Mesnevi

Mesnevi

Dschalaleddin Rumi

Aus dem Persischen übertragen von Georg Rosen

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Erzählung vom Kaufmann und seinem Papagei

Ein Kaufmann einen Papagei vor Jahren
Besaß, in Sang und Rede wohlerfahren.
Der saß als Wächter an des Ladens Pforte
Und sprach zu jedem Kundsmann kluge Worte.
Denn wohl der Menschenkinder Sprache kannt’ er,
Doch seinesgleichen Weisen auch verstand er.
Vom Laden ging nach Haus eins sein Gebieter
Und ließ den Papagei zurück als Hüter.
Ein Kätzlein plötzlich in den Laden sprang,
Um eine Maus zu fangen; todesbang
Flatterte hin und her der Papagei
Und stieß ein Glas mit Rosenöl entzwei.
Von seinem Hause kam der Kaufmann wieder
Und setzte sorglos sich im Laden nieder; -
Da sah er Rosenöl allüberall, -
Im Zorn schlug er das Haupt des Vogels kahl.
Viel Zeit verstrich, der Vogel sprach nicht mehr.
Da kam die Reu’, der Kaufmann seufzte schwer,
Kaufte den Bart und rief: „Weh mir, umsponnen
Ist mit Gewölk die Sonne meiner Wonnen!
Wär’ mir, da auf den Redner ich den bösen
Schlag ausgeführt, doch lahm die Hand gewesen!“
Wohl gab er frommen Bettlern reiche Spende,
Auf dass sein Tier die Sprache wiederfände;
Umsonst! – Als er am vierten Morgen klagend,
In tausend Sorgen, was zu machen sei,
Dass wieder reden mög’ sein Papagei,
Ließ sich in bloßem Haupt ein Büßer blicken,
Des Schädel glatt, wie eines Beckens Rücken.
Da hub der Vogel gleich zu reden an
Und rief dem Derwisch zu: „Sag, lieber Man,
Wie wurdest, Kahlkopf, du zum Kahlen? Sprich!
Vergossest du vielleicht auch Öl wie ich?“
Man lachte des Vergleichs, dass sein Lage
Der Vogel auf den Derwisch übertrage.

