Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Zweiter Teil

Donnerstag, 3. Mai.

Unsere Reisezeit haben wir jetzt ein für allemal anders gelegt, seitdem die Sonne nicht mehr so tödlich brennt wie dort unten. Bis nach Ispahan werden wir täglich zwei Märsche machen, für jeden rechnen wir vier bis fünf Stunden, und zwischendurch können wir in irgendeiner Karawanserei des Weges unseren Mittagsschlaf halten. Natürlich müssen wir uns früh erheben, und die Sonne steht noch nicht am Horizont, als man uns heute morgen in Zaragoun weckt.

Das erste Bild dieses Tages, von der unvermeidlichen kleinen Terrasse aus gesehen, nachdem wir unser lehmerbautes Zimmer verlassen haben und in die frische Morgenluft hinausgetreten sind, ist folgendes: Zuerst, im Vordergrund, liegt der Hof der Karawanserei, er ist angefüllt mit Erde und Staub. In der Mitte stehen meine Pferde, an den Wänden halten sich meine Diener und andere Leute, die des Weges daher kommen, auf, sie rauchen ihre Kalyan, trinken ihren Morgentee und liegen auf einem Haufen von Teppichen, Decken und Quersäcken – lauter unverwüstliche Gegenstände aus grober Wolle gewebt, mit denen hierzulande ein großer Luxus getrieben wird. Und dahinter dehnt sich das eintönige Land der Oase, dehnen sich die weißen Mohnfelder aus, die sich auf der einen Seite in dem unendlichen Raum verlieren, auf der anderen Seite vor der wilden Gebirgskette ersterben. Wie seltsam jungfräulich, wie rein steht dieser Mohn beim Anbruch des Tages in seinem weißen Kleide da – und trotzdem ist es seine Bestimmung, als ein schnelles Gift zu wirken, das man in den Rauchsälen des äußersten Ostens mit schwerem Geld bezahlt . . . Nirgends ein Baum; aber überall ein Meer von weißen Blumen, das sich gleichsam zwischen den Ufern der großen wilden Berge wie ein Meerbusen vorgedrängt hat. Und die Nebel des Sonnenaufganges, die bunt violetten Nebel, ziehen sich in der Ferne dahin, sie verwischen die reinen Linien des Horizontes dort, wo die Sonne auftauchen wird, sie verschmelzen die einfarbig blühenden Flächen, die seltsamen Felder dort unten mit dem Himmel.

Jetzt geht die Sonne auf; was noch vom nächtlichen Schatten blieb, flieht gleich einem braunen Gazeschleier vor ihr über die Blumenfelder dahin. Und junge Mädchen verlassen in Scharen das Dorf, sie gehen an irgendeine Feldarbeit, und fröhlich lachend suchen sie die kleinen Pfade auf, wo sie bis zum Gürtel in dem weißen Mohn untertauchen.

Es ist auch unsere Abschiedsstunde, darum vorwärts, auf denselben Pfaden wollen wir den jungen Mädchen folgen, wo dieselben Blumen, dieselben Gräser uns streifen . . .

Aber unsere Etappe ist diesmal nicht von langer Dauer, denn in einer Viertelstunde werden wir die großen Paläste des Schweigens, die Paläste des Darius und des Xerxes treffen, die es wohl verdienen, daß man bei ihnen haltmacht.

Nachdem wir zwei Mohnfelder, endlose feuchte Wiesen, Bäche und tiefe Ströme überschritten haben, bleiben wir vor einem bescheidenen, ganz verlassenen Weiler stehen, der von einer Reihe von Pappeln umgeben ist. Zwei Nächte verweilen wir in der verfallensten, wildesten aller Karawansereien, die weder Türen noch Fenster besitzt, deren alter Garten aber mit seinen Rosensträuchen, seinen Aprikosenalleen und seinen wilden Gräsern eine seltene Fruchtbarkeit zeigt. Kleine Kinder nähern sich uns, sie verneigen sich und überreichen uns bescheidene, fast gewöhnliche Monatsrosen. Umgeben ist der Weiler von einsamen Wiesen, überall herrscht Friede und Schweigen. Der Himmel bedeckt sich, es ist kühl. Man könnte glauben, man befände sich in Frankreich auf dem Lande, aber nicht heute, in vergangenen, in alten Zeiten . . .

