Zweiter Teil
Mittwoch, 25. April.
Die Sonne neigte sich ihrem Untergange zu, als wir in aller
Eile unseren ersten Ausflug in die Stadt, in die Basare
machten, um Kissen und Teppiche zu kaufen. (Denn in
Hadji-Abbas' Haus zeigen die Zimmer natürlich nichts als ihre
vier Wände.)
Man streicht in dieser Stadt umher, wie in einem
unterirdischen Labyrinth. Die Gäßchen sind bedeckt, übersät
mit Unrat, mit verfaultem Abfall, sie winden und kreuzen sich
mit einer Laune, die jeden irreführt; an einigen Stellen sind
sie so eng, daß man sich mit beiden Schultern gegen die Mauer
drücken muß, will man nicht von einem Reiter oder sogar von
einem kleinen Esel gestoßen werden; die Männer, in langen,
dunklen Kleidern mit hohen Astrachanmützen, fassen uns scharf,
doch ohne Mißtrauen, ins Auge. Die Frauen gleiten dahin und
verschwinden wie schweigende Geister, von Kopf zu Fuß sind sie
in einen langen schwarzen Schleier gehüllt, und das Gesicht
verdeckt eine weiße Maske, die nur zwei runde Löcher für die
Augen frei läßt; aber die kleinen Mädchen, die man noch nicht
verschleiert, sind alle geschminkt, ihre Haare mit Henna
gefärbt, und faßt alle erscheinen sie von wunderbar feiner
lächelnder Schönheit; sogar die Ärmsten, die barfuß und
nachlässig gekleidet gehen, sind anmutig unter ihren
reizvollen Lumpen. In den toten, langen Mauerreihen aus grauem
Stein oder grauem Lehm öffnet sich nie ein Fenster. Hier gibt
es nur Türen, und um diese zu verbergen, sie zu schirmen, ist
außerdem noch eine zweite Mauer hinter der ersten errichtet.
Einige Türen sind eingerahmt von alten kostbaren Fayencen, die
Iriszweige und Rosenzweige darstellen, und deren Kolorit,
belebt durch den Gegensatz zu dem vielen Grau der Umgebung,
inmitten von den Ruinen und Trümmern, doppelt frisch
hervorspringt. Ach! diese schwarzgekleideten Frauen, die durch
diese Türen schreiten, um die Ecke der alten Mauer biegen und
im Innern des verborgenen Hauses verschwinden . . .
In meiner tunnelförmigen Straße, auf der die Karawanen von
Bouchir kommend zur Stadt hineinziehen, liegt ein kleiner,
jüdischer Basar, wo Korn und Gemüse verkauft wird. Um aber den
wirklichen Basar von Chiraz, den unendlich großen Basar mit
seinen vielen Überraschungen zu erreichen, muß man eine ganze
Strecke durch dies Labyrinth wandern. Er beginnt in den engen,
winkeligen, dunklen Straßen, wo man vor den ungezählten
kleinen Läden beständig Gefahr läuft, in Löcher und Kloaken zu
fallen. Dann folgen die großen, geraden, die vielen
regelmäßigen Alleen mit ihren runden Kuppelgewölben, und zum
erstenmal sagt man sich, daß die Stadt, in die man, ohne auch
nur das geringste zu sehen, eingedrungen ist, wirklich eine
große Stadt sein muß. Zu beiden Seiten der Alleen findet man
die Kaufleute nach Profession und Zunft geordnet, so will es
der orientalische Gebrauch. – Und man sieht, daß die Straße
der Teppiche, in der wir unsere Einkäufe machen, für die Augen
ein Hochgenuß ist. – In den dunkleren Straßen der
Kupferschmiede hört man den ununterbrochenen Lärm der Hämmer,
und dort machen wir halt, um für unseren Gebrauch Schenkkannen
zu kaufen, die hier sehr üblichen Kannen, die eine wunderbare
Anmut der Linien zeigen, und deren Form in alten Zeiten
erfunden und seitdem niemals geändert wurde. Überall verkaufte
man auch Büschel rosenroter, duftender Rosen, man nennt sie
bei uns die »Monatsrose«, und blühende Orangenzweige.
Bewaffnete Reiter versperrten uns oft den Weg, besonders in
dem Viertel, wo Sattel- und Zaumzeug zu kaufen ist; dieses
Viertel ist das größte in ganz Chiraz, denn hierzulande gehen
alle Reisen, geht jeder Transport in Karawanen vor sich, und
das Sattelzeug spielt naturgemäß eine große Rolle; es zeigt
die allerverschiedensten Formen: in Seide oder Gold gestickte
Sättel, wollene Quersäcke, Zäume für Pferde und Maulesel,
zierliche, mit Pailletten benähte Sammetpeitschen für die
kleinen Esel, auf denen die vornehmen Damen reiten, und
Federbüsche für die Kamele.
In der Straße, wo die Seidenhändler ihren Stand haben, war
großer Zuspruch von schwarzen Gestalten – den hiesigen Frauen
– mit ihren hübschen, drolligen Babys, deren Augen alle durch
einen gemalten Strich bis zum Haar verlängert sind.
