Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

Zum Inhaltsverzeichnis

1. Meine Kindheit und meine Schuljahre

Wie ich zu den alten Ägyptern gekommen bin.

Ich war etwa zwölf Jahre alt geworden, aber ich fühlte mich vereinsamt und vermied es, mit Altersgenossen muntere Spiele zu treiben. Dazu hatte meine Gesundheit seit meiner Auswanderung einen Stoß bekommen und ich fühlte mich oft todesmatt. Und dennoch empfand ich einen unnennbaren Drang zum Schaffen, der mir schließlich die Brücke zu meinen altägyptischen Forschungen baute.

Die Schilderungen der Wunder des alten Ägyptens hatten auf mich einen so überwältigenden Eindruck gemacht, daß mein ganzes Dichten und Trachten auf die Kenntnis der Quellen zur Erforschung dieser Wunder gerichtet war. Das ägyptische Museum in Berlin öffnete mir dazu die Thore. Die damals kleine, aber schon sehr wertvolle königliche Sammlung ägyptischer Antiken befand sich in einem langen, treibhausähnlichen Gebäude mitten im schattigen Baumgehege des Gartens von Monbijou in der Oranienburger Straße. Direktor Herr Passalacqua, ein aus Triest gebürtiger Italiener, hatte sie während seines längeren Aufenthaltes in Ägypten, wo er sich dem kaufmännischen Berufe gewidmet hatte, durch Ausgrabungen und billige Ankäufe zustande gebracht. Bei seiner Rückkehr nach Europa siedelte er nach Paris über, stellte seine Schätze öffentlich aus und hegte den Wunsch, sie der französischen Regierung, es war in der Zeit Louis Philipps, käuflich abzutreten. Die Verhandlungen darüber zerschlugen sich, bis es unserem großen Alexander von Humboldt, der alljährlich den Winter in Paris verlebte, um in der weltberühmten Bibliothek des Instituts sich wissenschaftlichen Studien hinzugeben, gelungen war, die schöne Sammlung für Berlin zu erwerben. Der dafür gezahlte Preis war mäßig, doch war an den Ankauf die Bedingung geknüpft, daß ihr Besitzer, Herr Passalacqua, zum staatlich besoldeten Direktor des ägyptischen Museums in Monbijou erhoben werden müsse. Ich werde gleich auf den liebenswürdigen Mann zurückkommen, da er in den Jahren meiner ersten Kämpfe eine hervorragende Rolle übernommen hatte.

Schüchtern betrat ich zum erstenmale die mit altägyptischen kleinen und großen Überresten dicht angefüllten Räume des ausgezeichneten Museums, das mir wie ein Heiligtum vorkam, in welchem jeder Teil und jedes Stück das Gefühl ehrfurchtsvollster Bewunderung in meiner jungen Seele erregte. Es war mir, als sei der Himmel mit aller seiner Herrlichkeit auf die Erde gefallen und als wandele ich wie mitten in einem schönen Traume, im Reiche der Märchen einher. Nicht bloße Neugierde, sondern die aufrichtigste Wißbegierde hatte mich ergriffen, und die Hieroglyphen zogen wie Geheimnisse von tiefer Bedeutung an meinen Augen vorüber. Wer löste mir ihre Rätsel, wer gab mir Kunde von der Entstehung und Geschichte der beschriebenen Denkmäler? Die große Frage blieb mir unbeantwortet, und doch glaubte ich einen Fingerzeig nach der Richtung ihrer Lösung entdeckt zu haben und zwar in den hieroglyphischen Wörtern, die Passalacqua auf Grund der bisherigen Entdeckungen Champollions des Jüngeren mit eigener Hand den ausgestellten Denkmälern bis zu den kleinsten Götterbildern hin in deutscher Umschrift als kurz erklärenden Text beigefügt hatte. Verstohlen zog ich ein Stückchen Papier aus der Tasche, zeichnete mit dem Bleistift die seltsamen Zeichen mit möglichster Treue nach und – die altägyptische Göttin hatte mir zum erstenmale ihre Fingerspitze gereicht, um mich später mit ihren Armen rettungslos zu umklammern.

