Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Dritter Teil

Sonntag, 6. Mai

Schon frühmorgens finden wir die Freude an Schnelligkeit und Weite wieder, in der immer gleichen Wüste, zwischen den beiden Gebirgsketten mit ihren schneebedeckten Gipfeln. Die Wüste ist wie marmoriert, durch ihre verschiedenen Blumenfelder. Aber hier herrscht nicht mehr die Pracht der Ebenen Marokkos und Palästinas, die sich im Frühling mit Schwertlilien, Rosen, mit blauen Winden und roten Anemonen bedecken. Es scheint fast, als wenn alles sich unter den Strahlen einer zu nahen, zu blendenden Sonne entfärbte: Der Quendel zeigt eine unbestimmte Farbe, das Maßliebchen ein verblaßtes Gelb, das Violett der blassen Iris ist hier perlgrau, die Orchideen haben graue Blüten, und tausend kleine unbekannte Pflanzen scheinen zu Asche verbrannt zu sein.

Wir haben beschlossen, unsere Lasttiere mit den überflüssigen, langsamen Reitern aus Chiraz zurückzulassen; wir sind jetzt ganz vertrauensvoll, und so geht es denn vorwärts.

Aber dort hinten bewegt sich eine Herde, die unseren Weg kreuzen wird; es sind Nomaden, Leute von schlechtem Ruf, es ist ein Volksstamm, der auf eine andere Weide zieht. An der Spitze schreiten bewaffnete Männer, sie haben ganz das Äußere von Räubern; unsere Perser beschließen, im gestreckten Galopp, mitten hindurch zu sprengen, sie stoßen wilde Schreie aus, um die Pferde anzuspornen, und man weicht zur Seite, und macht uns Platz. Im langsamen Trab setzen wir unseren Weg durch das Gewühl der Tiere fort. Und schließlich kreuzen wir im Schritt die Nachhut, Frauen und kleine – sehr kleine Kinder, kleine Kamele, kleine Böcklein, ein lustiges, reizendes Durcheinander; – aus ein und demselben Korbe, auf dem Rücken eines Maultieres, sehen wir den Kopf eines Babys und den eines soeben geborenen Esels hervorlugen, und man vermag wirklich nicht zu sagen, welcher von beiden der hübscheste ist, der kleine Nomade mit den rollenden Augen, oder der kleine Esel mit dem noch ganz lockigen Fell; der eine sowohl wie der andere betrachten uns übrigens mit der gleichen Offenherzigkeit, demselben Erstaunen.

Nach vierstündigem Ritt machen wir vor dem verlassenen Dorfe Dehbid halt (zweitausendsechshundert Meter hoch gelegen.) Inmitten der grauen Ebene erhebt sich eine alte Festung, sie stammt aus den Zeiten der Sassaniden-Herrscher, elende, aus Lehm erbaute Hütten schmiegen sich an sie an, gleichsam als fürchten sie die Stürme, die über diese hohen Länder dahinfegen. Ein eisiger Wind, in der Nähe die endlosen Schneegefilde, und ein funkelndes Licht.

Aber unsere Lasttiere, wie auch unsere Reiter von Chiraz, denen wir heute morgen vorausgeeilt waren, schließen sich uns nicht an. Den ganzen Tag harren wir ihrer, sehen von dem Dach der Karawanserei nach ihnen aus, befragen den Horizont: Karawanen kommen zum Vorschein, Maultiere, Kamele, Esel, Tiere und Leute aller Art, aber die unsrigen nicht. Um die Stunde, wo die Berge übernatürlich großen Schatten auf die Wüste werfen, erscheint endlich einer der Reiter: »Beunruhigt euch nicht«, sagt er, »sie haben einen anderen, ihnen bekannten Weg eingeschlagen; schlafet hier, auch ich werde mich zur Ruhe begeben; morgen trefft ihr vier Stunden weiter mit ihnen in der Karawanserei von Khan-Korrah zusammen.«

So laßt uns also in Dehbid übernachten, es bleibt uns in der Tat auch nichts anderes übrig, denn bald schon senkt sich die schweigende Nacht herab. Aber man soll uns trockene Disteln auf den Herd schütten, wo wir unser Feuer anzünden werden.

Die langgezogenen Töne des Gebetsausrufers steigen hinauf in die Luft. Die Vögel stellen das Kreisen ein, sie begeben sich zur Ruhe in den Zweigen einiger verkrüppelter Pappeln, der einzigen Bäume, die es meilenweit im Umkreise gibt. Und kleine, zwölfjährige Mädchen drehen sich im Kreise, wie sie es wohl bei uns an einem schönen Maienabend zu tun pflegen; kleine persische Schönheiten, bald wird man euch verschleiern, kleine Wüstenblumen, euer Schicksal ist es, in diesem verlorenen Dorfe zu verwelken. Sie tanzen, sie singen; so lange die durchsichtige Dämmerung anhält, treten sie ihren Reigen, und ihre Fröhlichkeit steht im Widerspruch zu der herben Trauer von Dehbid . . .

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