vous n'êtes pas pour moi un Allemand; Vous êtes Brugsch. Aussi Vous n'aviez pas besoin de tant Vous expliquer sur les derniers événements. Ils ont pu affecter mon coeur de Français; ils n'ont pu modifier mon coeur d'homme, principalement vis-à-vis Vous. Je Vous aime en véritable ami et Vous ai toujours aimé beaucoup par une sympathie naturelle que rien n'a détruit ni ne détruira. Vous me connaissez assez pour voir que je n'ai pas besoin de Vous en dire plus et qu'aujourd'hui comme toujours Vous restez en France aussi bien qu'en Allemagne et en Égypte la personne que j'affectionne le plus. Là-dessus je Vous serre la main de tout mon coeur. Tout à Vous. Auguste Mariette.«

Mit einer solchen Freundschaft ging es sich leicht durch das Leben und ich darf behaupten, daß Mariette in den schwierigsten Lagen meines Daseins meine einzige und wahre Stütze und mein aufrichtigster Ratgeber gewesen ist. Gerade darum fühle ich mich bewogen, ihm schon im Vorworte eine auszeichnende Stelle der Erinnerung einzuräumen.

Und somit lasse ich »Mein Leben und mein Wandern« seine zweite Reise in die Welt antreten, von dem Wunsche beseelt, daß es freundliche Leser finden möge, welche den wechselvollen Schicksalen eines zeitgenössischen Landsmannes mit Vergnügen oder mit Bedauern folgen.

Berlin, den 20. Februar 1894.

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