Ich hatte bei meinen Bemühungen, die bilderreichen Zeichen dem Papiere anzuvertrauen, die Aufmerksamkeit eines königlichen Galeriedieners erregt, der mit den Worten: »Na, was machst du denn da, du junger Mensch?« sich mir näherte. Beschämt trat ich zurück, aber sofort fiel er ein: »Laß dich nicht stören; ich will dir dein Vergnügen nicht rauben, kannst dir die Zähne daran ausbrechen, wie es schon manchem großen Gelehrten geschehen ist.« Es war »der alte Pahl«, wie man ihn nannte, dessen Bekanntschaft ich hier zum erstenmale machte und der mich später mit seiner vollen Freundschaft beehrte. Der kleine Mann mit dem schmalen Gesichte und der blonden Perücke darüber war damals ein angehender Fünfziger, dessen ganzes Wesen eine unverwüstliche Heiterkeit überstrahlte. So manche »kühle Blonde« mußte ich später bei Pickebacks in der Linienstraße ihm leeren helfen, aber ich that es mit Vergnügen, denn er hatte vor seiner Anstellung im Museum über zehn Jahre einem Heros näher gestanden, den die Welt nur mit Bewunderung nennt, dem großen Staatsmann und Sprachgelehrten Wilhelm v. Humboldt. Pahl, ein ziemlich gebildeter Mann, hatte bei ihm die Stellung eines Sekretärs bekleidet, dem der berühmte Forscher seine letzten Werke in die Feder diktiert hatte, darunter die weltbekannte geistvolle Untersuchung »Über die Kawi-Sprache« und die von einem bei weitem größeren Leserkreise vielbewunderten »Briefe an eine Freundin.« Der Sekretär war ein echtes Berliner Kind, und wenn seine Zunge gelöst war, so erhielt ich Beiträge zur Charakteristik W. v. Humboldts in seinem häuslichen Dasein, wie sie köstlicher nicht gedacht werden können, und die mir aufs neue die Wahrheit der Behauptung beweisen, daß die Größe eines Mannes vor seinem Kammerdiener verschwindet.

Der alte Pahl blieb während seiner ganzen noch übrigen Lebensdauer bis in seine siebziger Jahre hinein Galeriediener im ägyptischen Museum, auch nach dessen Überführung in die neuen Museen, und damit mein Protektor in allem, was die Freiheit des Eintritts und der Arbeit in den Räumlichkeiten des altägyptischen Heiligtums betraf. Denn damals waren sie nur an einem oder zwei Wochentagen dem großen Publikum geöffnet.

Mein häufiges, d.h. tägliches Erscheinen konnte nicht verfehlen, auch die Aufmerksamkeit des Direktors, Herrn Joseph Passalacqua, auf sich zu ziehen und Pahl ließ es sich nicht nehmen, ihm meinen Fleiß und meine Eigenschaften in überaus warmen Ausdrücken zu rühmen. Ich habe in meinem Gedächtnis die Erinnerungen an die liebenswürdige Persönlichkeit des Dirigenten des Museums im Monbijougarten treu bewahrt, denn er steht mir noch heute wie ein liebes und teures Bild vor Augen, wenn auch mit allen Fehlern und Schwächen eines self made man, der außerdem Südländer war.

Italiener von Geburt, Franzose seiner Sprache und seinem ganzen Wesen nach, machte Passalacqua, damals ein Sechsziger, den Eindruck einer vornehmen Persönlichkeit, die sich bis auf die Erscheinung des äußeren Menschen erstreckte. Er wurde in allen Salons der damaligen Berliner Gesellschaft gern gesehen, verkehrte mit der besten Gesellschaft und zeigte sich an jedem Nachmittage auf der Promenade Unter den Linden, wo sein ausdrucksvolles Gesicht mit dem bräunlichen Teint eines Südländers unwillkürlich die Aufmerksamkeit der Menge auf sich zog. Unverheiratet, führte er das Leben eines liebenswürdigen Garçons, speiste im Hotel St. Petersburg, führte seine Freunde oder vornehme Fremde in seiner Sammlung umher, saß des Abends im Theater oder ging in Gesellschaft, um nach der Heimkehr bis in die späte Nacht sich geistiger Arbeit hinzugeben.

Seine Wohnung lag zu ebener Erde in der Präsidentenstraße, in der Nähe des Monbijougartens. Sie bestand aus einer Reihe von Zimmern, die an den Wandseiten hängende oder auf dem Erdboden stehende Bilder mit und ohne Umrahmung in ungezählter Menge erfüllten, so daß nur ein schmaler Gang zwischen ihnen frei blieb. Die Schätze bestanden sämtlich aus Ölgemälden aus den älteren italienischen und spanischen Schulen, die Passalacquas Meinung nach den berühmtesten Meistern ihre Entstehung verdankten und einen unbezahlbaren Wert besaßen. In dem hintersten Zimmer stand in der Mitte ein großer runder Tisch mit einer grünen Decke darüber, auf dem ein Ballast von Büchern und Zeichnungen altägyptischer Figuren von seiner Hand ausgeführt sich in wil der Unordnung auftürmten. Nur ein kleiner Raum des Tisches war freigelassen, um ihm zum Schreiben und Lesen zu dienen. Ein bestäubter Kronenleuchter, im Rokokostil ausgeführt, hing über dem Tische. Ein faltiger Gazemantel umhüllte ihn und eine Rosette aus grünem Zeugstoffe versteckte den Anblick des eisernen Hakens, mit welchem der breite Lichtspender an der Decke des Zimmers befestigt war.

