1. Meine Kindheit und meine Schuljahre
Wie ich zu den alten Ägyptern gekommen bin.
Ich war etwa zwölf Jahre alt geworden, aber ich fühlte mich
vereinsamt und vermied es, mit Altersgenossen muntere Spiele
zu treiben. Dazu hatte meine Gesundheit seit meiner
Auswanderung einen Stoß bekommen und ich fühlte mich oft
todesmatt. Und dennoch empfand ich einen unnennbaren Drang zum
Schaffen, der mir schließlich die Brücke zu meinen
altägyptischen Forschungen baute.
Die Schilderungen der Wunder des alten Ägyptens hatten auf
mich einen so überwältigenden Eindruck gemacht, daß mein
ganzes Dichten und Trachten auf die Kenntnis der Quellen zur
Erforschung dieser Wunder gerichtet war. Das ägyptische Museum
in Berlin öffnete mir dazu die Thore. Die damals kleine, aber
schon sehr wertvolle königliche Sammlung ägyptischer Antiken
befand sich in einem langen, treibhausähnlichen Gebäude mitten
im schattigen Baumgehege des Gartens von Monbijou in der
Oranienburger Straße. Direktor Herr Passalacqua, ein aus
Triest gebürtiger Italiener, hatte sie während seines längeren
Aufenthaltes in Ägypten, wo er sich dem kaufmännischen Berufe
gewidmet hatte, durch Ausgrabungen und billige Ankäufe
zustande gebracht. Bei seiner Rückkehr nach Europa siedelte er
nach Paris über, stellte seine Schätze öffentlich aus und
hegte den Wunsch, sie der französischen Regierung, es war in
der Zeit Louis Philipps, käuflich abzutreten. Die
Verhandlungen darüber zerschlugen sich, bis es unserem großen
Alexander von Humboldt, der alljährlich den Winter in Paris
verlebte, um in der weltberühmten Bibliothek des Instituts
sich wissenschaftlichen Studien hinzugeben, gelungen war, die
schöne Sammlung für Berlin zu erwerben. Der dafür gezahlte
Preis war mäßig, doch war an den Ankauf die Bedingung
geknüpft, daß ihr Besitzer, Herr Passalacqua, zum staatlich
besoldeten Direktor des ägyptischen Museums in Monbijou
erhoben werden müsse. Ich werde gleich auf den liebenswürdigen
Mann zurückkommen, da er in den Jahren meiner ersten Kämpfe
eine hervorragende Rolle übernommen hatte.
Schüchtern betrat ich zum erstenmale die mit altägyptischen
kleinen und großen Überresten dicht angefüllten Räume des
ausgezeichneten Museums, das mir wie ein Heiligtum vorkam, in
welchem jeder Teil und jedes Stück das Gefühl
ehrfurchtsvollster Bewunderung in meiner jungen Seele erregte.
Es war mir, als sei der Himmel mit aller seiner Herrlichkeit
auf die Erde gefallen und als wandele ich wie mitten in einem
schönen Traume, im Reiche der Märchen einher. Nicht bloße
Neugierde, sondern die aufrichtigste Wißbegierde hatte mich
ergriffen, und die Hieroglyphen zogen wie Geheimnisse von
tiefer Bedeutung an meinen Augen vorüber. Wer löste mir ihre
Rätsel, wer gab mir Kunde von der Entstehung und Geschichte
der beschriebenen Denkmäler? Die große Frage blieb mir
unbeantwortet, und doch glaubte ich einen Fingerzeig nach der
Richtung ihrer Lösung entdeckt zu haben und zwar in den
hieroglyphischen Wörtern, die Passalacqua auf Grund der
bisherigen Entdeckungen Champollions des Jüngeren mit eigener
Hand den ausgestellten Denkmälern bis zu den kleinsten
Götterbildern hin in deutscher Umschrift als kurz erklärenden
Text beigefügt hatte. Verstohlen zog ich ein Stückchen Papier
aus der Tasche, zeichnete mit dem Bleistift die seltsamen
Zeichen mit möglichster Treue nach und – die altägyptische
Göttin hatte mir zum erstenmale ihre Fingerspitze gereicht, um
mich später mit ihren Armen rettungslos zu umklammern.
Ich hatte bei meinen Bemühungen, die bilderreichen Zeichen
dem Papiere anzuvertrauen, die Aufmerksamkeit eines
königlichen Galeriedieners erregt, der mit den Worten: »Na,
was machst du denn da, du junger Mensch?« sich mir näherte.
