Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Unterwegs

Freitag, 20. April.

Ich erwache in dem weißgekalkten Zimmer der Karawanserei von Konor-Takté. Ein Kamin verkündet, daß wir die Regionen der ewigen Hitze verlassen und Gegenden erreicht haben, die sich eines Winters rühmen können.

An der Decke scheinen zahllose kleine rosa Eidechsen zu schlafen, andere spazieren harmlos und zutraulich auf unseren Decken herum. Draußen hört man die Schwalben, die vor Freude jauchzen, wie sie es bei uns zur Zeit des Nistens tun. Durch die Fenster sieht man die Sträucher unserer Gärten, rosa Oleander und blühende Granatbäume, und auch reifes Korn, Felder, die den unseren gleichen. Keine erstickende Schwüle mehr, keine Fieberdünste oder Schwärme giftiger Fliegen; man fühlt sich fast schon befreit von dem verwünschten Golf, man atmet wie in unseren Ländern an einem schönen Frühlingsmorgen.

Um fünf Uhr abends brechen wir auf, nachdem wir einen Teil des Tages geschlafen haben. Wir gebrauchen ungefähr eine Stunde, um das ländliche Gefilde zu durchschreiten, wo die Ernte reif steht, wo Männer und Frauen die Sichel in der Hand, im goldenen Korn zwischen Mohn und Rittersporn die Ähren zu Garben binden; alle Blumen Frankreichs findet man hier plötzlich, tausend Meter über dem Meeresspiegel wieder. Wie eine Leinwand, die im Hintergrunde dies Paradies begrenzt, erhebt sich senkrecht eine zweite Stufe der persischen Mauer, eine Art hoher, dunkler Umzäumung, ein Wall, auf den wir zusteuern, den wir diese Nacht überwinden wollen.

Die Sonne steht schon tief am Himmel, als wir in das Gewirr dieser neuen Mauer, durch blutrote und schwefelgelbe Felsen in einen engen Spalt, der gradeswegs in die Hölle zu führen scheint, eindringen. Und im selben Augenblick umgibt uns eine feindliche, eine wunderbar schreckensreiche Welt, eine Welt, wo keine Pflanze mehr sprießt, sondern wo sich überall große, zerklüftete Steine, von lebhaftem Gelb oder tiefem Rotbraun gefärbt, erheben. Brausend durchschneidet ein Bach diese Landschaft der Schrecken; seine milchigen Gewässer, die mit Salzen durchtränkt und von metallischem Grün gefleckt sind, scheinen ein Gemisch von Seifenschaum und Kupferoxyd. Man hat das Gefühl, daß man hier in die Geheimnisse der mineralischen Welt eindringt, daß man die verschwiegenen Zusammenstellungen erlauscht, die dem organischen Leben vorangehen und es vorbereiten.

Am Ufer dieses vergifteten Flusses, an dem wir zur Stunde des Sonnenunterganges entlang reiten, liegt ein großes, dunkles Dorf, ein Lagerplatz vielmehr, ein Haufen plumper, schwärzlicher Hütten, in deren Umgebung kein Gras, nicht einmal grüne Moose wachsen. Und Frauen treten dort heraus, kommen heran, um uns zu betrachten, sie sehen spöttisch und feindlich gesonnen aus; ein dunkler Schleier verbirgt ihr Haar, sie sind sehr schön, haben freche gemalte Augen, und sind weit brauner, von einem ganz anderen Typus als die hübschen Schnitterinnen der Oase . . . es ist dies unsere erste Begegnung mit den Nomaden, die zu Tausenden im Süden Persiens auf den Hochländern leben, sie sind nicht zu unterjochen, sind Räuber, die mit der Waffe in der Hand die seßhaften Dörfer plündern, die zuweilen stark befestigte Städte belagern.

Es ist die Stunde, wo die Herden heimzukehren pflegen, und von allen Seiten eilen sie dem Nachtlager zu, sie steigen herab aus höheren Zonen, wo man zweifellos bessere Weiden findet; durch verschiedene Spalten in den großen Felsen sehen wir Scharen von Ochsen und Ziegen senkrecht heruntergleiten, sehen sie wie schwarze Bäche hinabrollen. Alles von derselben schwarzen Farbe, die Herden der Nomaden, die Dächer ihrer traurigen Hütten, und die Kleidung ihrer Frauen. Und die Hirten, große, wilde, stolz dreinschauende Gesellen, kehren auch zurück, neben dem Hirtenstab tragen sie über der Schulter ein Gewehr und am Gürtel Säbel und Hirschfänger. In der Dämmerung, am Ufer dieses schreckeneinflößenden Flusses, in einem schmalen, von Felsen überdachten Tal, stoßen wir auf alle diese Menschen und Tiere, einen Augenblick gerät unsere Karawane in Unordnung, und eins unserer Maultiere, das ein Stier mit den Hörnern gestoßen hat, wirft sich mit seiner Last zu Boden.

