Dritter Teil
Dienstag, 8. Mai
Heute tauchen die grünen Flecke der kleinen Oase zu beiden
Seiten unseres Weges immer häufiger auf. Über einen
ausgedörrten Boden eilen zahllose kristallklare Bäche dahin,
sie springen aus den Spalten der schneebedeckten Berge hervor,
werden von eifriger Menschenhand geleitet und verteilt und
tragen hier und dort zu den verstreut liegenden, urbar
gemachten Landstrichen dieser hohen Ebenen Leben und
Fruchtbarkeit.
Gegen zehn Uhr morgens erreichen wir eine Stadt, die erste
seit Chiraz. Sie nennt sich Abadeh. Ihre dreifachen Mauern aus
Ton und Lehm fallen schon stellenweise zusammen, sie sind
ungewöhnlich hoch, werden von drohenden Türmen überragt, und
ihre blauglasierten Steine reihen sich zu Arkaden aneinander.
Den Schmuck der Tore bilden Gazellenhörner, die man oberhalb
des Spitzbogens in einem Kreise angebracht hat. Hier gibt es
einen großen, überdachten Basar, in dem ein ungewöhnlich reges
Leben herrscht; man verkauft Teppiche, Wolle, gewebt und in
Strängen, verarbeitetes Leder, Steinschloßgewehre, Korn,
Spezereien, die aus Indien gekommen sind. Heute findet
außerdem in den engen Straßen ein Viehmarkt statt. Wohin das
Auge sieht: Schafe und Ziegen. Die Frauen von Abadeh tragen
hier nicht die kleine weiße, durchlöcherte Maske, aber ihr
Schleier verhüllt sie deshalb nicht weniger: er ist nicht
schwarz wie in Chiraz, hat keine gestickten Blumen oder Zweige
wie auf dem Lande, nein, er ist stets blau, sehr lang, wird
nach unten zu breiter und bildet eine Schleppe; um ihren Weg
finden zu können, wagen sie von Zeit zu Zeit einen Blick durch
die verborgenen Falten. Die also verschleierten Schönen
gleichen anmutigen Madonnen, die kein Gesicht haben. Natürlich
betrachtet man uns viel in dieser Stadt, aber ohne Mißtrauen,
die Kinder folgen uns scharenweise, und in ihren Augen
leuchtet die verhaltene Neugierde.
Wir beabsichtigten nach einer zweistündigen Ruhepause
aufzubrechen, aber der Besitzer der Pferde weigert sich, er
behauptet, die Tiere seien gar zu müde und wir müßten hier
übernachten.
So sieht uns der melancholische Abend also in der
Karawanserei von Abadeh vor dem Tore sitzend, auf dem man den
Schmuck der Gazellenhörner angebracht hat. Hinter uns zeichnen
die Zacken der jetzt im Schatten liegenden krenelierten Mauern
sich von dem grüngoldenen Himmel ab. Und vor uns liegt die
Stadt der Gräber: ein grauer Boden, auf dem kein Gras wächst,
bescheidene Grabgewölbe aus grauem Stein, kleine Kuppeln, oder
einfache Leichensteine; so weit das Auge reicht, nichts als
Gräber, zum größten Teil sind diese schon so alt, daß
wahrscheinlich niemand sie noch kennen wird. Die blauen
Madonnen mit dem schleppenden Schleier wandeln in Scharen dort
umher; in der hereinbrechenden Dämmerung gleichen sie mehr
denn je Gespenstern. Im Hintergrunde wird der Horizont durch
vier- bis fünftausend Meter hohe Gipfel abgeschlossen, deren
Schneefelder in dieser Stunde bläulich leuchten, ihr Anblick
erfüllt uns mit Kälte.
Sobald der erste Stern am klaren Himmel angezündet wird,
schreiten die blauen Schatten langsam der Stadt zu, und die
Tore schließen sich hinter ihnen. In diesen Ländern erstarrt
das Leben mit Hereinbruch der Nacht; man fühlt die
Traurigkeit, die unerklärliche Angst.