Beschämt trat ich zurück, aber sofort fiel er ein: »Laß dich
nicht stören; ich will dir dein Vergnügen nicht rauben, kannst
dir die Zähne daran ausbrechen, wie es schon manchem großen
Gelehrten geschehen ist.« Es war »der alte Pahl«, wie man ihn
nannte, dessen Bekanntschaft ich hier zum erstenmale machte
und der mich später mit seiner vollen Freundschaft beehrte.
Der kleine Mann mit dem schmalen Gesichte und der blonden
Perücke darüber war damals ein angehender Fünfziger, dessen
ganzes Wesen eine unverwüstliche Heiterkeit überstrahlte. So
manche »kühle Blonde« mußte ich später bei Pickebacks in der
Linienstraße ihm leeren helfen, aber ich that es mit
Vergnügen, denn er hatte vor seiner Anstellung im Museum über
zehn Jahre einem Heros näher gestanden, den die Welt nur mit
Bewunderung nennt, dem großen Staatsmann und Sprachgelehrten
Wilhelm v. Humboldt. Pahl, ein ziemlich gebildeter Mann, hatte
bei ihm die Stellung eines Sekretärs bekleidet, dem der
berühmte Forscher seine letzten Werke in die Feder diktiert
hatte, darunter die weltbekannte geistvolle Untersuchung Ȇber
die Kawi-Sprache« und die von einem bei weitem größeren
Leserkreise vielbewunderten »Briefe an eine Freundin.« Der
Sekretär war ein echtes Berliner Kind, und wenn seine Zunge
gelöst war, so erhielt ich Beiträge zur Charakteristik W. v.
Humboldts in seinem häuslichen Dasein, wie sie köstlicher
nicht gedacht werden können, und die mir aufs neue die
Wahrheit der Behauptung beweisen, daß die Größe eines Mannes
vor seinem Kammerdiener verschwindet.
Der alte Pahl blieb während seiner ganzen noch übrigen
Lebensdauer bis in seine siebziger Jahre hinein Galeriediener
im ägyptischen Museum, auch nach dessen Überführung in die
neuen Museen, und damit mein Protektor in allem, was die
Freiheit des Eintritts und der Arbeit in den Räumlichkeiten
des altägyptischen Heiligtums betraf. Denn damals waren sie
nur an einem oder zwei Wochentagen dem großen Publikum
geöffnet.
Mein häufiges, d.h. tägliches Erscheinen konnte nicht
verfehlen, auch die Aufmerksamkeit des Direktors, Herrn Joseph
Passalacqua, auf sich zu ziehen und Pahl ließ es sich nicht
nehmen, ihm meinen Fleiß und meine Eigenschaften in überaus
warmen Ausdrücken zu rühmen. Ich habe in meinem Gedächtnis die
Erinnerungen an die liebenswürdige Persönlichkeit des
Dirigenten des Museums im Monbijougarten treu bewahrt, denn er
steht mir noch heute wie ein liebes und teures Bild vor Augen,
wenn auch mit allen Fehlern und Schwächen eines self made man,
der außerdem Südländer war.
Italiener von Geburt, Franzose seiner Sprache und seinem
ganzen Wesen nach, machte Passalacqua, damals ein Sechsziger,
den Eindruck einer vornehmen Persönlichkeit, die sich bis auf
die Erscheinung des äußeren Menschen erstreckte. Er wurde in
allen Salons der damaligen Berliner Gesellschaft gern gesehen,
verkehrte mit der besten Gesellschaft und zeigte sich an jedem
Nachmittage auf der Promenade Unter den Linden, wo sein
ausdrucksvolles Gesicht mit dem bräunlichen Teint eines
Südländers unwillkürlich die Aufmerksamkeit der Menge auf sich
zog. Unverheiratet, führte er das Leben eines liebenswürdigen
Garçons, speiste im Hotel St. Petersburg, führte seine Freunde
oder vornehme Fremde in seiner Sammlung umher, saß des Abends
im Theater oder ging in Gesellschaft, um nach der Heimkehr bis
in die späte Nacht sich geistiger Arbeit hinzugeben.
Seine Wohnung lag zu ebener Erde in der Präsidentenstraße,
in der Nähe des Monbijougartens. Sie bestand aus einer Reihe
von Zimmern, die an den Wandseiten hängende oder auf dem
Erdboden stehende Bilder mit und ohne Umrahmung in ungezählter
Menge erfüllten, so daß nur ein schmaler Gang zwischen ihnen
frei blieb. Die Schätze bestanden sämtlich aus Ölgemälden aus
den älteren italienischen und spanischen Schulen, die
Passalacquas Meinung nach den berühmtesten Meistern ihre
Entstehung verdankten und einen unbezahlbaren Wert besaßen. In
dem hintersten Zimmer stand in der Mitte ein großer runder
Tisch mit einer grünen Decke darüber, auf dem ein Ballast von
Büchern und Zeichnungen altägyptischer Figuren von seiner Hand
ausgeführt sich in wil der Unordnung auftürmten. Nur ein
kleiner Raum des Tisches war freigelassen, um ihm zum
Schreiben und Lesen zu dienen. Ein bestäubter Kronenleuchter,
im Rokokostil ausgeführt, hing über dem Tische. Ein faltiger
Gazemantel umhüllte ihn und eine Rosette aus grünem Zeugstoffe
versteckte den Anblick des eisernen Hakens, mit welchem der
breite Lichtspender an der Decke des Zimmers befestigt war.
