Der Quran im Islam
Zum Verfasser
Allama
Sayyid Muhammad Husain Tabatabai wurde 1892 n.Chr. als
direkter Nachkomme des Propheten Muhammad (s.)
und der Ahl-ul-Bait (a.)
in Täbris in einer Gelehrtenfamilie geboren. Im Alter von fünf
Jahren verlor er seine Mutter, und mit neun seinen Vater. Sein
Vormund gab ihn und seinen jüngeren Bruder in die Obhut eines
Dieners und eines Hausmädchens. Kurz nach dem Tod des Vaters
wurden sie in die Grundschule eingeschult und besuchten dann
das Gymnasium. Schließlich wurde ihre Schuldbildung einem
Tutor anvertraut, der Hausbesuche machte; auf diese Weise
lernten sie sechs Jahre lang persisch und grundlegende
Schulfächer.
1918 n.Chr. begann er mit dem Theologie-
und Arabischstudium. Sieben Jahre lang studierte er Grammatik,
Rhetorik, Rechtsprechung, Rechtsprinzipien, Logik [mantiq],
Philosophie und Theologie. 1925 n.Chr. reiste er als nunmehr
33-jähriger Gelehrter nach Nadschaf, um den Unterricht von
Ayatollah Scheich Muhammad Husain Isfahani zu besuchen. Unter
seiner Führung nahm er sechs Jahre an einem Kurs der
Rechtsprinzipien teil, und vier Jahre an einen Kurs in
Rechtsprechung.
Etwa sieben Jahre lang studierte er
Rechtsprechung bei Ayatollah Muhammad Husain Naini und führte
unter seiner Leitung einen Kurs über die Prinzipien des
Gesetzes durch. Er studierte Rechtsprechung auch bei Ayatollah
Hudschat Kuhkanari.
Im Bereich der Philosophie hatte er das
große Glück, bei dem angesehensten Philosophen jener Zeit,
Sayyid Husain Badkubi, studieren zu dürfen. Im Verlauf der
sechs Jahre, in denen dieses Studium andauerte, studierte er
auch Meisterwerke der Islamischen Geschichte. Aus dem großen
Interesse, das sein Lehrer Sayyid Badkubi seiner Erziehung
beimaß, um seine Begeisterung für die Philosophie mit einer
Bekanntschaft mit einem rigorosen Denkstil zu unterstützen,
wies er ihn an, Mathematik zu studieren. Um dieser Anweisung
gerecht zu werden, besuchte er den Unterricht von Sayyid
Abulghasem Hunsari einem großen Mathematiker. Bei ihm
studierte er auch analytisches logisches Denken, und alle
Bereiche der traditionellen Mathematik.
Aufgrund von Schwierigkeiten hinsichtlich
der Finanzierung seines Lebensunterhalts war er gezwungen 1935
an seinen Geburtsort Täbris zurückzukehren. Dort lebte er gut
zehn Jahre, die er als eine Zeit der spirituellen Leere ansah,
denn er wurde durch das unvermeidbare Engagement und soziale
Kontakte, die mit dem Verdienen des Lebensunterhalts durch
Landwirtschaft einhergingen, von Lehre und Nachdenken
weitgehend abgehalten.
1946 ließ er diese Situation hinter sich
und siedelte in die Gelehrtenstadt Qum über, wo er seine
Lehrtätigkeit wieder aufnahm. In Qum begann er zu
unterrichten, indem er sich auf die Auslegung [tafsir] des
Heiligen Quran, die traditionelle islamische Philosophie und
die Theosophie konzentrierte, die dort seit vielen Jahren
nicht mehr gelehrt worden war. Seine interessante
Persönlichkeit und geistige Erscheinung zogen bald einige der
intelligentesten und kompetentesten Studenten an, so dass die
Lehren von Mulla Sadra
allmählich wieder zu einem Eckpfeiler des traditionellen
Lehrplans wurden. Zu seinen bekanntesten Schülern gehörten u.a.
Ayatollah Sayyid Mohammed Hussaini Beheschti, der spätere
Oberste Richter der Islamischen Republik Iran und Ayatollah
Morteza Motahhari, einer der größten Gelehrten und Autoren,
dessen Werke auch im Deutschen erhältlich sind.
Allama Tabatabai unternahm häufig Reisen
nach Teheran, wo er junge Iraner mit moderner Bildung
unterrichtete, denn nach dem Zweiten Weltkrieg, als der
Marxismus in Mode kam, war er einer der wenigen
Religionswissenschaftler, der die philosophische Basis des
Kommunismus studierte und aus traditioneller Sicht eine
Antwort auf den dialektischen Materialismus gab. Es fanden
regelmäßige Sitzungen statt, die von einer ausgewählten Gruppe
Iraner und in der Herbstzeit von Henri Corbin
besucht, und in denen die grundlegendsten und drängendsten
geistigen und rationalen Probleme diskutiert wurden. Dabei
wurden nicht nur die klassischen Texte göttlicher Weisheit und
der Gnosis studiert, sondern auch vergleichende Gnosis, wobei
die heiligen Texte der Hauptreligionen wie die Upanischaden,
das Johannesevangelium usw. diskutiert und mit dem Sufismus
und den gnostischen Doktrinen des Islam verglichen wurden.
