Zweiter Teil
Donnerstag, 3. Mai.
Unsere Reisezeit haben wir jetzt ein für allemal anders
gelegt, seitdem die Sonne nicht mehr so tödlich brennt wie
dort unten. Bis nach Ispahan werden wir täglich zwei Märsche
machen, für jeden rechnen wir vier bis fünf Stunden, und
zwischendurch können wir in irgendeiner Karawanserei des Weges
unseren Mittagsschlaf halten. Natürlich müssen wir uns früh
erheben, und die Sonne steht noch nicht am Horizont, als man
uns heute morgen in Zaragoun weckt.
Das erste Bild dieses Tages, von der unvermeidlichen
kleinen Terrasse aus gesehen, nachdem wir unser lehmerbautes
Zimmer verlassen haben und in die frische Morgenluft
hinausgetreten sind, ist folgendes: Zuerst, im Vordergrund,
liegt der Hof der Karawanserei, er ist angefüllt mit Erde und
Staub. In der Mitte stehen meine Pferde, an den Wänden halten
sich meine Diener und andere Leute, die des Weges daher
kommen, auf, sie rauchen ihre Kalyan, trinken ihren Morgentee
und liegen auf einem Haufen von Teppichen, Decken und
Quersäcken – lauter unverwüstliche Gegenstände aus grober
Wolle gewebt, mit denen hierzulande ein großer Luxus getrieben
wird. Und dahinter dehnt sich das eintönige Land der Oase,
dehnen sich die weißen Mohnfelder aus, die sich auf der einen
Seite in dem unendlichen Raum verlieren, auf der anderen Seite
vor der wilden Gebirgskette ersterben. Wie seltsam
jungfräulich, wie rein steht dieser Mohn beim Anbruch des
Tages in seinem weißen Kleide da – und trotzdem ist es seine
Bestimmung, als ein schnelles Gift zu wirken, das man in den
Rauchsälen des äußersten Ostens mit schwerem Geld bezahlt . .
. Nirgends ein Baum; aber überall ein Meer von weißen Blumen,
das sich gleichsam zwischen den Ufern der großen wilden Berge
wie ein Meerbusen vorgedrängt hat. Und die Nebel des
Sonnenaufganges, die bunt violetten Nebel, ziehen sich in der
Ferne dahin, sie verwischen die reinen Linien des Horizontes
dort, wo die Sonne auftauchen wird, sie verschmelzen die
einfarbig blühenden Flächen, die seltsamen Felder dort unten
mit dem Himmel.
Jetzt geht die Sonne auf; was noch vom nächtlichen Schatten
blieb, flieht gleich einem braunen Gazeschleier vor ihr über
die Blumenfelder dahin. Und junge Mädchen verlassen in Scharen
das Dorf, sie gehen an irgendeine Feldarbeit, und fröhlich
lachend suchen sie die kleinen Pfade auf, wo sie bis zum
Gürtel in dem weißen Mohn untertauchen.
Es ist auch unsere Abschiedsstunde, darum vorwärts, auf
denselben Pfaden wollen wir den jungen Mädchen folgen, wo
dieselben Blumen, dieselben Gräser uns streifen . . .
Aber unsere Etappe ist diesmal nicht von langer Dauer, denn
in einer Viertelstunde werden wir die großen Paläste des
Schweigens, die Paläste des Darius und des Xerxes treffen, die
es wohl verdienen, daß man bei ihnen haltmacht.
Nachdem wir zwei Mohnfelder, endlose feuchte Wiesen, Bäche
und tiefe Ströme überschritten haben, bleiben wir vor einem
bescheidenen, ganz verlassenen Weiler stehen, der von einer
Reihe von Pappeln umgeben ist. Zwei Nächte verweilen wir in
der verfallensten, wildesten aller Karawansereien, die weder
Türen noch Fenster besitzt, deren alter Garten aber mit seinen
Rosensträuchen, seinen Aprikosenalleen und seinen wilden
Gräsern eine seltene Fruchtbarkeit zeigt. Kleine Kinder nähern
sich uns, sie verneigen sich und überreichen uns bescheidene,
fast gewöhnliche Monatsrosen. Umgeben ist der Weiler von
einsamen Wiesen, überall herrscht Friede und Schweigen. Der
Himmel bedeckt sich, es ist kühl. Man könnte glauben, man
befände sich in Frankreich auf dem Lande, aber nicht heute, in
vergangenen, in alten Zeiten . . .
