Nahdsch-ul-Balagha
Pfad der Eloquenz - Nahdsch-ul-Balagha

Aussprache: nah-dschul-balagha
arabisch:
نهج البلاغة
persisch:
نهج البلاغة
englisch: Peak of Eloquence

Mehr zum Thema siehe: Nahdsch-ul-Balagha

92. Predigt – als Leute ihm den Treueid leisten wollten

(Er (a.) hielt diese Predigt) als die Leute ihm den Treueid leisten wollten.

Lasst mich und sucht einen anderen als mich, denn wir gehen auf eine Sache zu, die (verschiedene) Gesichter und Farben hat, die weder die Herzen ertragen noch der Verstand erfassen kann. Der Horizont wurde von Wolken verdeckt, und der geradeaus führende Weg hat sich verändert. So wisset, dass, wenn ich euch stattgebe, ich euch dann so führen werde, wie ich es weiß und ich mich nicht darum kümmern werde, was jemand sagt oder was mir jemand vorwirft. Wenn ihr mich (jedoch) verlasst, dann bin ich (lediglich) wie einer von euch. Es ist (unter Umständen) möglich, dass ich auf den unter euch höre und dem gehorche, dem ihr eure Angelegenheit übertragt (statt mir). Ich bin als Berater für euch besser denn als Befehlshaber!

Erläuterung

Als der Stuhl des Kalifen durch die Ermordung Uthmans unbesetzt war, begannen die Muslime, Imam Ali (a.) als zukünftigen Kalifen ins Auge zu fassen aufgrund seines friedfertigen Verhaltens, seiner Prinzipientreue und seiner scharfsinnigen Politik, was sie während der langen Periode seiner Zurückhaltung während der ersten drei Kalifen registriert hatten. Folglich eilten sie herbei, um ihm den Treueid zu schwören in der Art und Weise, wie ein Reisender, der sich verirrt hat und nun plötzlich sein Ziel vor Augen hat und dann entsprechend dorthin eilen würde, wie es der Historiker al-Tabari berichtet: „Die Leute ballten sich um den Befehlshaber der Gläubigen und sagten: ´Wir wollen dir den Treueid leisten, und du siehst, welche Nöte den Islam befallen haben und wie wir wegen der Allernächsten des Propheten geprüft werden.´“[1]

Aber der Befehlshaber der Gläubigen (a.) war abgeneigt, ihrer Bitte nachzukommen, woraufhin die Leute in lautes Geschrei ausbrachen und anfingen, laut zu schreien: „Oh Abu´l Hassan[2], siehst du denn nicht, wie der Islam zerstört wird und (siehst du denn nicht) die heranrollende Flut von Anarchie und Zwietracht? Fürchtest du denn Allah nicht?“ Selbst dann zeigte der Befehlshaber der Gläubigen (a.) keinerlei Bereitschaft zuzustimmen, weil er sah, dass die Auswirkungen der Atmosphäre, die nach dem Propheten (s.) entstanden war, die Herzen und Köpfe der Leute über­wältigt hatten. Selbstsucht und Machthunger hatten in ihnen Wurzeln geschlagen, ihr Denken war durch Materialismus beeinträchtigt worden und sie hatten sich daran gewöhnt, die Regierung als ein Mittel zu missbrauchen, ihre Interessen zu sichern. Jetzt wollten sie also das göttliche Kalifat ebenfalls für materielle Ziele missbrauchen und damit spielen.

Unter diesen Umständen war es unmöglich, die Mentalität der Leute zu ändern oder die Temperamente zu lenken. Zusätzlich zu diesen Gedanken hatte Imam Ali (a.) auch die Zukunft im Blick, damit diese Leute mehr Zeit bekommen sollten. Es sollte nicht dazu kommen, dass diese Leute aufgrund von Nichterfüllung ihrer materiellen Interessen anschließend sagen würden, dass der Treueid nur aufgrund von temporärer Zweckmäßigkeit und momentanen Gedanken von ihnen geleistet worden sei. Es durfte nicht wieder das passieren, was Umars Idee über das erste Kalifat war, wie es aus seiner Aussage ersichtlich wird: „Es kam zu Abu Bakrs Kalifat ohne Hintergedanken, vielmehr bewahrte Allah uns vor dessen Zwietracht. Wenn irgendjemand so eine Sache wiederholt, solltet ihr ihn töten.“[3]

Kurz gesagt, als sie mehr und mehr darauf drängten, hielt der Befehlshaber der Gläubigen (a.) diese Predigt, in der er sinngemäß Folgendes klarstellte: „Wenn ihr mich für eure weltlichen Belange wollt, dann bin ich nicht bereit, als euer Instrument dafür zu fungieren. Lasst mich und findet jemand anderen, der euren Interessen dienlich sein mag. Ihr habt mein vergangenes Leben gesehen, dass ich nicht bereit bin, etwas anderem zu folgen als dem Qur´an und der Verfahrensweise [sunna] und dass ich diese Prinzipien nicht aufgeben werde, um Macht zu sichern. Wenn ihr jemand anderen wählt, dann werde ich Gesetze und Verfassung des Staates respektieren, wie es ein friedlicher Bürger tun sollte. Zu keiner Zeit habe ich versucht, die kollektive Existenz der Muslime zu zerstören, in dem ich eine Revolte angezettelt habe. Dasselbe wird jetzt passieren. Vielmehr, da ich immer das allgemeine Wohl im Sinn hatte und ich richtige Ratschläge gegeben habe, werde ich mich nicht scheuen, das Gleiche zu tun. Wenn ihr mich in der gleichen Position lasst, wäre es für eure weltlichen Interessen besser, weil ich in diesem Falle keine Macht in den Händen hielte, so dass ich euren weltlichen Interessen im Wege stehen und ein Hindernis für eure Wünsche darstellen könnte. Doch, wenn ihr entschlossen seid, mir den Treueid in die Hand zu schwören, dann vergesst nicht, dass, wenn ihr gegen mich (in Missbilligung) die Stirn runzelt oder mir widersprecht, ich euch zwingen werde, den Weg des Rechts zu beschreiten, und wenn es ums Recht geht, dann werde ich mich nicht um irgendjemanden kümmern (der dem Recht widerspricht). Wenn ihr selbst dann noch mir den Treueid leisten wollt, dann könnt ihr eurem Wunsch nachkommen.“

Der Eindruck, den der Befehlshaber der Gläubigen (a.) von diesen Leuten hatte, wurde von den späteren Ereignissen vollständig bestätigt. Folglich, als diejenigen, die den Treueid aus weltlichen Beweggründen heraus geschworen hatten, ihre Ziele verfehlten, brachen sie weg und erhoben sich gegen seine Regierung mit Behauptungen, die jeglicher Grundlage entbehrten, wovon zahlreiche Predigten zeugen.

[1] Al-Tarich, Band 1, S. 3066, 3067 und 3076

[2] Beiname Imam Alis (a.): Vater von Hassan

[3] Sahih al-Buchari, Band 8, S. 210, 211; al-Musnad, Ahmad ibn Hanbal, Band 1, S. 55; Al-Tabari, Band 1, S.1822; Ibn Athir, Band 2, S. 327; Ibn Hischam, Band 4, S. 308-309; Ibn Kathir, Band 5, S. 246

 

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