Vielleicht zwei Meilen von uns entfernt, liegt am Ende der grasreichen Ebene, am Fuß einer jener Gebirgsketten, die gleich Mauern das Land von allen Seiten durchschneiden, ein einsamer, auf den ersten Blick wenig auffälliger Gegenstand, der, je länger man ihn betrachtet, desto schwerer festzustellen ist . . . Ein Dorf, eine Karawanserei, dachten wir zuerst; Mauern oder Terrassen, die wie überall, so auch hier aus grauem Lehm erbaut sind, auf die man aber ungezählte Mastbäume bunt durcheinander gepflanzt hat. Die große Durchsichtigkeit der Luft täuscht über die Entfernungen hinweg, man muß schon genau hinsehen, um sich klar machen zu können, daß dies Rätsel weit entfernt liegt, daß die Terrassen in keinem Verhältnis zu den anderen des Landes stehen, daß das Mastwerk riesengroß sein müßte. Je mehr man prüft, desto seltsamer erscheint es einem . . . Und in der Tat haben wir es hier, ebenso wie bei den Pyramiden Ägyptens, mit einem jener großen, klassischen Wunderwerke der Welt zu tun; – aber weit seltener kommt man dorthin als nach Memphis, und auch der Schleier, der über diesem Platze liegt, ist weit weniger gelüftet. Die Könige, die die Welt erzittern machten, Xerxes und Darius, haben an diesem Ort ihren traumhaften Hof abgehalten, sie verschönerten ihn mit Statuen und mit Basreliefs, denen auch der Zahn der Zeit nichts anhaben konnte. Seit mehr als zweitausend Jahren, seit der Durchzug der Heere des Mazedoniers den westlichen Völkern sein Dasein verraten hat, trägt er einen Namen, der schon an und für sich groß und ehrfurchteinflößend klingt: Persepolis. Aber wie er ursprünglich hieß, und welche sagenhaften Herrscher seinen Grundstein legten, das weiß man nicht. Geschichtsschreiber, Gelehrte haben schon zur Zeit des Herodot bis in unser Jahrhundert hinein so viele sich widersprechende Meinungen geäußert! Im Laufe der Zeiten haben ungezählte Forscher, durch die Ruinen angelockt, Tausenden von Gefahren getrotzt, um hier in der Umgegend zu hausen, um die Inschriften zu entziffern, die Gräber zu durchstöbern, ohne daß sie doch jemals zu einem Schluß gelangt wären. Und wieviele dicke Bände sind über diesen Winkel Asiens geschrieben worden, wo der kleinste Stein der Hüter aller Geheimnisse ist!

Übrigens kommt die ganz genaue Feststellung der historischen Tatsachen für mich, den einfachen Reisenden, kaum in Betracht. Was liegt daran, ob es dieser oder jener Monarch ist, der in der Tiefe jenes Grabes ruht, ob dieser Palast oder jener der des Pasargades ist, der von den Soldaten Alexanders eingeäschert wurde. Es genügt mir zu wissen, daß diese Ruinen die gewaltigsten, die besterhaltensten ihrer Zeit sind, die in unseren Augen das Genie einer ganzen Epoche, einer ganzen Rasse verewigen.

Aber welch ein Geheimnis, daß der Fluch immer solche Plätze trifft, die im Altertum besonders glänzend waren! . . . Warum haben hier zum Beispiel die Menschen ein so fruchtbares, so schönes Land verlassen, das unter einem so reinen Himmel gelegen ist? Warum waren früher so viele Herrlichkeiten in Persepolis angehäuft, wo heute nichts ist als eine blühende Einöde?