Vielleicht zwei Meilen von uns entfernt, liegt am Ende der
grasreichen Ebene, am Fuß einer jener Gebirgsketten, die
gleich Mauern das Land von allen Seiten durchschneiden, ein
einsamer, auf den ersten Blick wenig auffälliger Gegenstand,
der, je länger man ihn betrachtet, desto schwerer
festzustellen ist . . . Ein Dorf, eine Karawanserei, dachten
wir zuerst; Mauern oder Terrassen, die wie überall, so auch
hier aus grauem Lehm erbaut sind, auf die man aber ungezählte
Mastbäume bunt durcheinander gepflanzt hat. Die große
Durchsichtigkeit der Luft täuscht über die Entfernungen
hinweg, man muß schon genau hinsehen, um sich klar machen zu
können, daß dies Rätsel weit entfernt liegt, daß die Terrassen
in keinem Verhältnis zu den anderen des Landes stehen, daß das
Mastwerk riesengroß sein müßte. Je mehr man prüft, desto
seltsamer erscheint es einem . . . Und in der Tat haben wir es
hier, ebenso wie bei den Pyramiden Ägyptens, mit einem jener
großen, klassischen Wunderwerke der Welt zu tun; – aber weit
seltener kommt man dorthin als nach Memphis, und auch der
Schleier, der über diesem Platze liegt, ist weit weniger
gelüftet. Die Könige, die die Welt erzittern machten, Xerxes
und Darius, haben an diesem Ort ihren traumhaften Hof
abgehalten, sie verschönerten ihn mit Statuen und mit
Basreliefs, denen auch der Zahn der Zeit nichts anhaben
konnte. Seit mehr als zweitausend Jahren, seit der Durchzug
der Heere des Mazedoniers den westlichen Völkern sein Dasein
verraten hat, trägt er einen Namen, der schon an und für sich
groß und ehrfurchteinflößend klingt: Persepolis. Aber wie er
ursprünglich hieß, und welche sagenhaften Herrscher seinen
Grundstein legten, das weiß man nicht. Geschichtsschreiber,
Gelehrte haben schon zur Zeit des Herodot bis in unser
Jahrhundert hinein so viele sich widersprechende Meinungen
geäußert! Im Laufe der Zeiten haben ungezählte Forscher, durch
die Ruinen angelockt, Tausenden von Gefahren getrotzt, um hier
in der Umgegend zu hausen, um die Inschriften zu entziffern,
die Gräber zu durchstöbern, ohne daß sie doch jemals zu einem
Schluß gelangt wären. Und wieviele dicke Bände sind über
diesen Winkel Asiens geschrieben worden, wo der kleinste Stein
der Hüter aller Geheimnisse ist!
Übrigens kommt die ganz genaue Feststellung der
historischen Tatsachen für mich, den einfachen Reisenden, kaum
in Betracht. Was liegt daran, ob es dieser oder jener Monarch
ist, der in der Tiefe jenes Grabes ruht, ob dieser Palast oder
jener der des Pasargades ist, der von den Soldaten Alexanders
eingeäschert wurde. Es genügt mir zu wissen, daß diese Ruinen
die gewaltigsten, die besterhaltensten ihrer Zeit sind, die in
unseren Augen das Genie einer ganzen Epoche, einer ganzen
Rasse verewigen.
Aber welch ein Geheimnis, daß der Fluch immer solche Plätze
trifft, die im Altertum besonders glänzend waren! . . . Warum
haben hier zum Beispiel die Menschen ein so fruchtbares, so
schönes Land verlassen, das unter einem so reinen Himmel
gelegen ist? Warum waren früher so viele Herrlichkeiten in
Persepolis angehäuft, wo heute nichts ist als eine blühende
Einöde?
Wir lassen unser Gepäck und unser Gefolge in der ärmlichen
Karawanserei zurück, in der wir die Nacht verbringen werden,
und reiten nach einem Mittagsschläfchen unter Führung von zwei
jungen Leuten aus dem Weiler auf die großen Ruinen zu. Während
der ersten Meile schwimmen wir in einem wirklichen Meer von
weißen Mohnblumen und grüner Gerste; dann folgt eine wilde
Wiese, die mit Krauseminze und gelben Immortellen übersät ist.
