Fünfter Teil
Donnerstag, 24. Mai
Frühmorgens brechen wir auf, um noch heute abend die Stadt
zu erreichen, wo die heilige Fatime, die Enkelin des
Propheten, ruht.
Nach fünf- oder sechsstündigem Weg, in einer strahlenden
Wüste, deren Pfade mit Gerippen besät sind, gegen zwölf Uhr
mittags, um die Stunde des Blendwerks und der
Luftspiegelungen, leuchtet dort hinten, in der unbestimmbaren
Ferne, ein Gegenstand auf, etwas, was sich dem Auge, den
Sternen gleich, nur durch seine Strahlen zeigt; ein
aufgehendes Gestirn, eine goldene Kugel, eine Feuerkugel,
etwas ganz Ungeahntes, etwas nie Gesehenes.
– Koum! sagt der Rosselenker, indem er mit dem Finger
darauf zeigt . . . Also dies ist die berühmte goldene Kuppel,
die in der mittäglichen Sonne funkelt, die einem Leuchtfeuer
mitten am hellen Tage gleicht, die die Karawanen aus tiefer
Wüste heranlockt . . . Sie erscheint und verschwindet wieder,
ganz nach Laune des hügeligen Bodens, und nachdem wir mehr als
eine Stunde in dieser Richtung dahingetrabt sind, ohne daß wir
uns ihr merklich genähert hätten, ist sie plötzlich nicht mehr
sichtbar.
Es ist vier Uhr nachmittags, als wir die Bäume der Oase
Koum, die Kornfelder und schließlich die Stadt entdecken; ein
gewaltiger, grauer Trümmerhaufen, und immer und überall
Schutt, Spalten und Risse. Natürlich sieht man, wohin das Auge
auch fällt, die verschieden gestalteten Kuppeln, Zinnen und
Minaretts, graubraune Türme, rosenrote Türme, die von einem
blauglasierten Turban bedeckt zu sein scheinen. Und jede
aufragende Spitze ziert ein Storch, gravitätisch steht er in
seinem Nest. Hier gibt es viele verlassene Gärten, die mit
Granatbäumen angefüllt sind, deren Boden durch die fallenden
Blütenblätter blutrot gefärbt wird . . . Aber wo ist die
goldene Kuppel, das Grab der Fatime, das wir von weitem
zwischen den Luftspiegelungen des Mittags sahen? Wir müssen
geträumt haben, denn nicht die geringste Spur von ihr ist
sichtbar.
Von Zeit zu Zeit, beim Rollen unseres Wagens, beim Läuten
unserer Schellen, öffnet sich eine Tür, und irgendeine Frau
zeigt ihr eines Auge, die Hälfte ihres stets hübschen
Gesichtes, um zu sehen, was sich dort zuträgt. Ungefähr
zwanzig kleine Kinder, alle wunderbar schön, mit Amuletts
behangen, mit brandrot gefärbten Haaren, laufen hinter uns
her, ganz erstaunt über unser Gespann, und mit diesem Gefolge
halten wir unseren Einzug in dem Basar. Von neuem hüllt uns
das plötzliche Dunkel der Basare ein, während zwanzig langer
Minuten haben wir die größten Schwierigkeiten zu bestehen,
immer wieder streifen wir inmitten der zottigen Kamele ein
Hindernis nach dem anderen, und unsere vier Pferde schnauben,
der Moschusgeruch erfüllt sie mit Abscheu. Dort drängen sich
die schön gekleideten Iraner, die Afghanen, mit den spitzen
Mützen, die Beduinen Syriens, deren Kopf glänzende
Seidenstoffe und seidene Bänder schmücken; die verschiedensten
Leute, eine große Menge hält sich hier auf, und kaum kann man
die Hand vor Augen sehen.
Aber dann gelangen wir durch den Ausgangsbogen in die helle
Abendluft hinaus, und endlich liegt die strahlende Kuppel
wieder vor uns, ganz nah thront sie inmitten einer feenhaften
Umgebung, die, um uns zu blenden, von irgendeinem Zauberer
aufgebaut zu sein scheint. An dem Ufer eines ausgetrockneten
Flusses, an dem Bett aus weißen Kieseln, über das eine
Bogenbrücke mit einem Fayencegeländer führt, breitet ein
märchenhaftes Panorama sich aus; in bunter Reihe, in wilden
Verschlingungen, übereinander aufgetürmt sind hier die
Portale, die Minaretts und die Kuppeln, alles trieft von Gold;
alles, was unmittelbar über dem Erdboden liegt, ist aus blauer
Glasur, alles was sich vom Erdboden erhebt, ist aus grüner
Glasur, hat jenen metallischen Glanz, der auch dem Schwanz des
Pfaues eigen ist; in dem Maße, wie der Bau in die Luft
hinaufsteigt, zeigt er ein immer reicheres Gold, er endet
schließlich nach dem Himmel zu in goldenen Spitzen. Neben den
wirklichen Minaretts, die groß genug sind, daß die Muezzine
dort zum Singen hinaufsteigen können, gibt es zahllose
schmächtige Spindeln, in die man nicht hineinklettern kann,
auch sie streben aufwärts und glänzen wie Goldschmiedearbeit.
So neu, so schön, so flammend, so überraschend liegt dies
alles in dieser Stadt der Trümmer und des Staubes . . .