Ich erwähne dieses Umstandes aus einem besonderen Grunde.
Die Zimmer mit ihren Bilderschätzen durften niemals vom Diener
gereinigt werden, so daß der fingerdicke Staub auf allem
ruhte, was den Namen Bild, Möbel, Decke, Vorhang und Gardine
führte. Man glaubte sich in der Rumpelkammer eines
italienischen Antiquars zu befinden, sobald man den Fuß in die
Wohnung gesetzt hatte.
Wie manchen Abend saß der wißbegierige Knabe dem gereiften
Manne gegenüber, um aus seinem Munde den wunderbarsten
Geschichten vom alten und modernen Ägypten zu lauschen oder
von Champollion, dem Entdecker der Hieroglyphenentzifferung,
und anderen großen Gelehrten, mit denen Passalacqua persönlich
befreundet war, zu hören oder mit Büchern versehen zu werden,
die ihm den Eingang in das geträumte Paradies der
altägyptischen Mysterien öffnen sollten. Ich fühlte mich
jedesmal begeistert und hätte zu den Füßen des Meisters
hinsinken können, um meinen kindlichen Dank in stummer Sprache
zu äußern. Passalacqua erschien mir wie ein Halbgott, der nur
den einen Fehler besaß, daß er die Entzifferung der
Hieroglyphen als etwas Nebensächliches betrachtete und das
Geheimnis der änigmatischen Bilder als die Grundlage aller
Weisheit der alten Ägypter ansah. Was verstand ich damals
unter dem Worte änigmatische Bilder?!
Der Meister setzte mir klar und deutlich es auseinander,
und zwar in deutscher Sprache, die er ganz vortrefflich
schrieb und sprach, daß nicht die Inschriften, sondern die
bildlichen Darstellungen auf Stein und Papyrus die Rätsel
dieser uralten Weisheit in sich trügen und daß er vom
Schicksal begünstigt worden sei, den verlorenen Schlüssel zu
ihrer Lösung wieder aufzufinden. Er habe seit einer langen
Reihe von Jahren haufenweise die Zeugnisse dieser
änigmatischen Sprache gesammelt, da lägen sie – dabei wies
seine Hand auf die aufgestapelten Zeichnungen, – und nun ging
es an ein Erklären, das mir armen Jungen der Brummtriesel der
änigmatischen Weisheit den Kopf förmlich sprengte. Aber ich
hielt es aus, um dem[30] liebenswürdigen Offenbarer der
Geheimnisse keine Kränkung oder Enttäuschung zu bereiten.
Seine Hauptlehre betraf die Bedeutung der rechten, der
spirituellen, und der linken oder materiellen Seite der
Denkmäler, jene durch Feueropfer, diese durch Brotopfer
änigmatisch angezeigt. Dazu treten die vier großen Weltzonen,
welche die abgeschiedenen Seelen zu durchwandern hätten, lede
einzelne in eine spirituelle und eine materielle Seite
geteilt, und das sei die heilige 2×4 oder 8-Zahl. Zeigte eine
Darstellung Ausnahmen von den aufgestellten Regeln der
Geheimnisse, so wußte er auch dafür jedesmal seine guten
Gründe anzuführen, denn es mußte ja stimmen.