Und dort unten, hinter Persepolis, dem wir immer näher kommen,
und das sich immer deutlicher abhebt, wird die Ebene von
wilden, lederfarbenen Bergen durchkreuzt, wo sich Schlünde und
Schluchten öffnen. Übrigens trägt seit Chiraz das baumlose
Land überall den gleichen Charakter: Weite Flächen, die so
ruhig wie ein Wasserspiegel daliegen, und die durch eine
kahle, schreckeneinflößende Bergkette voneinander getrennt
werden.
Aber nirgends haben die Formen der Berge, die immer
überraschend wirken, uns etwas Ähnliches gezeigt wie das, was
sich in diesem Augenblick in der klaren Ferne zu unserer
Linken erhebt. Es ist viel zu gewaltig, um von Menschenhand
erbaut worden zu sein, und dann beunruhigt es durch seine
gesuchte Stellung: im Mittelpunkt liegt ein ganz viereckiger,
fünf- bis sechshundert Meter hoher Bau, der einer Gottesfeste,
oder dem Grundstein zu irgendeinem unterbrochenen Turmbau von
Babel gleicht, zu beiden Seiten türmen sich symmetrisch wie
zwei Wachtposten zwei ganz gleiche, ganz regelmäßige,
riesengroße Blöcke, zwei sitzende Ungeheuer auf. Seit Anbeginn
der Zeiten sind die Menschen durch die Gestalt dieser drei
Berge, die wohl geeignet sind, Schrecken vor dem
Übersinnlichen einzuflößen, in Erstaunen gesetzt worden, und
es ist zweifellos keine zufällige Wahl, die sie getroffen
haben, als sie an dieser Stelle den drohenden Bau der
Herrscher errichteten. Von dem Palaste, wo wir jetzt angelangt
sind, aus gesehen, rufen die Steine gerade den größten
Eindruck hervor, sie liegen nahe genug, um imposant zu wirken,
und sind doch wiederum weit genug entfernt, um nicht
entziffert werden zu können.
Die Wege, denen wir inmitten des Schweigens, der
Einsamkeiten und der Blumen folgen, sind von Zeit zu Zeit von
klaren Bächen durchschnitten, die immer wieder nutzlose
Fruchtbarkeit um diese Ruinen verbreiten.
Jetzt, wo wir dies tote Dorf, den Fuß des toten Berges
erreicht haben, herrscht kein Zweifel mehr über seine
ungeheuren Proportionen; seine Terrassen sind fünf- oder
sechsmal höher als die gewöhnlichen und bestehen nicht wie
überall sonst aus Lehm, an dem die Regengüsse sofort ihr
Zerstörungswerk vornehmen, sondern aus zyklopischen, ewig
haltbaren Blöcken, und die langen Gegenstände, die uns in der
Ferne an Schiffsmastbäume erinnerten, sind seltsam schlanke,
kühne, aus einem Stein gehauene Säulen – in früheren Zeiten
werden sie die Decken von Zedernholz und das Gebälk dieses
wunderbaren Palastes getragen haben.
Wir erreichen jetzt die steinerne, harte, leuchtende
Treppe, sie ist breit genug, um gleichzeitig eine ganze Armee
passieren lassen zu können; dort sitzen wir ab und steigen zu
der Terrasse hinan, wo sich die Säulen erheben. Ich weiß
nicht, was unseren Persern einfällt, aber sie ziehen unsere
Pferde, die zuerst nicht wollten, sich sträubten und mit ihren
Hufen die herrlichen Stufen abschrammten, hinter sich her, und
so ist unser Einzug in diese unendliche Andacht laut und
lärmend.
Wir stehen jetzt auf den Terrassen, die zu unserer
Überraschung noch viel größer sind, als sie von unten
erschienen. Eine ganze Stadt würden sie fassen können, und die
Säulen, mit denen sie früher geschmückt waren, standen einst
so dicht wie die Bäume eines Waldes. Jetzt sind nur noch
zwanzig davon erhalten, die anderen sind gestürzt und liegen
auf den Fliesen zerstückelt da, zahllose wunderbare Überreste
erheben sich in bunter Unordnung in dieser großen, mit Steinen
gepflasterten Einöde: bis in die kleinsten Kleinigkeiten
sorgfältig ausgehauene Pylonen, Mauerwände, die mit
Inschriften und Basreliefs bedeckt sind. Und dies alles zeigt
ein dunkles, gleichmäßiges, seltsames Grau, ein Grau, das in
den Ruinen ungewöhnlich ist, das die Patina der Jahrhunderte
nicht hat hervorrufen können, es muß schon von der Farbe des
Materials selbst herrühren, aus dem diese Paläste erbaut
wurden.