Mitten in der Pracht und dem Glanz wachsen tiefrote Bäume,
überall blühende Granatbäume; man könnte sagen, es habe
Korallenperlen geschneit. Und im Hintergrunde zeichnen sich
die hohen Gipfel, zweimal höher als unsere Alpen, beleuchtet
von der untergehenden Sonne, rosenrot von einem meergrünen
Himmel ab.
Meine Augen haben schon so unendlich viel gesehen, aber sie
erinnern sich an nichts, das so überwältigend, so
phantastisch, so ausgesprochen orientalisch war, wie dieser
Anblick, den uns das Grab der heiligen Fatime gewährte, an
einem Maienabend, als wir aus einem dunklen Schiff
heraustraten.
Es gibt also in Persien noch Dinge, die nicht verfallen
sind, und die man noch heute, wie in den Zeiten zu
Tausendundeiner Nacht, aufbauen und wiederherstellen kann.
Der Schah Nasr-ed-din ließ im neunzehnten Jahrhundert die
heilige Moschee, wo heute sein Vater und seine Mutter neben
Fath-Ali-Thah und der Enkelin des Propheten ruhen, mit
unsinnigem Luxus vollständig neu herrichten, ließ sie mit
goldenem Mosaik bekleiden.
Die Karawanserei ist scheinbar noch weit entfernt, sie
liegt an der anderen Seite der Bogenbrücke, des wasserlosen
Flusses. Darum schicken wir den Wagen voraus, und bevor die
Sonne untergeht, wollen wir die Moschee besehen.
Ein gewaltiger, seltsamer Platz dient ihr als Vorhof; er
stellt gleichzeitig einen alten, staubigen Friedhof und einen
lärmenden Hof der Wunder dar. Das scheinbare Pflaster, die
langen Fliesen, auf denen man geht, sind dicht nebeneinander
liegende Gräber, der Boden ist angefüllt von den Gebeinen
aller Zeiten, er ist mit menschlichem Staub vermischt. Und da
die Reliquien der heiligen Fatime zahllose Pilger anziehen, da
sie Wunder wirken, so ist hier aus allen Teilen Persiens ein
trauriges Völkchen zusammengelaufen, um sich ringsumher
niederzulassen. Neben den Verkäufern der Rosenkränze und der
Amulette, die an der Erde ihre Waren auf Lumpen ausbreiten,
zeigen die verkrüppelten Bettler ihre blutigen Gliederstümpfe;
andere entblößen ihren Aussatz, ihre Krebsgeschwüre, oder ihre
brandigen Wunden, die mit Fliegen bedeckt sind. Derwische mit
langen Haaren schreiten singend vorüber, das Auge gen Himmel
gerichtet; andere lesen mit wilder Begeisterung in den alten
Büchern. Alle sind in staubige Lumpen gekleidet, alle sehen
ungastlich und angsteinflößend aus; derselbe Fanatismus
spricht aus dem zu feurigen Auge und aus dem erloschenen Auge.
Mitten auf diesem Platze, auf diesem Gräberfelde, umgeben
von der grauen, schmutzigen, lumpengekleideten Menge,
erscheint der frische Glanz einer solchen Moschee noch
unwahrscheinlicher.
Im Innern des Heiligtums wird ein unausdenkbarer Reichtum
herrschen, aber wir Ungläubigen sind ohne Erbarmen davon
ausgeschlossen, und wir müssen an dem Tor der äußeren
Umzäunung stehenbleiben . . . Aber diese Mauer ist schon von
oben bis unten mit Glasur bekleidet und herrlich anzuschauen;
sie umschließt eifersüchtig – wie die Mauer eines persischen
Gartens ihre Bäume umschließt – die Minaretts und die Spindeln
aus grüner und goldener Glasur, die gleich schlanken Stämmen
aus der Erde hervorschießen und die eigentliche Moschee und
die funkelnden Kuppeln einrahmen.
Das Volk quält uns, es schleppt seine Wunden, seinen
Gestank und seinen Staub hinter uns her, es verfolgt uns bis
an das Tor, wo es uns mit hundert schrecklichen Händen
zurückhalten würde, wollten wir weiter vordringen. Auf der
Schwelle stehenbleiben und von dort aus Umschau halten, ist
alles, was uns erlaubt wird.
Der Sockel des Gebäudes ist aus weißem Marmor, er stellt
eine gerade Reihe von Vasen dar, Vasen, aus denen alle Blumen
hervorzusprießen scheinen, die unter der Glasur an die Wände
gemalt sind; Rosenzweige, Irispflanzen beginnen kaum einige
Fuß hoch über dem Boden; sie schlingen sich an den blauen
Arabesken empor, wie es die Kletterpflanzen an einem
Baumgeländer tun würden, sie steigen aufwärts und vereinen
sich mit dem goldenen Mosaik der Friese und der Kuppeln. Ich
glaube nicht, daß es auf der Welt – vielleicht mit Ausnahme
der Tempel des heiligen Berges Japans – ein Gebäude gibt, das
von außen mit einer solchen Pracht, mit einem solchen Glanz
der Farben bekleidet wäre, wie dieses Grabmal es ist, das man
hier, in der alten Stadt der Trümmer und des Staubes, zwei
Schritte von den Wüsten entfernt liegen sieht.