Wir lassen unser Gepäck und unser Gefolge in der ärmlichen Karawanserei zurück, in der wir die Nacht verbringen werden, und reiten nach einem Mittagsschläfchen unter Führung von zwei jungen Leuten aus dem Weiler auf die großen Ruinen zu. Während der ersten Meile schwimmen wir in einem wirklichen Meer von weißen Mohnblumen und grüner Gerste; dann folgt eine wilde Wiese, die mit Krauseminze und gelben Immortellen übersät ist. Und dort unten, hinter Persepolis, dem wir immer näher kommen, und das sich immer deutlicher abhebt, wird die Ebene von wilden, lederfarbenen Bergen durchkreuzt, wo sich Schlünde und Schluchten öffnen. Übrigens trägt seit Chiraz das baumlose Land überall den gleichen Charakter: Weite Flächen, die so ruhig wie ein Wasserspiegel daliegen, und die durch eine kahle, schreckeneinflößende Bergkette voneinander getrennt werden.

Aber nirgends haben die Formen der Berge, die immer überraschend wirken, uns etwas Ähnliches gezeigt wie das, was sich in diesem Augenblick in der klaren Ferne zu unserer Linken erhebt. Es ist viel zu gewaltig, um von Menschenhand erbaut worden zu sein, und dann beunruhigt es durch seine gesuchte Stellung: im Mittelpunkt liegt ein ganz viereckiger, fünf- bis sechshundert Meter hoher Bau, der einer Gottesfeste, oder dem Grundstein zu irgendeinem unterbrochenen Turmbau von Babel gleicht, zu beiden Seiten türmen sich symmetrisch wie zwei Wachtposten zwei ganz gleiche, ganz regelmäßige, riesengroße Blöcke, zwei sitzende Ungeheuer auf. Seit Anbeginn der Zeiten sind die Menschen durch die Gestalt dieser drei Berge, die wohl geeignet sind, Schrecken vor dem Übersinnlichen einzuflößen, in Erstaunen gesetzt worden, und es ist zweifellos keine zufällige Wahl, die sie getroffen haben, als sie an dieser Stelle den drohenden Bau der Herrscher errichteten. Von dem Palaste, wo wir jetzt angelangt sind, aus gesehen, rufen die Steine gerade den größten Eindruck hervor, sie liegen nahe genug, um imposant zu wirken, und sind doch wiederum weit genug entfernt, um nicht entziffert werden zu können.

Die Wege, denen wir inmitten des Schweigens, der Einsamkeiten und der Blumen folgen, sind von Zeit zu Zeit von klaren Bächen durchschnitten, die immer wieder nutzlose Fruchtbarkeit um diese Ruinen verbreiten.

Jetzt, wo wir dies tote Dorf, den Fuß des toten Berges erreicht haben, herrscht kein Zweifel mehr über seine ungeheuren Proportionen; seine Terrassen sind fünf- oder sechsmal höher als die gewöhnlichen und bestehen nicht wie überall sonst aus Lehm, an dem die Regengüsse sofort ihr Zerstörungswerk vornehmen, sondern aus zyklopischen, ewig haltbaren Blöcken, und die langen Gegenstände, die uns in der Ferne an Schiffsmastbäume erinnerten, sind seltsam schlanke, kühne, aus einem Stein gehauene Säulen – in früheren Zeiten werden sie die Decken von Zedernholz und das Gebälk dieses wunderbaren Palastes getragen haben.

Wir erreichen jetzt die steinerne, harte, leuchtende Treppe, sie ist breit genug, um gleichzeitig eine ganze Armee passieren lassen zu können; dort sitzen wir ab und steigen zu der Terrasse hinan, wo sich die Säulen erheben. Ich weiß nicht, was unseren Persern einfällt, aber sie ziehen unsere Pferde, die zuerst nicht wollten, sich sträubten und mit ihren Hufen die herrlichen Stufen abschrammten, hinter sich her, und so ist unser Einzug in diese unendliche Andacht laut und lärmend.

Wir stehen jetzt auf den Terrassen, die zu unserer Überraschung noch viel größer sind, als sie von unten erschienen. Eine ganze Stadt würden sie fassen können, und die Säulen, mit denen sie früher geschmückt waren, standen einst so dicht wie die Bäume eines Waldes. Jetzt sind nur noch zwanzig davon erhalten, die anderen sind gestürzt und liegen auf den Fliesen zerstückelt da, zahllose wunderbare Überreste erheben sich in bunter Unordnung in dieser großen, mit Steinen gepflasterten Einöde: bis in die kleinsten Kleinigkeiten sorgfältig ausgehauene Pylonen, Mauerwände, die mit Inschriften und Basreliefs bedeckt sind. Und dies alles zeigt ein dunkles, gleichmäßiges, seltsames Grau, ein Grau, das in den Ruinen ungewöhnlich ist, das die Patina der Jahrhunderte nicht hat hervorrufen können, es muß schon von der Farbe des Materials selbst herrühren, aus dem diese Paläste erbaut wurden.