Man wird hier ganz in der Nähe von der gewaltigen,
schwarzbraunen Gebirgskette beherrscht, die sich seit unserem
Aufbruch aus dem Dorf wie eine Mauer vor uns erhob, aber
andererseits beherrscht man selbst alle diese gräserreichen,
blumengewachsenen Wiesen, wo im Hintergrunde der
schreckeneinflößende viereckige Berg mit seinen zwei sitzenden
Wächtern aufragt. Zwei oder drei kleine, sehr bescheidene
Weiler liegen ganz in der Ferne, durch Pappeln voneinander
getrennt, gleich Inseln zwischen einem Meer von blühenden
Gräsern und grüner Gerste da; und der erhabene Friede, der
ewige Friede der Welten ruht über diesen Frühlingswiesen – die
im Laufe der Jahrhunderte Zeugen des sardanapalischen Prunks,
der Feuerbrände, Niedermetzelungen, der Aufstellung großer
Heere, des Lärms großer Schlachten wurden.
Das Plateau aber, zu dem wir jetzt hinaufsteigen, ist zu
dieser Stunde, bei Hereinbruch der Dämmerung, der Ort einer
unaussprechlichen Melancholie; hier weht ein köstlich sanfter
Wind, und ein Licht, das bestimmt und doch weich ist, fällt
auf uns herab; man könnte fast sagen, daß wir uns auf diesen
Terrassen weit mehr als in der umgebenden Ebene, der
zweitausend Meter Höhe bewußt werden, und zwar ist der frische
Windhauch, die Reinheit, der stille Glanz der Sterne, die
Durchsichtigkeit der Schatten daran schuld. Zwischen den
Fliesen, die beim Durchzug der Könige mit Purpurteppichen
belegt waren, wachsen jetzt sehr feine Gräser, die Freunde der
Trockenheit und des Schweigens, blühen Quendel und Majoran,
und wo einst die Thronsäle lagen, weiden die Ziegen und
verbreiten den Duft ländlicher Wohlgerüche. – Aber vor allem
ist es das Licht, das keinem anderen Lichte ähnlich sieht; die
Beleuchtung dieses Abends, die gleich dem Widerschein einer
Apotheose auf so viele alte Basreliefs, auf so viele in Stein
verewigte menschliche Silhouetten fällt . . .
Ach, wie ergriffen fühle ich mich, als mich gleich beim
Eintritt zwei jener schweigenden Riesen empfingen, deren
Anblick mir von Kindheit an bekannt war: der Rumpf eines
geflügelten Stieres, der Kopf eines Menschen mit langem
gekräuselten Bart unter der Tiara eines Magierkönigs! – Ich
finde zweifellos zu großes Wohlgefallen daran, auf meine
Kindheitseindrücke zurückzukommen; aber ich muß bemerken, daß
sie für mich voller Geheimnisse und zugleich ungewöhnlich
lebhaft waren. – Als ich zwölf Jahre alt war, traf ich zum
erstenmal diese Riesenwächter aller assyrischen Paläste unter
den Bildern einer gewissen Partitur Semiramis, die damals
häufig aufgeschlagen auf dem Klavier stand, und sofort
versinnbildlichten sie in meinen Augen die schwere Pracht von
Ninive und Babylon. Was aber ihre Brüder anbelangt, die noch
heute dort unten zwischen den Ruinen stehen mußten, so stellte
ich sie mir immer umgeben von den zarten Blümchen vor, wie sie
dem steinichten Boden eines Landstriches, »La Limoise«
genannt, entwachsen, der damals zur selben Zeit eine große
Rolle in meinen exotischen Träumen spielte . . ., und nun
finde ich gerade heute am Fuße der mich begrüßenden Wächter
den Thymian, die Krauseminze und den Majoran, die ganze kleine
Flora meiner Wälder, unter einem ähnlichen Himmel wie dem
unsrigen wieder.