Wir hatten den Basar zu ziemlich später Stunde besucht,
schon schlossen sich die Läden, schon verschwand das
Tageslicht hinter den aus Stein oder Lehm gebauten Gewölben.
Und nachdem wir uns soundso viele Male durch die überdachten,
jetzt immer dunkler werdenden Gänge hindurchgeschlängelt
hatten, bedeutete es eine wirkliche Freude, endlich einen
freien Platz unter freiem Himmel zu treffen, der von der
herrlichen Abendsonne beschienen war. Vielleicht der einzige
Winkel in Chiraz, wo das Leben sich fröhlich und nicht
geheimnisvoll außerhalb des Hauses abspielt.
Dieser Platz liegt in der Nähe der Stadtwälle, und im
Hintergrunde erhebt sich eine Moschee mit einem riesenhaft
großen Portal, das unter seiner alten Glasurbekleidung
rosenrot strahlt. Hier und da haben die Blumen-, Obst- und
Kuchenverkäufer ihre Buden errichtet, und gerade gegenüber der
rosenroten Pforte, deren Schwelle ich wohl niemals übertreten
darf, steht ein kleines, reizendes, verfallenes Café, unter
dessen Bäume wir uns setzen, um unter freiem Himmel die letzte
Tageskalyan zu rauchen. (Der Name Café ist übrigens nicht
richtig, denn hier in Chiraz reicht man nur Tee in kleinen
winzigen Täßchen.)
Sofort bildet sich ein Kreis um uns, aber diese Neugierigen
waren bescheiden und höflich, und wenn man sie ansah,
antworteten sie mit einem freundlichen, ein wenig katzenhaften
Lächeln. Alle die Leute hier sehen entgegenkommend und
sanftmütig aus; sie haben feingeschnittene Züge, große Augen
und einen zugleich lebhaften und träumerischen Blick.
Und ich kam zurück, um vor Einbruch der Nacht meine
vorübergehende Wohnung, in dem ganz neuen, hinter dem Hofe
gelegenen Gebäude, einzurichten. Das Erdgeschoß weise ich
meiner Bedienung an, im ersten Stock liegt mein Zimmer, im
zweiten mein Salon. Überall sieht man sehr weiße Mauern, derer
gewölbte Spitzbogen Nischen bilden, in die ich meine Sachen
aufstelle. Die Decke besteht aus Lehm und wird von einer Reihe
junger, ganz gleichmäßig viereckiger Pappelstämme gestützt.
In zehn Minuten ist mein Salon eingerichtet, Teppiche und
Kissen sind auf die Erde geworfen, Decken mit alten Nägeln an
den Wänden befestigt, und den Ehrenplatz nehmen die schönen
Waffen ein, die mir der Sultan von Mascat kürzlich bei meiner
Durchreise schenkte, ein Dolch in silberner und ein Säbel in
goldener Scheide.
Aber die Nacht senkt sich herab und hüllt alles in ihr
großes, schweigendes Leichentuch ein. Sie unterbricht unseren
kindlichen Zeitvertreib und erfüllt meine Wohnung, die gar zu
eng eingeschlossen inmitten einer nicht erkennbaren Umgebung
liegt, mit unheilvollem Dunkel.
Als wir eintraten, haben wir die schweren Eisenriegel von
der Tür hinweggezogen, die hinaus in die nächtliche Umgebung
führt, aber wir wissen nichts von all den Räumen, Winkeln und
Nebengebäuden des großen Hauses; keiner von uns hat das alte
zweistöckige Haus, das mit dem Rücken nach der Straße zu
gelegen ist, erforscht, keiner von uns ist in die unendlich
geräumigen Heuspeicher, in die Gewölbe und unterirdischen
Keller eingedrungen, die sich hinter unseren Zimmern
erstrecken.
Was die anderen Wohnungen in unserer Nachbarschaft
anbelangt, so ist es selbstverständlich, daß unser Auge sie
nicht hinter den hohen Verschanzungen erspähen kann. Wer dort
wohnt, was sich dort zuträgt? Wir werden es nie erfahren. Von
den Fenstern aus, die auf unsern, von hohen Mauern
eingeschlossenen Hof zeigen, wird man auch bei Tage nichts von
diesen Nachbarhäusern entdecken können. Nur die Wipfel der
Pappeln, die die kleinen Gärten beschatten, nur die
Lehmdächer, auf denen das Gras wächst, auf denen die Katzen
promenieren, und dann in der Ferne über den Giebeln der alten
staubfarbenen Gebäude hinweg die Linie der kahlen Berge, die
die grüne Ebene einschließen. Das ist alles, was sich dem Auge
zeigt.
Jetzt ist es Nacht. Meine Diener schlafen fest nach den
Anstrengungen der letzten Abende, in dem schönen Gefühl, eine
Reise hinter sich zu haben, in der Gewißheit, nicht morgen den
nächtlichen Ritt fortsetzen zu müssen.
Die schöne Sternennacht kühlt fühlbar ab, kein menschliches
Geräusch stört ihr Schweigen. Man hört die weiche, verhaltene
Stimme der Käuze, die aus verschiedenen Richtungen sich rufen
und Antwort geben, und darunter liegt Chiraz in seinem
beunruhigenden Todesschlaf.