Die Nacht findet uns in einer wilden Gegend wieder, sie ist noch schrecklicher als gestern, erscheint noch gefährlicher, weil sich das Chaos immer von neuem ändert. Überall sieht man frische Felsstürze, sieht man Querrisse, die sich erst kürzlich gebildet haben. Und zuweilen schweben über unseren Köpfen große Steinblöcke, von denen man annehmen kann, daß sie am Vorabend losgelöst und irgendwie im vollen Lauf aufgehalten sind; ohne ein Wort zu sagen, deutet der Tcharvadar mit erhobenem Finger darauf hin, und indem wir unseren Schritt verlangsamen und ein unwillkürliches Schweigen beobachten, reiten wir an den drohenden Gestaltungen vorbei.

Wir steigen immer weiter aufwärts an dem Lauf der Bäche, der Wasserfälle entlang, die ein Längsbett gegraben haben, zuweilen aber benützen wir auch die von den Karawanen ausgetretenen Pfade. Unaufhaltsam hören wir in der zunehmenden Dunkelheit der Nacht das Wasser unter den lärmenden Hufen unserer Tiere plätschern; und dazwischen tönt das heisere Gequake der sich anrufenden Frösche. Vergebens sucht man den Schritten des Hintermannes zu folgen, inmitten dieser gewaltigen Steine verliert man sich immer wieder aus dem Auge.

Eine Sternennacht, aber vor allem ist es die seltsam glänzende Venus, die getreulich ihr sanftes Licht auf uns herniederstrahlt. Um Mitternacht hatten wir schon eine beträchtliche Höhe erreicht, und auf unbestimmten, überhängenden Pfaden, die so glatt wie Glas sind, reiten wir unmittelbar am Saume, ganz am Rande der Abgründe dahin.

Und zum Schluß stehen wir am Fuße eines senkrechten Berges, ähnlich dem, den wir gestern kennenlernten, dieselben schrecklichen kleinen Zickzacktreppen, dieselben schwankenden Stufen. Unsere Pferde stehen auf den Hinterbeinen, klammern sich wie die Ziegen an das Gestein an, von neuem müssen wir länger als eine Stunde die schwindelnden Kletterversuche, den unwahrscheinlichen Ritt nach dem Brocken wagen, es geht mitten durch den Gestank der verwesten Maultiere hindurch, die längs der Mauer aufgeschichtet liegen.

Wie gestern haben wir auch heute die Freude der plötzlichen Ankunft auf dem Gipfel, die Freude, ganz unerwartet eine Ebene, Land und Weiden wiederzufinden. Wir sind seit der vorhergehenden Etappe ungefähr sechshundert Meter höher gestiegen, und zum erstenmal seit dem Aufbruch erquickt uns eine wirkliche Frische, eine himmlisch labende Ruhe.

Aber heute ist die Ebene nur eine lange Terrasse, am Fuße der dritten Bergstufe gelegen, die man hier ganz in der Nähe sieht; eine lange Terrasse, eigentlich nur ein Balkon, dessen Tiefe kaum mehr als eine halbe Meile beträgt; irgendein Riß, wie ihn die geologischen Stürme gebildet haben; allmählich hat sich dort Dünger angesammelt, und so ist hier im Laufe der Jahre ein hängender Garten, ein kleines von der übrigen Welt abgeschiedenes Arkadien entstanden. Wir reiten durch die Mohngefilde dahin, deren Blüten sich während der Nacht zu großen, weißseidenen Kelchen erschlossen haben, wir streifen die Kornfelder, die Sonne hat die Ähren noch nicht gereift wie dort unten, und am Tage müssen sie in wunderbarem Grün aufleuchten.

Nach einstündigem, friedlichen Ritt erscheinen Lichter zwischen den Bäumen, und in der Ferne bellen die Wachthunde: es ist Konoridjé, das Dorf, wo wir die Nacht beschließen werden; bald unterscheidet man zwischen den schönen Datteln, die es beschatten, die kleine Moschee, die vielen weißen Terrassen, die in dem Sternenlicht bläulich leuchten. Hier muß ein nächtliches Fest gefeiert werden, denn man hört jetzt Trommeln und Pfeifen und von Zeit zu Zeit den Freudenschrei einer Frau, der ebenso gellend ist wie der Schrei der Mauren in Algier . . .

Es ist mir nicht möglich zu sagen, welch ein Reiz des Orients und der Vergangenheit dies kleine einsam gelegene Land erfüllt und es jetzt um Mitternacht, wo wir uns seinen hohen Palmen nähern, mit jenen alten, kindlichen Melodien durchflutet. Aber mein Diener, ein Matrose, der keine bilderreichen Gleichnisse kennt, und der die Wörter immer nur in ihrer absoluten Bedeutung gebraucht, drückt mir sein schüchternes Entzücken in den ganz einfachen Sätzen aus: »Das Dorf hat eine Luft, . . . eine verzauberte Luft!«

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