Ich erwähne dieses Umstandes aus einem besonderen Grunde. Die Zimmer mit ihren Bilderschätzen durften niemals vom Diener gereinigt werden, so daß der fingerdicke Staub auf allem ruhte, was den Namen Bild, Möbel, Decke, Vorhang und Gardine führte. Man glaubte sich in der Rumpelkammer eines italienischen Antiquars zu befinden, sobald man den Fuß in die Wohnung gesetzt hatte.

Wie manchen Abend saß der wißbegierige Knabe dem gereiften Manne gegenüber, um aus seinem Munde den wunderbarsten Geschichten vom alten und modernen Ägypten zu lauschen oder von Champollion, dem Entdecker der Hieroglyphenentzifferung, und anderen großen Gelehrten, mit denen Passalacqua persönlich befreundet war, zu hören oder mit Büchern versehen zu werden, die ihm den Eingang in das geträumte Paradies der altägyptischen Mysterien öffnen sollten. Ich fühlte mich jedesmal begeistert und hätte zu den Füßen des Meisters hinsinken können, um meinen kindlichen Dank in stummer Sprache zu äußern. Passalacqua erschien mir wie ein Halbgott, der nur den einen Fehler besaß, daß er die Entzifferung der Hieroglyphen als etwas Nebensächliches betrachtete und das Geheimnis der änigmatischen Bilder als die Grundlage aller Weisheit der alten Ägypter ansah. Was verstand ich damals unter dem Worte änigmatische Bilder?!

Der Meister setzte mir klar und deutlich es auseinander, und zwar in deutscher Sprache, die er ganz vortrefflich schrieb und sprach, daß nicht die Inschriften, sondern die bildlichen Darstellungen auf Stein und Papyrus die Rätsel dieser uralten Weisheit in sich trügen und daß er vom Schicksal begünstigt worden sei, den verlorenen Schlüssel zu ihrer Lösung wieder aufzufinden. Er habe seit einer langen Reihe von Jahren haufenweise die Zeugnisse dieser änigmatischen Sprache gesammelt, da lägen sie – dabei wies seine Hand auf die aufgestapelten Zeichnungen, – und nun ging es an ein Erklären, das mir armen Jungen der Brummtriesel der änigmatischen Weisheit den Kopf förmlich sprengte. Aber ich hielt es aus, um dem[30] liebenswürdigen Offenbarer der Geheimnisse keine Kränkung oder Enttäuschung zu bereiten.

Seine Hauptlehre betraf die Bedeutung der rechten, der spirituellen, und der linken oder materiellen Seite der Denkmäler, jene durch Feueropfer, diese durch Brotopfer änigmatisch angezeigt. Dazu treten die vier großen Weltzonen, welche die abgeschiedenen Seelen zu durchwandern hätten, lede einzelne in eine spirituelle und eine materielle Seite geteilt, und das sei die heilige 2×4 oder 8-Zahl. Zeigte eine Darstellung Ausnahmen von den aufgestellten Regeln der Geheimnisse, so wußte er auch dafür jedesmal seine guten Gründe anzuführen, denn es mußte ja stimmen.

Die Unterweisungen in abendlicher Stunde unterbrachen nicht selten piepende Töne, die mir aus der oberen Deckenregion des Kronenleuchters zu stammen schienen, und ich sah dann jedesmal verdutzt nach der ersten Zone des Zimmers. »Beunruhigen Sie sich nicht,« pflegte mein liebenswürdiges Gegenüber beschwichtigend zu bemerken, »es wird wieder ein Vogel sein, der am Abend durch das geöffnete Fenster ins Zimmer geflogen ist, um hier seine Nachtruhe zu halten. Ich störe ihn nicht, denn er bringt mir Glück.«

