Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Fünfter Teil

Montag, 28. Mai

Um ein Uhr nachmittags verlasse ich das kühle Gehölz, um in die Stadt hinabzusteigen und Besuche zu machen. Teheran ist bei Sonnenschein, der es auch in der Regel verschönert, weniger häßlich als gestern, wo es regnete und Wolken den Himmel bedeckten. Seine Alleen sind mit hundertjährigen Rüstern bewachsen, seine Plätze werden von riesengroßen, altehrwürdigen Platanen beschattet, und auch hier findet man noch entlegene Winkel, die einen orientalischen Reiz besitzen. Überall zeigen sich kleine Läden, in denen die friedlichen Handwerke früherer Zeiten geübt werden. Die Mosaikarbeiter neigen sich über die Tische herab und suchen ihre winzigen Kupfer-, Gold- und Elfenbeinstücke zusammen. Die geduldigen Maler, mit den feingeschnittenen Gesichtern, verzieren die langen Schreibzeugkästen, die länglichen Kästen, in denen die Spiegel der Damen, die Kästen, in denen die heiligen Bücher aufbewahrt werden; mit leichter, sicherer Hand streuen sie die goldenen Arabesken darüber hin, tuschen sie die seltsamen Vögel, die Früchte, die Blumen an. Und die Miniaturmaler schaffen immer von neuem in den verschiedensten Stellungen die kleine Person, die eine Rose zwischen den Fingern hält, die stets die gleiche zu sein scheint, die seit dem Jahrhundert des Schah-Abbas nicht gealtert hat: sehr rosige, sehr runde Wangen, fast keine Nase, fast kein Mund, nur ein paar schwarze Samtaugen, gewaltig große Augen, deren dicke Brauen über der Nase zusammenwachsen. – Es gibt übrigens noch in Wirklichkeit diesen Typ der persischen Schönheit; zuweilen habe ich ihn einen kurzen, blitzähnlichen Augenblick gesehen, wenn ein Windstoß einen Schleier hoch wirbelte; und man sagt: daß einige Prinzessinnen bei Hof ihn noch in seiner idealen Vollkommenheit bewahrt haben . . .

Von allen den Alleen, die mit alten Rüstern bepflanzt sind, mündet die schönste in einen der Eingänge des Palastes; das Tor der Diamanten genannt. Und dieses Tor gleicht einer Art Zauberhöhle, die mit langsam sich bildenden, unterirdischen Kristallisierungen geschmückt ist. Von den Wänden tropft der Stalaktit herab, die Säulen sind mit ungezählten kleinen Spiegelstückchen, kleinen geschliffenen Facetten ausgelegt, und dies alles glitzert bei Sonnenschein in den Farben eines Prismas.

Ich kehre heute nach dem Palast zurück, um dem jungen Thronerben Persiens, Seiner Kaiserlichen Hoheit Choah-es-Saltaneh meinen Besuch abzustatten, er will mich in Abwesenheit seines Vaters empfangen. Leider sind die Salons, in die man mich hineinführt, auf europäische Art möbliert, und der zwanzigjährige Prinz, der mich so liebenswürdig begrüßt, scheint sich wie ein eleganter Pariser zu kleiden. Er ist zart und sehr verfeinert; seine großen, schwarzen Augen mit den fast zu schönen Wimpern erinnern an die Augen seiner Vorfahren, deren Gemälde man in dem Thronsaal sah; wäre er in Goldbrokat gekleidet und mit kostbaren Gemmen geschmückt, so würde er ihr vollkommenes Ebenbild sein. Er hat in Paris gewohnt, hat sich dort amüsiert und weiß als ein kluger Mensch davon zu erzählen, er hält sich auf dem laufenden mit der künstlerischen Entwicklung Europas, und die Unterhaltung mit ihm ist leicht und lebhaft. In sehr kleinen Sèvrestassen reicht man uns Tee. Trotz der Anweisungen, die für die Abwesenheit des Herrschers erlassen sind, trotz der verschiedenen versiegelten Türen, hat Seine Hoheit die Güte zu befehlen, daß ich morgen den ganzen Palast besichtigen kann.

Mein zweiter Besuch gilt dem Großvezir, der morgen für mich ein Diner veranstalten will. Auch dort werde ich aufs liebenswürdigste empfangen. Übrigens, lägen die kostbaren seidenen Teppiche nicht auf der Erde, trüge man hier nicht die kleinen Astrachanmützen auf der Stirn, die letzten Spuren eines orientalischen Kostüms, so könnte man sich in Europa wähnen. Wie schade ist dies, und welch eine Geschmacksverirrung . . . Diesen Nachahmungstrieb würde ich schon bei den Hottentotten oder bei den Kaffern verstehen. Aber wenn man die Ehre hat, ein Perser oder ein Araber oder ein Hindu oder selbst ein Japaner zu sein, – mit anderen Worten, wenn man uns mehrere Jahrhunderte in den verschiedensten Dingen der verfeinerten Lebensführung voraus ist, wenn man zu den Leuten gehört, die lange vor uns sich rühmen konnten, eine wunderbare Kunst, eine Architektur, eine große Anmut der Sitten, der Hauseinrichtung, der Kostüme zu besitzen, – so ist es wirklich verfehlt, uns nachahmen zu wollen.