Xerxes' Laune hat die beiden geflügelten Riesen hier als
Posten aufgestellt, und jetzt empfangen sie mich an der
Schwelle zu diesen Palästen. – Und sie weihen mich in die
geheimsten Dinge über ihren Herrscher ein, Dinge, die ich
niemals zu erfahren wähnte; während ich sie betrachte,
verstehe ich, was mir auch zehn Geschichtsbände nicht
begreiflich gemacht hätten, wie majestätisch, wie priesterlich
und erhaben das Leben in den Augen dieses halb sagenhaften
Mannes gewesen sein muß.
Aber die ungeheuren Säle, deren Eingang sie bewachten, sind
seit bald dreiundzwanzig Jahrhunderten verschwunden, und nur
in Gedanken vermag man sie noch aufzubauen. Weit größer zwar,
müssen sie doch demjenigen gleichen, was man noch von den
alten fürstlichen Wohnung aus dem persischen Mittelalter
sieht: ungezählte Säulen von seltsamer Feinheit im Vergleich
zu ihrer Länge großen Schilfblättern ähnlich, die hoch in die
Lüfte hinein ein glattes Dach tragen. – Die Menschen, die hier
wohnten, waren wohl die einzigen, die eine so hohe Säule, eine
solche Schlankheit der Formen erfinden konnten, wo man im
Altertum überall sonst nur massive, seltsam plumpe, stämmige
Sachen baute. Immer gefolgt von unseren Pferden, deren
Schritte gar zu laut auf den Fliesen widerhallen, schreiten
wir auf das Innere des Palastes, auf den wunderbaren Wohnsitz
des Darius zu. Die gestürzten Säulen bedecken den Boden; nur
noch zwanzig sind stehengeblieben, in gewissen Abständen ragen
sie einsam empor, ganz gerade, ganz schlank wachsen sie in den
reinen Himmel hinein; sie sind von oben bis unten ausgekehlt,
ihr Sockel ist zu einem mächtigen Blumenkelch geformt, und ihr
weit vorspringendes Kapital, das in der Luft das Gleichgewicht
zu suchen scheint, zeigt auf allen vier Flächen den Kopf und
die Brust eines Ochsen. Wie vermögen diese kühnen,
ungewöhnlich langen Säulen sich noch nach zweitausend Jahren
zu halten, wo ihnen doch das Zederngebälk dort oben genommen
ist, das sie verbinden sollte?
Die freien Plätze bauen sich übereinander auf, die Treppen
folgen einander in dem Maße, wie man sich den Sälen nähert, in
denen der König Darius thronte. Und die Oberfläche jeder neuen
Stufe ist mit Basreliefs bedeckt, die Hunderte von Menschen in
vornehmer steifer Haltung, mit krausen Bärten und gelocktem
Haar zur Darstellung bringen: Schützenphalanxen, alle im
Profil gezeichnet; rituelle Umzüge, Herrscher unter großen
Sonnenschirmen, die von Sklaven getragen werden, Stiere,
Dromedare, Ungeheuer. In welchen wunderbaren Stein ist dies
alles gehauen worden, daß so viele Jahrhunderte es nicht zu
zerstören vermochten? Der härteste Granit unserer Kirchen
zeigt nach drei- oder vierhundert Jahren keine einzige scharfe
Kante, die byzantinischen Porphyre, der griechische Marmor,
der immer unter freiem Himmel steht, wird abgenutzt und
verwischt; hier könnte man sagen, daß alle diese seltsamen
Figuren soeben aus der Hand des Bildhauers kommen. Die
Archäologen haben sich darüber gestritten, ohne jemals über
den Ursprung dieses eigenartigen Materials einig zu werden,
das ein so feines Korn, eine so eintönige graue Farbe zeigt,
das einer Art Kiesel, einem sehr dunklen Feuerstein gleicht;
eine Schere würde sich hier wie an Metall stumpf schneiden;
übrigens ist es auch so spröde wie Beilstein, denn man sieht
große Basreliefs von oben bis unten gesprungen – unter dem
Einfluß der ewigen Sonne vielleicht, oder aber ist die Zeit,
sind die Stöße der Kriegsgeräte schuld daran.