Man wird hier ganz in der Nähe von der gewaltigen, schwarzbraunen Gebirgskette beherrscht, die sich seit unserem Aufbruch aus dem Dorf wie eine Mauer vor uns erhob, aber andererseits beherrscht man selbst alle diese gräserreichen, blumengewachsenen Wiesen, wo im Hintergrunde der schreckeneinflößende viereckige Berg mit seinen zwei sitzenden Wächtern aufragt. Zwei oder drei kleine, sehr bescheidene Weiler liegen ganz in der Ferne, durch Pappeln voneinander getrennt, gleich Inseln zwischen einem Meer von blühenden Gräsern und grüner Gerste da; und der erhabene Friede, der ewige Friede der Welten ruht über diesen Frühlingswiesen – die im Laufe der Jahrhunderte Zeugen des sardanapalischen Prunks, der Feuerbrände, Niedermetzelungen, der Aufstellung großer Heere, des Lärms großer Schlachten wurden.

Das Plateau aber, zu dem wir jetzt hinaufsteigen, ist zu dieser Stunde, bei Hereinbruch der Dämmerung, der Ort einer unaussprechlichen Melancholie; hier weht ein köstlich sanfter Wind, und ein Licht, das bestimmt und doch weich ist, fällt auf uns herab; man könnte fast sagen, daß wir uns auf diesen Terrassen weit mehr als in der umgebenden Ebene, der zweitausend Meter Höhe bewußt werden, und zwar ist der frische Windhauch, die Reinheit, der stille Glanz der Sterne, die Durchsichtigkeit der Schatten daran schuld. Zwischen den Fliesen, die beim Durchzug der Könige mit Purpurteppichen belegt waren, wachsen jetzt sehr feine Gräser, die Freunde der Trockenheit und des Schweigens, blühen Quendel und Majoran, und wo einst die Thronsäle lagen, weiden die Ziegen und verbreiten den Duft ländlicher Wohlgerüche. – Aber vor allem ist es das Licht, das keinem anderen Lichte ähnlich sieht; die Beleuchtung dieses Abends, die gleich dem Widerschein einer Apotheose auf so viele alte Basreliefs, auf so viele in Stein verewigte menschliche Silhouetten fällt . . .

Ach, wie ergriffen fühle ich mich, als mich gleich beim Eintritt zwei jener schweigenden Riesen empfingen, deren Anblick mir von Kindheit an bekannt war: der Rumpf eines geflügelten Stieres, der Kopf eines Menschen mit langem gekräuselten Bart unter der Tiara eines Magierkönigs! – Ich finde zweifellos zu großes Wohlgefallen daran, auf meine Kindheitseindrücke zurückzukommen; aber ich muß bemerken, daß sie für mich voller Geheimnisse und zugleich ungewöhnlich lebhaft waren. – Als ich zwölf Jahre alt war, traf ich zum erstenmal diese Riesenwächter aller assyrischen Paläste unter den Bildern einer gewissen Partitur Semiramis, die damals häufig aufgeschlagen auf dem Klavier stand, und sofort versinnbildlichten sie in meinen Augen die schwere Pracht von Ninive und Babylon. Was aber ihre Brüder anbelangt, die noch heute dort unten zwischen den Ruinen stehen mußten, so stellte ich sie mir immer umgeben von den zarten Blümchen vor, wie sie dem steinichten Boden eines Landstriches, »La Limoise« genannt, entwachsen, der damals zur selben Zeit eine große Rolle in meinen exotischen Träumen spielte . . ., und nun finde ich gerade heute am Fuße der mich begrüßenden Wächter den Thymian, die Krauseminze und den Majoran, die ganze kleine Flora meiner Wälder, unter einem ähnlichen Himmel wie dem unsrigen wieder.