Allama Tabatabai gilt als der erste
iranische Gelehrte, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit
dem Materialismus im Allgemeinen und dem dialektischen
Materialismus im Besonderen vom traditionellen Standpunkt aus
befasste. Auf diese geistige Auseinandersetzung geht sein
wichtiges Werk “Die Prinzipien der Philosophie und die Methode
des Realismus“
zurück. Dieses Werk, das mit ausführlichen Erläuterungen von
Ayatollah Motahhari herausgegeben worden ist und den Weg für
eine Reihe anderer ähnlicher Arbeiten bahnte, gilt
mittlerweile als Klassiker auf diesem Gebiet.
Zwei bemerkenswerte philosophische Werke
haben seinen Ruhm als Kenner der Philosophie, ja, als den
Philosophen schlechthin, gefestigt. In einer philosophischen
Abhandlung zählt er siebenhundert philosophische Fragen auf,
die in der islamischen Philosophie gestellt worden sind, und
beweist, dass davon nur zweihundert griechischen Ursprungs
sind.
Nur eine profunde Kenntnis der beiden philosophischen
Traditionen machte das Zustandekommen dieser
wissenschaftlichen Abhandlung möglich.
Ein Verdienst anderer Art auf dem Gebiete
der Philosophie kommt seinem Werk “Bidayat al-hikma wa nihayat
al-hikma“ (Anfang der Philosophie und Ende der Philosophie)
zu, indem er versucht, die Fragen der Philosophie aus
pädagogischen Gründen geometrisch zu ordnen, d.h., eine
bestimmte Reihenfolge der Fragen zu berücksichtigen, so dass
die letzteren Fragen aus den ersteren zu erschließen sind.
Durch seine Lehrtätigkeit und sein
umfassendes Werk hat er einen großen geistigen Einfluss sowohl
auf die moderne als auch auf die traditionelle
Gelehrtengeneration ausgeübt. Während sich die meisten
Gelehrten mit den Überlieferungswissenschaften insbesondere
der Jurisprudenz [fiqh] und den Prinzipien der Jurisprudenz [usul
al-fiqh] befassten, versuchte Tabatabai auch die anderen
Bereich der traditionellen Wissenschaften, d.h. die
rationalistischen Wissenschaften zu beherrschen und zu
erforschen. Er war davon überzeugt, dass die überlieferte
Offenbarung in keinem Widerspruch zur Vernunft stehe und fast
immer durch diese zu erklären sei. Er hielt jedoch nicht am
Primat der Vernunft fest, sondern gestand der intuitiven
(religiösen) Erkenntnis den höheren Rang zu. Allama Tabatabais
zahlreiche Schriften bezeugen seine große Bedeutung für die
islamische Welt und die islamischen Wissenschaften.
Die Erforschung des Heiligen Quran war
das Kernstück seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. In
dreißigjähriger intensiver Arbeit entstand ein 20-bändiger
Quran-Exegese in arabischer Sprache, die in seiner Art als
einmalig gilt.
Er interpretiert den Heiligen Quran aus dem Quran selbst und
bringt ihn im Sinne der Ahl-ul-Bait
aus sich selbst zum Sprechen.
In Unkenntnis der modernen islamischen
Werke der Exegese glaubten einige Orientalisten, dass die
durchaus anerkennenswerte Arbeit von Rudi Paret einmalig
sei, weil er in der Konkordanz zu seiner Übersetzung des
Heiligen Quran eine vollständige Beziehung der
Parallelstellen vorgenommen habe. Doch diese Methode, die auf
eine Prophetenüberlieferung zurückgeht,
wurde lange vor dem Erscheinen der verdienstvollen Arbeit des
deutschen Wissenschaftlers bereits von Allama Tabatabai nicht
nur formal, sondern auch inhaltlich angewandt. Im vorliegenden
Buch beschreibt er unter anderem auch diese Methode.
Das Buch ist im gewissen Sinne eine
Einführung zu seiner sehr umfangreichen Quran-Exegese. Es war
ursprünglich im Rahmen eines Projekts zur Veröffentlichung in
europäischen Sprachen konzipiert worden.
Dieser Schritt sollte nach dem Wunsch Allama Tabatabais zu
einem besseren Verständnis der schiitischen
Wissenschaftstradition im Ausland dienen. Sein Wunsch wurde
nach seinem Ableben in mehreren europäischen Sprachen erfüllt.