Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Fünfter Teil

Donnerstag, 24. Mai

Frühmorgens brechen wir auf, um noch heute abend die Stadt zu erreichen, wo die heilige Fatime, die Enkelin des Propheten, ruht.

Nach fünf- oder sechsstündigem Weg, in einer strahlenden Wüste, deren Pfade mit Gerippen besät sind, gegen zwölf Uhr mittags, um die Stunde des Blendwerks und der Luftspiegelungen, leuchtet dort hinten, in der unbestimmbaren Ferne, ein Gegenstand auf, etwas, was sich dem Auge, den Sternen gleich, nur durch seine Strahlen zeigt; ein aufgehendes Gestirn, eine goldene Kugel, eine Feuerkugel, etwas ganz Ungeahntes, etwas nie Gesehenes.

– Koum! sagt der Rosselenker, indem er mit dem Finger darauf zeigt . . . Also dies ist die berühmte goldene Kuppel, die in der mittäglichen Sonne funkelt, die einem Leuchtfeuer mitten am hellen Tage gleicht, die die Karawanen aus tiefer Wüste heranlockt . . . Sie erscheint und verschwindet wieder, ganz nach Laune des hügeligen Bodens, und nachdem wir mehr als eine Stunde in dieser Richtung dahingetrabt sind, ohne daß wir uns ihr merklich genähert hätten, ist sie plötzlich nicht mehr sichtbar.

Es ist vier Uhr nachmittags, als wir die Bäume der Oase Koum, die Kornfelder und schließlich die Stadt entdecken; ein gewaltiger, grauer Trümmerhaufen, und immer und überall Schutt, Spalten und Risse. Natürlich sieht man, wohin das Auge auch fällt, die verschieden gestalteten Kuppeln, Zinnen und Minaretts, graubraune Türme, rosenrote Türme, die von einem blauglasierten Turban bedeckt zu sein scheinen. Und jede aufragende Spitze ziert ein Storch, gravitätisch steht er in seinem Nest. Hier gibt es viele verlassene Gärten, die mit Granatbäumen angefüllt sind, deren Boden durch die fallenden Blütenblätter blutrot gefärbt wird . . . Aber wo ist die goldene Kuppel, das Grab der Fatime, das wir von weitem zwischen den Luftspiegelungen des Mittags sahen? Wir müssen geträumt haben, denn nicht die geringste Spur von ihr ist sichtbar.

Von Zeit zu Zeit, beim Rollen unseres Wagens, beim Läuten unserer Schellen, öffnet sich eine Tür, und irgendeine Frau zeigt ihr eines Auge, die Hälfte ihres stets hübschen Gesichtes, um zu sehen, was sich dort zuträgt. Ungefähr zwanzig kleine Kinder, alle wunderbar schön, mit Amuletts behangen, mit brandrot gefärbten Haaren, laufen hinter uns her, ganz erstaunt über unser Gespann, und mit diesem Gefolge halten wir unseren Einzug in dem Basar. Von neuem hüllt uns das plötzliche Dunkel der Basare ein, während zwanzig langer Minuten haben wir die größten Schwierigkeiten zu bestehen, immer wieder streifen wir inmitten der zottigen Kamele ein Hindernis nach dem anderen, und unsere vier Pferde schnauben, der Moschusgeruch erfüllt sie mit Abscheu. Dort drängen sich die schön gekleideten Iraner, die Afghanen, mit den spitzen Mützen, die Beduinen Syriens, deren Kopf glänzende Seidenstoffe und seidene Bänder schmücken; die verschiedensten Leute, eine große Menge hält sich hier auf, und kaum kann man die Hand vor Augen sehen.

Aber dann gelangen wir durch den Ausgangsbogen in die helle Abendluft hinaus, und endlich liegt die strahlende Kuppel wieder vor uns, ganz nah thront sie inmitten einer feenhaften Umgebung, die, um uns zu blenden, von irgendeinem Zauberer aufgebaut zu sein scheint. An dem Ufer eines ausgetrockneten Flusses, an dem Bett aus weißen Kieseln, über das eine Bogenbrücke mit einem Fayencegeländer führt, breitet ein märchenhaftes Panorama sich aus; in bunter Reihe, in wilden Verschlingungen, übereinander aufgetürmt sind hier die Portale, die Minaretts und die Kuppeln, alles trieft von Gold; alles, was unmittelbar über dem Erdboden liegt, ist aus blauer Glasur, alles was sich vom Erdboden erhebt, ist aus grüner Glasur, hat jenen metallischen Glanz, der auch dem Schwanz des Pfaues eigen ist; in dem Maße, wie der Bau in die Luft hinaufsteigt, zeigt er ein immer reicheres Gold, er endet schließlich nach dem Himmel zu in goldenen Spitzen. Neben den wirklichen Minaretts, die groß genug sind, daß die Muezzine dort zum Singen hinaufsteigen können, gibt es zahllose schmächtige Spindeln, in die man nicht hineinklettern kann, auch sie streben aufwärts und glänzen wie Goldschmiedearbeit. So neu, so schön, so flammend, so überraschend liegt dies alles in dieser Stadt der Trümmer und des Staubes . . .

