Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Dritter Teil

Mittwoch, 9. Mai

Unsere Pferde haben sich jetzt ausgeruht, schon frühmorgens beginnen sie von neuem ihren schnellen Lauf durch den stets schweigenden, klaren Raum. Blühender Asphodelos und Akanthus verleiht dieser Einöde zuweilen den Anblick von Gärten, ein dunkler, farbloser Garten, der sich meilenweit erstreckt, ohne jemals eine Abwechslung zu zeigen. Zur Rechten und Linken, bis in die Unendlichkeit, verfolgen uns noch immer die beiden Gebirgsketten, sie bilden auf der Erdoberfläche einen doppelten Kamm, einen der höchsten der Welt. Aber heute gewähren uns die Öffnungen in der östlichen Kette einen Blick auf den Eingang zu den endlosen Sand- und Salzwüsten, die zweihundert Meilen lang sind, und die bis an die afghanistanische Grenze reichen.

Nach einem vierstündigen Ritt erscheint in dem glühenden, grauen Raum, an dem blendenden Horizont etwas Blaues, ein ganz unnatürliches Blau, es strahlt und lockt; man könnte glauben, es sei irgendein großer kostbarer Stein, irgendein mächtiger Türkis . . . Und es ist nur die glasierte Kuppel einer kleinen, alten, verfallenen Ruine, die in jenem traurigen, verlassenen Weiler steht; die Hütten gleichen den ehemaligen Höhlen wilder Tiere. Im Schatten eines Gewölbes aus getrocknetem Lehm machen wir dort halt, um uns in der Mittagsstunde auszuruhen.

Wie endlos, wie herbe ist dieser Weg, der gen Ispahan führt! Abends legen wir einen sieben bis acht Meilen langen Ritt in der Einöde zurück, und nirgends begegnen wir einer menschlichen Spur. Zweimal kreuzt eine Staubwolke sehr schnell unseren Weg, sie fliegt über dem blassen Teppich der Königskräuter und Quendel dahin: Gazellen auf der Flucht! Kaum haben wir sie erkannt, so sind sie wieder verschwunden, sie laufen wie der Wind. Und schon geht der Tag zur Neige.

Aber bei Sonnenuntergang erreichen wir auf unseren einsamen Hochebenen den Rand eines gewaltigen Spaltes, und dort unten erwartet uns die Überraschung eines fruchtbaren Gefildes, durch das sich ein Fluß dahinschlängelt, Karawanen, Maultiere, zahllose Kamele ziehen ihres Weges, in der Luft auf einem Felsen, wie man ihn sonst nirgends sieht, schwebt eine phantastische Stadt. Dieses Tal unter uns ist nur eine halbe Meile breit, aber es erscheint endlos lang zwischen den senkrechten Felswänden, die es von beiden Seiten einschließen und verbergen.

Während wir auf den gefährlichen Windungen hinabsteigen, ist man überwältigt von dieser hochgelegenen Stadt, dies ist eine Stadt, die keiner Mauern bedarf; aber wie können ihre Einwohner zu ihr gelangen?

Ein großer, alleinstehender, sechzig Meter hoher Felsen dient ihr als Fuß, er zeigt die genaue Form eines Helmstutzes, ist nach unten zu ganz ausgehöhlt, voller Grotten und Löcher, wird aber nach oben hin beängstigend breit, und darauf haben die Menschen einen unglaublichen Bau aus getrocknetem Lehm errichtet, der dem Gesetz des Gleichgewichtes, dem gesunden Menschenverstand Hohn zu sprechen scheint: Hier schweben die Häuser eins über dem anderen, alle werden sie, wie der Felsen selbst, nach oben zu breiter, entfalten sich über dem Abgrunde in vorspringenden Balkons und Terrassen. Dieser Ort nennt sich Yezdi-Khast, man könnte sagen, es sei eine jener unwahrscheinlichen Ansiedelungen von Wasservögeln, wie sie an den steilen Felswänden über dem Meere schweben. Es ist alles so verwegen und außerdem so ausgetrocknet, so alt, daß der Zusammenbruch nicht auf sich warten lassen kann. Mittlerweile aber stehen auf jedem Balkon, an jedem Fenster Menschen: Kinder, Frauen, die sich hinabbeugen und ruhig dem Leben und Treiben dort unten zuschauen.

Am Fuße dieser phantastischen Stadt, die bald in Trümmer zerfallen wird, sehen wir Höhlen, unterirdische Gänge, tiefe und klaffende Löcher, aus denen man einst die viele Erde geholt hat, um sie dort oben in so unvorsichtiger Weise aufzuhäufen. Hier gibt es auch eine Moschee, eine große Karawanserei mit schön verzierten Mauern aus blauer Fayence; auch einen Fluß mit einer starkgewölbten Brücke, auch die frischen Ufer eines Baches, Kornfelder, junge Bäume; hier herrscht auch das Leben der Karawanen, das muntere Treiben der Kamel- und Maultierhüter, auf dem Grase liegen die Warenballen aufgestapelt, alles verrät einen großen Durchgangsort. Auf einem Felde hat man sogar einige hundert Zuckerhüte niedergelegt, heute abend werden sie von neuem auf die Rücken der Kamele geladen, um in den Dörfern der entfernter gelegenen Oasen zu stranden, – es sind dies ganz gewöhnliche, in blauem Papier verpackte Zuckerhüte, so wie man sie bei uns kennt, die Perser verzehren eine beträchtliche Menge von diesem Zucker zu ihrem ungemein süßen Tee, den sie sich gegenseitig abends und morgens in winzig kleinen Tassen anbieten. (Und diese Zuckerhüte, die bis vor einigen Jahren aus Frankreich geliefert wurden, kommen jetzt alle aus Deutschland oder Rußland: dies erzählen mir die Tcharvadare, und sie verhehlen mir nicht ihr ein wenig verächtliches Mitleid mit dem Zurückgang unseres Handels.) Große Scharen von Kamelen umgeben unsere Karawanserei, und dies ist der Augenblick, wo sie ihre lauten Wut- oder Leidensschreie ausstoßen, die durch Wasser hindurchzudringen scheinen, die an die gurgelnden Laute eines Ertrinkenden erinnern. In diesem Lärm, gleichsam inmitten einer Menagerie, nehmen wir unser Abendessen ein.

Aber das Schweigen kehrt zur Stunde des Mondes, des Vollmondes zurück; wie immer, so folgen ihm auch heute Blendwerk und trügerische Beleuchtung, seltsam verschönert er die alte Stadt, die so lächerlich hoch dort oben in unserem Himmel schwebt, er hüllt sie in ein rosenrotes Licht, aber das Licht ist hart, ist eisig zugleich.

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