Ich nehme vorweg, was sich erst später ereignete, da es meinen Lebensweg nicht durchkreuzte, wohl aber auf das Wort »Glück« einen bedenklichen Schimmer wirft. Eines Abends, ich befand mich damals im Nilthale, saß Passalacqua an seinem gewohnten Arbeitsplatze, als aus der beschriebenen Höhe ein ganzes – – Mäusenest, mit den Alten und Jungen darin, auf den Tisch des Hauses herabsegelte. Man kann sich die Überraschung bei solcher unerwarteter Bescherung vorstellen, und es leicht begreifen, daß Gedanken über den Vorzug der Ehe an Stelle der Jung- oder vielmehr Altgesellenwirtschaft in dem Kopfe des würdigen Sechzigers reisten. Er entschloß sich dazu, eine späte Vernunftheirat abzuschließen, trat unter das sanfte Joch der Ehe und fand darin sein vermißtes Glück. Nur eine Erfahrung blieb ihm vorher nicht erspart. Seine kostbare Gemäldegalerie, die in Berlin keine angemessene Würdigung fand, ließ er nach Paris überführen und unter den Hammer bringen. Der Erlös brachte kaum die Kosten des Transportes und der Miete für das Lokal ihrer Ausstellung ein. Ihr Besitz hatte ihm übrigens wenig Freude bereitet, denn in den letzten Lebensjahren verlor er sein Augenlicht und blieb fortan an sein stilles Heim gefesselt.

Ich darf es nicht verschweigen, das Passalacqua, der in seinem äußeren Auftreten trotz seiner italienischen Ab stammung ein ruhiges und besonnenes Wesen zur Schau trug, mich wenigstens niemals Zeichen einer aufbrausenden Stimmung erkennen ließ, eine tiefe Abneigung gegen den Professor Dr. Richard Lepsius empfand, der sich in Paris und Italien zuerst mit ägyptischen Studien beschäftigt und Gelegenheit gefunden hatte, für die Berliner Museen während seiner ita lienischen Reisen mehrere historisch wichtige Denkmäler ägyptischen Ursprungs durch Ankauf für das Berliner Museum zu erwerben. Dazu gehören die Granitkolosse zweier Königsbilder, die gegenwärtig im Lichthofe der ägyptischen Abteilung, dem Eintretenden gegenüber, Aufstellung gefunden haben. Passalacqua fand sich peinlich davon berührt, daß die Unterhandlungen ohne seine Mitwirkung geführt worden waren und daß er erst Kenntnis davon erhielt, als die Denkmäler bereits ihre Reise nach Berlin angetreten hatten. Seine Mißstimmung wuchs, als später die bekannte erste preußische Expedition nach Ägypten, Äthiopien und der Sinaï-Halbinsel, unter Lepsius' Führung, dem Museum neue und reiche antike Schätze aus dem Nilthale zugeführt hatte, und sie fand ihren Gipfel in der Abweisung seiner eingereichten Pläne, die bei der Anlage und der Wanddekorierung der ägyptischen Abteilung in den Bauten des neuen Museums ihre Verwendung hätten finden sollen. Man hatte den Vorschlägen und Entwürfen des jungen gelehrten Professors der Ägyptologie den Vorzug geschenkt und Passalacquas Ehrgefühl auf das empfindlichste verletzt. Indes das für ihn Unglaubliche war einmal geschehen und der bisherige Direktor genötigt, die Verwaltung des altägyptischen Museums in der Lepsiusschen Gestalt zu übernehmen. Von seinem Einzuge in das abgeschlossene Direktorialzimmer an überkam ihn eine trübe Stimmung, die er dem Scheiden aus dem frischen baumreichen Monbijou-Garten zuschrieb, die aber thatsächlich viel tiefer saß, nämlich in dem Groll gegen die neuen Einrichtungen und das Eingreifen eines, wie er meinte, Unbefugten in seinen eigenen Thatenkreis.

Es muß zugegeben werden, daß er sich im vollsten Unrechte befand, denn ein Museum wird nicht zum Privatvergnügen seines Direktors geschaffen und die Wissenschaft, in der Passalacq ua als ein recht liebenswürdiger Dilettant, aber eben nur als Dilettant dastand, hat ein volles Recht, in Museumsangelegenheiten ihre Stimme hören zu lassen und von denen, die es angeht, gehört zu werden, jedoch Passalacqua hatte dafür kein Verständnis und er steckte die Hörner auf, wo er nur konnte. Leider sollte die Gelegenheit nicht fehlen, um meine arme Person, die damals vollständig unbekannt war, mit den beginnenden Stürmen in den oberen Regionen als Trumpf gegen Lepsius auszuspielen. Ich komme später darauf ausführlicher zurück.

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de