Mitten in der Pracht und dem Glanz wachsen tiefrote Bäume, überall blühende Granatbäume; man könnte sagen, es habe Korallenperlen geschneit. Und im Hintergrunde zeichnen sich die hohen Gipfel, zweimal höher als unsere Alpen, beleuchtet von der untergehenden Sonne, rosenrot von einem meergrünen Himmel ab.

Meine Augen haben schon so unendlich viel gesehen, aber sie erinnern sich an nichts, das so überwältigend, so phantastisch, so ausgesprochen orientalisch war, wie dieser Anblick, den uns das Grab der heiligen Fatime gewährte, an einem Maienabend, als wir aus einem dunklen Schiff heraustraten.

Es gibt also in Persien noch Dinge, die nicht verfallen sind, und die man noch heute, wie in den Zeiten zu Tausendundeiner Nacht, aufbauen und wiederherstellen kann.

Der Schah Nasr-ed-din ließ im neunzehnten Jahrhundert die heilige Moschee, wo heute sein Vater und seine Mutter neben Fath-Ali-Thah und der Enkelin des Propheten ruhen, mit unsinnigem Luxus vollständig neu herrichten, ließ sie mit goldenem Mosaik bekleiden.

Die Karawanserei ist scheinbar noch weit entfernt, sie liegt an der anderen Seite der Bogenbrücke, des wasserlosen Flusses. Darum schicken wir den Wagen voraus, und bevor die Sonne untergeht, wollen wir die Moschee besehen.

Ein gewaltiger, seltsamer Platz dient ihr als Vorhof; er stellt gleichzeitig einen alten, staubigen Friedhof und einen lärmenden Hof der Wunder dar. Das scheinbare Pflaster, die langen Fliesen, auf denen man geht, sind dicht nebeneinander liegende Gräber, der Boden ist angefüllt von den Gebeinen aller Zeiten, er ist mit menschlichem Staub vermischt. Und da die Reliquien der heiligen Fatime zahllose Pilger anziehen, da sie Wunder wirken, so ist hier aus allen Teilen Persiens ein trauriges Völkchen zusammengelaufen, um sich ringsumher niederzulassen. Neben den Verkäufern der Rosenkränze und der Amulette, die an der Erde ihre Waren auf Lumpen ausbreiten, zeigen die verkrüppelten Bettler ihre blutigen Gliederstümpfe; andere entblößen ihren Aussatz, ihre Krebsgeschwüre, oder ihre brandigen Wunden, die mit Fliegen bedeckt sind. Derwische mit langen Haaren schreiten singend vorüber, das Auge gen Himmel gerichtet; andere lesen mit wilder Begeisterung in den alten Büchern. Alle sind in staubige Lumpen gekleidet, alle sehen ungastlich und angsteinflößend aus; derselbe Fanatismus spricht aus dem zu feurigen Auge und aus dem erloschenen Auge.

Mitten auf diesem Platze, auf diesem Gräberfelde, umgeben von der grauen, schmutzigen, lumpengekleideten Menge, erscheint der frische Glanz einer solchen Moschee noch unwahrscheinlicher.

Im Innern des Heiligtums wird ein unausdenkbarer Reichtum herrschen, aber wir Ungläubigen sind ohne Erbarmen davon ausgeschlossen, und wir müssen an dem Tor der äußeren Umzäunung stehenbleiben . . . Aber diese Mauer ist schon von oben bis unten mit Glasur bekleidet und herrlich anzuschauen; sie umschließt eifersüchtig – wie die Mauer eines persischen Gartens ihre Bäume umschließt – die Minaretts und die Spindeln aus grüner und goldener Glasur, die gleich schlanken Stämmen aus der Erde hervorschießen und die eigentliche Moschee und die funkelnden Kuppeln einrahmen.

Das Volk quält uns, es schleppt seine Wunden, seinen Gestank und seinen Staub hinter uns her, es verfolgt uns bis an das Tor, wo es uns mit hundert schrecklichen Händen zurückhalten würde, wollten wir weiter vordringen. Auf der Schwelle stehenbleiben und von dort aus Umschau halten, ist alles, was uns erlaubt wird.

Der Sockel des Gebäudes ist aus weißem Marmor, er stellt eine gerade Reihe von Vasen dar, Vasen, aus denen alle Blumen hervorzusprießen scheinen, die unter der Glasur an die Wände gemalt sind; Rosenzweige, Irispflanzen beginnen kaum einige Fuß hoch über dem Boden; sie schlingen sich an den blauen Arabesken empor, wie es die Kletterpflanzen an einem Baumgeländer tun würden, sie steigen aufwärts und vereinen sich mit dem goldenen Mosaik der Friese und der Kuppeln. Ich glaube nicht, daß es auf der Welt – vielleicht mit Ausnahme der Tempel des heiligen Berges Japans – ein Gebäude gibt, das von außen mit einer solchen Pracht, mit einem solchen Glanz der Farben bekleidet wäre, wie dieses Grabmal es ist, das man hier, in der alten Stadt der Trümmer und des Staubes, zwei Schritte von den Wüsten entfernt liegen sieht.

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