Und diese stummen Ruinen lassen ungezählte Inschriften ihre
Geschichte erzählen, ihre Geschichte und die der Welt; der
kleinste Block möchte sprechen, wenn man seine einfache
Schrift zu entziffern verstände. Zuerst sind da die
keilförmigen Buchstaben, sie bildeten einen Teil der
anfänglichen Ornamentik; überall bringen sie ihre tausend
kleinen, gedrängten, bestimmten Zeichnungen auf den Sockeln
und Friesen, zwischen den wunderbaren Verzierungen, die ihnen
als Rahmen dienen, an. Und dann, wie durch Zufall hingestreut,
sieht man die Betrachtungen all der Menschen, die im Laufe der
Jahre, angezogen durch den großen Namen Persepolis,
hierhergekommen sind; gewöhnliche Bemerkungen, Aussprüche,
alte Gedichte über die Eitelkeiten dieser Welt, und zwar auf
griechisch, kufisch, syrisch, persisch, auf hindustanisch und
sogar auf chinesisch. »Wo sind die Herrscher, die in diesen
Palästen regierten, bis zu dem Tage, wo der Tod sie einlud,
aus seiner Schale zu trinken? Wie viele Städte wurden am
Morgen erbaut und stürzten des Abends zu Ruinen zusammen?«
schrieb ein Dichter vor ungefähr drei Jahrhunderten auf
arabisch ein und zeichnete sich: Ali, Sohn des Sultans Khaled.
. . . Zuweilen sieht man nur eine Jahreszahl mit seinem Namen;
und dann trifft man auch auf die Unterschriften der Forscher
aus den Jahren 1826 und 1830 – Daten, die für uns fast fern zu
liegen scheinen, und die trotzdem von gestern sind, vergleicht
man sie mit denen, die in Hieroglyphenschrift die Namen der
Könige umrahmen.
Besonders schön ist das Pflaster, auf dem wir schreiten.
Jeder Riß, jeder Spalt zeigt einen winzigen Garten, voll
kleiner Pflanzen, den Lieblingen der Ziegen, und zerreibt man
die Blumen zwischen den Fingern, so duftet die ganze Hand nach
ihrem süßen Wohlgeruch.
Hinter den Prunksälen, mit den offenen Säulenreihen,
erreichen wir die weit schwerer zu entwirrenden Gebäude, die
ein noch größeres Geheimnis zu bewachen scheinen. Hier müssen
die Zimmer, die tiefen Gemächer gelegen haben. Die Mauerreste,
die Pylonen, mit ihren ein wenig ägyptischen Umrissen, mit
ihren zu Blumenkronblättern geformten Architraven verdoppeln
sich. Wenn ich so sagen darf, fühlt man sich hier weit mehr
umgeben, eingeschlossener, viel mehr beschattet von der
gewaltigen Vergangenheit. Diese Viertel sind reich an großen,
wunderbar erhaltenen Basreliefs. Auf ihren assyrischen
Kleidern oder auf ihrem gekräuselten Haar zeigen die Figuren
noch heute den Glanz des neuen Marmors; die einen tragen
sitzend eine kaiserliche Würde zur Schau, andere spannen den
Bogen oder kämpfen mit Ungeheuern. Sie sind von menschlicher
Größe, haben ein regelmäßiges Profil, edle Gesichtszüge.
Überall sieht man sie auf den Wänden, die heute planlos
hingepflanzt zu sein scheinen; man ist von ihnen umgeben, von
diesen einschüchternden Gruppen umzingelt, und die Farbe der
Steine, die ewig graue Farbe gibt ihnen einen düsteren
Anstrich. Die Tafeln aber, die mit kleinen keilförmigen
Legenden bekritzelt sind, haben eine so glatte Oberfläche, daß
man seine eigene Silhouette darauf, wie auf einem Zinnspiegel,
leuchten sieht. Und man fühlt sich verwirrt, wenn man bedenkt,
wie alt diese scheinbar ganz frischen Eingravierungen sind,
wenn man sich sagt, daß eine jede dieser blanken Tafeln
dieselbe sei, in der sich an demselben Ort seit mehr als
zweitausend Jahren die Gesichter, die Schönheiten, die
verschwundenen Herrlichkeiten widergespiegelt haben. Nimmt man
nur ein kleines Bruchstück eines dieser Steine mit nach Hause,
so würde es in jedem Museum als ein seltener Schatz betrachtet
werden; und dies alles ist der Gnade des ersten besten Räubers
anheimgegeben, der in diese große Einsamkeit eindringt, dies
alles wird nur von den beiden nachdenklichen Riesen, von den
Schildwachen dort unten an der Schwelle bewacht.
