Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Zweiter Teil

Mittwoch, 25. April.

Die Sonne neigte sich ihrem Untergange zu, als wir in aller Eile unseren ersten Ausflug in die Stadt, in die Basare machten, um Kissen und Teppiche zu kaufen. (Denn in Hadji-Abbas' Haus zeigen die Zimmer natürlich nichts als ihre vier Wände.)

Man streicht in dieser Stadt umher, wie in einem unterirdischen Labyrinth. Die Gäßchen sind bedeckt, übersät mit Unrat, mit verfaultem Abfall, sie winden und kreuzen sich mit einer Laune, die jeden irreführt; an einigen Stellen sind sie so eng, daß man sich mit beiden Schultern gegen die Mauer drücken muß, will man nicht von einem Reiter oder sogar von einem kleinen Esel gestoßen werden; die Männer, in langen, dunklen Kleidern mit hohen Astrachanmützen, fassen uns scharf, doch ohne Mißtrauen, ins Auge. Die Frauen gleiten dahin und verschwinden wie schweigende Geister, von Kopf zu Fuß sind sie in einen langen schwarzen Schleier gehüllt, und das Gesicht verdeckt eine weiße Maske, die nur zwei runde Löcher für die Augen frei läßt; aber die kleinen Mädchen, die man noch nicht verschleiert, sind alle geschminkt, ihre Haare mit Henna gefärbt, und faßt alle erscheinen sie von wunderbar feiner lächelnder Schönheit; sogar die Ärmsten, die barfuß und nachlässig gekleidet gehen, sind anmutig unter ihren reizvollen Lumpen. In den toten, langen Mauerreihen aus grauem Stein oder grauem Lehm öffnet sich nie ein Fenster. Hier gibt es nur Türen, und um diese zu verbergen, sie zu schirmen, ist außerdem noch eine zweite Mauer hinter der ersten errichtet. Einige Türen sind eingerahmt von alten kostbaren Fayencen, die Iriszweige und Rosenzweige darstellen, und deren Kolorit, belebt durch den Gegensatz zu dem vielen Grau der Umgebung, inmitten von den Ruinen und Trümmern, doppelt frisch hervorspringt. Ach! diese schwarzgekleideten Frauen, die durch diese Türen schreiten, um die Ecke der alten Mauer biegen und im Innern des verborgenen Hauses verschwinden . . .

In meiner tunnelförmigen Straße, auf der die Karawanen von Bouchir kommend zur Stadt hineinziehen, liegt ein kleiner, jüdischer Basar, wo Korn und Gemüse verkauft wird. Um aber den wirklichen Basar von Chiraz, den unendlich großen Basar mit seinen vielen Überraschungen zu erreichen, muß man eine ganze Strecke durch dies Labyrinth wandern. Er beginnt in den engen, winkeligen, dunklen Straßen, wo man vor den ungezählten kleinen Läden beständig Gefahr läuft, in Löcher und Kloaken zu fallen. Dann folgen die großen, geraden, die vielen regelmäßigen Alleen mit ihren runden Kuppelgewölben, und zum erstenmal sagt man sich, daß die Stadt, in die man, ohne auch nur das geringste zu sehen, eingedrungen ist, wirklich eine große Stadt sein muß. Zu beiden Seiten der Alleen findet man die Kaufleute nach Profession und Zunft geordnet, so will es der orientalische Gebrauch. – Und man sieht, daß die Straße der Teppiche, in der wir unsere Einkäufe machen, für die Augen ein Hochgenuß ist. – In den dunkleren Straßen der Kupferschmiede hört man den ununterbrochenen Lärm der Hämmer, und dort machen wir halt, um für unseren Gebrauch Schenkkannen zu kaufen, die hier sehr üblichen Kannen, die eine wunderbare Anmut der Linien zeigen, und deren Form in alten Zeiten erfunden und seitdem niemals geändert wurde. Überall verkaufte man auch Büschel rosenroter, duftender Rosen, man nennt sie bei uns die »Monatsrose«, und blühende Orangenzweige. Bewaffnete Reiter versperrten uns oft den Weg, besonders in dem Viertel, wo Sattel- und Zaumzeug zu kaufen ist; dieses Viertel ist das größte in ganz Chiraz, denn hierzulande gehen alle Reisen, geht jeder Transport in Karawanen vor sich, und das Sattelzeug spielt naturgemäß eine große Rolle; es zeigt die allerverschiedensten Formen: in Seide oder Gold gestickte Sättel, wollene Quersäcke, Zäume für Pferde und Maulesel, zierliche, mit Pailletten benähte Sammetpeitschen für die kleinen Esel, auf denen die vornehmen Damen reiten, und Federbüsche für die Kamele.

In der Straße, wo die Seidenhändler ihren Stand haben, war großer Zuspruch von schwarzen Gestalten – den hiesigen Frauen – mit ihren hübschen, drolligen Babys, deren Augen alle durch einen gemalten Strich bis zum Haar verlängert sind.