Xerxes' Laune hat die beiden geflügelten Riesen hier als Posten aufgestellt, und jetzt empfangen sie mich an der Schwelle zu diesen Palästen. – Und sie weihen mich in die geheimsten Dinge über ihren Herrscher ein, Dinge, die ich niemals zu erfahren wähnte; während ich sie betrachte, verstehe ich, was mir auch zehn Geschichtsbände nicht begreiflich gemacht hätten, wie majestätisch, wie priesterlich und erhaben das Leben in den Augen dieses halb sagenhaften Mannes gewesen sein muß.

Aber die ungeheuren Säle, deren Eingang sie bewachten, sind seit bald dreiundzwanzig Jahrhunderten verschwunden, und nur in Gedanken vermag man sie noch aufzubauen. Weit größer zwar, müssen sie doch demjenigen gleichen, was man noch von den alten fürstlichen Wohnung aus dem persischen Mittelalter sieht: ungezählte Säulen von seltsamer Feinheit im Vergleich zu ihrer Länge großen Schilfblättern ähnlich, die hoch in die Lüfte hinein ein glattes Dach tragen. – Die Menschen, die hier wohnten, waren wohl die einzigen, die eine so hohe Säule, eine solche Schlankheit der Formen erfinden konnten, wo man im Altertum überall sonst nur massive, seltsam plumpe, stämmige Sachen baute. Immer gefolgt von unseren Pferden, deren Schritte gar zu laut auf den Fliesen widerhallen, schreiten wir auf das Innere des Palastes, auf den wunderbaren Wohnsitz des Darius zu. Die gestürzten Säulen bedecken den Boden; nur noch zwanzig sind stehengeblieben, in gewissen Abständen ragen sie einsam empor, ganz gerade, ganz schlank wachsen sie in den reinen Himmel hinein; sie sind von oben bis unten ausgekehlt, ihr Sockel ist zu einem mächtigen Blumenkelch geformt, und ihr weit vorspringendes Kapital, das in der Luft das Gleichgewicht zu suchen scheint, zeigt auf allen vier Flächen den Kopf und die Brust eines Ochsen. Wie vermögen diese kühnen, ungewöhnlich langen Säulen sich noch nach zweitausend Jahren zu halten, wo ihnen doch das Zederngebälk dort oben genommen ist, das sie verbinden sollte?

Die freien Plätze bauen sich übereinander auf, die Treppen folgen einander in dem Maße, wie man sich den Sälen nähert, in denen der König Darius thronte. Und die Oberfläche jeder neuen Stufe ist mit Basreliefs bedeckt, die Hunderte von Menschen in vornehmer steifer Haltung, mit krausen Bärten und gelocktem Haar zur Darstellung bringen: Schützenphalanxen, alle im Profil gezeichnet; rituelle Umzüge, Herrscher unter großen Sonnenschirmen, die von Sklaven getragen werden, Stiere, Dromedare, Ungeheuer. In welchen wunderbaren Stein ist dies alles gehauen worden, daß so viele Jahrhunderte es nicht zu zerstören vermochten? Der härteste Granit unserer Kirchen zeigt nach drei- oder vierhundert Jahren keine einzige scharfe Kante, die byzantinischen Porphyre, der griechische Marmor, der immer unter freiem Himmel steht, wird abgenutzt und verwischt; hier könnte man sagen, daß alle diese seltsamen Figuren soeben aus der Hand des Bildhauers kommen. Die Archäologen haben sich darüber gestritten, ohne jemals über den Ursprung dieses eigenartigen Materials einig zu werden, das ein so feines Korn, eine so eintönige graue Farbe zeigt, das einer Art Kiesel, einem sehr dunklen Feuerstein gleicht; eine Schere würde sich hier wie an Metall stumpf schneiden; übrigens ist es auch so spröde wie Beilstein, denn man sieht große Basreliefs von oben bis unten gesprungen – unter dem Einfluß der ewigen Sonne vielleicht, oder aber ist die Zeit, sind die Stöße der Kriegsgeräte schuld daran.

