Dritter Teil
Sonntag, 6. Mai
Schon frühmorgens finden wir die Freude an Schnelligkeit
und Weite wieder, in der immer gleichen Wüste, zwischen den
beiden Gebirgsketten mit ihren schneebedeckten Gipfeln. Die
Wüste ist wie marmoriert, durch ihre verschiedenen
Blumenfelder. Aber hier herrscht nicht mehr die Pracht der
Ebenen Marokkos und Palästinas, die sich im Frühling mit
Schwertlilien, Rosen, mit blauen Winden und roten Anemonen
bedecken. Es scheint fast, als wenn alles sich unter den
Strahlen einer zu nahen, zu blendenden Sonne entfärbte: Der
Quendel zeigt eine unbestimmte Farbe, das Maßliebchen ein
verblaßtes Gelb, das Violett der blassen Iris ist hier
perlgrau, die Orchideen haben graue Blüten, und tausend kleine
unbekannte Pflanzen scheinen zu Asche verbrannt zu sein.
Wir haben beschlossen, unsere Lasttiere mit den
überflüssigen, langsamen Reitern aus Chiraz zurückzulassen;
wir sind jetzt ganz vertrauensvoll, und so geht es denn
vorwärts.
Aber dort hinten bewegt sich eine Herde, die unseren Weg
kreuzen wird; es sind Nomaden, Leute von schlechtem Ruf, es
ist ein Volksstamm, der auf eine andere Weide zieht. An der
Spitze schreiten bewaffnete Männer, sie haben ganz das Äußere
von Räubern; unsere Perser beschließen, im gestreckten Galopp,
mitten hindurch zu sprengen, sie stoßen wilde Schreie aus, um
die Pferde anzuspornen, und man weicht zur Seite, und macht
uns Platz. Im langsamen Trab setzen wir unseren Weg durch das
Gewühl der Tiere fort. Und schließlich kreuzen wir im Schritt
die Nachhut, Frauen und kleine – sehr kleine Kinder, kleine
Kamele, kleine Böcklein, ein lustiges, reizendes
Durcheinander; – aus ein und demselben Korbe, auf dem Rücken
eines Maultieres, sehen wir den Kopf eines Babys und den eines
soeben geborenen Esels hervorlugen, und man vermag wirklich
nicht zu sagen, welcher von beiden der hübscheste ist, der
kleine Nomade mit den rollenden Augen, oder der kleine Esel
mit dem noch ganz lockigen Fell; der eine sowohl wie der
andere betrachten uns übrigens mit der gleichen
Offenherzigkeit, demselben Erstaunen.
Nach vierstündigem Ritt machen wir vor dem verlassenen
Dorfe Dehbid halt (zweitausendsechshundert Meter hoch
gelegen.) Inmitten der grauen Ebene erhebt sich eine alte
Festung, sie stammt aus den Zeiten der Sassaniden-Herrscher,
elende, aus Lehm erbaute Hütten schmiegen sich an sie an,
gleichsam als fürchten sie die Stürme, die über diese hohen
Länder dahinfegen. Ein eisiger Wind, in der Nähe die endlosen
Schneegefilde, und ein funkelndes Licht.
Aber unsere Lasttiere, wie auch unsere Reiter von Chiraz,
denen wir heute morgen vorausgeeilt waren, schließen sich uns
nicht an. Den ganzen Tag harren wir ihrer, sehen von dem Dach
der Karawanserei nach ihnen aus, befragen den Horizont:
Karawanen kommen zum Vorschein, Maultiere, Kamele, Esel, Tiere
und Leute aller Art, aber die unsrigen nicht. Um die Stunde,
wo die Berge übernatürlich großen Schatten auf die Wüste
werfen, erscheint endlich einer der Reiter: »Beunruhigt euch
nicht«, sagt er, »sie haben einen anderen, ihnen bekannten Weg
eingeschlagen; schlafet hier, auch ich werde mich zur Ruhe
begeben; morgen trefft ihr vier Stunden weiter mit ihnen in
der Karawanserei von Khan-Korrah zusammen.«
So laßt uns also in Dehbid übernachten, es bleibt uns in
der Tat auch nichts anderes übrig, denn bald schon senkt sich
die schweigende Nacht herab. Aber man soll uns trockene
Disteln auf den Herd schütten, wo wir unser Feuer anzünden
werden.
Die langgezogenen Töne des Gebetsausrufers steigen hinauf
in die Luft. Die Vögel stellen das Kreisen ein, sie begeben
sich zur Ruhe in den Zweigen einiger verkrüppelter Pappeln,
der einzigen Bäume, die es meilenweit im Umkreise gibt. Und
kleine, zwölfjährige Mädchen drehen sich im Kreise, wie sie es
wohl bei uns an einem schönen Maienabend zu tun pflegen;
kleine persische Schönheiten, bald wird man euch verschleiern,
kleine Wüstenblumen, euer Schicksal ist es, in diesem
verlorenen Dorfe zu verwelken. Sie tanzen, sie singen; so
lange die durchsichtige Dämmerung anhält, treten sie ihren
Reigen, und ihre Fröhlichkeit steht im Widerspruch zu der
herben Trauer von Dehbid . . .