Weiterhin sieht man einige ganz zerstörte Skulpturen,
einige ganz eingestürzte, unförmige Trümmerhaufen, und dann
findet Persepolis seinen Abschluß, am Fuße des traurigen,
kupferfarbenen Berges, der bis in seine geheimsten Tiefen
durchbohrt und ausgehöhlt sein muß, denn in gewissen Abständen
entdeckt man dort große schwarze, regelmäßige Löcher mit
Giebeln und Säulen, die in den Felsen selbst hineingehauen
sind; sie liegen alle verschieden hoch und dienen als Eingang
zu den Begräbnisstätten. In den unterirdischen Gewölben
schlafen zweifellos ungeahnte Reichtümer oder seltene
Reliquien!
Die Sonne geht unter, die Schatten der Säulen, der Riesen
werden länger auf diesem Boden, der einst ein königliches
Pflaster war; diese Dinge, müde zu leben, müde unter dem Hauch
der Jahrhunderte rissig zu werden, erleben noch einen Abend .
. .
Die beiden Riesen mit dem lockigen Bart, beobachten alles
voller Aufmerksamkeit, der eine wendet sein großes
abgeschrammtes Gesicht der Begräbnisstätte des Berges zu; der
andere sondiert die Ferne dieser Ebene, von woher einstmals
die Krieger, die Sieger, die Herrscher der Welt herannahten.
Aber kein Heer zieht jetzt noch vor diesem verlassenen Ort,
vor diesen stolzen Palästen auf; diese Gegend der Erde ist für
immer dem ländlichen Frieden und dem Schweigen wiedergeschenkt
. . .
Die Ziegen, die zwischen den Ruinen weideten, wurden von
ihren bewaffneten Hirten gerufen, sie scharen sich zusammen
und ziehen fort, denn bald naht sich die für die Herden
gefährliche Stunde, die Stunde der Panther. Ich möchte gern
bis zum Anbruch der Nacht oder doch wenigstens bis zum Aufgang
des Mondes bleiben; aber die beiden Hirten, meine Führer,
weigern sich auf das bestimmteste, sie fürchten sich vor den
Räubern, oder vor den Gespenstern, oder was weiß ich, wovor,
und sie bestehen darauf, ehe die Dämmerung hereinbricht,
heimzukehren nach ihrem kleinen Weiler, hinter die Lehmmauern,
die doch überall gerissen sind.
So heißt es also, morgen wieder zurückkommen und für heute
aufbrechen, der Fährte der Ziegen folgend, die sich schon in
den endlosen Wiesen verlieren. Einst sahen die beiden Riesen
zahllose Könige mit ihrem Gefolge eintreten und hinausgehen,
jetzt schreiten wir an ihnen vorüber. Unsere Pferde hatten
sich schon geweigert, die Stufen des Darius und Xerxes
hinanzuklettern, natürlich sind sie noch weit weniger geneigt,
dieselben hinabzusteigen, sie sträuben sich, versuchen sich
loszureißen, und so gibt es ganz plötzlich inmitten des
Schweigens dieser großen, toten Gegenstände zum Schluß eine
lebhafte Szene, Kämpfe und Muskelanstrengungen, und inzwischen
erhebt sich ein frischer Wind, ein Maienabendwind und trägt
uns von den Wiesen dort unten den süßen Duft des Heues zu . .
.
Nachdem wir durch die lange gleichmäßige Ebene der Gräser,
der Gerste, der Mohnfelder gezogen sind, biegen wir in die
Gäßchen des einsamen Weilers ein und erreichen schließlich
unser aus Lehm gebautes Nachtquartier, das keine Türen noch
Fenster kennt. Ein wirklich kalter Wind schüttelt jetzt die
Pappeln draußen und die Aprikosenbäume des wilden kleinen
Gartens; der Tag erlischt an einem wunderbar blaugrünen
Himmel, über den winzige korallenrote Wolken dahinhuschen, und
man hört die Stimmen der Hirten, die zum Abendgebete rufen.