Und diese stummen Ruinen lassen ungezählte Inschriften ihre Geschichte erzählen, ihre Geschichte und die der Welt; der kleinste Block möchte sprechen, wenn man seine einfache Schrift zu entziffern verstände. Zuerst sind da die keilförmigen Buchstaben, sie bildeten einen Teil der anfänglichen Ornamentik; überall bringen sie ihre tausend kleinen, gedrängten, bestimmten Zeichnungen auf den Sockeln und Friesen, zwischen den wunderbaren Verzierungen, die ihnen als Rahmen dienen, an. Und dann, wie durch Zufall hingestreut, sieht man die Betrachtungen all der Menschen, die im Laufe der Jahre, angezogen durch den großen Namen Persepolis, hierhergekommen sind; gewöhnliche Bemerkungen, Aussprüche, alte Gedichte über die Eitelkeiten dieser Welt, und zwar auf griechisch, kufisch, syrisch, persisch, auf hindustanisch und sogar auf chinesisch. »Wo sind die Herrscher, die in diesen Palästen regierten, bis zu dem Tage, wo der Tod sie einlud, aus seiner Schale zu trinken? Wie viele Städte wurden am Morgen erbaut und stürzten des Abends zu Ruinen zusammen?« schrieb ein Dichter vor ungefähr drei Jahrhunderten auf arabisch ein und zeichnete sich: Ali, Sohn des Sultans Khaled. . . . Zuweilen sieht man nur eine Jahreszahl mit seinem Namen; und dann trifft man auch auf die Unterschriften der Forscher aus den Jahren 1826 und 1830 – Daten, die für uns fast fern zu liegen scheinen, und die trotzdem von gestern sind, vergleicht man sie mit denen, die in Hieroglyphenschrift die Namen der Könige umrahmen.

Besonders schön ist das Pflaster, auf dem wir schreiten. Jeder Riß, jeder Spalt zeigt einen winzigen Garten, voll kleiner Pflanzen, den Lieblingen der Ziegen, und zerreibt man die Blumen zwischen den Fingern, so duftet die ganze Hand nach ihrem süßen Wohlgeruch.

Hinter den Prunksälen, mit den offenen Säulenreihen, erreichen wir die weit schwerer zu entwirrenden Gebäude, die ein noch größeres Geheimnis zu bewachen scheinen. Hier müssen die Zimmer, die tiefen Gemächer gelegen haben. Die Mauerreste, die Pylonen, mit ihren ein wenig ägyptischen Umrissen, mit ihren zu Blumenkronblättern geformten Architraven verdoppeln sich. Wenn ich so sagen darf, fühlt man sich hier weit mehr umgeben, eingeschlossener, viel mehr beschattet von der gewaltigen Vergangenheit. Diese Viertel sind reich an großen, wunderbar erhaltenen Basreliefs. Auf ihren assyrischen Kleidern oder auf ihrem gekräuselten Haar zeigen die Figuren noch heute den Glanz des neuen Marmors; die einen tragen sitzend eine kaiserliche Würde zur Schau, andere spannen den Bogen oder kämpfen mit Ungeheuern. Sie sind von menschlicher Größe, haben ein regelmäßiges Profil, edle Gesichtszüge. Überall sieht man sie auf den Wänden, die heute planlos hingepflanzt zu sein scheinen; man ist von ihnen umgeben, von diesen einschüchternden Gruppen umzingelt, und die Farbe der Steine, die ewig graue Farbe gibt ihnen einen düsteren Anstrich. Die Tafeln aber, die mit kleinen keilförmigen Legenden bekritzelt sind, haben eine so glatte Oberfläche, daß man seine eigene Silhouette darauf, wie auf einem Zinnspiegel, leuchten sieht. Und man fühlt sich verwirrt, wenn man bedenkt, wie alt diese scheinbar ganz frischen Eingravierungen sind, wenn man sich sagt, daß eine jede dieser blanken Tafeln dieselbe sei, in der sich an demselben Ort seit mehr als zweitausend Jahren die Gesichter, die Schönheiten, die verschwundenen Herrlichkeiten widergespiegelt haben. Nimmt man nur ein kleines Bruchstück eines dieser Steine mit nach Hause, so würde es in jedem Museum als ein seltener Schatz betrachtet werden; und dies alles ist der Gnade des ersten besten Räubers anheimgegeben, der in diese große Einsamkeit eindringt, dies alles wird nur von den beiden nachdenklichen Riesen, von den Schildwachen dort unten an der Schwelle bewacht.