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O miss dich nimmer mit den Heil’gen, Reinen,
Wenn in der Schrift auch gleich der Wein dem Weinen!
Er ging die ganze Welt aus diesem Grunde,
Von Gottes Boten ward nur wen’gen Kunde.
Auf gleiche Stufe wollte mit Propheten,
Mit Gottes Lieblingen, die Menge treten
Und sprach: „Sie sind wie wir von Fleisch; der Speise,
Des Schlafs bedürfen wir in gleicher Weise – “
Und die endlose Kluft, die zwischen beiden,
Ließ ihre Blindheit sie nicht unterscheiden!
Zwei Bienen sich an einer Blume laben, -
Die eine sticht, die andre bildet Waben.
Zwei Rehe nährt ein Rasen, eine Luft, -
Dies gilt nur Losung, jenes Moschusdurft.
Ein Sumpf erzeugt zwei Rohre, - dieser Schaft
Ist hohl, und jener strotzt von Zuckersaft.
Zahlloses so! Vom einen zu dem andern
Den Weg will’s Ewigkeiten zu durchwandern.
Einer genießt, um von sich nur zu geben,
Ein andrer, um nach Gottes Licht zu streben;
Zu Geiz und Neid wirkt jenem seine Nahrung,
Und diesem zu des Einen Offenbarung.
Ein Land ist gut, ein andres öd und schlecht,
Ein Geist ist bös, ein andrer rein und recht.
Wohl oft für beide der äußre Schein ist,
Wie bittres Wasser, gleich dem süßen, rein ist;
Doch der Geschmack weiß wohl zu unterscheiden,
Was süß ist und was salzig von den beiden.
Wer Zauberei mit Wundertaten misst,
Glaubt, beide sei’n erbaut auf Trug und List.
Die frechen Zaubrer im Ägypterland
Nahmen, wie Moses, einen Stab zur Hand;
Doch welcher Abstand zwischen beiden Stäben!
Des einen Wirkung Tod, des andern Leben;
Jenem der Fluch, der nichts verschonende,
Diesem die Huld, die reich belohnende!
Drum scheint des Heuchlers Sinn mir dem des Affen
Vergleichbar, ihm zu Unglück anerschaffen;
Was der Mensch tut, der Affe ist bemüht,
Es nachzuahmen, wenn er oft es sieht, -
Und denkt: „Was nur der Mensch tut, tu’ ich auch.“ –
Der Unterschied wird ihm nicht klar, dem Gauch.
O streue Staub dem Nachäffer aufs Haupt,
Ihm, der dem Frommen gleichzukommen glaubt!
Denn betet auch der Heuchler zu dem Herrn,
Wie Fromme bete, - Demut ist ihm fern.
Im guten Werk stehn Frömmigkeit und Trug
Wie auf dem Schachbrett im Entscheidungszug:
Das Ende ist’s, wo stets der Gläub’ge siegt,
Das Jenseits, wo der Heuchler unterliegt.
Weilen sie auch an einem Spiel zumal,
Den einen trennt vom andern Berg und Tal.
Je nach besondrem Ziele wandeln beide, 
Je wie ihr Name aussagt, handeln beide.
Ob seines Namens freu des Gläub’gen Herz sich,
Des Heuchlers Herz füllt drob mit Zorn und Schmerz sich.
Wenn dort der Name gilt als höchste Zier,
Scheut man ihn mehr als alles Ende hier.
Und doch im Worte „Gläubig“ liegt kein Adel,
Es ist Bezeichnung nur, nicht Lob, nicht Tadel.
Wenn man jemanden aber „Heuchler“ nennt,
Wie Skorpionenstich dies Wort ihn brennt.
Drum scheint es mir entstammt den Höllenschrecken,
Sonst gäb’ es nicht der Hölle Pein zu schmecken.
Doch liegt der Abscheu nicht im Lautverhältnis,
Wie nicht der Meerflut Schalheit im Behältnis.
Behältnis ist das Wort, wie Wasser drin ist
Sein Sinn, - der Urquell Gott von allem Sinn ist.
Bittres und süßes Wasser sind hienieden
Durch eine ew’ge Scheidewand geschieden.
Doch, wisse, beide einem Quell entspringen,
Und nur nach diesem Urquell sollst du ringen.
Es gibt der Prüfstein von des Goldes Währung,
Ob falsch es oder echt sei, die Belehrung;
Wem einen Prüfstein Gott ins Herz gelegt,
Der weiß zu sondern zwischen Falsch und Echt.
Fremdart’gen Stoff im Mund treibt das Leben,
Jedwedes Wesen von sich rasch zu geben;
Und drang’s mit tausend Bissen in den Mund,
Doch macht der Lebenssinn das Fremde kund.
Irdischer Sinn führt uns ins Weltgetümmel,
Der Glaubenssinn führt uns hinauf zum Himmel;
Fraget den Arzt, wenn jener Sinn erkrankt, -
Das Wohlsein dieses man nur Gott verdankt.
Jener ist kräftig, wenn der Leib in Kraft ist,
Und dieser, wenn der Leib siech und erschlafft ist.

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Ja, meiner Seele Pfade, sie vernichten
Den Leib, um ihn dann neu emporzurichten.
O selig, wer dem Wahren zugewendet,
In seiner Liebe Gut und Habe spendet!
Nach Schätzen grabend, reißt sein Haus er nieder,
Und aus dem Fund baut er ein schönres wieder;
Er hemmt den Strom und reinigt seinen Grund,
Dass er dann lauter fließe und gesund;
Er reißt die Haut auf und zieht aus der Wunde
Den Dorn, und neue Haut wächst ihm zur Stunde;
Er nimmt die Burg den Feinden, sie zerstörend.
Doch wer begreift den Herrn auf seinen Wegen?
Ich red’ hier nur nach Menschen-Unvermögen.
Neu, immer neu zeigt sich uns seine Spur –
Des Glaubens Wesen ist ein Staunen nur,
Doch nicht um wegzusehn von Gott; nein trunken
Um Freund zu hangen, ganz in ihm versunken.
Der eine stets den Freund im Auge hält,
Des andern Blick nur auf ihn selber fällt.
O schau’ und merke beider Angesicht,
Denn so erkennst du wohl, was deine Pflicht.
Oft schleicht einher Iblis im Menschenkleid,
Drum reich’ die Hand nicht jedem, der sie beut.
Ahmt doch der Jäger nach des Vogels Sang,
Um ihn zu tuschen durch den falschen Klang;
Der Vogel, der den süßen Ruf vernommen,
Fliegt nieder, um im Netzt dann umzukommen.
So mit des frommen Derwisch Worten schmücken
Sich Niedrige, um Toren zu berücken.
Licht ist und Wärme des Gerechten Handeln,
Dich Frechheit ist und Trug des Schlechten Handeln.
Zum Betteln nur trägt er das Wollkleid, - ja
Achmed benennt er den Musseilima;
Doch den Musseilima nur Lügner hieß man,
Und Muhammed als Geistbegabten preist man.
Wie duftet süß der Gottbegeistrung Wein,
Doch ird’scher Wein führt nur zu Schmach und Pein.

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