Wir hatten den Basar zu ziemlich später Stunde besucht, schon schlossen sich die Läden, schon verschwand das Tageslicht hinter den aus Stein oder Lehm gebauten Gewölben. Und nachdem wir uns soundso viele Male durch die überdachten, jetzt immer dunkler werdenden Gänge hindurchgeschlängelt hatten, bedeutete es eine wirkliche Freude, endlich einen freien Platz unter freiem Himmel zu treffen, der von der herrlichen Abendsonne beschienen war. Vielleicht der einzige Winkel in Chiraz, wo das Leben sich fröhlich und nicht geheimnisvoll außerhalb des Hauses abspielt.

Dieser Platz liegt in der Nähe der Stadtwälle, und im Hintergrunde erhebt sich eine Moschee mit einem riesenhaft großen Portal, das unter seiner alten Glasurbekleidung rosenrot strahlt. Hier und da haben die Blumen-, Obst- und Kuchenverkäufer ihre Buden errichtet, und gerade gegenüber der rosenroten Pforte, deren Schwelle ich wohl niemals übertreten darf, steht ein kleines, reizendes, verfallenes Café, unter dessen Bäume wir uns setzen, um unter freiem Himmel die letzte Tageskalyan zu rauchen. (Der Name Café ist übrigens nicht richtig, denn hier in Chiraz reicht man nur Tee in kleinen winzigen Täßchen.)

Sofort bildet sich ein Kreis um uns, aber diese Neugierigen waren bescheiden und höflich, und wenn man sie ansah, antworteten sie mit einem freundlichen, ein wenig katzenhaften Lächeln. Alle die Leute hier sehen entgegenkommend und sanftmütig aus; sie haben feingeschnittene Züge, große Augen und einen zugleich lebhaften und träumerischen Blick.

Und ich kam zurück, um vor Einbruch der Nacht meine vorübergehende Wohnung, in dem ganz neuen, hinter dem Hofe gelegenen Gebäude, einzurichten. Das Erdgeschoß weise ich meiner Bedienung an, im ersten Stock liegt mein Zimmer, im zweiten mein Salon. Überall sieht man sehr weiße Mauern, derer gewölbte Spitzbogen Nischen bilden, in die ich meine Sachen aufstelle. Die Decke besteht aus Lehm und wird von einer Reihe junger, ganz gleichmäßig viereckiger Pappelstämme gestützt.

In zehn Minuten ist mein Salon eingerichtet, Teppiche und Kissen sind auf die Erde geworfen, Decken mit alten Nägeln an den Wänden befestigt, und den Ehrenplatz nehmen die schönen Waffen ein, die mir der Sultan von Mascat kürzlich bei meiner Durchreise schenkte, ein Dolch in silberner und ein Säbel in goldener Scheide.

Aber die Nacht senkt sich herab und hüllt alles in ihr großes, schweigendes Leichentuch ein. Sie unterbricht unseren kindlichen Zeitvertreib und erfüllt meine Wohnung, die gar zu eng eingeschlossen inmitten einer nicht erkennbaren Umgebung liegt, mit unheilvollem Dunkel.

Als wir eintraten, haben wir die schweren Eisenriegel von der Tür hinweggezogen, die hinaus in die nächtliche Umgebung führt, aber wir wissen nichts von all den Räumen, Winkeln und Nebengebäuden des großen Hauses; keiner von uns hat das alte zweistöckige Haus, das mit dem Rücken nach der Straße zu gelegen ist, erforscht, keiner von uns ist in die unendlich geräumigen Heuspeicher, in die Gewölbe und unterirdischen Keller eingedrungen, die sich hinter unseren Zimmern erstrecken.

Was die anderen Wohnungen in unserer Nachbarschaft anbelangt, so ist es selbstverständlich, daß unser Auge sie nicht hinter den hohen Verschanzungen erspähen kann. Wer dort wohnt, was sich dort zuträgt? Wir werden es nie erfahren. Von den Fenstern aus, die auf unsern, von hohen Mauern eingeschlossenen Hof zeigen, wird man auch bei Tage nichts von diesen Nachbarhäusern entdecken können. Nur die Wipfel der Pappeln, die die kleinen Gärten beschatten, nur die Lehmdächer, auf denen das Gras wächst, auf denen die Katzen promenieren, und dann in der Ferne über den Giebeln der alten staubfarbenen Gebäude hinweg die Linie der kahlen Berge, die die grüne Ebene einschließen. Das ist alles, was sich dem Auge zeigt.

Jetzt ist es Nacht. Meine Diener schlafen fest nach den Anstrengungen der letzten Abende, in dem schönen Gefühl, eine Reise hinter sich zu haben, in der Gewißheit, nicht morgen den nächtlichen Ritt fortsetzen zu müssen.

Die schöne Sternennacht kühlt fühlbar ab, kein menschliches Geräusch stört ihr Schweigen. Man hört die weiche, verhaltene Stimme der Käuze, die aus verschiedenen Richtungen sich rufen und Antwort geben, und darunter liegt Chiraz in seinem beunruhigenden Todesschlaf.

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