Weiterhin sieht man einige ganz zerstörte Skulpturen, einige ganz eingestürzte, unförmige Trümmerhaufen, und dann findet Persepolis seinen Abschluß, am Fuße des traurigen, kupferfarbenen Berges, der bis in seine geheimsten Tiefen durchbohrt und ausgehöhlt sein muß, denn in gewissen Abständen entdeckt man dort große schwarze, regelmäßige Löcher mit Giebeln und Säulen, die in den Felsen selbst hineingehauen sind; sie liegen alle verschieden hoch und dienen als Eingang zu den Begräbnisstätten. In den unterirdischen Gewölben schlafen zweifellos ungeahnte Reichtümer oder seltene Reliquien!

Die Sonne geht unter, die Schatten der Säulen, der Riesen werden länger auf diesem Boden, der einst ein königliches Pflaster war; diese Dinge, müde zu leben, müde unter dem Hauch der Jahrhunderte rissig zu werden, erleben noch einen Abend . . .

Die beiden Riesen mit dem lockigen Bart, beobachten alles voller Aufmerksamkeit, der eine wendet sein großes abgeschrammtes Gesicht der Begräbnisstätte des Berges zu; der andere sondiert die Ferne dieser Ebene, von woher einstmals die Krieger, die Sieger, die Herrscher der Welt herannahten. Aber kein Heer zieht jetzt noch vor diesem verlassenen Ort, vor diesen stolzen Palästen auf; diese Gegend der Erde ist für immer dem ländlichen Frieden und dem Schweigen wiedergeschenkt . . .

Die Ziegen, die zwischen den Ruinen weideten, wurden von ihren bewaffneten Hirten gerufen, sie scharen sich zusammen und ziehen fort, denn bald naht sich die für die Herden gefährliche Stunde, die Stunde der Panther. Ich möchte gern bis zum Anbruch der Nacht oder doch wenigstens bis zum Aufgang des Mondes bleiben; aber die beiden Hirten, meine Führer, weigern sich auf das bestimmteste, sie fürchten sich vor den Räubern, oder vor den Gespenstern, oder was weiß ich, wovor, und sie bestehen darauf, ehe die Dämmerung hereinbricht, heimzukehren nach ihrem kleinen Weiler, hinter die Lehmmauern, die doch überall gerissen sind.

So heißt es also, morgen wieder zurückkommen und für heute aufbrechen, der Fährte der Ziegen folgend, die sich schon in den endlosen Wiesen verlieren. Einst sahen die beiden Riesen zahllose Könige mit ihrem Gefolge eintreten und hinausgehen, jetzt schreiten wir an ihnen vorüber. Unsere Pferde hatten sich schon geweigert, die Stufen des Darius und Xerxes hinanzuklettern, natürlich sind sie noch weit weniger geneigt, dieselben hinabzusteigen, sie sträuben sich, versuchen sich loszureißen, und so gibt es ganz plötzlich inmitten des Schweigens dieser großen, toten Gegenstände zum Schluß eine lebhafte Szene, Kämpfe und Muskelanstrengungen, und inzwischen erhebt sich ein frischer Wind, ein Maienabendwind und trägt uns von den Wiesen dort unten den süßen Duft des Heues zu . . .

Nachdem wir durch die lange gleichmäßige Ebene der Gräser, der Gerste, der Mohnfelder gezogen sind, biegen wir in die Gäßchen des einsamen Weilers ein und erreichen schließlich unser aus Lehm gebautes Nachtquartier, das keine Türen noch Fenster kennt. Ein wirklich kalter Wind schüttelt jetzt die Pappeln draußen und die Aprikosenbäume des wilden kleinen Gartens; der Tag erlischt an einem wunderbar blaugrünen Himmel, über den winzige korallenrote Wolken dahinhuschen, und man hört die Stimmen der Hirten, die zum Abendgebete rufen.

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