Die Unterweisungen in abendlicher Stunde unterbrachen nicht
selten piepende Töne, die mir aus der oberen Deckenregion des
Kronenleuchters zu stammen schienen, und ich sah dann jedesmal
verdutzt nach der ersten Zone des Zimmers. »Beunruhigen Sie
sich nicht,« pflegte mein liebenswürdiges Gegenüber
beschwichtigend zu bemerken, »es wird wieder ein Vogel sein,
der am Abend durch das geöffnete Fenster ins Zimmer geflogen
ist, um hier seine Nachtruhe zu halten. Ich störe ihn nicht,
denn er bringt mir Glück.«
Ich nehme vorweg, was sich erst später ereignete, da es
meinen Lebensweg nicht durchkreuzte, wohl aber auf das Wort
»Glück« einen bedenklichen Schimmer wirft. Eines Abends, ich
befand mich damals im Nilthale, saß Passalacqua an seinem
gewohnten Arbeitsplatze, als aus der beschriebenen Höhe ein
ganzes – – Mäusenest, mit den Alten und Jungen darin, auf den
Tisch des Hauses herabsegelte. Man kann sich die Überraschung
bei solcher unerwarteter Bescherung vorstellen, und es leicht
begreifen, daß Gedanken über den Vorzug der Ehe an Stelle der
Jung- oder vielmehr Altgesellenwirtschaft in dem Kopfe des
würdigen Sechzigers reisten. Er entschloß sich dazu, eine
späte Vernunftheirat abzuschließen, trat unter das sanfte Joch
der Ehe und fand darin sein vermißtes Glück. Nur eine
Erfahrung blieb ihm vorher nicht erspart. Seine kostbare
Gemäldegalerie, die in Berlin keine angemessene Würdigung
fand, ließ er nach Paris überführen und unter den Hammer
bringen. Der Erlös brachte kaum die Kosten des Transportes und
der Miete für das Lokal ihrer Ausstellung ein. Ihr Besitz
hatte ihm übrigens wenig Freude bereitet, denn in den letzten
Lebensjahren verlor er sein Augenlicht und blieb fortan an
sein stilles Heim gefesselt.
Ich darf es nicht verschweigen, das Passalacqua, der in
seinem äußeren Auftreten trotz seiner italienischen Ab
stammung ein ruhiges und besonnenes Wesen zur Schau trug, mich
wenigstens niemals Zeichen einer aufbrausenden Stimmung
erkennen ließ, eine tiefe Abneigung gegen den Professor Dr.
Richard Lepsius empfand, der sich in Paris und Italien zuerst
mit ägyptischen Studien beschäftigt und Gelegenheit gefunden
hatte, für die Berliner Museen während seiner ita lienischen
Reisen mehrere historisch wichtige Denkmäler ägyptischen
Ursprungs durch Ankauf für das Berliner Museum zu erwerben.
Dazu gehören die Granitkolosse zweier Königsbilder, die
gegenwärtig im Lichthofe der ägyptischen Abteilung, dem
Eintretenden gegenüber, Aufstellung gefunden haben.
Passalacqua fand sich peinlich davon berührt, daß die
Unterhandlungen ohne seine Mitwirkung geführt worden waren und
daß er erst Kenntnis davon erhielt, als die Denkmäler bereits
ihre Reise nach Berlin angetreten hatten. Seine Mißstimmung
wuchs, als später die bekannte erste preußische Expedition
nach Ägypten, Äthiopien und der Sinaï-Halbinsel, unter
Lepsius' Führung, dem Museum neue und reiche antike Schätze
aus dem Nilthale zugeführt hatte, und sie fand ihren Gipfel in
der Abweisung seiner eingereichten Pläne, die bei der Anlage
und der Wanddekorierung der ägyptischen Abteilung in den
Bauten des neuen Museums ihre Verwendung hätten finden sollen.
Man hatte den Vorschlägen und Entwürfen des jungen gelehrten
Professors der Ägyptologie den Vorzug geschenkt und
Passalacquas Ehrgefühl auf das empfindlichste verletzt. Indes
das für ihn Unglaubliche war einmal geschehen und der
bisherige Direktor genötigt, die Verwaltung des altägyptischen
Museums in der Lepsiusschen Gestalt zu übernehmen. Von seinem
Einzuge in das abgeschlossene Direktorialzimmer an überkam ihn
eine trübe Stimmung, die er dem Scheiden aus dem frischen
baumreichen Monbijou-Garten zuschrieb, die aber thatsächlich
viel tiefer saß, nämlich in dem Groll gegen die neuen
Einrichtungen und das Eingreifen eines, wie er meinte,
Unbefugten in seinen eigenen Thatenkreis.
Es muß zugegeben werden, daß er sich im vollsten Unrechte
befand, denn ein Museum wird nicht zum Privatvergnügen seines
Direktors geschaffen und die Wissenschaft, in der Passalacq ua
als ein recht liebenswürdiger Dilettant, aber eben nur als
Dilettant dastand, hat ein volles Recht, in
Museumsangelegenheiten ihre Stimme hören zu lassen und von
denen, die es angeht, gehört zu werden, jedoch Passalacqua
hatte dafür kein Verständnis und er steckte die Hörner auf, wo
er nur konnte. Leider sollte die Gelegenheit nicht fehlen, um
meine arme Person, die damals vollständig unbekannt war, mit
den beginnenden Stürmen in den oberen Regionen als Trumpf
gegen Lepsius auszuspielen. Ich komme später darauf
ausführlicher zurück.