Dann besuchen wir einen der vornehmsten Prinzen Teherans, den Bruder Seiner Majestät des Schahs. Sein Palast liegt in einem Park junger Pappeln, die so lang und schlank sind, wie das biegsame Schilf, der Park wurde für schweres Geld angelegt, es kostete viel, das Wasser von den Bergen hierher zu führen. Die unteren Säle sind ganz mit Spiegelfacetten ausgelegt, sie werden durch lange, von der Decke herabhängende Stalaktittrauben verziert, und erinnern den Beschauer an die Fingalhöhle, aber sie glitzern weit mehr als die wirklichen, zeigen einen überirdischen Glanz. Der Prinz empfängt uns im ersten Stockwerk, wo hinauf uns eine breite, blumengeschmückte Treppe führt; er trägt Uniform, hat einen weißen Bart, sieht vornehm und zuvorkommend aus und streckt uns eine tadellos weiß behandschuhte Hand entgegen. (Soweit die Fremden sich dessen erinnern können, hat man ihn nie ohne diese stets zugeknöpften, stets neuen Handschuhe gesehen, – und scheinbar will er dadurch vermeiden, die Finger eines Christen zu berühren, denn er soll hinter seinem zuvorkommenden Äußeren einen wilden Fanatismus verbergen.) Die Säle des vornehmen, persischen Herrn sind in europäischem Stil reich ausgestattet, aber die Mauern zeigen eine Glasurbekleidung, und auf der Erde liegen immer wieder die glänzenden, samtartigen Stoffe, die Teppiche, so kostbar wie man sie sonst nirgends mehr sieht. Auf einem Tisch steht ein Imbiß in Bereitschaft: Karaffen mit klarem Wasser, etwa zwölf große, wertvolle, rote Schalen mit den verschiedensten Frühlingsfrüchten, die eine ist mit Aprikosen, die andere mit Maulbeeren, eine dritte mit Kirschen gefüllt, Himbeeren, ja sogar rohe Gurken, auf die die Iraner so lecker sind, hat man aufgetischt. Und wie in dem Schloß, reicht man auch hier den Tee in sehr feinen Sèvrestassen. Wir sitzen vor einer großen, mit Fenstern verschlossenen Maueröffnung, man sieht über den Park, über den Wald junger Pappeln hinaus, die sich gleich einer Wiese von hohem Schilf im Maienwinde bewegen, man sieht auf den Demavend, dessen silberner Kegel in den Himmel hinaufragt. Der Prinz erzählt von seinen Jagden, von den Gazellen- und Pantherjagden in den benachbarten Bergen. An einem klaren Herbsttag ist es ihm gelungen, so erzählt er, die äußerste Spitze des Demavend zu erreichen, der hier vor uns liegt: »Obgleich es kein trübes Wetter war, sah ich doch nichts von der Welt unter mir, es war mir, als beherrsche ich den leeren Raum selbst. Und als dann die Luft noch durchsichtiger wurde, zeichneten sich die Umrisse der Erde allmählich ab, ein ergreifender Anblick; sie erschien hohl, man glaubte sich in der Mitte einer ausgehöhlten Halbkugel zu befinden, deren scharfe Ränder bis zum Himmel hinanstiegen.«

Um abends wieder in die französische Legation zurückzukehren, muß ich, wie immer, durch die schrecklich kleine Wüste fahren, wo die Karawanentiere verwesen.

Endlich erreichen wir den Fuß des Berges, und diesmal halten wir an, um eins der bezaubernden Paradiese aufzusuchen, die von Mauern eingeschlossen sind, und die den stets verborgen gehaltenen Prinzessinnen als Zufluchtsort dienen sollen; – das älteste von allen liegt heute verlassen da, es wurde von Agha Mohammed Khan, dem Gründer der jetzigen Dynastie der Kadjaren, angelegt.

Eine Reihe ansteigender Gebüsche, Wasserbassins und Terrassen führen zu einem schwermütigen Lustschlößchen hinan, in dem einst so viele schöne Gefangene geschmachtet haben. Man ist ganz überrascht, zu sehen, wie sicher und üppig die Vegetation sich hier entwickelt hat, die von Menschenhand an diesen Platz getragen wurde, während die Bäume draußen, außerhalb der Mauer, jämmerlich von Wind und Kälte mitgenommen erscheinen. Hier gibt es riesengroße Lorbeerbäume, ihre abgerundeten Kronen gleichen einer Blätterkuppel, hier gibt es Zedern, gewaltige Rüstern. Rosensträuche, mit Zweigen, so dick wie Schiffstaue, stehen in voller Maienblüte, sie klammern sich an die Stämme der Bäume an, und überziehen diese gleichsam mit einem Kleid von Rosen. Die Erde ist mit Moos, mit den Blütenblättern der echten und wilden Rosen bedeckt, ist, zur größten Freude der Vögel, von weißen Maulbeeren übersät. Zahllose Wiedehopfe und Häher, auf die niemals Jagd gemacht wird, hüpfen in den Steigen umher, ohne sich vor uns zu fürchten; die Wiedehopfe sind besonders geheiligt in diesem Gehölz, denn die Seele irgendeiner sagenhaften Prinzessin soll lange in dem Körper eines dieser Tiere gewohnt haben, oder wohnt vielleicht noch heute dort, was man aber nicht mit Bestimmtheit zu sagen vermag . . . Der alte, kleine, verschlossene Palast, der auf dem höchsten Punkt des schattigen Parkes, auf der höchsten Terrasse erbaut wurde, fällt jetzt unter dem Zahn der Zeit zusammen, im Sande und auf dem Moos glänzen Glasur- und Spiegelstückchen, die Teile einer früheren, einer zerbrechlichen Dekoration . . . Und was ist aus den Schönen geworden, die an diesem mißtrauischen, geheimnisvollen Ort gewohnt haben, den Schönsten aller Schönen, die unter Tausenden erlesen wurden? Ihr vollkommener Körper und ihr wunderbares Antlitz, ihre einzige Daseinsberechtigung, die sie liebenswert machten, und um deretwillen man sie eingeschlossen hielt, wo sind sie geblieben in ihren Gräbern? Zweifellos dort, unter irgendeinem kleinen, vergessenen Stein ruhen ihre Gebeine.

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