Dritter Teil
Mittwoch, 9. Mai
Unsere Pferde haben sich jetzt ausgeruht, schon frühmorgens
beginnen sie von neuem ihren schnellen Lauf durch den stets
schweigenden, klaren Raum. Blühender Asphodelos und Akanthus
verleiht dieser Einöde zuweilen den Anblick von Gärten, ein
dunkler, farbloser Garten, der sich meilenweit erstreckt, ohne
jemals eine Abwechslung zu zeigen. Zur Rechten und Linken, bis
in die Unendlichkeit, verfolgen uns noch immer die beiden
Gebirgsketten, sie bilden auf der Erdoberfläche einen
doppelten Kamm, einen der höchsten der Welt. Aber heute
gewähren uns die Öffnungen in der östlichen Kette einen Blick
auf den Eingang zu den endlosen Sand- und Salzwüsten, die
zweihundert Meilen lang sind, und die bis an die
afghanistanische Grenze reichen.
Nach einem vierstündigen Ritt erscheint in dem glühenden,
grauen Raum, an dem blendenden Horizont etwas Blaues, ein ganz
unnatürliches Blau, es strahlt und lockt; man könnte glauben,
es sei irgendein großer kostbarer Stein, irgendein mächtiger
Türkis . . . Und es ist nur die glasierte Kuppel einer
kleinen, alten, verfallenen Ruine, die in jenem traurigen,
verlassenen Weiler steht; die Hütten gleichen den ehemaligen
Höhlen wilder Tiere. Im Schatten eines Gewölbes aus
getrocknetem Lehm machen wir dort halt, um uns in der
Mittagsstunde auszuruhen.
Wie endlos, wie herbe ist dieser Weg, der gen Ispahan
führt! Abends legen wir einen sieben bis acht Meilen langen
Ritt in der Einöde zurück, und nirgends begegnen wir einer
menschlichen Spur. Zweimal kreuzt eine Staubwolke sehr schnell
unseren Weg, sie fliegt über dem blassen Teppich der
Königskräuter und Quendel dahin: Gazellen auf der Flucht! Kaum
haben wir sie erkannt, so sind sie wieder verschwunden, sie
laufen wie der Wind. Und schon geht der Tag zur Neige.
Aber bei Sonnenuntergang erreichen wir auf unseren einsamen
Hochebenen den Rand eines gewaltigen Spaltes, und dort unten
erwartet uns die Überraschung eines fruchtbaren Gefildes,
durch das sich ein Fluß dahinschlängelt, Karawanen, Maultiere,
zahllose Kamele ziehen ihres Weges, in der Luft auf einem
Felsen, wie man ihn sonst nirgends sieht, schwebt eine
phantastische Stadt. Dieses Tal unter uns ist nur eine halbe
Meile breit, aber es erscheint endlos lang zwischen den
senkrechten Felswänden, die es von beiden Seiten einschließen
und verbergen.
Während wir auf den gefährlichen Windungen hinabsteigen,
ist man überwältigt von dieser hochgelegenen Stadt, dies ist
eine Stadt, die keiner Mauern bedarf; aber wie können ihre
Einwohner zu ihr gelangen?
Ein großer, alleinstehender, sechzig Meter hoher Felsen
dient ihr als Fuß, er zeigt die genaue Form eines Helmstutzes,
ist nach unten zu ganz ausgehöhlt, voller Grotten und Löcher,
wird aber nach oben hin beängstigend breit, und darauf haben
die Menschen einen unglaublichen Bau aus getrocknetem Lehm
errichtet, der dem Gesetz des Gleichgewichtes, dem gesunden
Menschenverstand Hohn zu sprechen scheint: Hier schweben die
Häuser eins über dem anderen, alle werden sie, wie der Felsen
selbst, nach oben zu breiter, entfalten sich über dem Abgrunde
in vorspringenden Balkons und Terrassen. Dieser Ort nennt sich
Yezdi-Khast, man könnte sagen, es sei eine jener
unwahrscheinlichen Ansiedelungen von Wasservögeln, wie sie an
den steilen Felswänden über dem Meere schweben. Es ist alles
so verwegen und außerdem so ausgetrocknet, so alt, daß der
Zusammenbruch nicht auf sich warten lassen kann. Mittlerweile
aber stehen auf jedem Balkon, an jedem Fenster Menschen:
Kinder, Frauen, die sich hinabbeugen und ruhig dem Leben und
Treiben dort unten zuschauen.
Am Fuße dieser phantastischen Stadt, die bald in Trümmer
zerfallen wird, sehen wir Höhlen, unterirdische Gänge, tiefe
und klaffende Löcher, aus denen man einst die viele Erde
geholt hat, um sie dort oben in so unvorsichtiger Weise
aufzuhäufen. Hier gibt es auch eine Moschee, eine große
Karawanserei mit schön verzierten Mauern aus blauer Fayence;
auch einen Fluß mit einer starkgewölbten Brücke, auch die
frischen Ufer eines Baches, Kornfelder, junge Bäume; hier
herrscht auch das Leben der Karawanen, das muntere Treiben der
Kamel- und Maultierhüter, auf dem Grase liegen die Warenballen
aufgestapelt, alles verrät einen großen Durchgangsort. Auf
einem Felde hat man sogar einige hundert Zuckerhüte
niedergelegt, heute abend werden sie von neuem auf die Rücken
der Kamele geladen, um in den Dörfern der entfernter gelegenen
Oasen zu stranden, – es sind dies ganz gewöhnliche, in blauem
Papier verpackte Zuckerhüte, so wie man sie bei uns kennt, die
Perser verzehren eine beträchtliche Menge von diesem Zucker zu
ihrem ungemein süßen Tee, den sie sich gegenseitig abends und
morgens in winzig kleinen Tassen anbieten. (Und diese
Zuckerhüte, die bis vor einigen Jahren aus Frankreich
geliefert wurden, kommen jetzt alle aus Deutschland oder
Rußland: dies erzählen mir die Tcharvadare, und sie verhehlen
mir nicht ihr ein wenig verächtliches Mitleid mit dem
Zurückgang unseres Handels.) Große Scharen von Kamelen umgeben
unsere Karawanserei, und dies ist der Augenblick, wo sie ihre
lauten Wut- oder Leidensschreie ausstoßen, die durch Wasser
hindurchzudringen scheinen, die an die gurgelnden Laute eines
Ertrinkenden erinnern. In diesem Lärm, gleichsam inmitten
einer Menagerie, nehmen wir unser Abendessen ein.
Aber das Schweigen kehrt zur Stunde des Mondes, des
Vollmondes zurück; wie immer, so folgen ihm auch heute
Blendwerk und trügerische Beleuchtung, seltsam verschönert er
die alte Stadt, die so lächerlich hoch dort oben in unserem
Himmel schwebt, er hüllt sie in ein rosenrotes Licht, aber das
Licht ist hart, ist eisig zugleich.